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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 11.03.2004
Aktenzeichen: VII R 19/02
Rechtsgebiete: AO 1977
Vorschriften:
AO 1977 § 69 | |
AO 1977 § 191 Abs. 3 | |
AO 1977 § 361 Abs. 2 |
Gründe:
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde durch einen mit der Treuhandanstalt geschlossenen Anstellungsvertrag zunächst als vorläufiger Geschäftsführer einer GmbH eingesetzt. Später war er als einziger und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer für die GmbH tätig, die in der Folgezeit insolvent wurde. Im September 1998 wurde der Antrag des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse zurückgewiesen. In ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Juli bis Dezember 1990 erklärte die GmbH zunächst keine Umsätze. Dagegen errechnete sie in ihrer Umsatzsteuererklärung für das 2. Halbjahr 1990 eine Umsatzsteuerschuld in Höhe von ... DM. Am 1. Juli 1994 erließ das FA einen Umsatzsteuer-Bescheid für 1990 über insgesamt ... DM, gegen den die GmbH Einspruch einlegte und die Aussetzung der Vollziehung beantragte. Antragsgemäß setzte das FA die Vollziehung des Umsatzsteuer-Bescheides mit Wirkung vom Fälligkeitstag, dem 4. August 1994, bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung aus. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die GmbH Klage beim Finanzgericht (FG) und beantragte beim FA und beim FG die Aussetzung der Vollziehung des inzwischen vom FA erlassenen Änderungsbescheides, der nun eine Umsatzsteuer-Nachzahlungsschuld der GmbH in Höhe von ... DM auswies. Mit Bescheid vom ... setzte das FA die Vollziehung dieses Bescheides gemäß § 361 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung über die Klage aus.
Nachdem das FG die Klage abgewiesen hatte, nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid wegen rückständiger Umsatzsteuer 1990 gemäß § 69 i.V.m. § 34 AO 1977 in Haftung. Zur Begründung führte das FA aus, dass der Kläger die ihm obliegenden Pflichten als Geschäftsführer grob fahrlässig verletzt habe, indem er daran mitgewirkt habe, dass die GmbH Umsätze in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Juli bis Dezember 1990 und in der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das 2. Halbjahr 1990 nicht als umsatzsteuerbar erklärt und die darauf entfallende Umsatzsteuer nicht zum Zeitpunkt der sog. fiktiven Fälligkeit und auch später nach der am 1. Juli 1994 erfolgten Steuerfestsetzung nicht entrichtet habe.
Die Klage gegen den Haftungsbescheid hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 510 veröffentlichten Gründen nur teilweise Erfolg.
Das FG urteilte hinsichtlich des Vorwurfs der Pflichtverletzung durch Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung für das 2. Halbjahr 1990, dass die Festsetzungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheides gemäß § 191 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alternative AO 1977 mit dem Ablauf des Kalenderjahres 1993 begonnen habe. Deshalb sei der Haftungsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Haftungsbescheides durch Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist bereits verjährt gewesen. Darüber hinaus habe der Kläger seine Pflichten nicht grob fahrlässig verletzt, da er sich zur Beurteilung der im Streitfall schwierigen Rechtslage eines Steuerberaters bedient habe. Dies könne jedoch nicht für die Verwirklichung der 2. Alternative des § 69 AO 1977 gelten. Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, indem er für eine fristgerechte Entrichtung der sich aus dem Bescheid vom 1. Juli 1994 ergebenden Umsatzsteuer weder nach Auslaufen der vom FA bis zum 27. Juni 1995 gewährten Frist noch nach Verkündung des klagabweisenden Urteils gesorgt habe. Der Haftungsanspruch sei auch nicht verjährt, da der Haftungstatbestand infolge der Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuer-Änderungsbescheides erst am 29. Juni 1995 (ein Tag nach dem Werktag, an dem die Steuer nach Ablauf der im Aussetzungsverfahren gewährten Frist zu entrichten war) erfüllt worden sei. Zwar beseitige die Aussetzung der Vollziehung nicht die gesetzliche Fälligkeit, doch hindere sie das FA, aus dem ausgesprochenen Leistungsgebot rechtliche und tatsächliche Folgerungen zu ziehen. Im Streitfall sei die vierjährige Festsetzungsfrist erst am 31. Dezember 1999 abgelaufen, so dass der Haftungsbescheid noch innerhalb dieser Frist ergangen sei. Im Übrigen sei der Haftungsbescheid auch unter den Gesichtspunkten der Ermittlung der Haftungsquote und der Ermessensausübung nicht zu beanstanden.
Mit der Revision rügt der Kläger im Wesentlichen, dass ihn an der Nichtentrichtung der Umsatzsteuer kein Verschulden treffe. Im Ergebnis habe das FA die Vollziehung --ohne Unterbrechung-- bis zum Ablauf eines Monats nach Verkündung des klagabweisenden Urteils ausgesetzt. Zu diesem Zeitpunkt habe die GmbH über keine Mittel zur Begleichung der Umsatzsteuer-Schuld mehr verfügt. Im Übrigen sei der Haftungsanspruch verjährt, denn der Haftungstatbestand sei nicht erst im Zeitpunkt der durch die gewährte Aussetzung der Vollziehung am 27. Juni 1997 eingetretenen tatsächlichen Fälligkeit, sondern bereits mit Eintritt der gesetzlichen Fälligkeit des Umsatzsteuer-Anspruches am 4. August 1994 erfüllt gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei der gesetzliche Vertreter des Steuerschuldners bereits vor Fälligkeit der Steuern verpflichtet, die Mittel des Schuldners so zu verwalten, dass dieser zur pünktlichen Tilgung der erst künftig fällig werdenden Steuerschulden in der Lage sei (Senatsurteil vom 5. Februar 1985 VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2). Die vierjährige Festsetzungsfrist sei bei Erlass des Haftungsbescheides bereits abgelaufen gewesen.
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt im Umfang der Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und des Haftungsbescheides sowie der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat seiner Entscheidung eine fehlerhafte Auslegung des § 69 AO 1977 zugrunde gelegt und damit Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) verletzt. Denn zumindest in den Fällen, in denen einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit noch nicht entsprochen worden ist und in denen der Haftungsschuldner entsprechende Mittel zur Begleichung der Steuerschuld nicht bereit hält, ist hinsichtlich der Verwirklichung des Haftungstatbestandes des § 69 AO 1977 nicht auf die tatsächliche Fälligkeit, sondern auf die gesetzliche Fälligkeit des Steueranspruchs abzustellen.
1. Nach § 191 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 beträgt die Festsetzungsfrist für Haftungsbescheide grundsätzlich vier Jahre. Sie beginnt mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO 1977). Abzustellen ist auf die Verwirklichung der jeweiligen Haftungsnorm --im Streitfall § 69 AO 1977-- sowie auf die Entstehung der Steuerschuld (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 1999 VII R 98/98, BFHE 190, 25, BStBl II 2000, 486). Das in § 69 AO 1977 angelegte Tatbestandsmerkmal der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung kann auf unterschiedliche Art und Weise erfüllt werden. Im Streitfall hat das FA den Haftungsbescheid darauf gestützt, dass der Kläger daran mitgewirkt habe, dass die GmbH Umsätze in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate Juli bis Dezember 1990 und in der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das 2. Halbjahr 1990 nicht als umsatzsteuerbar erklärt (1. Tatbestandsalternative) und die darauf entfallende Umsatzsteuer-Schuld nicht zum Zeitpunkt der sog. fiktiven Fälligkeit und auch später nach der am 1. Juli 1994 erfolgten Steuerfestsetzung und nach rechtskräftiger Abweisung der beim FG erhobenen Klage nicht entrichtet habe (2. Tatbestandsalternative). Hinsichtlich der vom Kläger verwirklichten 1. Tatbestandsalternative des § 69 AO 1977 ist das FG zu der im Revisionsverfahren nicht zu überprüfenden Auffassung gelangt, dass der auf diese Pflichtverletzung gestützte Haftungsanspruch aufgrund des Ablaufs der Festsetzungsfrist (§ 191 Abs. 3 AO 1977) erloschen sei.
2. Dagegen hat das FG in rechtsfehlerhafter Auslegung des § 69 AO 1977 den Verjährungseintritt hinsichtlich der für das Revisionsverfahren maßgeblichen 2. Tatbestandsalternative verneint. Der Auffassung, dass die Aussetzung der Vollziehung die Verwirklichung des Haftungstatbestandes im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit verhindert habe, vermag der Senat nicht zu folgen.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH lässt die Aussetzung der Vollziehung die Wirksamkeit und den Bestand des ausgesetzten Verwaltungsaktes unberührt (vgl. Entscheidungen des Senats vom 17. September 1987 VII R 50-51/86, BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366, und vom 29. November 1977 VII B 6/77, BFHE 124, 13, 15, BStBl II 1978, 156, m.w.N.). Zum materiellen Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes gehört auch die Fälligkeit, die durch die Aussetzung ebenfalls nicht berührt oder gar hinausgeschoben wird. Aussetzung der Vollziehung bedeutet lediglich, dass der materielle Regelungsgehalt des nach wie vor wirksamen Verwaltungsaktes bis auf weiteres nicht mehr verwirklicht werden kann, so dass rechtliche Folgerungen aus ihm nicht mehr gezogen werden dürfen. Der Behörde ist deshalb jegliches Gebrauchmachen von den Wirkungen des Verwaltungsaktes, die auf die Verwirklichung seines Regelungsinhaltes, d.h. der in ihm ausgesprochenen Rechtsfolgen sowie der sich daraus ergebenden Nebenfolgen abzielt, einstweilen untersagt (vgl. Senatsurteil vom 31. August 1995 VII R 58/94, BFHE 178, 306, BStBl II 1996, 55, m.w.N.). Dieses Vollziehungsverbot hat jedoch keine Auswirkungen auf bereits verwirklichte Haftungstatbestände.
b) Für den Fall der Umsatzsteuer-Haftung ist zu berücksichtigen, dass die Umsatzsteuer-Jahresschuld für das jeweilige Kalenderjahr in dem Zeitpunkt entsteht, in dem sie nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) berechenbar ist. Das ist das Ende des Besteuerungszeitraumes, mithin das Ende des Kalenderjahres (BFH-Urteil vom 9. Mai 1996 V R 62/94, BFHE 181, 188, BStBl II 1996, 662). Der gesetzliche Fälligkeitszeitpunkt für den geschuldeten Unterschiedsbetrag ergibt sich aus § 18 Abs. 4 UStG (einen Monat nach Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung gemäß § 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 149 Abs. 2 AO 1977). Wie der Senat entschieden hat (vgl. Beschluss vom 21. November 2001 VII B 108/01, BFH/NV 2002, 315), kommt es für den Beginn der vierjährigen Festsetzungsfrist nach § 191 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Umsatzsteueranspruch tatsächlich fällig wird. Anknüpfungspunkt für die einem gesetzlichen Vertreter (§ 34 AO 1977) zur Last gelegten Pflichtverletzung ist die Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG i.V.m. § 149 Abs. 2 AO 1977) sowie die Nichtzahlung der Umsatzsteuer zu den vom Gesetz vorgeschriebenen Fälligkeitszeitpunkten (§ 18 Abs. 4 UStG). Unmaßgeblich für die Tatbestandsverwirklichung des § 69 AO 1977 ist der tatsächliche Fälligkeitszeitpunkt und der Zeitpunkt, in dem endgültig feststeht, dass das FA mit seinen Steuerforderungen gegenüber dem Steuerschuldner ausfallen würde (vgl. BFH-Entscheidung vom 4. September 2002 I B 145/01, BFHE 199, 95, BStBl II 2003, 223). Diese Grundsätze können auch in den Fällen Geltung beanspruchen, in denen ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erst nach Eintritt der gesetzlichen Fälligkeit gestellt wird oder in denen zu diesem Zeitpunkt ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung anhängig, aber noch nicht beschieden ist.
c) In diese Richtung weist die zu § 109 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO), der Vorgängervorschrift des § 69 AO 1977, zur Lohnsteuer-Haftung ergangene Entscheidung des BFH vom 9. Dezember 1955 IV 397/54 U (BFHE 62, 176, BStBl III 1956, 66). Für den Fall einer nach Eintritt der gesetzlichen Fälligkeit vom FA gewährten Stundung hat der BFH entschieden, dass durch die Stundung lediglich die Fälligkeit gegenüber dem notleidenden Unternehmen hinausgeschoben werde. Die Stundung habe indes nicht die Wirkung, dass der Haftungsschuldner von der Erfüllung der steuerlichen Pflichten rückwirkend befreit werde und dass die bereits gemäß § 109 AO eingetretenen Rechtsfolgen damit beseitigt würden. Der erkennende Senat hat diese Rechtsauffassung auch für die Haftungsvorschrift des § 69 AO 1977 bestätigt und geurteilt, dass eine nach Fälligkeit der Steuerschuld rückwirkend erfolgte Stundung der Steuerschuld einer Haftungsinanspruchnahme nicht entgegenstehe; denn der mit der Nichtbegleichung der Steuerschuld verwirklichte Haftungstatbestand könne nicht aufgrund späterer Ereignisse als wieder entfallen angesehen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Februar 1998 VII B 191/97, BFH/NV 1998, 1199). Danach kann nur eine vor dem Fälligkeitstermin gewährte Stundung den für die Durchführung der Zahlung Verantwortlichen entlasten (Senatsbeschluss in BFH/NV 1998, 1199, sowie Senatsurteile vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, und vom 26. Februar 1991 VII R 107/89, BFH/NV 1991, 578).
d) Der Senat vermag der in einer Entscheidung des FG Bremen vom 26. November 1998 497257K 1 (EFG 1999, 518) und der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass im Falle einer Aussetzung der Vollziehung eine Haftung mangels Fälligkeit --generell-- nicht in Betracht komme (vgl. Ehlers in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 AO 1977 Tz. 15 und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 AO 1977 Tz. 18) zumindest insoweit nicht zu folgen, als dies auch für den Fall gelten soll, dass ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erst nach Eintritt der gesetzlichen Fälligkeit gestellt wird oder dass über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden worden ist. Das FG Bremen verneint die Verwirklichung des Haftungstatbestandes bei gewährter Aussetzung der Vollziehung deshalb, weil dem gesetzlichen Vertreter nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 keine Pflichtverletzung anzulasten sei, wenn dieser von den Möglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes Gebrauch mache. Da die GmbH während des Aussetzungsverfahrens zur Begleichung der Steuerschuld nicht verpflichtet sei, könne dem Geschäftsführer aus der Nicht-Entrichtung der Steuer auch kein haftungsbegründender Vorwurf der Verletzung steuerlicher Pflichten i.S. des § 34 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 gemacht werden.
Diese Auffassung wird dem Schadensersatzcharakter der Haftungsregelung in § 69 AO 1977 nicht gerecht, der lediglich voraussetzt, dass die Pflichtverletzung für die Steuerverkürzung ursächlich war. Wie der Senat mehrfach entschieden hat, kann diese Voraussetzung auch schon dann erfüllt sein, wenn der gesetzliche Vertreter ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war (vgl. Senatsurteile in BFH/NV 1987, 2; in BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, und vom 17. November 1992 VII R 13/92, BFHE 170, 295, BStBl II 1993, 471). Erst recht liegt eine im Regelfall sogar vorsätzliche Pflichtverletzung vor, wenn ein Geschäftsführer in Kenntnis seiner Pflicht zur Abführung der geschuldeten Steuern diese zum vorgegebenen Fälligkeitstermin nicht entrichtet. Eine Pflichtverletzung kann auch darin bestehen, dass der Geschäftsführer nach Kenntnis der Fälligkeit keine Vorsorge zur Entrichtung der Steuern trifft. Insbesondere beseitigt die Anhängigkeit eines Antrages auf Aussetzung der Vollziehung trotz des "Stillhaltens" der Finanzbehörde bis zur Entscheidung über diesen Antrag nicht die Pflicht, die gegebenenfalls erforderlichen Mittel zumindest bereit zu halten (vgl. Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 69 Tz. 13, sowie Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 25. September 1995 5 K 1685/95, EFG 1996, 402). Die Nichtbefolgung dieses Gebotes kann eine Dauerpflichtverletzung begründen, die über den tatsächlichen Fälligkeitstermin hinaus bis zum endgültigen Schadenseintritt anhalten kann. Maßgebend für den Beginn der Festsetzungsfrist ist indes die erstmalige Erfüllung der Haftungsvoraussetzungen (vgl. Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 69 Tz. 20), denn der Eintritt des Schadens gehört nicht zu den von § 69 AO 1977 geforderten Tatbestandsvoraussetzungen.
e) Nach den Feststellungen des FG hat das FA am 1. Juli 1994 einen Umsatzsteuer-Bescheid gegenüber der GmbH erlassen. Fälligkeitstag für die Entrichtung des Nachzahlungsbetrages war der 4. August 1994. Im Streitfall hat das FA die grob fahrlässige Verletzung der dem Kläger nach § 34 AO 1977 obliegenden Pflichten u.a. darauf gestützt, dass der Kläger die Umsatzsteuerschuld zu diesem Termin und auch später nicht entrichtet habe. Das FG hat den Schuldvorwurf grundsätzlich bestätigt und festgestellt, dass der Kläger zumindest grob fahrlässig gehandelt habe, als er es als Geschäftsführer der GmbH nach Bekanntgabe des Umsatzsteuerbescheides vom 1. Juli 1994 unterließ, vorsorglich Mittel zur Bezahlung des sich daraus ergebenden Steuernachforderungsbetrages für den Fall zurückzulegen, dass die Rechtsbehelfe der GmbH ganz oder teilweise erfolglos blieben. Die Revision hat keine Rügen gegen diese Feststellungen erhoben. Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass die Aussetzung der Vollziehung zum Zeitpunkt des Eintritts der gesetzlichen Fälligkeit noch nicht gewährt worden war. Auch konnte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass ihm die beantragte Aussetzung tatsächlich gewährt würde. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass der Kläger die Haftungsvoraussetzungen des § 69 AO 1977 nach Bekanntgabe des Umsatzsteuerbescheides, spätestens jedoch nach Eintritt der gesetzlichen Fälligkeit erfüllt hat. Der Umstand, dass der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vor diesem Zeitpunkt gestellt worden ist, vermag den Kläger aufgrund der grob fahrlässigen Pflichtverletzung der mangelnden Vorsorge im Hinblick auf eine spätere Entrichtung der Steuer nicht zu entlasten. Insoweit liegt eine Abweichung von dem Sachverhalt vor, der der Entscheidung des Senats in BFH/NV 1991, 578 zugrunde lag und in der der Senat für den Fall einer Stundung angedeutet hat, dass dem Geschäftsführer ein grob fahrlässiges Verhalten dann nicht anzulasten wäre, wenn ein Antrag auf Stundung vor Fälligkeit gestellt worden sei. Im Streitfall ist jedenfalls von einer Tatbestandsverwirklichung spätestens im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit auszugehen. Der Eintritt der tatsächlichen Fälligkeit nach Ablauf der im Aussetzungsverfahren gewährten Frist ist bei dieser Betrachtung ohne Belang. Auch der spätere Schadenseintritt durch die endgültige Nicht-Entrichtung der Umsatzsteuer vermag zu keiner anderen Beurteilung führen, da der Eintritt eines Schadens --wie bereits dargestellt-- nicht zu den Tatbestandsmerkmalen des § 69 AO 1977 gehört. Mit der Verwirklichung des Haftungstatbestandes nach Bekanntgabe des dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Umsatzsteuerbescheides begann die vierjährige Festsetzungsfrist des § 191 Abs. 3 AO 1977, die bei Erlass des Haftungsbescheides bereits abgelaufen war.
Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es die Klage abgewiesen hat.
Ende der Entscheidung
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