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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 22.07.2004
Aktenzeichen: VII R 19/03
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 74
FGO § 121 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
VII R 19/03 VII R 35/03

Gründe:

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) meldete im Dezember 1997 und Februar 1998 jeweils eine Sendung gefrorene Grillhähnchen der Marktordnungs-Warenlistennummer 0207 1290 9190, bestehend aus 2 647 bzw. 2 750 Kartons (insgesamt 43 996 kg), zur Ausfuhr an. Im Rahmen der Beschau der Warensendungen ließ das Zollamt (ZA) jeweils eine Untersuchungs- und eine Rückstellprobe von der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) untersuchen. Dabei wurde bei den beiden im Dezember 1997 entnommenen Proben festgestellt, dass Knochen (Schenkel bzw. sog. Oberarmknochen) gebrochen waren und sich teilweise ohne Gewebe außerhalb des Schlachtkörpers befanden. Bei der im Februar 1998 angemeldeten Sendung wies nur die Untersuchungsprobe einen offenen Bruch der linken Flügelspitze auf, während die Rückstellprobe einwandfrei war.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) hat die Ausfuhrerstattung für beide Sendungen auf 0 DM festgesetzt.

Die dagegen gerichtete Klage hatte hinsichtlich der Ausfuhrsendung vom Februar 1998 insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) das HZA verpflichtete, der Klägerin die Hälfte der für diese Sendung zu berechnenden Ausfuhrerstattung zu gewähren. Im Übrigen wies das FG die Klage ab. Es ist der Ansicht, dass die Waren nicht von handelsüblicher Qualität gewesen seien, soweit sie den in der Verordnung (EWG) Nr. 1538/91 (VO Nr. 1538/91) der Kommission vom 5. Juni 1991 mit ausführlichen Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EWG) Nr. 1906/90 des Rates über bestimmte Vermarktungsnormen für Geflügelfleisch (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 143/11) festgelegten Vermarktungsnormen nicht entsprochen hätten.

Nach diesen Normen müssen Geflügelschlachtkörper und -teilstücke zur Einstufung in die Handelsklassen A und B unter anderem der Mindestanforderung des Freiseins von herausragenden gebrochenen Knochen genügen (Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Anstrich 5 VO Nr. 1538/91). Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 3 VO Nr. 1538/91, die hier in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1000/96 der Kommission vom 4. Juni 1996 (ABlEG Nr. L 134/9) anzuwenden ist, sieht allerdings vor, dass die Anzahl fehlerhafter Fertigverpackungen, die den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 VO Nr. 1538/91 nicht entsprechen, die in Spalte 4 der Tabelle von Art. 7 Abs. 3 VO Nr. 1538/91 angegebenen Zahlen nicht überschreiten darf. Nach Art. 7 Abs. 5 VO Nr. 1538/91 verdoppelt sich jedoch bei der Prüfung eines Loses Geflügelfleisch der Handelsklasse B diese Fehlertoleranz.

Das HZA habe allerdings, so meint das FG, die Ausfuhrerstattung nicht für die gesamte im Februar 1998 angemeldete Warensendung versagen dürfen. Die Reichweite der Fiktion des Art. 70 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (VO Nr. 2913/92) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 302/1) sei nämlich dahin zu modifizieren, dass diese Ausfuhrsendung zu 50 % Erzeugnisse der von der Klägerin angemeldeten Marktordnung-Warenlistennummer 0207 1290 9190 in handelsüblicher Qualität enthalten habe.

Gegen dieses Urteil wenden sich sowohl die Klägerin als auch das HZA mit ihren Revisionen. Die Klägerin meint, ihr stehe hinsichtlich der Ausfuhrsendungen vom Dezember 1997 und Februar 1998 Ausfuhrerstattung in vollem Umfang zu. Das HZA macht geltend, das FG hätte hinsichtlich der im Februar 1998 angemeldeten Ausfuhrsendung ausgehend vom Verhältnis des Gewichts der Untersuchungs- und der Rückstellprobe eine erstattungsfähige Menge von nur 48,1 % feststellen müssen.

Der Senat setzt die Verfahren aus (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 Unterabs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vor, weil die Auslegung der für die Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts Zweifelsfragen aufwirft:

1. Kann für die Feststellung der handelsüblichen Qualität einer Ware, für die Ausfuhrerstattung begehrt wird, die Verordnung (EWG) Nr. 1538/91 der Kommission vom 5. Juni 1991 mit ausführlichen Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EWG) Nr. 1906/90 des Rates über bestimmte Vermarktungsnormen für Geflügelfleisch herangezogen werden?

2. Für den Fall, dass die Frage 1 zu bejahen ist:

a) Findet Art. 70 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Anwendung, wenn es darum geht festzustellen, ob eine Ware, für die Ausfuhrerstattung begehrt wird, von handelsüblicher Qualität ist?

b) Tritt die Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 auch dann ein, wenn von der Ware lediglich eine Stichprobe beschaut worden ist, die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften jedoch in bestimmtem quantitativen Umfang Mängel der Ware tolerieren und dementsprechend die Beschau einer bestimmten Mindestanzahl von Proben zur Feststellung der Einhaltung dieser Toleranzen erfordern und auch ausdrücklich vorschreiben?

3. Für den Fall, dass auch die Fragen 2.a) und b) zu bejahen sind:

Welche Wirkung hat vorgenannte Beschaffenheitsfiktion, wenn mehrere Proben aus der einheitlich angemeldeten Ausfuhrsendung entnommen worden sind und bei der Untersuchung eines Teils der Proben eine handelsübliche Qualität, bei einem anderen Teil hingegen keine handelsübliche Qualität festgestellt worden ist?

1. Nach Art. 13 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABlEG Nr. L 351/1), die im Streitfall in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2114/97 vom 28. Oktober 1997 (ABlEG Nr. L 295/2) anzuwenden ist, wird eine Ausfuhrerstattung nicht gewährt, wenn die Erzeugnisse nicht von gesunder und handelsüblicher Qualität sind. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 9. Oktober 1973 Rs. 12/73 --Muras-- (EuGHE 1973, 963 Rdnr. 8) ausgeführt, das Merkmal der gesunden und handelsüblichen Qualität richte sich nicht nach den Anforderungen des Bestimmungslandes, sondern nach den Anforderungen der Gemeinschaft, soweit dafür einheitliche Regelungen bestünden. Maßgebend sei, ob das Erzeugnis nach den in der Gemeinschaft geltenden Bestimmungen unter normalen Bedingungen und unter der im Erstattungsantrag angegebenen Bezeichnung vermarktet werden könne (EuGH-Urteile in EuGHE 1973, 963 Rdnr. 12, sowie vom 19. November 1998 Rs. C-235/97, EuGHE 1998, I-7555 Rdnr. 77).

Wendet man, wie es diese Rechtsprechung des EuGH zu verlangen scheint, die Regelungen der VO Nr. 1538/91 --und die je nach Lage des Falles sonst einschlägigen gemeinschaftsrechtlich festgelegten zahlreichen Qualitätsstandards, Vermarktungsnormen etc.-- im Streitfall an, so würden sich die unter 2. erläuterten Rechtsfragen stellen; denn es ist vom FG nicht festgestellt und dürfte sich auch nicht mehr feststellen lassen, ob und in welchem Umfang die etwa 60 000 ausgeführten Hähnchen den vorgenannten Vermarktungsnormen entsprachen, wobei für den beschließenden Senat außer Zweifel steht, dass im Falle der Anwendbarkeit der Qualitätsanforderungen der VO Nr. 1538/91, insbesondere deren Art. 6, auch die Regelungen über Mängeltoleranzen des Art. 7 angewandt werden müssten. Die Anwendbarkeit der Vermarktungsnormen erscheint dem Senat allerdings schon deshalb nicht völlig zweifelsfrei, weil die Verordnung (EWG) Nr. 1906/90 des Rates vom 26. Juni 1990 über Vermarktungsnormen für Geflügelfleisch (ABlEG Nr. L 173/1), auf welche die VO Nr. 1538/91 gestützt worden ist, nach ihrem Art. 1 Abs. 3 Anstrich 1 ausdrücklich nicht für zur Ausfuhr aus der Gemeinschaft bestimmtes Geflügelfleisch gilt. Zudem lässt die VO Nr. 1538/91 in der hier anzuwendenden Fassung Abweichungen von den Qualitätsanforderungen ihres Art. 6 Abs. 1 ihrem Wortlaute nach nur bei "Fertigpackungen" zu. Wenn es sich auch nach dem Vorbringen der Beteiligten und den Feststellungen des FG im Streitfall nicht um "Fertigpackungen" handelt, neigt der Senat allerdings gleichwohl dazu, Art. 7 Abs. 4 VO Nr. 1538/91 im Falle der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vermarktungsnormen bei der Prüfung des Erstattungsanspruches auch auf die streitgegenständlichen Ausfuhrsendungen --entsprechend-- anzuwenden, weil nicht erkennbar ist, weshalb solche Fehlertoleranzen, die bei den für den Verbraucher bestimmten Fertigpackungen zugelassen werden, nicht auch in gleicher Weise bei nicht in Fertigpackungen enthaltenen gefrorenen Hähnchen sollten zugelassen werden müssen, zumal bei diesen eher noch als bei Fertigpackungen eine Vermarktung in anderer Weise als an den Endverbraucher in Betracht kommt.

2. Sollten die Vermarktungsnormen unanwendbar sein, so wäre der Klägerin möglicherweise die beantragte Ausfuhrerstattung in vollem Umfang zu gewähren; denn es ist bislang nicht geklärt, ob Hähnchen mit gebrochenen Bein- und/oder Flügelknochen ungeachtet dieser Normen eine handelsübliche Qualität abgesprochen werden kann. Andere Mängel wies die Ausfuhrware hingegen nicht auf.

Sind die vorgenannten Normen hingegen anzuwenden, stellen sich folgende Fragen:

Für das Ausfuhrverfahren als ein Zollverfahren (Art. 4 Nr. 16 Buchst. h VO Nr. 2913/92) gelten grundsätzlich die Vorschriften des Gemeinschaftszollrechts, das umfassend das Verfahren des grenzüberschreitenden Warenverkehrs regelt. Dies wird auch durch den 8. Erwägungsgrund zur Verordnung (EG) Nr. 2221/95 der Kommission vom 20. September 1995 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 386/90 des Rates hinsichtlich der Warenkontrolle bei der Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, für die eine Erstattung gewährt wird (ABlEG Nr. L 224/13), bestätigt, nach dem grundsätzlich die VO Nr. 2913/92 und die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (VO Nr. 2454/93) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) für alle Ausfuhren gewerblicher und landwirtschaftlicher Erzeugnisse gelten. Überdies spricht Art. 247 Abs. 2 VO Nr. 2454/93 dafür, dass die Vorschriften der VO Nr. 2913/92 betreffend die Überprüfung der Zollanmeldung sowie die Zollbeschau im Ausfuhrverfahren anzuwenden sind. Folglich dürften grundsätzlich auch Art. 70 und Art. 71 VO Nr. 2913/92 anzuwenden sein, wenn es darum geht festzustellen, ob die für die Gewährung einer Erstattung erforderlichen Voraussetzungen --wie die gesunde und handelsübliche Qualität eines Erzeugnisses-- vorliegen.

Diese Vorschriften schreiben indes vor, etwas --aufgrund des Inhalts der Anmeldung bzw. des Ergebnisses der Beschau-- zu fingieren, also als gegeben zu unterstellen, auch wenn Zweifel bestehen, ob es sich tatsächlich so verhält. Nach allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts wie des deutschen Rechts hat jedoch grundsätzlich der Ausführer die Voraussetzungen für seinen angeblichen Erstattungsanspruch nachzuweisen. Deshalb erscheint fraglich, ob er sich auch dann auf die Fiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 bzw. des Art. 71 Abs. 2 VO Nr. 2913/92 berufen kann, wenn das Vorliegen dieser Voraussetzungen zweifelhaft ist. Zudem ist fraglich, ob sich die vorgenannten Beschaffenheitsfiktionen überhaupt auf Eigenschaften einer Ware wie deren handelsübliche Qualität beziehen können, zu denen der Beteiligte in der von ihm abzugebenden Ausfuhranmeldung, deren Überprüfung die Beschau dient, keine Angaben zu machen hat.

Diese Fragen stellen sich dem Senat im Streitfall aus folgenden Gründen:

Sind die Fiktionen des Art. 70 und Art. 71 VO Nr. 2913/92 bei der Prüfung der handelsüblichen Qualität einer Ausfuhrware nicht anzuwenden oder ist die Fiktion in jedem Fall zerstört, wenn aus irgendwelchen Gründen ernstliche Zweifel an der handelsüblichen Qualität der Ware bestehen, so liegt auf der Hand, dass bei der Ausfuhrsendung vom Dezember 1997 Ausfuhrerstattung wegen der nicht Art. 6 Abs. 1 VO Nr. 1538/91 entsprechenden Beschaffenheit beider Proben nicht gewährt werden kann, nachdem sich auch eine etwaige Einhaltung der Mängeltoleranzen des Art. 7 VO Nr. 1538/91 nicht feststellen lässt. Für die Sendung vom Februar 1998 müsste das Gleiche gelten, sofern sich nicht insofern ggf. im Wege der Schätzung noch sollte feststellen lassen, dass diese Toleranzen gewahrt sind.

3. Geht man hingegen von der Anwendbarkeit der Art. 70 und Art. 71 Abs. 1 VO Nr. 2913/92 aus, stellt sich die Frage, ob die Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 2913/92 --mit der Folge, dass jedenfalls die Sendung vom Dezember 1997 nicht von handelsüblicher Beschaffenheit wäre-- eingreift, obgleich die anzuwendenden Vermarktungsnormen im Hinblick auf die Beschaffenheit der Waren bestimmte Toleranzwerte vorsehen, jedoch keine Anzahl von Proben entnommen worden ist, die es überhaupt zulässt, zur Wahrung oder Überschreitung solcher Toleranzwerte Aussagen zu treffen. Das ZA hat nämlich bei keiner der beiden Ausfuhrsendungen eine ausreichende Anzahl von Proben entnommen, um beurteilen zu können, ob die Fehlertoleranzen hinsichtlich der bei einzelnen Proben festgestellten herausragenden gebrochenen Knochen eingehalten wurden.

Der EuGH hat allerdings in seinem Urteil vom 4. März 2004 Rs. C-290/01 --Derudder-- (Rdnr. 39) ausgeführt, ein Anmelder sei zwar grundsätzlich berechtigt, nach der Entnahme von Mustern oder Proben die Repräsentativität dieser Muster oder Proben zu bestreiten, selbst wenn er oder sein Vertreter bei der Entnahme anwesend gewesen sei, ohne zu diesem Zeitpunkt die Repräsentativität in Frage zu stellen. Dieses Recht ende jedoch, wenn die Zollstelle die betreffenden Waren überlassen habe, es sei denn, die Waren könnten noch vorgeführt werden, so dass die Möglichkeit bestehe, eine zusätzliche Zollbeschau durchzuführen und ggf. zusätzliche Muster oder Proben zu entnehmen (Rdnrn. 43 und 46 des Urteils).

Anders als in dem Urteil vom 4. März 2004 Rs. C-290/01 geht es vorliegend jedoch nicht um eine fehlende "Repräsentativität" der entnommenen und untersuchten Proben, also darum, ob die Proben an geeigneten Stellen der Warensendungen entnommen worden sind (vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts vom 10. April 2003 Rdnr. 30). Im Streitfall geht es vielmehr um die Frage, ob die Untersuchung einer reinen Stichprobe nach Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 2913/92 eine Fiktion im Hinblick auf die gesamte einheitlich angemeldete Warensendung auslösen kann, obwohl deren rechtliche Behandlung von ihrer Zusammensetzung abhängt. Wenn es für die rechtlich maßgebende Beschaffenheit einer Ware auf ihre Zusammensetzung ankommt, d.h. auf den Gehalt an mangelfreien Teilstücken und solchen mit bestimmten, in einem gewissen quantitativen Umfang tolerierten Mängeln, muss nach Auffassung des Senats eine Probe untersucht werden, die diesbezügliche Feststellungen auch ermöglicht. Die Entnahme und Untersuchung von jeweils nur zwei Proben aus den beiden Ausfuhrsendungen war ungeeignet, brauchbare Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Waren zu gewinnen und widersprach den klaren Vorschriften des Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 3 und Abs. 5 VO Nr. 1538/91. Anders als in dem dem Urteil des EUGH vom 4. März 2004 Rs. C-290/01 zugrunde liegenden Sachverhalt bestanden hier also klare rechtssätzliche Vorgaben über die Anzahl der zu untersuchenden Proben, während dort die mangelnde "Repräsentativität" der entnommenen Proben eine Frage sachverständiger Beurteilung war. Der Senat vermag nicht anzunehmen, dass man einem Zollanmelder die Rüge abschneiden kann, die Zollbehörde habe die Rechtsvorschriften über die Entnahme von Proben nicht beachtet, welche sie besser kennen muss als ein Anmelder. Die widerspruchslose Hinnahme einer rechtswidrigen Entnahme von Proben würde sonst gleichsam als ein (stillschweigender) Rechtsmittelverzicht des Beteiligten gedeutet werden, wofür es an einer Rechtfertigung fehlt.

4. Zweifelhaft erscheint schließlich, welche Wirkung die Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 2913/92 hat, wenn mehrere Proben aus einer einheitlich angemeldeten Ausfuhrsendung entnommen worden sind und bei der Untersuchung eines Teils der Proben eine handelsübliche Qualität, bei einem anderen Teil hingegen keine handelsübliche Qualität festgestellt worden ist, wie also, und zwar im Ausfuhrerstattungsrecht, bei sich widersprechenden Beschauergebnissen Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 2913/92 anzuwenden ist.

Nach Auffassung des Senats kann in einem solchen Fall eine Beschaffenheitsfiktion nicht Platz greifen. Die vom FG gefundene Lösung, die einheitlich angemeldete Warensendung im Verhältnis der Anzahl der gewonnenen Untersuchungsergebnisse in fiktive Teilsendungen aufzuteilen und jeder fiktiven Teilsendung eines der Untersuchungsergebnisse zuzuordnen, findet jedenfalls im Wortlaut des Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 2913/92 genauso wenig eine Stütze wie die Vorstellung des HZA, die Ausfuhrsendung in fiktive Teilsendungen nach dem (zufälligen) Gewichtsverhältnis der Probe und der Rückstellprobe aufzuteilen und dementsprechend teilweise Ausfuhrerstattung zu gewähren. Ebenso wenig erschiene es angängig, nur auf die erste Untersuchungsprobe abzustellen und das Ergebnis der Untersuchung der sog. Rückstellprobe unberücksichtigt zu lassen. Nach Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 2913/92 wird das an einem für die Beschau ausgewählten Teil der Sendung gewonnene Ergebnis vielmehr fiktiv auf die gesamte Sendung erstreckt, wenn diese einheitlich angemeldet war. Dass an einer der Proben gebrochene Knochen festgestellt worden sind, bedeutet mithin, dass --sofern vorgenannte Mängeltoleranzen nicht zu berücksichtigen sind (siehe Vorlagefrage 1) oder wegen der Beschaffenheitsfiktion des Art. 70 Abs. 1 VO Nr. 2913/92 als überschritten gelten müssen (siehe Vorlagefrage 2b)-- zu unterstellen ist, dass die ganze Sendung aus Hähnchen mit gebrochenen herausragenden Knochen bestand. Dem steht zwar die entgegengesetzte, durch die Untersuchung der Rückstellprobe begründete Fiktion gegenüber. Der Senat ist indes der Ansicht, dass im Bereich der Ausfuhrerstattungen Art. 70 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 2913/92 allenfalls mit der Maßgabe angewendet werden kann, dass eine dem Ausführer nachteilige Fiktion der Gewährung von Ausfuhrerstattung auch dann entgegensteht, wenn ihr günstige Fiktionen auf Grund der Untersuchung anderer Proben gegenüber stehen. Denn die widersprüchlichen Ergebnisse beweisen jedenfalls, dass die vom Ausführer einheitlich angemeldete Ware nicht einheitlich beschaffen war, er also seine Anmeldepflicht nicht ordnungsgemäß er- füllt hat. Das rechtfertigt es, ihn mit den Folgen dieser Pflichtverletzung zu belasten.

Ende der Entscheidung

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