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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 06.10.1998
Aktenzeichen: VII R 20/98
Rechtsgebiete: StPO, ZG, FGO, TabStG, UStG


Vorschriften:

StPO § 153 Abs. 1
ZG § 57 Abs. 2 Satz 2 des
FGO § 120 Abs. 2
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 1
FGO § 118 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2
TabStG § 10 Abs. 1
UStG § 21 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

An einem Sonnabend im April 1992 beobachteten zwei Polizeibeamte den polnischen Staatsangehörigen S, wie er aus einem der auf der X-Straße in ... abgestellten polnischen Reisebusse mehrere Gepäckstücke in einen PKW mit deutschem Kennzeichen einlud. Halter des PKW war der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der deutscher Staatsangehöriger ist und aus Polen stammt. Nachdem sich das Fahrzeug von der X-Straße entfernt hatte, wurde es von den beiden Polizeibeamten überprüft. S saß am Steuer und der Kläger auf dem Beifahrersitz. Im Kofferraum wurden in den Gepäckstücken insgesamt 67 Stangen (13 400 Stück) unversteuerte Zigaretten vorgefunden. In dem polizeilichen Protokoll über diesen Vorfall heißt es, daß mit S ein Gespräch nicht möglich gewesen sei. Der Kläger habe erklärt, daß die Sachen dem S gehörten. Er habe ihn nur zum Übernachten in seine Wohnung mitgenommen und habe ihn am darauffolgenden Tag, einem Sonntag, wieder zur X-Straße zurückbringen wollen. S habe ihm gesagt, daß er die Sachen über Nacht bei ihm --dem Kläger-- lassen wolle, damit die Polizei sie nicht beschlagnahme. Er kenne den Inhalt der Taschen nicht. Gegen S erging ein Strafbefehl wegen Steuerhehlerei. Das gegen den Kläger wegen Steuerhehlerei eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde nach § 153 Abs. 1 der Strafprozeßordnung eingestellt.

Am 21. Dezember 1992 erließ das Vorgänger-Hauptzollamt des jetzigen Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) gegen den Kläger einen Steuerbescheid über insgesamt ... DM Eingangsabgaben (Zoll, Tabaksteuer, Einfuhrumsatzsteuer), in dem es darauf hinwies, daß der Kläger Gesamtschuldner mit S sei.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte unter anderem, der Kläger sei nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 (ZollschuldVO) des Rates vom 13. Juli 1987 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 201/15) i.V.m. Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 1031/88 (ZollschuldnerVO) des Rates vom 18. April 1988 (ABlEG Nr. L 102/5) i.V.m. § 57 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes (ZG) weiterer Zollschuldner geworden. Der Kläger habe die Zigaretten in Besitz genommen, als sie S aus dem Bus in den Kofferraum seines PKW geladen habe. Zwar habe er an den Zigaretten nur Fremdbesitz begründet, denn er habe die Gepäckstücke mit ihrem Inhalt für den S zunächst in seinem PKW und später in seiner Wohnung verwahren wollen; jedenfalls sei er damit einverstanden gewesen, daß der S die Behältnisse mit dem Inhalt in seinen Herrschaftsbereich in den PKW und später in seine Wohnung verbrachte. In der im Einvernehmen mit dem Eigenbesitzer S erfolgten Begründung eines Fremdbesitzes liege eine Übernahme des Zollguts i.S. des § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG. Es spreche vieles dafür, daß der Kläger gewußt habe, daß sich in den Behältnissen Zollgut befand. Jedenfalls hätte er wissen müssen, daß sich in den Gepäckstücken unverzollte Ware befand.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom FG zugelassenen Revision. Er rügt, das FG habe ohne rechtliche Grundlage die Fiktion aufgestellt, daß ein polnischer Wochenendbesucher mit umfänglichen Gepäck in B unversteuerte Zigaretten absetzen wolle. Das FG habe ferner verkannt, daß der Steuerbescheid im Falle der Gesamtschuldnerschaft den anderen Steuerschuldner einschließlich seiner Anschrift angeben müsse. Der schlichte Hinweis darauf, daß der Kläger gesamtschuldnerisch mit S hafte, reiche nicht aus.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und den angefochtenen Steuerbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es hält die Vorentscheidung für zutreffend.

Die zulässige Revision hat Erfolg.

1. Die Revision ist zulässig. Nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) muß die Revision zwar die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Dazu ist es erforderlich, daß die für verletzt gehaltenen Rechtsnormen genannt werden und ausgeführt wird, ob materielles Recht und/oder Verfahrensrecht als verletzt angesehen wird. An solchen Ausführungen fehlt es in der Revisionsbegründung des Klägers, weshalb Zweifel an der Zulässigkeit der Revision bestehen könnten. Von den genannten Anforderungen an die Revisionsbegründung kann jedoch abgesehen werden, wenn aus den Ausführungen sonst eindeutig zu entnehmen ist, welche Normen der Revisionskläger für verletzt hält (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH--, vom 1. Juni 1994 II R 124/90, BFH/NV 1995, 128; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 120 Rz. 31).

Der Revisionsbegründung ist jedenfalls zu entnehmen, daß der Kläger rügt, das FG habe im Zusammenhang mit der Anwendung von § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG ohne rechtliche Grundlage den Rechtssatz aufgestellt, nach dem zollrechtlich fingiert werde, daß ein polnischer Wochenendbesucher mit umfänglichem Gepäck in B unversteuerte Zigaretten absetzen wolle. Hiermit wird --noch-- hinreichend deutlich die Berufung des FG auf einen nicht bestehenden allgemeinen Erfahrungssatz, also die Verletzung materiellen Rechts geltend gemacht (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Anm. 21), so daß die Revision deswegen insgesamt zulässig ist.

2. Die Revision hat Erfolg. Der gegen den Kläger ergangene Steuerbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig, weil der Kläger nicht Abgabenschuldner geworden ist. Da das FG zum gegenteiligen Ergebnis gelangt ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Da die Revision schon aus anderen Gründen als den vom Kläger vorgebrachten begründet und das Revisionsgericht abgesehen von § 118 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht an die geltend gemachten Revisionsgründe gebunden ist (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO), erübrigt sich ein Eingehen auf den Vortrag des Klägers.

a) Richtig ist, daß die Zollschuld im Streitfall nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b ZollschuldVO entstanden ist, weil davon auszugehen ist, daß die in Rede stehenden Zigaretten als eingangsabgabenpflichtige Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden sind. Unerheblich ist, daß nicht im einzelnen bekannt ist, wie die Zigaretten in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wurden.

b) Entgegen der Auffassung des HZA und des FG ist der Kläger aber nach den zollrechtlichen Vorschriften, die für die Tabaksteuer und die Einfuhrumsatzsteuer sinngemäß gelten (§ 10 Abs. 1 des Tabaksteuergesetzes, § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes), nicht weiterer Zollschuldner für die entstandenen Eingangsabgaben geworden, weil er die Zigaretten nicht übernommen oder sonst an sich gebracht hat.

Gemäß Art. 3 Unterabs. 1 ZollschuldnerVO ist derjenige Abgabenschuldner, der die Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat. Daneben sind nach den geltenden Vorschriften der Mitgliedstaaten gesamtschuldnerisch (nicht als Haftende, vgl. Senatsurteil vom 13. März 1973 VII R 40/70, BFHE 109, 397) solche Personen zur Erfüllung der Zollschuld verpflichtet, die die betreffende Ware erworben haben oder im Besitz hatten. § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG bestimmt, daß derjenige, der das Zollgut nach Entstehung aber vor Erlöschen der Zollschuld übernimmt oder an sich bringt und weiß oder wissen müßte, daß es sich um Zollgut handelt, weiterer Zollschuldner wird. Der Senat hat entschieden (Senatsurteil vom 26. Oktober 1976 VII R 113/73, BFHE 120, 314), daß "ansichbringen" in diesem Zusammenhang die Begründung eines nicht abgeleiteten Besitzes, z. B. durch Fund oder Diebstahl des Zollgutes bedeutet. Dieser Tatbestand kommt demnach hier nicht in Betracht.

"Übernehmen" bedeutet nach der selben Entscheidung den Erwerb des Besitzes im Einvernehmen mit dem früheren Besitzer, also die einverständliche Übertragung des Besitzes. Der Grund für die Besitzübertragung spielt danach keine Rolle. Für die Übertragung des Besitzes in diesem Sinne ist auch nicht erforderlich, daß eine eigene Verfügungsgewalt über das Zollgut eingeräumt wird, der Erwerber also Eigenbesitzer wird. Eine Übernahme liegt vielmehr auch dann vor, wenn der Erwerber das Zollgut nur als Verwahrer oder aus einem anderen Grund für einen anderen in Besitz nimmt, also Fremdbesitzer der Ware wird. Auch für die Annahme des Fremdbesitzes ist aber eine tatsächliche Sachherrschaft der Person über die Sache erforderlich, die von ihrem Besitzwillen getragen wird (Senatsurteil vom 20. Januar 1998 VII R 57/97, BFH/NV 1998, 893). Nichts anderes würde für die Einräumung des Fremdbesitzes in der Form des Mitbesitzes gelten.

Eine solche Sachherrschaft über die Zigaretten hat der Kläger, anders als das FG meint, nicht erlangt. Es mag zwar sein, daß der Halter eines PKW, der in diesem selbst anwesend ist, einen allgemeinen Besitzwillen an allen Gegenständen hat, die sich in seinem PKW befinden. Davon auszunehmen sind aber solche Gegenstände, die Mitreisende ersichtlich als ihr Gepäck in den PKW mitbringen und in ihrem ausschließlichen Besitz behalten wollen. An den Halter des PKW wird in diesem Fall kein Besitz --auch kein Mitbesitz oder Fremdbesitz-- übertragen, weil ihm keine Sachherrschaft über die Gegenstände eingeräumt werden soll. Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) war das im Streitfall nicht anders. Denn S, der die Gepäckstücke selbst in den PKW verladen hatte und der den PKW selbst fuhr, wollte die Gepäckstücke, in denen sich die Zigaretten befanden, nur vorübergehend mit in die Wohnung des Klägers nehmen und sie beim Verlassen der Wohnung wieder mitnehmen. Der Kläger sollte also zu keinem Zeitpunkt irgendeine Einwirkungsmöglichkeit auf die Gepäckstücke und die darin befindlichen Zigaretten erhalten, die sich zu jeder Zeit im unmittelbaren Besitz des S befanden und darin verbleiben sollten. Ihm sollte nicht einmal ein Mitbesitz daran übertragen werden. Vielmehr ist nach den Umständen davon auszugehen, daß S den alleinigen Besitz an seinen Gepäckstücken und den darin befindlichen Zigaretten behalten wollte und auch nach den Vorstellungen des Klägers behalten sollte (vgl. Thüringer FG, Urteil vom 7. November 1996 II 2/96, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern, 1997, 240, bestätigt durch Senatsurteil in BFH/NV 1998, 893). Schon deshalb ist in der Person des Klägers der Tatbestand des § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG nicht erfüllt und der Kläger deshalb in bezug auf die festgestellten Zigaretten nicht Abgabenschuldner geworden.



Ende der Entscheidung

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