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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.11.2005
Aktenzeichen: VII R 21/05
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG, GmbHG


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 69
EStG § 38 Abs. 3
EStG § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
GmbHG § 35 Abs. 1
Auch bei Zahlungen, die ein Gesellschafter-Geschäftsführer auf die von der GmbH geschuldeten Löhne aus seinem eigenen Vermögen ohne unmittelbare Berührung der Vermögenssphäre der Gesellschaft und ohne dieser gegenüber dazu verpflichtet zu sein selbst erbringt, hat er dafür zu sorgen, dass die Lohnsteuer einbehalten und an das FA abgeführt wird.
Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen am 1. Juli 1999 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Er war auch Gesellschafter der GmbH, wobei der Umfang seines Gesellschaftsanteils strittig ist.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nimmt den Kläger für Lohnsteuer Februar und März 1999 nebst ebenfalls unbeglichener Kirchensteuer, Solidaritätszuschlag und Säumniszuschlägen als Haftenden in Anspruch. Die von der GmbH geschuldeten (Netto-)Löhne für diese beiden Monate sind vom Kläger aus eigenen Mitteln unmittelbar an die Arbeitnehmer der GmbH ausgezahlt worden. Lohnsteuer und die weiteren vorgenannten Abgaben sind weder von der GmbH noch vom Kläger abgeführt worden. Zunächst von der GmbH hierzu abgegebene Lohnsteueranmeldungen sind inzwischen dahin berichtigt worden, die GmbH schulde keine Lohnsteuer.

Die gegen den Haftungsbescheid des FA wegen der Haftungsmonate Februar und März erhobene Klage --die dort verfügte Haftungsinanspruchnahme für Januar 1999 ist nicht angegriffen worden, diejenige für April 1999 wird vom FA nicht mehr geltend gemacht-- führte insoweit zum Erfolg, als das Finanzgericht (FG) der Auffassung war, bei der Berechnung der Haftungssumme sei nicht von den auf die ausgezahlten Löhne zu entrichtenden Steuerbeträgen auszugehen, sondern von den Beträgen, um die der Kläger die Zahlungen an die Arbeitnehmer der GmbH im Hinblick auf die steuerlichen Pflichten der GmbH zur Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag hätte kürzen müssen, um aus dem insgesamt zur Verfügung gestellten Betrag anteilig die genannten Abgaben zahlen zu können. Im Übrigen hat das FG jedoch die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 846, veröffentlichten Urteil abgewiesen. Es ist der Meinung, der Kläger sei dem Grunde nach zu Recht als Haftender in Anspruch genommen worden, obwohl er --wie sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils sinngemäß ergibt-- die Lohnzahlungen aus eigenen Mitteln unmittelbar an die Arbeitnehmer der GmbH geleistet hat.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, die im Wesentlichen folgendermaßen begründet wird:

Er habe der GmbH kein Darlehen gewährt und auch deren Eigenkapital nicht mit einer Einlage erhöht; er habe durch die Lohnzahlung an die Arbeitnehmer der GmbH vielmehr einen Anspruch auf Auslagenersatz nach § 670 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) erworben. Darauf komme es aber letztlich gar nicht an. Denn die Einbehaltungs- und Abführungspflicht des § 41a des Einkommensteuergesetzes (EStG) knüpfe an reale Sachverhalte an; die Fiktion einer Mittelzuführung, die das FG vorgenommen habe, reiche nicht aus. Im Rahmen des Pflichtenverhältnisses, in dem der Arbeitgeber stehe, sei dem Verbot einer Steuer verschärfenden Analogie eine erhöhte Bedeutung beizumessen, die das FG missachtet habe. Dazu komme, dass die Pflichten an bestimmte Zahlungsvorgänge anknüpften. Vorliegend seien jedoch die Finanzkonten der GmbH nicht berührt worden. Der Kläger habe auch keine Mittel der GmbH etwa dadurch verwandt, dass er Kundenzahlungen auf sein Privatkonto umgeleitet hätte. Auch § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) sei daher nicht einschlägig.

Ferner fehle es auch an einem Verschulden des Klägers. Das FG Düsseldorf habe in seinem Urteil vom 5. November 1991 8 K 586/87 H (L) --EFG 1992, 240-- ein Verhalten wie das des Klägers als nicht haftungsbegründend angesehen. Auch wenn der Kläger dieses Urteil nicht gekannt habe, sei zu berücksichtigen, dass er bei Einholung fachkundigen Rates auf dieses Urteil hingewiesen worden wäre. Er sei jedoch gar nicht erst auf den Gedanken gekommen, dass seine Zahlungen aus privaten Mitteln lohnsteuerrechtlich relevant sein könnten.

II.

Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des wegen der Monate Februar und März angefochtenen Haftungsbescheides und insoweit auch des FG-Urteils (§ 118 Abs. 1, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 haften die in § 34 AO 1977 bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht erfüllt werden. Der Kläger gehört zu den in § 34 Abs. 1 AO 1977 aufgeführten Personen, wie sich aus § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) ergibt, wonach der Geschäftsführer einer GmbH die Pflichten zu erfüllen hat, die der GmbH als Arbeitgeberin beim Lohnsteuerabzug obliegen und die sich in steuerlicher Hinsicht aus § 38 Abs. 3, § 41a Abs. 1 EStG ergeben. Der Geschäftsführer hat also dafür Sorge zu tragen, dass bei jeder Lohnzahlung der GmbH die gesetzlich festgelegte Lohnsteuer einbehalten und innerhalb bestimmter Fristen an das FA abgeführt wird. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn Zahlungen auf die von der GmbH geschuldeten Löhne von einem Gesellschafter-Geschäftsführer aus seinem eigenen Vermögen ohne unmittelbare Berührung der Vermögenssphäre der Gesellschaft und ohne dieser gegenüber dazu schuldrechtlich verpflichtet zu sein erbracht werden.

Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 21. Oktober 1986 VII R 144/83 (BFH/NV 1987, 286) darauf hingewiesen, es spiele für die rechtliche Beurteilung von Lohnzahlungen keine Rolle, ob die dafür verwendeten Mittel der GmbH zur Verfügung gestanden haben oder die Zahlung aus dem persönlichen Vermögen der Gesellschafter erfolgt ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. Februar 1978 VI R 100/75, nicht veröffentlicht). Auch wenn ein Gesellschafter Lohnschulden der Gesellschaft aus seinem eigenen Vermögen tilgt und Lohnzahlungen zugunsten der Arbeitnehmer der Gesellschaft von seinem eigenen Konto ausführen lässt, ohne dass die Vermögensspäre der GmbH unmittelbar berührt wird, handelt er dabei in (möglicherweise verdeckter) Vertretung der Gesellschaft. Denn seine Leistungsbereitschaft beruht auf dem Gesellschaftsverhältnis, einerlei welches Rechtsverhältnis zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft hinsichtlich der von ihm anstelle der Gesellschaft ausgeführten Zahlungen begründet werden mag, ob der Gesellschafter der Gesellschaft also die entsprechenden Beträge als Einlage oder als Darlehen gewährt und es folglich bei vollständiger Abwicklung dieser Rechtsbeziehungen zu einem Durchgangserwerb der Gesellschaft gekommen wäre und die unmittelbare Zahlung an die Arbeitnehmer der Gesellschaft mithin nur der Abkürzung des Zahlungsweges gedient hat; oder ob der Gesellschafter aufgrund seiner Zahlungen lediglich einen Aufwendungsersatz- oder Bereicherungsanspruch gegen die Gesellschaft erwirbt (und möglicherweise sogar darauf verzichtet, diesen gegen die GmbH tatsächlich geltend zu machen). Ungeachtet der diesbezüglichen Ausgestaltung des Innenverhältnisses zur Gesellschaft und erst recht der kontomäßigen und buchhalterischen Abwicklung der Lohnzahlungen stellen diese keine gleichsam privaten, lediglich seine Vermögenssphäre betreffenden Zuwendungen des Gesellschafters an die Arbeitnehmer der GmbH dar, die lediglich die Folge hätten, dass diese von ihrer Lohnschuld frei wird. Ein Gesellschafter, der Schulden der Gesellschaft begleicht, stellt dadurch vielmehr mittelbar der Gesellschaft Vermögensmittel in einer Weise zur Verfügung, die es rechtfertigt, die Gesellschaft steuerrechtlich genauso wie bei der entsprechenden Verwendung eigener Mittel zu behandeln.

Die GmbH traf folglich steuerrechtlich die Pflicht, die auf die ausgezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer an das FA abzuführen, wofür der Kläger als Geschäftsführer der GmbH zu sorgen hatte. Die durch § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG begründete Verpflichtung, Lohnsteuer abzuführen, knüpft zwar daran an, dass der Arbeitgeber vom Lohn gemäß § 38 Abs. 3 EStG für Rechnung des Arbeitnehmers Lohnsteuer einbehalten hat. Dies zu tun und der GmbH dadurch die zur Entrichtung der Lohnsteuer erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, war dem Kläger aber nicht unmöglich. Denn er konnte über die Mittel, die er für die Lohnzahlungen verwandt hat, verfügen, von diesen also die für die Begleichung der Lohnsteuer benötigten Mittel einbehalten und der GmbH zuführen oder an deren Stelle unmittelbar an das FA abführen. Wenn das beklagte FA dies von ihm sinngemäß verlangt und ihn, da er sich so nicht verhalten hat, als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt, macht es damit nicht etwa eine Lohnsteuerabführungspflicht gegen den Kläger geltend, die diesen allerdings gemäß § 41a Abs. 1 EStG nicht trifft, sondern seine Geschäftsführerpflichten, die darin bestanden, dafür zu sorgen, dass bei Lohnzahlungen Lohnsteuer einbehalten und abgeführt wird. Diesen Pflichten konnte der Kläger nicht dadurch ausweichen, dass er es vermied, der GmbH die für die Lohnzahlungen bereitstehenden Mittel zuzuführen, um sie stattdessen unmittelbar selbst in vollem Umfang zur Tilgung deren Lohnschulden zu verwenden, bzw. dass er zwar für die Lohnschuld der Gesellschaft aus im Gesellschaftsverhältnis wurzelnden Gründen persönlich einsprang, sich um die Lohnsteuerentrichtungspflicht der GmbH aber, welche dadurch, wie ausgeführt, entstand, nicht kümmerte. Selbst bei einem Dritten, z.B. der Bank der GmbH, dürfte es ein Geschäftsführer nach der Rechtsprechung des Senats nicht hinnehmen, dass auf deren Betreiben lediglich die Löhne ausgezahlt werden, der Gesellschaft eingeräumte Kredite aber für die Entrichtung von Lohnsteuer nicht zur Verfügung gestellt werden (Senatsbeschluss vom 12. Juli 1983 VII B 19/83, BFHE 138, 424, BStBl II 1983, 655).

Der Kläger hat danach seine Geschäftsführerpflichten verletzt. Denn auf Rechnung der von ihm vertretenen GmbH sind an deren Arbeitnehmer --entsprechend der von ihr zunächst selbst abgegebenen Lohnsteueranmeldung-- Löhne gezahlt worden, ohne dass von diesen Zahlungen nach Maßgabe des EStG die auf sie entfallende Lohnsteuer einbehalten und an das FA abgeführt worden ist. Hierfür und für den dadurch ausgelösten Steuerausfall des FA ist der Kläger verantwortlich, so dass der objektive Tatbestand der Haftungsnorm erfüllt ist.

2. Gleichwohl kann der Kläger nicht in Anspruch genommen werden, weil es an dem von § 69 AO 1977 für eine Haftung verlangten Verschulden des Klägers (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) fehlt.

Grob fahrlässig im Sinne dieser Vorschrift handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen verpflichtet und imstande war, in ungewöhnlich hohem Maße verletzt (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 69 Rdnr. 97, m.N.), z.B. trotz entsprechender persönlicher Fähigkeiten die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt und das unbeachtet lässt, was jedem einleuchten muss (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 AO 1977 Rdnr. 26, m.N.). Diesem subjektiven Maßstab entsprechend setzt die Haftung auch Kenntnis oder vorwerfbare Unkenntnis der betreffenden steuerrechtlichen Pflichten eines Geschäftsführers voraus; ein entschuldbarer, weil nicht grob fahrlässiger Rechtsirrtum lässt die Haftung folglich entfallen (Senatsurteil vom 21. Juni 1994 VII R 34/92, BFHE 175, 198, BStBl II 1995, 230; vgl. auch BFH-Urteil vom 18. September 1981 VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801).

Im Streitfall kann dem Kläger kein Schuldvorwurf dahin gemacht werden, er habe die Pflicht der GmbH zur Entrichtung der von ihm selbst gezahlten Löhne kennen müssen, nachdem das mit drei Berufsrichtern besetzte FG Düsseldorf in seinem Urteil in EFG 1992, 240 in einem Verhalten wie dem des Klägers einen haftungsbegründenden Tatbestand nicht zu erkennen vermocht hat; es ist damit, soweit ersichtlich, im Schrifttum auch nicht auf Widerspruch gestoßen (zustimmend vielmehr Klein/Rüsken, a.a.O., § 69 Rdnr. 29) und der Senat hat in der zu diesem Urteil ergangenen Revisionsentscheidung vom 17. November 1992 VII R 13/92 (BFHE 170, 295, BStBl II 1993, 471) die Richtigkeit dieser rechtlichen Würdigung ausdrücklich dahinstehen lassen, ohne auf sein Urteil in BFH/NV 1987, 286 hinzuweisen. Dass die Rechtslage bis zum Ergehen der vorliegenden Entscheidung auch nicht objektiv klar und eindeutig war, bedarf nach den vorstehenden Ausführungen keiner Darlegung.

Ende der Entscheidung

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