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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 30.11.2004
Aktenzeichen: VII R 25/01
Rechtsgebiete: Richtlinie 92/12/EWG, BranntwMonG
Vorschriften:
Richtlinie 92/12/EWG (Systemrichtlinie) Art. 4 Buchst. c | |
Richtlinie 92/12/EWG (Systemrichtlinie) Art. 19 Abs. 4 | |
Richtlinie 92/12/EWG (Systemrichtlinie) Art. 20 Abs. 1 | |
Richtlinie 92/12/EWG (Systemrichtlinie) Art. 20 Abs. 2 | |
Richtlinie 92/12/EWG (Systemrichtlinie) Art. 20 Abs. 3 | |
BranntwMonG § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 | |
BranntwMonG § 143 Abs. 2 |
2. Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie erfasst die Fälle, in denen die Erzeugnisse nicht am Bestimmungsort eingetroffen sind und der Ort der Zuwiderhandlung nicht festgestellt werden konnte. Bestimmungsort ist bei einem auf Ausfuhr aus der Gemeinschaft angelegten Verfahren der Steueraussetzung, also auch in Fällen der Durchfuhr durch das deutsche Steuergebiet, der Ort der Zollstelle, bei der die Erzeugnisse die Gemeinschaft bestimmungsgemäß verlassen sollen (Ausgangszollstelle). In solchen Fällen kommt es auf irgendwelche von den Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats getroffene Feststellungen zu der Natur der Unregelmäßigkeiten nicht an. Die Steuererhebungskompetenz steht dem Abgangsmitgliedstaat zu.
3. § 143 Abs. 2 BranntwMonG, der Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie in das nationale Recht umsetzen soll, stellt keine korrekte Umsetzung des Gemeinschaftsrechts dar, weil er die Fälle des Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie (oben 2.) nicht von seiner Anwendung ausschließt und der Bundesrepublik Deutschland dadurch eine Steuererhebungskompetenz zuschreibt, die ihr nicht zukommt. § 143 Abs. 2 BranntwMonG hat daher in solchen Fällen unangewendet zu bleiben (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 12. Dezember 2002 Rs. C-395/00 --Cipriani--, EuGHE 2002, I-11877).
Gründe:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Herstellerin von Wein und Spirituosen in der Rechtsform einer Gesellschaft französischen Rechts (S.A.) mit Sitz im Elsass, wurde von dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) mit Steuerbescheid vom ... 1997 auf Zahlung von Branntweinsteuer in Höhe von ... DM in Anspruch genommen. Dabei stützte sich das HZA auf folgenden von der Steuerfahndung M unter Mithilfe der französischen Zollverwaltung festgestellten Sachverhalt:
Am 27. März 1996 versandte die Klägerin aus ihrem Steuerlager in Frankreich zwei LKW-Ladungen mit je 17 100 Literflaschen Wodka im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren (Steueraussetzungsverfahren) zur Ausfuhr nach Kasachstan. Die eine Ladung wurde von dem später ermittelten Fahrer S mit dem Transportzug mit dem amtlichen Kennzeichen ... übernommen (Sendung 1). Hierfür war das begleitende Verwaltungsdokument (bVD) Nr. ... ausgestellt worden. Die andere Ladung ist von einem bis heute unbekannten Fahrer mit dem Lastzug mit dem amtlichen Kennzeichen ... übernommen worden (Sendung 2). Hierfür war das bVD Nr. ... ausgestellt worden. Als Ausfuhrzollstelle war in beiden Fällen das deutsche Zollamt Frankfurt/Oder-Autobahn angegeben. Dort wurden die beiden Sendungen aber nicht vorgeführt, denn die Rückscheine der bVD, die die Ausfuhr bestätigen sollten, erwiesen sich als gefälscht (gefälschte Dienststempelabdrucke). Über den endgültigen Verbleib der Ware ist nichts bekannt. Die Rechnungen der Klägerin an die Empfängerfirma in Kasachstan kamen als unzustellbar zurück. Der Kaufpreis wurde aber durch eine Überweisung der Firma M, Hamburg, entrichtet.
Der Fahrer S wurde ermittelt, nachdem am 17. Mai 1996 im Bezirk des Zollfahndungsamts M der Lastzug, mit dem bereits die Sendung 1 befördert worden war, beladen mit 19 530 Flaschen Wodka, ebenfalls in einem von der Klägerin am 15. Mai 1996 eröffneten Steueraussetzungsverfahren befindlich, auf einem Feldweg abgestellt vorgefunden worden war. Dieses Verfahren ist nicht Gegenstand des angefochtenen Steuerbescheids.
Der Einspruch der Klägerin gegen den Steuerbescheid und die nachfolgende Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieben erfolglos. Das FG hielt in beiden Fällen die Voraussetzungen des § 143 Abs. 2 des Branntweinmonopolgesetzes (BranntwMonG) i.d.F. des Art. 3 des Verbrauchsteuer-Binnenmarktgesetzes (VerbrStBMG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2150, 2166) für erfüllt. Hiernach sei im Steuergebiet festgestellt worden, dass Erzeugnisse bei der Beförderung aus einem Steuerlager eines anderen Mitgliedstaates dem Steueraussetzungsverfahren entzogen worden seien. Da der genaue Ort der Zuwiderhandlung nicht habe ermittelt werden können, gelte die Entziehung als im Steuergebiet erfolgt. Dadurch sei die Steuer in der Person der Klägerin als Versender entstanden (§ 143 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BranntwMonG).
§ 143 Abs. 2 Satz 1 BranntwMonG sei auch richtlinienkonform umgesetzt worden. Dem Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren --Systemrichtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 76/1) könne entgegen der Auffassung der Klägerin weder in seiner deutschen noch in seiner englischen oder französischen Fassung entnommen werden, dass diese Vorschrift nur dann eingreife, wenn das Entziehen während der Beförderung oder zumindest zeitnah zum Transport festgestellt werde. Eine solche Auslegung mache die Vorschrift unpraktikabel, da Verstöße im Versandverfahren regelmäßig erst nach dem Transport bei Überprüfungen durch die Zollstelle festgestellt würden. Es reiche daher aus, wenn (zu irgend einem Zeitpunkt) festgestellt werde, dass die Zuwiderhandlung oder Unregelmäßigkeit während des Transports stattgefunden habe. Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie finde hingegen im Streitfall keine Anwendung. Diese Vorschrift greife nur ein, wenn der Ort der Unregelmäßigkeit nicht bekannt sei und es auch sonst keinerlei Feststellungen dazu gebe, wenn also die Unregelmäßigkeit allein daraus geschlossen werde, dass die Waren nicht am Bestimmungsort (hier: Ausfuhrzollstelle) eingetroffen seien. Nur dann liege die Erhebungskompetenz beim Abgangsmitgliedstaat. Im Streitfall habe aber die deutsche Zollverwaltung Feststellungen getroffen, nämlich dahin gehend, dass die Stempelabdrucke auf den Erledigungspapieren gefälscht gewesen seien. Dies genüge zur Ausschaltung des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das in der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 2000, 242, abgedruckte Urteil der Vorinstanz verwiesen.
Ihre Revision begründet die Klägerin im Wesentlichen wie folgt: § 143 Abs. 2 BranntwMonG sei keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Steuerbescheid, weil die Vorschrift wegen falscher Umsetzung von Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie nichtig sei; eine richtlinienkonforme Auslegung komme wegen des Vorrangs von Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie, der ausschließlich den Abgangsmitgliedstaat zur Erhebung der Verbrauchsteuer ermächtige, wenn die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am Bestimmungsort einträfen und der Ort der Zuwiderhandlung oder der Unregelmäßigkeit nicht habe festgestellt werden können, nicht in Betracht. Hilfsweise sei bei richtlinienkonformer Auslegung der Tatbestand der Branntweinsteuernorm nicht erfüllt. Im Übrigen setze Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie voraus, dass eine Zuwiderhandlung bzw. Unregelmäßigkeit während des Verfahrens der Steueraussetzung festgestellt worden sein müsse.
Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat der Senat auf Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 10. Oktober 2002 VII S 28/01 (BFH/NV 2003, 12) die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids ohne Sicherheitsleistung aufgehoben, weil der Senat es für ernstlich zweifelhaft hielt, ob in einem Fall wie dem vorliegenden, wenn verbrauchsteuerpflichtige Waren bei der Durchfuhr durch das Steuergebiet im Steueraussetzungsverfahren nicht am Bestimmungsort, d.h. bei der Ausgangszollstelle, einträfen, und der Ort der Zuwiderhandlung oder der Unregelmäßigkeit nicht festgestellt werden könne, der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) als dem Mitgliedstaat, in dem die Unregelmäßigkeit entdeckt worden sei, der aber nicht der Abgangsmitgliedstaat sei, die Besteuerungskompetenz zustehe. Die Beteiligten hatten ferner Gelegenheit, zu den Auswirkungen des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 12. Dezember 2002 Rs. C-395/00 --Cipriani-- (EuGHE 2002, I-11877) auf den Streitfall Stellung zu nehmen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil und die Verwaltungsentscheidungen aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, und regt hilfsweise an, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Es ist der Auffassung, die deutsche Zollverwaltung sei für die Besteuerung zuständig, und die Voraussetzungen für die Steuererhebung seien erfüllt. Ein Mitgliedstaat, der bis zur Erledigung des Steueraussetzungsverfahrens, d.h. bis zum Eingang des ordnungsgemäß von der Ausgangszollstelle abgestempelten Rückscheins beim Versender, Unregelmäßigkeiten feststelle, sei zur Erhebung der Steuer berechtigt. Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie sei immer dann einschlägig, wenn, wie im Streitfall, Feststellungen über eine Zuwiderhandlung getroffen worden seien. § 143 Abs. 2 BranntwMonG sei daher richtlinienkonform umgesetzt worden. Nach dem Ergehen des EuGH-Urteils in EuGHE 2002, I-11877, hat das HZA seinen Standpunkt modifiziert. Mit diesem Urteil sei davon auszugehen, dass Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie immer dann anwendbar sei, wenn die sich im Steueraussetzungsverfahren befindlichen Waren nicht am Bestimmungsort einträfen. Eine solche positive Feststellung, dass nämlich die Waren nicht am Bestimmungsort eingetroffen seien, sei vom FG nicht getroffen worden. Ferner sei zu bedenken, dass Bestimmungsort im Streitfall nicht die Ausgangszollstelle sei, sondern die Bundesrepublik als der Mitgliedstaat, aus dem die schließliche Ausfuhr in das Drittland stattfinde. Folglich greife Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie Platz mit der Folge, dass der Bundesrepublik auch die Erhebungskompetenz zustehe. Davon abgesehen, sei zu berücksichtigen, dass das FG hinsichtlich der Lieferung 1 festgestellt habe, dass die Unregelmäßigkeit (Austausch der ordnungsgemäß ausgestellten Papiere gegen gefälschte Dokumente) in der Bundesrepublik begangen worden sei. Diese Umstände könnten auch auf die Lieferung 2 übertragen werden. Folglich stehe der Ort, an dem die Unregelmäßigkeit stattgefunden habe, fest; die Steuer sei nach Art. 20 Abs. 1 der Systemrichtlinie bzw. § 143 Abs. 1 BranntwMonG in der Bundesrepublik entstanden.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Branntweinsteuerbescheid des HZA i.d.F. der Einspruchsentscheidung verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). § 143 Abs. 2 BranntwMonG ist keine taugliche Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Steueranspruch. In einem Fall wie dem vorliegenden steht der Bundesrepublik die Erhebungskompetenz nicht zu.
1. § 143 BranntwMonG dient nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 12/3432, 80 zu § 143 BranntwMonG) der Umsetzung von Art. 20 der Systemrichtlinie und normiert Steuerentstehungstatbestände bei Unregelmäßigkeiten im Ablauf von Beförderungen unter Steueraussetzung in den Fällen der §§ 140 bis 142 BranntwMonG, die als Entziehen der Erzeugnisse aus dem Steueraussetzungsverfahren behandelt werden. Folglich muss sich die hier streitige Vorschrift des § 143 Abs. 2 BranntwMonG auch an den Vorgaben des Art. 20 der Systemrichtlinie messen lassen.
a) Bereits der 16. Erwägungsgrund der Systemrichtlinie gibt den Mitgliedstaaten eine klare Struktur der Entstehungstatbestände der Verbrauchsteuer im Falle einer Zuwiderhandlung oder einer Unregelmäßigkeit bei Waren im Verfahren unter Steueraussetzung vor. Hiernach wird die Verbrauchsteuer entweder von dem Mitgliedstaat, auf dessen Gebiet die Zuwiderhandlung oder die Unregelmäßigkeit (im Folgenden zusammengefasst: Zuwiderhandlung) begangen wurde (1. Fall), oder von dem Mitgliedstaat, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt worden ist (2. Fall), oder bei Nichtvorführung im Bestimmungsmitgliedstaat von dem Ausgangsmitgliedstaat (3. Fall) erhoben.
b) Dieser vorgegebenen Dreiteilung folgt Art. 20 der Systemrichtlinie. Art. 20 Abs. 1 weist die Erhebungskompetenz dem Mitgliedstaat zu, in dem die Zuwiderhandlung begangen wurde (1. Fall). Dies setzt logisch voraus, dass der Ort der Zuwiderhandlung feststeht. Steht zwar die Zuwiderhandlung, nicht aber der Ort der Zuwiderhandlung fest, fingiert Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie, dass diese als in dem Mitgliedstaat begangen gilt, in dem sie festgestellt worden ist, sodass dem Mitgliedstaat der Feststellung der Zuwiderhandlung die Erhebungskompetenz zusteht (2. Fall). Kommt zu den Voraussetzungen des 2. Falles noch hinzu, dass die Waren nicht am Bestimmungsort eintreffen, dort also nicht vorgeführt werden, wie es im 16. Erwägungsgrund formuliert ist, wird nach Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie der Abgangsmitgliedstaat als Ort der Zuwiderhandlung fingiert, wodurch dem Abgangsmitgliedstaat auch die Erhebungskompetenz zufällt (vgl. Jatzke, Das neue Verbrauchsteuerrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Veröffentlichung des Instituts "Finanzen und Steuern" e.V., Heft Nr. 322, 1993, S. 42), sofern nicht innerhalb einer bestimmten Frist von dem Beteiligten der Nachweis erbracht wird, dass das Steueraussetzungsverfahren entweder ordnungsgemäß abgelaufen ist oder wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist (3. Fall). In den Fällen 2 und 3 besteht ferner die Möglichkeit, dass vor Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Tag der Ausfertigung des bVD der Mitgliedstaat ermittelt wird, in dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen worden ist. In diesem Fall wechselt die Erhebungskompetenz an diesen Mitgliedstaat, und die ursprünglich von einem anderen Mitgliedstaat erhobene Verbrauchsteuer wird ggf. wieder erstattet (Art. 20 Abs. 4 der Systemrichtlinie).
c) In seinen Schlussanträgen vom 21. März 2002 in der Rs. C-395/00 --Cipriani-- hat Generalanwalt Mischo ausführlich die Systematik des Art. 20 der Systemrichtlinie analysiert und dabei unter Berücksichtigung der Zielsetzung dieses Artikels, nämlich Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten bei der Besteuerung von Waren, die Gegenstand der Zuwiderhandlung waren, zu verhindern (Abs. 74), die Auffassung vertreten, dass eine gleichzeitige und kumulative Anwendung von Absatz 2 und Absatz 3 der Vorschrift nicht in Betracht komme (Abs. 77, 78). Absatz 2 sehe als allgemeine Regel vor, dass im Falle der Feststellung einer Zuwiderhandlung, ohne dass jedoch der Ort dieser Zuwiderhandlung feststehe, der Mitgliedstaat für die Steuererhebung zuständig sei, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt worden sei (Abs. 75). Absatz 3 sei dagegen nur anwendbar, "wenn zusätzlich die Bedingung erfüllt ist, dass die betreffenden Waren nicht am Bestimmungsort eingetroffen sind. Für diesen Fall wird der Abgangsmitgliedstaat für zuständig erklärt".
d) Der EuGH ist, anders als das HZA meint, der Auffassung des Generalanwalts in seinem Urteil in dieser Rechtssache in EuGHE 2002, I-11877, gefolgt. Er hat es im Rahmen der ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nämlich gebilligt, dass im Falle eines in Italien eröffneten Steueraussetzungsverfahrens für verbrauchsteuerpflichtige Waren, die nach ihrer Durchfuhr durch einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten zur Ausfuhr in Drittländer bestimmt waren, das Verfahren der Steueraussetzung pflichtwidrig nicht nach Art. 19 Abs. 4 der Systemrichtlinie bei der deutschen Ausgangszollstelle aus der Gemeinschaft erledigt worden ist, weil das dem Versender zugegangene Begleitdokument durch Anbringung eines falschen Stempels gefälscht worden war, Italien als Abgangsmitgliedstaat für die Steuererhebung nach Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie deshalb zuständig sei, weil die Waren nicht am Bestimmungsort eingetroffen seien und der Ort der Zuwiderhandlung nicht bestimmt werden könne (Abs. 44 bis 47 des Urteils).
e) Ganz entsprechend verhält es sich im Streitfall. Die Klägerin hat die beiden streitbefangenen Steueraussetzungsverfahren in Frankreich eröffnet mit dem Ziel der Ausfuhr des Wodkas aus der Gemeinschaft bei der deutschen Ausgangszollstelle Frankfurt/Oder. Dort sind die beiden Sendungen aber nicht vorgeführt worden, da die Rückscheine, die die Ausfuhr bestätigen sollten, nicht von der dortigen Zollstelle ausgefertigt worden sind, sondern sich als gefälscht (gefälschte Dienststempelabdrucke) erwiesen. Dies ergibt sich hinreichend deutlich aus den vom FG getroffenen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist. Einer vom HZA diesbezüglich vermissten ausdrücklichen positiven Feststellung bedarf es nicht. Die beiden Verfahren der Steueraussetzung (Art. 4 Buchst. c der Systemrichtlinie) sind daher nicht bestimmungsgemäß bei der Ausgangszollstelle erledigt worden, so wie dies Art. 19 Abs. 4 der Systemrichtlinie erfordert. Damit steht zugleich fest, dass die verbrauchsteuerpflichtigen Waren nicht am Bestimmungsort i.S. des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie eingetroffen sind.
Unter "Bestimmungsort" in diesem Sinne kann bei einem auf die Ausfuhr aus der Gemeinschaft angelegten Verfahren der Steueraussetzung nur der Ort der Zollstelle verstanden werden, bei der die Waren die Gemeinschaft bestimmungsgemäß verlassen sollen (Ausgangszollstelle), weil dort das innergemeinschaftliche Steuerversandverfahren endet und erledigt wird. Dies folgt zum einen aus Feld 7a des bVD, in dem ausweislich der Erläuterungen zur Ausfüllung dieses Feldes auf der Rückseite der Ausfertigung 1 des Papiers (vgl. Verordnung (EWG) Nr. 2225/93 der Kommission vom 27. Juli 1993 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2719/92 zum begleitenden Verwaltungsdokument bei der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung, ABlEG Nr. L 198/5) als "Ort der Lieferung" bei Waren, die ausgeführt werden sollen, der Vermerk "AUSFUHR AUS DER GEMEINSCHAFT" einzutragen und der Ort der Ausfuhr anzugeben ist; zum anderen ergibt sich auch hinreichend deutlich aus dem angeführten EuGH-Urteil in EuGHE 2002, I-11877, dass der Ort der Ausgangszollstelle der Bestimmungsort i.S. des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie ist (vgl. Abs. 35, 44, 45, 47, 55). Fehl geht daher die Auffassung des HZA, Bestimmungsort sei im Streitfall die Bundesrepublik als der Mitgliedstaat, aus dem die schließliche Ausfuhr in das Drittland stattfinden soll. Diese Ansicht vermengt in unzulässiger Weise Bestimmungsort und Bestimmungsmitgliedstaat. Zur Ausschaltung des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie und zum Rückfall nach Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie genügt es daher nicht, dass festgestellt wird, dass sich die zu befördernde Ware während des Transports einmal im Bestimmungsmitgliedstaat befunden hat, sofern sie nicht auch die Ausgangszollstelle erreicht hat.
Erfüllt ist im Streitfall auch die zweite Voraussetzung des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie, dass nämlich der Ort der Zuwiderhandlung nicht festgestellt werden konnte. Zu Unrecht bringt das HZA vor, das FG habe jedenfalls bei der Sendung 1 festgestellt, dass die Unregelmäßigkeit, nämlich der Austausch der ordnungsgemäß ausgestellten Papiere gegen gefälschte Dokumente, in der Bundesrepublik begangen worden sei. Hier vermengt das HZA die Feststellung der Unregelmäßigkeit als solcher mit der Feststellung des Ortes, an dem die Unregelmäßigkeit begangen worden ist, was nach Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie zwei verschiedene Dinge sind. Das FG hat lediglich die Feststellung getroffen, dass die deutschen Behörden die Fälschung der Stempelabdrücke festgestellt hätten; hinsichtlich des Ortes der Zuwiderhandlung hat das FG hingegen ausdrücklich ausgeführt, der genaue Ort des Entzuges stehe nicht fest. Auch in diesem Zusammenhang genügt es nicht, dass feststeht, dass sich die Waren der Sendung 1 einmal in der Bundesrepublik befunden haben, denn diese Tatsache lässt keinen zuverlässigen Rückschluss auf den Ort zu, wo die Unregelmäßigkeit begangen worden ist. Bei der Sendung 2 gibt es ohnehin keinerlei Hinweise, was mit dieser Sendung geschehen ist, geschweige denn auf den Ort, an dem die Unregelmäßigkeit begangen worden ist. Auch innerhalb der Drei-Jahres-Frist des Art. 20 Abs. 4 der Systemrichtlinie ist der Mitgliedstaat, in dem die Zuwiderhandlungen tatsächlich begangen worden sind, nicht ermittelt worden.
Aus alldem folgt, dass im Streitfall die Erhebungskompetenz für die Verbrauchsteuer nach dem Gemeinschaftsrecht nicht der Bundesrepublik, sondern dem Abgangsmitgliedstaat Frankreich zukommt.
2. Die Vorgaben des Art. 20 der Systemrichtlinie hat der nationale Gesetzgeber nur unvollkommen mit Art. 3 VerbrStBMG in das nationale Recht (hier das BranntwMonG) umgesetzt.
a) Der Verkehr unter Steueraussetzung mit anderen Mitgliedstaaten ist in § 141 BranntwMonG geregelt. Die streitgegenständliche Fallgestaltung, dass ein Verfahren der Steueraussetzung in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet worden ist und die beförderten Erzeugnisse (Branntwein bzw. branntweinhaltige Waren, vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG) nach Durchfuhr durch die Bundesrepublik unmittelbar aus der Gemeinschaft ausgeführt werden sollen, ist in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BranntwMonG erfasst. Hiernach dürfen Erzeugnisse unter Steueraussetzung im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren durch das Steuergebiet befördert werden. Kommt es dabei zu Zuwiderhandlungen oder sonstigen Unregelmäßigkeiten, werden die Erzeugnisse also entsprechend der Terminologie des Gesetzes dem Steueraussetzungsverfahren entzogen (zur Bedeutung dieses Begriffs vgl. das Urteil des Senats vom 29. Oktober 2002 VII R 48/01, BFHE 200, 66), regelt § 143 BranntwMonG die steuerschuldrechtlichen Folgen.
b) Der Steuerentstehungstatbestand des § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG knüpft an eine im Steuergebiet während der Beförderung begangene Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren an. In Übereinstimmung mit Art. 20 Abs. 1 der Systemrichtlinie steht in solchen Fällen der Bundesrepublik die Erhebungskompetenz zu. Der angefochtene Steuerbescheid kann indessen nicht auf diese Vorschrift gestützt werden, da es, wie bereits ausgeführt, an einer Feststellung des FG fehlt, dass die Fälschung bzw. der Austausch der Papiere oder eine andere Zuwiderhandlung im Steuergebiet stattgefunden hat.
c) Der Steuerentstehungstatbestand des § 143 Abs. 2 BranntwMonG, auf den das HZA den angefochtenen Steuerbescheid ursprünglich gestützt hatte, geht davon aus, dass im Falle der Beförderung von Erzeugnissen aus einem Steuerlager eines anderen Mitgliedstaats (wobei u.a. die hier vorliegende Fallgestaltung des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BranntwMonG ausdrücklich genannt wird) der Ort der Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren nicht ermittelt werden kann, im Steuergebiet aber festgestellt wird, dass es im Verlauf dieser Beförderung irgendwo zu einer Entziehung gekommen ist. In grundsätzlicher Übereinstimmung mit Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie fingiert die Vorschrift die Entziehung in einem solchen Fall als im Steuergebiet begangen und kommt dadurch zur Erhebungskompetenz der Bundesrepublik.
Diese Umsetzung der Systemrichtlinie ist allerdings nicht ganz korrekt, denn sie vernachlässigt den besonderen Fall des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie, wonach dann, wenn die Erzeugnisse bei nicht feststehendem Ort der Zuwiderhandlung den Bestimmungsort, hier: die deutsche Ausgangszollstelle aus der Gemeinschaft, nicht erreicht haben, die Erhebungskompetenz wieder dem Abgangsmitgliedstaat zufällt. Wie die Gesetzesbegründung nahe legt (BTDrucks 12/3432, 81), hat der Gesetzgeber an diesen Fall bei der Umsetzung des Art. 20 Abs. 2 der Systemrichtlinie nicht gedacht. Obgleich dieser Fall mangels deutscher Erhebungskompetenz jedenfalls nicht separat und positiv in § 143 BranntwMonG geregelt werden musste, wäre es aber seitens des Gesetzgebers zumindest erforderlich gewesen, eine entsprechende Einschränkung, sozusagen als negatives Tatbestandsmerkmal, in den Wortlaut des Art. 143 Abs. 2 Satz 1 BranntwMonG aufzunehmen (z.B. ... gelten sie als im Steuergebiet entzogen, es sei denn, sie sind nicht am Bestimmungsort eingetroffen), um Missverständnisse und Auslegungsfehler zu vermeiden.
Einem solchen Missverständnis ist nicht nur das HZA, sondern auch das FG erlegen, indem es im Streitfall den § 143 Abs. 2 Satz 1 BranntwMonG seinem Wortlaut nach angewendet hat. Zwar hat das FG durchaus den Sonderfall des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie gesehen, diese Vorschrift aber im Streitfall zu Unrecht für nicht einschlägig erachtet, da sie nur eingreife, wenn der Ort der Unregelmäßigkeit nicht bekannt sei und es auch sonst keinerlei Feststellungen dazu gebe, wenn also die Unregelmäßigkeit allein daraus geschlossen werde, dass die Erzeugnisse nicht am Bestimmungsort eingetroffen seien. Die Auffassung des FG, dass Feststellungen der deutschen Behörden (hier: dahin gehend, dass die Stempelabdrucke auf den Papieren gefälscht gewesen seien) zur Ausschaltung des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie genügten, steht indessen im Widerspruch zur dargestellten Systematik des Art. 20 der Systemrichtlinie und zum eindeutigen Wortlaut des Absatzes 3, wonach bei nicht festgestelltem Ort der Zuwiderhandlung allein das Nichteintreffen der Erzeugnisse am Bestimmungsort für den Rückfall der Erhebungskompetenz an den Abgangsmitgliedstaat maßgeblich ist, ohne dass es auf irgendwelche im Bestimmungsmitgliedstaat zu der Natur der Unregelmäßigkeiten getroffene Feststellungen der Behörden ankäme.
3. Das festgestellte Umsetzungsdefizit ist von den Gerichten zu beheben.
a) Der Senat kann im Streitfall von einer Vorlage an den EuGH zum Zwecke der ausdrücklichen Feststellung bzw. Bestätigung des Umsetzungsdefizits absehen, da das erwähnte Urteil des EuGH in EuGHE 2002, I-11877 i.V.m. den dazu gehörigen Schlussanträgen des Generalanwalts Mischo vom 21. März 2002 im Hinblick auf die Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts klar und eindeutig ist und insbesondere keine vernünftigen Zweifel an dem Vorrang des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie in Fällen wie dem vorliegenden aufkommen lässt. Der Anregung des HZA, die Sache dem EuGH vorzulegen, um zu klären, ob unter Bestimmungsort i.S. des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie der Bestimmungsmitgliedstaat gemeint sei, folgt der Senat nicht, da diese Auffassung, wie ausgeführt, nicht ernstlich in Betracht kommt. Die weiteren vom HZA in der mündlichen Verhandlung formulierten Vorlagefragen tragen zur Entscheidung des Streitfalls nichts bei.
b) Der Senat ist hiernach verpflichtet, das Umsetzungsdefizit selbst zu beheben, denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist das nationale Gericht verpflichtet, eine Vorschrift des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, wenn es feststellt, dass diese nicht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts entspricht und auch nicht gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden kann (vgl. EuGH-Urteile vom 18. September 2003 Rs. C-125/01 --Pflücke--, EuGHE 2003, I-9375 Abs. 48, und vom 19. November 2002 Rs. C-188/00 --Kurz--, EuGHE 2002, I-10691 Abs. 69, jeweils m.w.N.).
Es kann im Streitfall dahinstehen, ob angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts des § 143 Abs. 2 Satz 1 BranntwMonG überhaupt noch Raum für eine richtlinienkonforme Auslegung der Vorschrift ist. Denn im Ergebnis macht es keinen Unterschied, ob man in richtlinienkonformer Auslegung oder im Wege einer schlichten Nichtanwendung der Vorschrift zu dem allein gemeinschaftsrechtskonformen Ergebnis gelangt, dass in Fällen wie dem vorliegenden eine Erhebungskompetenz der Bundesrepublik entsprechend den Vorgaben des Art. 20 Abs. 3 der Systemrichtlinie nicht besteht. Der angefochtene Steuerbescheid ist daher rechtswidrig, da er nicht auf eine taugliche Rechtsgrundlage gestützt werden kann.
4. Da das angefochtene Urteil des FG auf einer entgegengesetzten Auffassung beruht und die Sache spruchreif ist, war es zusammen mit den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
Ende der Entscheidung
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