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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 04.11.2003
Aktenzeichen: VII R 29/01
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 44 Abs. 2
AO 1977 § 30a Abs. 3
AO 1977 § 92 Satz 1
AO 1977 § 154
AO 1977 § 193 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 194 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 194 Abs. 3
AO 1977 § 200
AO 1977 § 200 Abs. 1 Satz 2
AO 1977 § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Bank. Das Finanzamt für Großbetriebsprüfung, dessen Zuständigkeit zwischenzeitlich auf den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt --FA--) übergegangen ist, ordnete mit Bescheid vom 11. September 1996 die Durchführung einer Außenprüfung bei der Klägerin an, die sich auf alle für sie bedeutsamen Steuerarten in den Besteuerungszeiträumen 1991 bis 1995 beziehen sollte. Die im Rahmen dieser Außenprüfung getroffenen Feststellungen wurden in einem Zwischenbericht vom 27. Mai 1997 festgehalten.

Am Tag des Prüfungsbeginns (15. Oktober 1996) forderte das Finanzamt für Großbetriebsprüfung die Klägerin schriftlich mit Rechtsmittelbelehrung auf, die Auszüge für die Konten pro Diverse (CpD-Konten) Nr. ... für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1994 vorzulegen, weil beabsichtigt sei zu überprüfen, welche Geschäftsvorfälle über die Konten abgewickelt worden seien und ob die Klägerin ihren Verpflichtungen nach § 154 der Abgabenordnung (AO 1977) nachgekommen sei. Soweit Sachverhalte festgestellt würden, die für die Besteuerung Dritter von Bedeutung seien, würden Kontrollmitteilungen nach § 194 Abs. 3 AO 1977 gefertigt.

Das Finanzgericht (FG) wies die von der Klägerin nach erfolglosem Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 22. September 1997) erhobene Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 66 veröffentlichten Gründen ab.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie geltend macht, das FA beabsichtige, ohne sachlichen Zusammenhang mit der Feststellung sie betreffender Besteuerungsgrundlagen gezielt nach Kontrollmaterial für die Besteuerung Dritter zu suchen. Nach § 194 Abs. 3 AO 1977 dürfe die Ermittlung der Verhältnisse Dritter jedoch nicht eigentlicher Zweck einer Außenprüfung oder Anlass für einzelne Prüfungshandlungen sein. Es bestehe kein hinreichender Anlass für die beabsichtigte Anfertigung von Kontrollmitteilungen. Die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 154 AO 1977 könne das FA an jedem Kundenkonto überprüfen. Im Gegensatz zur Steuerfahndung sei es auch nicht Aufgabe der Außenprüfung, unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln. Die beabsichtigte Anfertigung von Kontrollmitteilungen verstoße zudem gegen § 30a Abs. 3 AO 1977. Der Schutzbereich dieser Bestimmung umfasse CpD-Konten, weil bei den zu prüfenden Buchungsvorgängen ein legitimationsgeprüftes Kundenkonto Teil einer Buchungskette sei.

Die Klägerin beantragt,

die Vorentscheidung und die Aufforderung zur Vorlage der CpD-Konten Nr. ... vom 15. Oktober 1996 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. September 1997 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das FA trägt vor, die Klägerin werde durch die beabsichtigte Anfertigung von Kontrollmitteilungen erst beschwert, wenn hierüber eine Entscheidung getroffen worden sei. Im Übrigen seien die Voraussetzungen für die Annahme eines hinreichenden Anlasses für die Auswertung von Kontrollmitteilungen gering. Es reiche aus, wenn bei dem Bankkunden eine Steuerpflicht bestehen könne. Üblicherweise hebe ein Bankkunde den Geldbetrag, den er nach Luxemburg transferieren wolle, von seinem legitimationsgeprüften Konto in bar ab und zahle ihn auf ein Zahlscheinkonto oder ein CpD-Konto ein. Bei manchen Banken werde anstelle eines Zahlscheinkontos ein CpD-Konto geführt. Alsdann werde der Geldbetrag nach Luxemburg transferiert, ohne dass dem Bankkunden eine direkte Überweisung über sein legitimationsgeprüftes Konto nachzuweisen sei. Da nur ein CpD-Konto für einen eingeschränkten Zeitraum sowie eine begrenzte Zahl von Sachverhalten betroffen sei und in erster Linie geprüft werden solle, ob die Klägerin ihre Verpflichtungen nach § 154 AO 1977 erfüllt habe, handele es sich nicht um Ermittlungen ins Blaue hinein oder eine unzulässige Rasterfahndung. § 30a Abs. 3 AO 1977 sei im Streitfall nicht anwendbar, weil es sich bei CpD-Konten nicht um legitimationsgeprüfte Konten handele. Eine erweiternde Auslegung des § 30a Abs. 3 AO 1977 sei unzulässig.

II. Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Verfügung des Finanzamts für Großbetriebsprüfung vom 15. Oktober 1996 sowie der Einspruchsentscheidung vom 22. September 1997 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG verstößt gegen Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) und ist auch im Ergebnis unrichtig (§ 126 Abs. 4 FGO). Anders als das FG meint, ist die Verfügung vom 15. Oktober 1996 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. September 1997 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Gemäß § 200 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 hat der Steuerpflichtige bei einer Außenprüfung u.a. Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (vgl. Senatsurteil vom 15. September 1992 VII R 66/91, BFH/NV 1993, 76, 77; Senatsbeschluss vom 11. September 1996 VII B 176/94, BFH/NV 1997, 166, 169) hat die Finanzbehörde bei einer Außenprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Form sie die Mitwirkung des Steuerpflichtigen nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 in Anspruch nimmt. Diese Vorschrift modifiziert und ergänzt die allgemeinen Vorschriften über die Mitwirkung der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren (§§ 90 ff. AO 1977). Wie dort (§ 90 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) richtet sich der Umfang der Mitwirkungspflichten bei einer Außenprüfung nach den Umständen des Einzelfalles. Grenzen einer Inanspruchnahme aufgrund der Mitwirkungspflicht ergeben sich daraus, dass die Mitwirkung ein der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens unterliegendes Aufklärungs- oder Beweismittel ist. Entsprechend § 92 Satz 1 AO 1977 hat die Finanzbehörde auch im Rahmen des § 200 AO 1977 nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob und in welcher Form sie die Mitwirkung des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt. Dabei darf eine Mitwirkung nur verlangt werden, soweit sie zur Feststellung des steuererheblichen Sachverhalts notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1993, 76, 77, und Senatsbeschluss in BFH/NV 1997, 166, 169).

Im Streitfall kann dahin stehen, ob das Finanzamt für Großbetriebsprüfung von dem ihm hiernach eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat, denn das Mitwirkungsverlangen erweist sich bereits deshalb als rechtswidrig, weil es nicht auch der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse der Klägerin dienen soll, sondern ausschließlich auf die Ermittlung von Tatsachen gerichtet ist, welche die steuerlichen Verhältnisse Dritter betreffen. Derartige Ermittlungen liegen außerhalb des durch die Prüfungsanordnung festgelegten Prüfungsauftrags, der sich nur auf die Feststellung der steuerlichen Verhältnisse der Klägerin bezieht.

a) Nach § 194 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 dient die Außenprüfung grundsätzlich der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Der Verfügung vom 15. Oktober 1997 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. September 1997 (§ 44 Abs. 2 FGO) lässt sich indes nicht entnehmen, dass das Mitwirkungsverlangen auf die Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse der Klägerin (§ 193 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), insbesondere auf die Einhaltung der sie nach § 154 AO 1977 treffenden Verpflichtungen zur Kontenwahrheit abzielt. Dies wurde zwar noch in der Ausgangsverfügung vom 15. Oktober 1996 behauptet. Aus der Begründung der Einspruchsentscheidung ergibt sich jedoch, dass es ausschließlicher Zweck des Mitwirkungsverlangens ist, auf der Grundlage der vorzulegenden Kontoauszüge Erkenntnisse für die Besteuerung anderer Personen zu gewinnen, um Kontrollmitteilungen nach § 194 Abs. 3 AO 1977 anzufertigen. Dies zeigen auch die in der Einspruchsentscheidung dargestellten Buchungsbeispiele, über die stichprobenweise Kontrollmitteilungen angefertigt werden sollen, sowie die dortigen Ausführungen zur angeblichen Zulässigkeit der Anfertigung von Kontrollmitteilungen. Entgegen der vom FG vertretenen Auffassung handelt es sich deshalb nicht nur um einen bloßen Hinweis auf die nach § 194 Abs. 3 AO 1977 mögliche Auswertung der Kontoauszüge.

Gemäß § 194 Abs. 3 Alternative 1 AO 1977 ist die Auswertung von anlässlich einer Außenprüfung festgestellten Verhältnissen Dritter insoweit zulässig, als die Kenntnis dieser Feststellungen für deren Besteuerung von Bedeutung ist. Das Wort "anlässlich" verlangt mehr als einen bloß zeitlichen Zusammenhang zwischen der Außenprüfung und der Feststellung steuerrelevanter Verhältnisse Dritter. Zwischen Außenprüfung und Feststellung steuerrelevanter Verhältnisse dritter Personen muss auch ein sachlicher Zusammenhang in der Weise bestehen, dass bei einer konkreten und im Aufgabenbereich des Prüfers liegenden Tätigkeit ein Anlass auftaucht, der den Prüfer veranlasst, solche Feststellungen zu treffen. Dies muss kein besonderer Anlass sein, etwa ein solcher, der zwingend den Verdacht einer Steuerverkürzung des Dritten erweckt. Es genügt vielmehr, dass die vom Prüfer einzusehenden Geschäftsunterlagen des Steuerpflichtigen Hinweise auf die Verhältnisse dritter Personen zu geben vermögen, die bei objektiver Betrachtung für deren Besteuerung von Bedeutung sein können (vgl. Senatsbeschluss vom 2. August 2001 VII B 290/99, BFHE 196, 4, 8 f., BStBl II 2001, 665, 667).

Wenn der VIII. Senat des BFH insoweit einen hinreichend begründeten Anlass für solche Feststellungen und die daraus zu ziehenden Folgerungen (z.B. Erstellen von Kontrollmitteilungen) verlangt (vgl. Urteil vom 18. Februar 1997 VIII R 33/95, BFHE 183, 45, 61, BStBl II 1997, 499, 506), so ist diese Einschränkung des § 194 Abs. 3 AO 1977 in erster Linie Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das für jegliches Tätigwerden der staatlichen Organe zunächst das Überschreiten einer Erheblichkeitsschwelle, mithin einen hinreichenden Anlass, voraussetzt (vgl. Senatsbeschluss in BFHE 196, 4, 9, BStBl II 2001, 665, 667).

Fehlt es an dieser konkreten Prüfungstätigkeit, die nach § 194 Abs. 3 AO 1977 den Anlass für die Feststellung der Verhältnisse Dritter bieten muss, handelt der Prüfer außerhalb der ihm durch den Prüfungsauftrag verliehenen Befugnisse. Eine solche unmittelbar und ausschließlich auf die steuerlichen Verhältnisse Dritter gerichtete Prüfungshandlung wird von § 194 Abs. 3 AO 1977 nicht gedeckt und ist daher rechtswidrig (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. März 2003 3 K 240/98, EFG 2003, 1140, 1141). Entsprechendes hat für ein Mitwirkungsverlangen zu gelten, mit dem derartige Ermittlungen durchgeführt werden sollen.

b) Im Streitfall wurde der Klägerin das Mitwirkungsverlangen bereits am Tag des Prüfungsbeginns bekannt gegeben, ohne dass die Prüferin überhaupt mit einer konkreten Prüfungstätigkeit begonnen hatte. In Ermangelung entsprechender Prüfungshandlungen konnte für die Prüferin kein durch die bisherigen Ergebnisse der Außenprüfung veranlasster Grund bestehen, die Verhältnisse der Kunden der Klägerin zu prüfen. Dies verdeutlicht, dass entgegen § 194 Abs. 3 AO 1977 nicht die im Rahmen der noch gar nicht begonnenen Außenprüfung zu treffenden Feststellungen Anlass für das Mitwirkungsverlangen waren, sondern im Gegenteil die Außenprüfung dazu genutzt werden sollte, um zielgerichtet steuerliche Verhältnisse Dritter festzustellen und so erst einen Anlass für Ermittlungshandlungen zu schaffen. Ein derartiges Mitwirkungsverlangen liegt jedoch außerhalb der durch einen Prüfungsauftrag verliehenen Befugnisse, der sich nur auf die Feststellung der steuerlichen Verhältnisse eines Kreditinstituts bezieht. Ob die Prüferin, ohne dadurch Rechte der Klägerin zu verletzen, zugleich Aufgaben der Finanzbehörde nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 und die der Finanzbehörde insoweit verliehenen Befugnisse hätte wahrnehmen können, ist nicht zu entscheiden; denn das Gericht kann die angefochtene Verfügung nicht aufgrund von Ermessensvorschriften aufrecht erhalten, auf die sie nicht gestützt ist.

Ende der Entscheidung

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