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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 08.08.2006
Aktenzeichen: VII R 29/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 92 Satz 2 Nr. 3
AO 1977 § 93
AO 1977 § 97
AO 1977 § 107
FGO § 76 Abs. 2
Ein (reines) Vorlageverlangen i.S. des § 97 AO 1977 liegt nur dann vor, wenn das FA die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt. Das setzt bei der Anforderung von Bankunterlagen voraus, dass das FA die Konten- und Depotnummern benennt oder vergleichbar konkrete Angaben zu sonstigen Bankverbindungen macht.
Gründe:

I.

Im März 2003 richtete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ein ausdrücklich als "Vorlageersuchen an Dritte nach § 97 der Abgabenordnung (AO)" bezeichnetes Schreiben an die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Bank. Da im Rahmen der Betriebsprüfung die Sachverhaltsaufklärung mit den Beteiligten nicht möglich sei, weil sie zu weiteren Auskünften und Vorlagen von Urkunden --abgesehen von einem Depotauszug zum 31. Dezember 2002 zum Depot Nr. ...-- nicht bereit seien, forderte das FA die Klägerin auf:

"1.) Ich bitte um Zusendung von Kopien der Depotauszüge zu den Stichtagen 31.12.1998, 31.12.1999 und 31.12.2000 aller bei der ... vorhandenen Wertpapierkonten.

2.) Ich bitte um Vorlage von Kopien der Auszüge sämtlicher bei der ... geführten Sparbücher zu den Stichtagen 31.12.1998, 31.12.1999 und 31.12.2000.

Das Vorlageersuchen erfolgt aufgrund § 97 der Abgabenordnung."

Mit Schreiben vom 11. April 2003 übersandte die Klägerin die geforderten Unterlagen und bat gleichzeitig um Erstattung der entstandenen Kosten in Höhe von 38,60 €.

Eine Kostenerstattung lehnte das FA ab.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage der Klägerin wies das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen mit der Begründung ab, der Bescheid sei als Vorlageersuchen nach § 97 der Abgabenordnung (AO 1977) bestandskräftig geworden und eine analoge Anwendung der Erstattungsregelung des § 107 Satz 1 AO 1977 scheide aus. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1159 veröffentlicht.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass sie das Ersuchen des FA als kombiniertes Auskunfts- und Vorlageverlangen i.S. der §§ 93 und 97 AO 1977 habe verstehen dürfen. Die darin geforderte Übersendung von Unterlagen habe im Dienste der Auskunftspflicht gestanden. Das ergebe sich daraus, dass ihre Tätigkeit weit über die bloße Lesbarmachung und Vorlage konkret benannter Unterlagen hinausgegangen sei. Sie habe Ermittlungen durchführen müssen, um dem Ersuchen pflichtgemäß zu entsprechen, denn zunächst habe festgestellt werden müssen, ob und ggf. für welche Zeiträume Depots und/oder Konten der Eheleute C überhaupt vorhanden gewesen seien. Der Hinweis des FG auf die zwischenzeitlich eingetretene Bestandskraft des Ersuchens vom März 2003 sei für das vorliegende Verfahren unbeachtlich, denn eine Bindungswirkung für die Frage des Kostenersatzes komme ihm nicht zu.

Das FA führt aus, das FG habe das Ersuchen vom März 2003 in revisionsrechtlich nicht angreifbarer Weise als Vorlageersuchen gemäß § 97 AO 1977 qualifiziert. Im Revisionsverfahren sei daher nur noch die Frage klärungsbedürftig und klärungsfähig, ob nach § 107 AO 1977 eine Kostenerstattung auch für Vorlageersuchen gewährt werden könne, denn das Ersuchen habe Tatbestandswirkung für die Frage, ob die Klägerin als Vorlageverpflichtete oder als Auskunftspflichtige herangezogen worden sei. Eine planwidrige Regelungslücke hinsichtlich der Erstattung der Kosten für Vorlageersuchen liege nicht vor, so dass auch für eine analoge Anwendung des § 107 AO 1977 kein Raum sei.

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Verpflichtung des FA, die geltend gemachten Kosten zu erstatten.

Die Klägerin hat einen Anspruch gemäß § 107 AO 1977 auf Entschädigung für die anlässlich des Heraussuchens und der Vorlage der vom FA mit Schreiben vom März 2003 angeforderten Unterlagen angefallenen Kosten, weil das FA die Klägerin mit dem besagten Schreiben entgegen der Auffassung des FG auch als Auskunftspflichtige herangezogen hat.

1. Nach § 107 AO 1977 erhalten Auskunftspflichtige und Sachverständige, die die Finanzbehörde als Dritte zu Beweiszwecken herangezogen hat, auf Antrag eine Entschädigung in entsprechender Anwendung des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (jetzt: Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz). Eine Entschädigung wird folglich nur Personen gewährt, die von der Finanzbehörde als Auskunftspflichtige (§ 93 AO 1977) oder Sachverständige (§ 96 AO 1977) herangezogen worden sind; die Gewährung einer Entschädigung für Personen, die ausschließlich als Vorlageverpflichtete (§ 97 AO 1977) herangezogen wurden, ist gesetzlich nicht vorgesehen.

2. Die Frage der Kostentragung hängt danach entscheidend von der Abgrenzung zwischen dem Beweis durch Auskünfte i.S. des § 93 AO 1977 und dem Beweis durch Vorlage von Urkunden i.S. des § 97 AO 1977 ab.

Ein "reines" Vorlageverlangen i.S. des § 97 AO 1977 liegt nur dann vor, wenn keinerlei eigenes Wissen des in Anspruch Genommenen --als Vorfrage der Vorlage von Urkunden-- abgefragt bzw. darauf (unausgesprochen) zurückgegriffen werden muss. Anders ausgedrückt darf die begehrte Urkundenvorlage auch nicht inzident einer Auskunft gleichkommen, wie sie in anderen Verfahren auch ein Zeuge bekundet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. März 1987 VII R 113/84, BFHE 149, 143, BStBl II 1988, 163).

Ein (reines) Vorlageverlangen i.S. des § 97 AO 1977 liegt nach Auffassung des Senats nur dann vor, wenn das FA die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt. Das setzt bei der Anforderung von Bankunterlagen voraus, dass das FA bereits weiß, welche Konten und Depots oder sonstigen Bankverbindungen der Steuerpflichtige bei dem in Anspruch genommenen Kreditinstitut unterhält. Nur bei Angabe der Konto- oder Depotnummer wird die ersuchte Bank ausschließlich durch Herausgabe der geforderten Urkunden tätig, nur dann nimmt das FA die Bank nur zur Führung eines Urkundsbeweises i.S. des § 92 Satz 2 Nr. 3 AO 1977 in Anspruch.

Überlässt das FA es dagegen dem in Anspruch Genommenen zu ermitteln, ob und ggf. welche Unterlagen vorhanden sind, die dem FA auf sein Ersuchen hin vorgelegt werden müssen, und gibt es dem Ersuchten auf, die erbetenen Unterlagen nach abstrakten Vorgaben zusammenzustellen, so liegt materiell ein kombiniertes Auskunfts- und Vorlageersuchen vor. In diesem Fall verlangt das FA nämlich von dem Verpflichteten nicht mehr nur mechanische Hilfstätigkeiten, sondern eine eigene intellektuelle Leistung, was typisch für eine Auskunftserteilung ist. So erhält die Vorlagepflicht den Charakter einer Hilfspflicht zur Auskunftspflicht mit der Folge, dass das Auskunftsersuchen die ihm nach § 97 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 grundsätzlich zukommende Priorität und der Ersuchte Anspruch auf Ersatz aller seiner mit dem Ersuchen zusammenhängenden Aufwendungen hat, d.h. auch jener, die ihm im Zusammenhang mit der Vorlage von Unterlagen entstanden sind. Denn es ist praktisch nicht möglich, zwischen Maßnahmen zu unterscheiden, die für die Auskunft erforderlich waren, und solchen, die allein durch die Vorlage von Unterlagen veranlasst waren (BFH-Urteil in BFHE 149, 143, BStBl II 1988, 163).

3. Die vorstehenden Erwägungen sind im vorliegenden Verfahren --entgegen der Auffassung des FG-- auch entscheidungserheblich. Es kann offenbleiben, ob das Schreiben des FA vom März 2003 als Verwaltungsakt zu werten und als solcher bestandskräftig geworden sein sollte. Denn diese Bestandskraft stünde --unabhängig von dem in dem Schreiben als Rechtsgrundlage genannten § 97 AO 1977-- einer Bewertung des Ersuchens als Auskunftsverlangen i.S. des § 93 AO 1977 nicht entgegen. In Bestandskraft erwächst der Verwaltungsakt mit seinem wirklichen --ggf. im gerichtlichen Verfahren durch Auslegung ermittelten-- Regelungsgehalt.

Bei der Beurteilung, welcher Natur das Ersuchen ist, welches das FA mit seinem Schreiben vom März 2003 an die Klägerin gerichtet hat, ist der Senat nicht an die Würdigung des FG, das das Schreiben als Vorlageersuchen angesehen hat, gebunden. Denn es geht nicht um die dem FG als Tatsacheninstanz vorbehaltene Feststellung und Würdigung, was das FA erklärt hat, was es erklären wollte oder wie die Klägerin das Erklärte verstehen durfte, sondern allein um die rechtliche Bewertung dieses Schreibens als Auskunfts- oder Vorlageersuchen, d.h. um die Subsumtion des Erklärten unter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 93 bzw. § 97 AO 1977 und damit um revisible Rechtsanwendung.

4. Das FG hat zu Unrecht geurteilt, dass die Klägerin mit dem Schreiben vom März 2003 ausschließlich als Vorlagepflichtige nach § 97 AO 1977 in Anspruch genommen worden sei und dass aufgrund der eingetretenen Bestandskraft eine Kostenerstattung nicht in Betracht komme. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Abgrenzungskriterien handelt es sich bei dem Schreiben um ein kombiniertes Auskunfts- und Vorlageverlangen, so dass die Klägerin für die zu seiner Erfüllung ergriffenen Maßnahmen eine Entschädigung nach § 107 AO 1977 verlangen kann.

Das mit dem Ersuchen des FA von der Klägerin abgeforderte Verhalten ging über die bloße Vorlage von Unterlagen hinaus. Dem FA war ersichtlich nicht bekannt, ob und ggf. welche Konten und Depots die Eheleute C in den betreffenden Jahren bei der Klägerin unterhielten. Jedenfalls forderte das FA von der Klägerin nicht die Vorlage im Einzelnen konkret benannter Unterlagen, sondern undifferenziert die Vorlage von Auszügen sämtlicher Konten und Depots der Eheleute C, ohne diese --was bei einem reinen Vorlageersuchen erforderlich gewesen wäre-- im Einzelnen durch die Angabe der jeweiligen Konto- und Depotnummern zu benennen. Die Klägerin musste deshalb für sich intern zunächst die in den betreffenden Jahren vorhandenen Konten und Depots der Eheleute C ermitteln, bevor sie die vom FA angeforderten Konto- und Depotauszüge heraussuchen und vorlegen konnte. Damit befragte das FA die Klägerin implizit zunächst --wie eine Zeugin-- darüber, ob und ggf. welche Geschäftsbeziehungen die Steuerpflichtigen zu den genannten Zeiten mit ihr unterhielten. Denn darüber hatten die Steuerpflichtigen in der Betriebsprüfung --wie in dem Ersuchen ausdrücklich mitgeteilt-- die Angaben verweigert. Erst nach Beantwortung dieser Frage konnte durch den jeweiligen Kontoauszug zu den bezeichneten Stichtagen Urkundsbeweis über die Salden geführt werden.

5. Den als Leistungsantrag formulierten Klageantrag deutet der Senat im Interesse der Klägerin (§ 76 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) als Verpflichtungsantrag (vgl. Klein/ Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 107 Rz. 4), dem unter Aufhebung der entgegenstehenden Vorentscheidungen stattzugeben ist.

Ende der Entscheidung

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