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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 19.12.2000
Aktenzeichen: VII R 30/99
Rechtsgebiete: UStG 1991, FGO, BFHEntlG


Vorschriften:

UStG 1991 § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1
UStG 1991 § 12 Abs. 1
FGO § 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3
BFHEntlG Art. 1 Nr. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Obschon die Bestätigung des Urteils der Vorinstanz durch den Senat nach Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG keiner Begründung bedarf, hält er es für angezeigt, die maßgeblichen Gründe offen zu legen und auf diese Weise die vom Finanzgericht (FG) gegebene Begründung zu vertiefen.

Das FG hat aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei entschieden, dass es sich bei dem PKW Mercedes-Benz 300 SL, Baujahr 1956, um kein einfuhrumsatzsteuerermäßigtes Sammlungsstück von geschichtlichem Wert der Pos. 9705 der Kombinierten Nomenklatur --KN-- (i.V.m. § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes --UStG 1991-- sowie der Anlage hierzu Nr. 54 Buchst. b) handelt, sondern um einen dem normalen Steuersatz (§ 12 Abs. 1 UStG 1991) und einem Zollsatz von 10 % unterliegenden PKW der Unterpos. 8703 23 00 KN. Es hat zu Recht den angefochtenen Steueränderungsbescheid des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--) bestätigt, weil dem Fahrzeug der geschichtliche Wert fehlt, den ein Sammlungsstück für die Einreihung in die Pos. 9705 KN aufweisen muss.

a) Der geschichtliche Wert einer eingeführten Ware ist nur dann gegeben, wenn diese einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentiert oder einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulicht. Der Geschichtsbegriff umfasst die gesamte Entwicklung der Menschheit in allen Bereichen einschließlich derjenigen auf dem Gebiet der Technik (vgl. Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 10. Oktober 1985 Rs. 252/84 --Collector Guns--, EuGHE 1985, 3387). Bei der Beurteilung, ob einer Ware ein geschichtlicher Wert zukommt, ist den Besonderheiten des jeweiligen Bereiches Rechnung zu tragen. So ist z.B. im Automobilbau zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Kfz um einen Gegenstand handelt, der grundsätzlich zum Zwecke des Gebrauchs und nicht als Erinnerungsstück entsprechend den technischen Möglichkeiten seiner Zeit gebaut wird.

Nach der vom FG in diesem Verfahren eingeholten Vorabentscheidung, an die der Senat gebunden ist, steht fest, dass der EuGH die Auffassung der Kommission (vgl. die 1998 eingefügten Erläuterungen 9705/2 KN Rz. 01.0) zur Auslegung des Begriffs "geschichtlicher oder völkerkundlicher Wert" i.S. der Pos. 9705 KN weitgehend teilt. Danach muss ein Fahrzeug im Wesentlichen unverändert sein, sich also nahezu im Originalzustand befinden, damit es den Stand der technischen Entwicklung seiner Zeit wiedergeben kann. Hinzu kommen muss außerdem, dass das betreffende Fahrzeug nicht mehr gebaut wird, da es ansonsten aufgrund seiner Gebrauchsfunktion keinen Bezug zu einer vergangenen Epoche aufweisen kann. Auch das Alter eines Fahrzeugs --nach den Erläuterungen der Kommission muss ein Fahrzeug 30 Jahre oder älter sein-- sei ein brauchbares Kriterium, wenngleich dies der EuGH nur für bedingt geeignet hält, weil nicht auszuschließen sei, dass ein jüngeres Fahrzeug Eigenschaften aufweisen könne, die ihm geschichtlichen Wert verleihen könnten (EuGH-Urteil vom 3. Dezember 1998 Rs. C-259/97, EuGHE 1998, I-8127, Rdnr. 21).

Der EuGH hat in seiner Entscheidung weiterhin ausdrücklich betont, dass die Erfüllung der drei genannten Kriterien nicht in jedem Fall für eine Einreihung in die Pos. 9705 KN ausreiche. Die Kriterien sollen vielmehr nur eine Vermutung für das Vorliegen eines geschichtlichen Wertes darstellen, die durch den Nachweis der zuständigen Behörde widerlegt werde, dass das Fahrzeug keine mit einem vergangenen Zeitabschnitt zusammenhängenden Besonderheiten aufweist, so dass es keinen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentieren oder keinen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulichen kann (EuGH-Urteil in EuGHE 1998, I-8127, Rdnr. 24).

b) Ausgehend von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung des EuGH ist das FG rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass die drei oben genannten Kriterien, die einen geschichtlichen Wert vermuten lassen und als praktische Hinweise dienen können, im Streitfall nicht ausreichen, um das Fahrzeug in die Pos. 9705 KN einreihen zu können. Das Fahrzeug verkörpert danach, obwohl es über 30 Jahre alt ist, sich noch im Originalzustand befindet und auch nicht mehr gebaut wird, nicht exemplarisch einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der Technik des Automobilbaus.

Das Urteil der Vorinstanz beruht auf der Erwägung, dass das Fahrzeug weder in technischer noch in stilistischer Hinsicht Besonderheiten aufweist. Insbesondere der vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) nicht weiter substantiierte Hinweis auf das besondere Design, sofern dieses überhaupt "epochemachend" sein könne, verkörpere keinen exemplarischen Entwicklungsstand im Sportwagenbau. Hierdurch sei ersichtlich weder die künftige Entwicklung des Sportwagenbaus geprägt worden, noch veranschauliche das Design den Sportwagenbau der fünfziger Jahre in exemplarischer Weise. Dies gelte auch für die Flügeltüren, die wegen fehlender praktischer Bewährung so gut wie keinen Eingang in den Automobilbau gefunden hätten.

Soweit die Revision hiergegen einwendet, der EuGH habe der Zollbehörde und nicht dem Kläger die Nachweispflicht für das Fehlen der den geschichtlichen Wert begründenden Eigenschaften auferlegt, geht dies ins Leere, weil sich aus der Vorentscheidung nichts anderes ergibt. Das FG hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es im Streitfall nicht darauf ankomme, wen die Nachweispflicht treffe, weil nach dem Vortrag der Beteiligten der Nachweis erbracht sei, dass Eigenschaften, die den geschichtlichen Wert begründen könnten, tatsächlich nicht vorhanden seien. Der Senat teilt die Auffassung des FG, dass die Rechtsprechung des EuGH zum geschichtlichen Wert einer Ware nicht so verstanden werden kann, dass der Einführer vollständig von seinen prozessualen Mitwirkungspflichten (wie etwa § 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung) entbunden werden sollte. Trägt die Behörde Tatsachen vor, die unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Fahrzeugs gegen einen geschichtlichen Wert des Fahrzeugs sprechen, ist es Sache des Einführers, diesen Vortrag substantiiert zu bestreiten. Andernfalls besteht für das Gericht kein Anlass, weitere Ermittlungen anzustellen. Der Kläger hat es vorliegend versäumt, sich mit dem Vortrag der Zollbehörde auseinander zu setzen, die in dem Vorhandensein von Flügeltüren und dem Design des Fahrzeugs lediglich technische oder stilistische Varianten sieht, aber keine Verkörperung charakteristischer Schritte in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften. Da der Kläger weitere Besonderheiten des Fahrzeugs nicht anführen konnte und solche auch nicht ersichtlich sind, bestand für das FG auch kein Anlass, einen Sachverständigen hinzuzuziehen.

Eine weitere Vorlage an den EuGH ist nicht veranlasst. Die Auslegung der Pos. 9705 KN im Lichte der maßgebenden Rechtsprechung des EuGH ist zweifelsfrei; sie erfordert keine Vorabentscheidung (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430 f.). Die Anwendung der Tarifierungskriterien im Streitfall ist unter Berücksichtigung der hier vorliegenden tatsächlichen Besonderheiten erfolgt.



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