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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.07.2000
Aktenzeichen: VII R 33/99
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 25 Abs. 3 Satz 2
EStG § 36 Abs. 2 Satz 2
EStG § 36 Abs. 4
AO 1977 § 118
AO 1977 § 130
AO 1977 § 220
AO 1977 § 228
AO 1977 § 229
AO 1977 § 254 Abs. 1
AO 1977 § 270
AO 1977 § 273
AO 1977 § 276 Abs. 3
AO 1977 § 276 Abs. 6
BUNDESFINANZHOF

Festgesetzte Einkommensteuer wird nur in dem Umfang fällig, in dem in der Anrechnungsverfügung eine Abschlusszahlung ausgewiesen wird.

EStG § 25 Abs. 3 Satz 2, § 36 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 AO 1977 §§ 118, 130, 220, 228, 229, 254 Abs. 1, §§ 270, 273, 276 Abs. 3 und 6

Urteil vom 18. Juli 2000 - VII R 32, 33/99 -

Vorinstanz: FG Düsseldorf


Gründe

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist in den Streitjahren (1985 bis 1991) mit dem Beigeladenen zur Einkommensteuer zusammen veranlagt worden. Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) rechnete dabei in der Anrechnungsverfügung Lohn- und Kirchensteuer an, deren Einbehaltung und Abführung dem Beigeladenen auf den von ihm vorgelegten Lohnsteuerkarten bescheinigt worden war; tatsächlich hatte der Beigeladene jedoch die erklärten Nettoeinkünfte durch selbständige Arbeit erzielt und die Einträge in der Lohnsteuerkarte selbst in der Absicht vorgenommen, das FA damit zu täuschen.

Nachdem der Beigeladene dies angezeigt hatte, änderte das FA 1994 die Anrechnungsverfügung und das Leistungsgebot im Einkommensteuerbescheid 1985 und forderte die Klägerin und den Beigeladenen auf, rd. ... DM Steuern nachzuzahlen. Auf die dagegen erhobene Beschwerde stellte das FA durch Abrechnungsbescheid die verbleibende Steuerschuld 1985 gegenüber der Klägerin mit rd. ... DM fest. Ferner hat das FA auf Antrag der Klägerin Aufteilungsbescheide für die Streitjahre erlassen, in denen es zu einem etwa hälftigen Anteil der Klägerin an der Einkommensteuer gelangte, wobei die vorgetäuschten Lohnsteuerzahlungen auf diese Entscheidung ohne Einfluss blieben.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage der Klägerin hielt das Finanzgericht (FG) hinsichtlich des Abrechnungsbescheides und der Aufteilungsbescheide 1985 und 1986 für begründet. In seinem Urteil führt es dazu im Wesentlichen aus, der Zahlungsanspruch des FA wegen Einkommensteuer 1985 sei verjährt. Die Verjährungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 1987, in dem der Einkommensteuerbescheid 1985 erlassen und fällig gestellt worden sei, begonnen und folglich 1992 geendet. Dass wegen des jetzt geforderten Betrages kein Leistungsgebot erlassen worden sei, hindere den Anlauf der Verjährungsfrist nicht. Die Frist sei auch nicht unterbrochen worden. Dementsprechend sei der Aufteilungsbescheid 1985 aufzuheben, weil die angeblich rückständige Steuer zum Zeitpunkt der Aufteilung (1994) infolge Verjährung erloschen gewesen sei. Das Gleiche gelte hinsichtlich der 1988 festgesetzten Einkommensteuer 1986.

Hinsichtlich der auf § 270 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Aufteilungsbescheide zur Einkommensteuer 1987 bis 1991 sei die Klage hingegen unbegründet, die Aufteilung vielmehr vom FA zutreffend vorgenommen worden.

Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin (VII R 33/99) als auch das FA (VII R 32/99) Revision eingelegt.

Die Klägerin begründet ihre Revision damit, dass es sie gegenüber einem nicht zusammen veranlagten Steuerpflichtigen unbillig benachteilige, wenn bei der Frage der Erfüllung der Steuerschuld auf die festgesetzte Steuer und nicht auf das Leistungsgebot abgestellt werde. Nur eine Nichterfüllung des Leistungsgebots wäre ihr vorwerfbar. § 273 Abs. 1 AO 1977 müsse analog angewendet werden, weil er eine planwidrige Regelungslücke aufweise. Im Falle einer Steuerhinterziehung durch einen Ehegatten sei diese Vorschrift regelmäßig anwendbar, da in diesem Fall die Steuer nach § 173 Abs. 1 AO 1977 neu festgesetzt werde. Bei der Aufteilung der Nachforderung führe dies zu einer Entlastung des Ehegatten, der keine Steuerhinterziehung begangen habe. Im Streitfall sei die Hinterziehung durch das Erschleichen von Lohnsteuerabzugsbeträgen erfolgt und eine Änderung des Steuerbescheides deshalb nicht vorgenommen worden, weil der Beigeladene ein höheres Einkommen angegeben habe als er tatsächlich erzielt hatte. Diesen Fall der Steuerhinterziehung habe der Gesetzgeber nicht bedacht.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG betreffend die Aufteilungsbescheide zur Einkommensteuer 1987 bis 1991 aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Antrag auf Aufteilung unter Berücksichtigung des Aufteilungsmaßstabes des § 273 AO 1977 erneut zu bescheiden.

Das FA begründet seine Revision damit, dass das FG § 229 Abs. 1 AO 1977 falsch ausgelegt habe. Es sei nicht auf die erstmalige Fälligkeit aufgrund der Bescheide von 1987 bzw. 1988, sondern auf die Änderungsbescheide von 1994 abzustellen. Der Gegenstand der Zahlungsverjährung sei der jeweilige Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, hier die Abschlusszahlung nach § 36 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die 1994 geänderten Abrechnungsverfügungen hätten zu neuen Ansprüchen geführt, deren Zahlungsverjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres 1994 begonnen habe.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG betreffend den Abrechnungsbescheid zur Einkommensteuer 1985 sowie der Aufteilungsbescheide zur Einkommensteuer 1985 und 1986 die Klage auch insoweit abzuweisen.

Ferner beantragt das FA, die Revision der Klägerin zurückzuweisen. Die Klägerin hat sich zu der Revision des FA nicht geäußert.

Der Beigeladene hat zu den Revisionen nicht Stellung genommen und keine Anträge gestellt.

1. Die Revision des FA ist zulässig und begründet. Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Zahlungsansprüche des FA aus der Einkommensteuerfestsetzung 1985 und 1986 gemäß § 228 AO 1977 verjährt sind.

Nach § 228 Satz 1 AO 1977 unterliegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis einer besonderen Zahlungsverjährung. Das FA berühmt sich in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid eines solchen Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 228 Satz 1 AO 1977, nämlich eines (Einkommen- und Kirchen-) Steueranspruches (§ 37 Abs. 1 AO 1977). Die Verjährung seines Anspruchs hat mit dem Ablauf des Jahres begonnen, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, und beträgt fünf Jahre (§ 229 Abs. 1 Satz 1, § 228 Satz 2 AO 1977). Wann der Anspruch des FA fällig geworden ist, beantwortet § 220 AO 1977. Sein Absatz 1 verweist insoweit vorrangig auf die Regelungen der einzelnen Steuergesetze. Wo es an solchen speziellen Regelungen fehlt, richtet sich das Fälligwerden nach § 220 Abs. 2 AO 1977; danach werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis mit ihrer Entstehung fällig, sofern sie sich aus einer Festsetzung ergeben, jedoch nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung.

a) Da die Einkommensteuer 1985 mit Ablauf dieses Jahres entstanden und im Jahre 1987 festgesetzt worden ist, wäre der Anspruch, als er 1994 geltend gemacht wurde, (zahlungs-)verjährt, wenn § 220 Abs. 2 AO 1977 eingriffe. Für die Einkommensteuer 1986 gilt Entsprechendes.

Das FA meint allerdings sinngemäß, nicht die mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums (§ 36 Abs. 1 EStG), also des Kalenderjahres (§ 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG), entstandenen und in den betreffenden Einkommensteuerbescheiden festgesetzten (vgl. § 2 Abs. 7 Satz 2 EStG) Ansprüche auf Einkommensteuer bzw. Kirchensteuer als solche seien die für die Anwendung des § 228 AO 1977 maßgeblichen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sondern es komme insofern auf den nachträglich angeforderten und in dem Änderungsbescheid von 1994 als Abschlusszahlung ausgewiesenen Steuerbetrag an. Dieser sei überhaupt erst 1994 festgestellt und (erstmals) fällig geworden.

Die Verfügungen des FA über die Abrechnung bzw. Anrechnung von entrichteten Vorauszahlungen oder einbehaltenen Steuerabzugsbeträgen (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 EStG) und ggf. die Feststellung einer Abschlusszahlung erfolgen indes im Steuererhebungsverfahren, wie sich aus den § 36 EStG voranstehenden Gliederungsüberschriften ("VI. Steuererhebung"; "1. Erhebung der Einkommensteuer") unzweideutig ergibt. Sie sind deshalb in ihrer rechtlichen Beurteilung von einer Steuerfestsetzung zu trennen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405; vom 11. November 1966 VI R 68/66, BFHE 87, 514, BStBl III 1967, 214; vom 24. Juni 1977 VI R 175/74, BFHE 122, 510, BStBl II 1977, 805, und vom 14. November 1984 I R 232/80, BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216). Ihre rechtliche Bedeutung besteht zwar nicht lediglich in einer formlosen Kassenmitteilung ohne irgendeine bestandskraftfähige Regelung und ohne dass durch sie irgendein Vertrauensschutz für den Steuerpflichtigen ausgelöst werden könnte. Die Steueranrechnung (-abrechnung) stellt vielmehr einen von der Steuerfestsetzung gesonderten Verwaltungsakt dar, der allerdings nicht rechtsbegründend (konstitutiv) wirkt, da er keine Rechte und Pflichten zur Entstehung bringt, die der Steuerpflichtige nicht auch ohne ihn hätte (vgl. schon BFH-Urteile in BFHE 87, 514, BStBl III 1967, 214, und in BFHE 122, 510, BStBl II 1977, 805). Die Anrechnungsverfügung und die Feststellung einer Abschlusszahlung ist ein deklaratorischer (bestätigender) Verwaltungsakt, dessen Außenwirkung (§ 118 AO 1977) sich je nach dem Ergebnis der Anrechnung in einem Leistungsgebot oder in einer Erstattungsverfügung äußert (Senatsurteil in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405).

Eine Anrechnungsverfügung i.S. des § 36 Abs. 4 EStG begründet mit anderen Worten keinen (neuen) Steueranspruch, sondern zieht lediglich --allerdings hoheitlich-verbindlich-- die rechnerische Folge aus der Gegenüberstellung der festgesetzten Einkommensteuer und der auf sie im Erhebungsverfahren anzurechnenden Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträge. Eine Anrechnungsverfügung wirkt nicht schuldumschaffend oder -erneuernd, sondern lediglich schuldbestätigend (mit der Maßgabe der Berücksichtigung durch die vorgenannten Beträge bereits getilgter Teile des Steueranspruchs). Dass die Feststellung einer Abschlusszahlung in einer Anrechnungsverfügung einen "neuen" Anspruch begründe, wie das FA meint, ist deshalb nicht richtig.

b) Unrichtig ist aber ebenfalls die Annahme des FG, der Einkommensteueranspruch des FA sei ungeachtet der zunächst unterbliebenen Feststellung einer Abschlusszahlung durch Bekanntgabe der Steuerfestsetzung fällig gestellt worden.

Die Fälligkeit von Steuern richtet sich, wie erwähnt, vorrangig nach den Vorschriften der einzelnen Steuergesetze (§ 220 Abs. 1 AO 1977). Deshalb hängt die hier zu entscheidende Frage, ob der strittige, für 1985 und 1986 mehr als fünf Jahre nach Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide eingeforderte Einkommensteueranspruch des FA (zahlungs-)verjährt ist, entscheidend davon ab, ob das EStG eine von § 220 Abs. 2 AO 1977 abweichende Fälligkeitsbestimmung enthält, die 1987 bzw. 1988 festgesetzte Einkommensteuer 1985 und 1986 also mit Erlass der betreffenden Einkommensteuer(festsetzungs)bescheide möglicherweise noch nicht fällig geworden ist.

Das EStG trifft keine, zumindest keine ausdrückliche Bestimmung, die sich auf die festgesetzte Einkommensteuer als solche bezieht; es enthält erst recht keine Vorschrift, dass festgesetzte Einkommensteuer mit Bekanntgabe der Festsetzung fällig wird. Das EStG spricht jedoch die Frage der Fälligkeit in § 36 Abs. 4 EStG an, wonach ein sich nach der Abrechnung (§ 36 Abs. 2 Satz 2 EStG) ergebender Überschuss zuungunsten des Steuerpflichtigen (sog. Abschlusszahlung) sofort bzw. einen Monat nach Bekanntgabe des Steuer(festsetzungs)bescheides fällig wird; von einem sich nach der Abrechnung ergebenden Überschuss zugunsten des Steuerpflichtigen heißt es, er werde nach der Bekanntgabe des Steuerbescheides ausgezahlt (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG), womit gemeint ist, er werde sofort mit der Bekanntgabe fällig (Urteil des erkennenden Senats vom 6. Februar 1990 VII R 86/88, BFHE 160, 108, BStBl II 1990, 523; Brenner in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 36 Rdnr. G 56).

Im Rahmen der mit dem Einkommensteuerbescheid von 1987 verbundenen Abrechnung gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 EStG hatte sich im Falle der Klägerin, wie dem Zusammenhang des Urteils des FG entnommen werden kann, entweder keine Abschlusszahlung ergeben (wie die Revision vorträgt) oder jedenfalls keine Abschlusszahlung, bei deren Berechnung der jetzt angeforderte Einkommensteuerbetrag eingestellt worden ist (er war seinerzeit vielmehr gegen die vermeintlichen Lohnsteuerzahlungen verrechnet worden). Eine Abschlusszahlung ergab sich insoweit erst aus der berichtigten Anrechnungsverfügung von 1994.

Zahlungsverjährung des festgesetzten, zunächst verrechneten Einkommensteueranspruches ist deshalb nicht eingetreten. Vielmehr hat insoweit erst die Feststellung der strittigen Abschlusszahlung in der geänderten Anrechnungsverfügung des FA die Fälligkeit der festgesetzten Einkommensteuerschuld ausgelöst, und zwar unbeschadet dessen, dass die Fälligkeit einer Steuerforderung allerdings sonst nicht von einem Leistungsgebot (§ 254 Abs. 1 Satz 1 AO 1977; s. hierzu Senatsbeschluss vom 16. März 1995 VII S 39/92, BFH/NV 1995, 950) abhängig ist, dessen unselbständiger Bestandteil die Steuerabrechnung ist (BFH-Beschluss vom 23. Juni 1993 X B 134/91, BFHE 172, 9, BStBl II 1994, 38), in welchem sich aber die Rechtswirkung einer Anrechnungsverfügung nicht erschöpft. Denn es ergibt sich aus § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG, dass der festgesetzte Einkommensteueranspruch als solcher dann erstmalig fällig wird, wenn das FA die festgesetzte Steuer in einer diesbezüglichen Anrechnungsverfügung nach § 36 Abs. 4 EStG als Abschlusszahlung anfordert.

Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

§ 36 Abs. 4 EStG verlangt, dass das FA in einem besonderen Verwaltungsakt die Abschlusszahlung auf der Grundlage der festgesetzten Steuer und der in § 36 Abs. 2 Satz 2 EStG genannten Beträge feststellt, welche --anders als bei einer Aufrechnung, die vorzunehmen im Ermessen des FA steht (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Juni 1982 VIII B 138/81, BFHE 136, 186, BStBl II 1982, 657)-- zwingend gegen die festgesetzte Steuer zu verrechnen sind. Diese Zahlung ist nach der Vorschrift einen Monat nach der Bekanntgabe des --mit der Abrechnung im Allgemeinen verbundenen und vom Gesetz begrifflich nicht klar unterschiedenen (vgl. Brenner, a.a.O., § 36 Rdnr. G 11)-- Festsetzungsbescheides zu entrichten, wird also nach Ablauf dieser Frist fällig. Sofern der festgesetzte Steuerbetrag bereits fällig gewordenen, nicht entrichteten Vorauszahlungen entspricht --deren Anforderung der Jahressteuerbescheid in seinen Regelungsgehalt mit aufnimmt (vgl. BFH-Entscheidungen vom 4. Juni 1981 VIII B 31/80, BFHE 133, 267, BStBl II 1981, 767, und zuletzt vom 15. Juni 1999 VII R 3/97, BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46, m.w.N.)--, wird die Abschlusszahlung sofort fällig. Fällig wird also nur der in der Anrechnungsverfügung als besonderem Verwaltungsakt ausgewiesene --von der festgesetzten Einkommensteuer regelmäßig abweichende-- Betrag von Einkommensteuer; nur er steht zur Zahlung an (vgl. auch Ruban in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 228 AO 1977 Rdnr. 5 f.). Im Übrigen, d.h. wenn und soweit die festgesetzte Einkommensteuer in der Anrechnungsverfügung --zu Recht oder zu Unrecht-- verrechnet wird, steht aufgrund der Feststellungswirkung der Anrechnungsverfügung fest, dass eine Einkommensteuerschuld nicht (mehr) besteht, solange die Anrechnungsverfügung Bestand hat. Eine solche Schuld kann auch nicht fällig sein.

Die Vorschrift des § 36 Abs. 4 EStG trifft mithin eine umfassende und abschließende Fälligkeitsanordnung für den Einkommensteueranspruch. Deren Bezugspunkt ist vordergründig zwar nur die in der Anrechnungsverfügung festgestellte ("sich ergebende") Abschlusszahlung bzw. die Erstattung, d.h. der Saldo von festgesetzter Einkommensteuer und anzurechnenden Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen; im Ergebnis wird aber damit, die allgemeinen Regeln des § 220 Abs. 2 AO 1977 verdrängend, die Fälligkeit des Einkommensteueranspruchs selbst bestimmt (§ 220 Abs. 1 AO 1977), der, wie dargelegt, in der Anrechnungsverfügung lediglich bestätigt, nicht etwa durch einen andersartigen Anspruch ersetzt wird.

Eine andere Auslegung des § 36 Abs. 4 EStG dahin, dass lediglich die Fälligkeit der in der Anrechnungsverfügung als Zahllast ausgewiesenen Einkommensteuerschuld abweichend von § 220 Abs. 2 AO 1977 um einen Monat nach der Abrechnung hinausgeschoben werden soll (sofern der festgesetzte Steuerbetrag nicht den bereits fällig gewordenen, nicht entrichteten Vorauszahlungen entspricht), im Übrigen aber die Fälligkeit der festgesetzten Einkommensteuer unberührt bleibt, Einkommensteuer also mit Bekanntgabe des Festsetzungsbescheides fällig wird, würde die wenig verständliche Folge haben, dass der Steuerpflichtige bei Verbindung der Steuerfestsetzung mit der gesetzlich vorgeschriebenen Abrechnung, was die Fälligkeit seiner Steuerschuld angeht, besser stünde (Hinausschieben der Fälligkeit um einen Monat) als bei isolierter Festsetzung der Einkommensteuer (Fälligkeit mit Bekanntgabe des Festsetzungsbescheides gemäß § 220 Abs. 2 AO 1977). Er müsste vor allem, was vollends gemessen an der der Anrechnungsverfügung vom Gesetz zugedachten Bedeutung sinnwidrig wäre, für nicht in der Anrechnungsverfügung ausgewiesene Steuerschulden nach § 240 AO 1977 Säumniszuschläge zahlen, wenn er jene nicht ungeachtet der Anrechnungsverfügung begleicht, die ihm dies indes gerade nicht abverlangt. Dem Sinn der Abrechnung, der darin besteht, dem Steuerpflichtigen die ggf. von ihm zu befriedigende Zahllast zu verdeutlichen und ihm in einem bestandskraftfähigen Verwaltungsakt verlässlich Gewissheit über seine für ihn anderweit nicht ohne weiteres erkennbaren fälligen Steuerschulden zu verschaffen, widerspricht es überdies offenkundig, den Steuerpflichtigen allein aufgrund der Einkommensteuerfestsetzung vor Ergehen einer Abrechnung oder ungeachtet des (unter Umständen unzutreffenden) Inhalts der Anrechungsverfügung zur Zahlung für verpflichtet zu halten.

Der Senat verkennt nicht, dass dieses Auslegungsergebnis zur Folge hat, dass die Änderung (Berichtigung) einer Anrechnungsverfügung --abgesehen von der in § 130 Abs. 3 AO 1977 vorgesehenen Frist, die jedoch eine völlig andere Bedeutung hat als die Verjährungsfristen-- ohne Bindung an eine ("Verjährungs"-) Frist möglich ist; denn die in § 169 AO 1977 vorgeschriebenen Fristen gelten insofern nicht. Dieses Ergebnis ist indes dadurch zu rechtfertigen, dass die Änderung einer Anrechnungsverfügung zwar nicht an eine Frist, wohl aber nach der Rechtsprechung des Senats an die strengen Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO 1977 gebunden ist (Senatsurteil vom 15. April 1997 VII R 100/96, BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787, m.w.N.), die der Schutzbedürftigkeit des Steuerpflichtigen und einem etwaigen Vertrauen in die Richtigkeit der Anrechnungsverfügung die vom Gesetzgeber für geboten erachtete Rechnung tragen. Dass das Gesetz darüber hinausgehend den Zweck zu Tage treten ließe, nach Ablauf des fünften Jahres nach Bekanntgabe eines Steuerbescheides auch hinsichtlich des Steuererhebungsverfahrens schlechthin und umfassend "Rechtsfrieden" einkehren zu lassen, wie offenbar das FG sinngemäß annehmen will, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Soweit der Senat in seinem Urteil in BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405 beiläufig davon gesprochen hat, Fehler in einer Steuerabrechnung, die sich zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken, könnten gemäß § 130 Abs. 1 AO 1977 "innerhalb der Zahlungsverjährung" zurückgenommen werden, und damit hat zum Ausdruck bringen wollen, eine Änderung der Anrechnungsverfügung nach § 130 AO 1977 könne nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Ergehen der Einkommensteuerbescheide vorgenommen werden (so offenbar, jedoch ohne nähere Begründung Tischer in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 36 EStG Rdnr. 81; Scholtz in Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 36 Rdnr. 181 q; Seemann in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 36 Rdnr. 27; unklar Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 157 AO 1977 Tz. 9), könnte er daran infolge der in § 36 Abs. 4 EStG getroffenen Fälligkeitsregelung für die Einkommensteuer nicht festhalten.

Die Sache ist hinsichtlich des Abrechnungsbescheides und der Aufteilungsbescheide 1985 und 1986 spruchreif (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Die Klage ist insofern abzuweisen. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Was die Aufteilungsbescheide angeht, ergibt sich dies aus den nachfolgenden Darlegungen. Dass hinsichtlich des Abrechnungsbescheides, der faktisch an die Stelle der Anrechnungsverfügung des Einkommensteuerbescheides 1985 tritt und deshalb von ihr nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 abweichen darf (Senatsurteil in BFHE 182, 506, BStBl II 1997, 787), jene Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind, ist offenkundig; denn nach dieser Vorschrift ist die Rücknahme einer Anrechungsverfügung nicht davon abhängig, dass der durch sie begünstigte Steuerpflichtige die Verfügung dadurch erwirkt hat, dass er selbst das FA arglistig getäuscht hat; eine Täuschung durch Dritte reicht jedenfalls dann aus, wenn der Steuerpflichtige sich deren Tun zurechnen lassen muss (Senatsurteil vom 23. Juli 1998 VII R 141/97, BFH/NV 1999, 433). So ist es bei Ehegatten, wenn sie Zusammenveranlagung gewählt haben und deshalb nach § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG gemeinsam eine Einkommensteuererklärung abgeben mussten (vgl. BFH-Urteile vom 9. April 1987 IV R 192/85, BFHE 149, 418, BStBl II 1987, 540, und vom 24. Juli 1996 I R 62/95, BFHE 181, 252, BStBl II 1997, 115).

2. Die mit der Revision des FA zu verbindende (§ 73 Abs. 1 FGO) Revision der Klägerin bleibt ohne Erfolg.

a) Die Revision der Klägerin, die der Zulassung bedurfte (Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs), ist zwar zulässig, weil das FG in dem Entscheidungsausspruch seines Urteils die Revision zugelassen hat. Der in der Entscheidung hierfür sinngemäß angeführte Grund --Problem der Übertragbarkeit des Urteils des Senats vom 30. April 1996 VII R 122/94 (BFH/NV 1996, 866) auf den hier gegebenen Fall dahin, dass für 1985 und 1986 Zahlungsverjährung eingetreten ist-- ist zwar für die Entscheidung des FG, soweit in ihr die Klage abgewiesen worden ist, mithin für die Revision der Klägerin ohne Bedeutung. Zahlungsverjährung hat das FG nur hinsichtlich des Abrechnungsbescheides 1985 und der Aufteilungsbescheide 1985 und 1986 angenommen, mithin verfahrensrechtlich trennbare Teile der Klage. Auch wenn indes eine Klage mehrere selbständige Streitgegenstände umfasst, ist eine von dem FG ausgesprochene Revisionszulassung nur dann auf einzelne von ihnen beschränkt, wenn eine solche Beschränkung in der Entscheidung ausdrücklich und eindeutig ausgesprochen wird (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 X R 83/88, BFH/NV 1990, 548; BFH-Beschluss vom 4. Oktober 1994 I B 56/94, BFH/NV 1995, 687). Aus einem in den Entscheidungsgründen genannten Zulassungsgrund ergibt sich eine solche ausdrückliche und eindeutige Beschränkung der Revisionszulassung auf einzelne Streitgegenstände in der Regel nicht (BFH-Beschluss vom 15. November 1997 IX B 73/97, BFH/NV 1998, 607). Folglich ist im Streitfall von einer unbeschränkten Revisionszulassung auszugehen.

b) Die Revision der Klägerin ist jedoch unbegründet. Das FG hat zu Recht die Aufteilung der Einkommensteuerschulden 1987 bis 1991 für zutreffend und insbesondere § 273 Abs. 1 AO 1977 nicht für anwendbar gehalten.

Nach dieser Vorschrift, auf welche die Klägerin ihre Revision stützt, ist eine aus einer Nachforderung herrührende Steuer im Verhältnis der Mehrbeträge aufzuteilen, die sich bei einem Vergleich der berichtigten getrennten Veranlagungen mit den früheren getrennten Veranlagungen ergeben. Die hier aufzuteilende Steuer rührt indes nicht, wie die Vorschrift eindeutig und klar voraussetzt, aus einer geänderten Veranlagung, sondern aus einer Änderung der Anrechnungsverfügungen her. Überdies ist die festgesetzte Steuer auch nicht getilgt (§ 273 Abs. 2 AO 1977), so dass der eben genannte Aufteilungsmaßstab auch aus diesem Grunde nicht anwendbar wäre, wie das FG zutreffend ausgeführt hat und die Revision insoweit auch nicht in Abrede stellt.

Der Auffassung der Klägerin, die Vorschrift enthalte eine Regelungslücke und sei deshalb entsprechend auf den Fall anzuwenden, dass nicht die Änderung der Veranlagung, sondern die Änderung einer Anrechnungsverfügung zu einer Erhöhung der Abschlusszahlung und des insofern in der Anrechnungsverfügung enthaltenen Leistungsgebots führt, ist nicht zu folgen. Die durch die Aufteilungsvorschriften, auch bei Anwendung des allgemeinen Aufteilungsmaßstabes des § 270 AO 1977, bewirkten und bezweckten Vollstreckungsbeschränkungen dienen zwar dem Ziel, auch bei zusammen veranlagten Eheleuten das Prinzip einer gleichmäßigen (leistungsfähigkeitsgerechten) Individualbesteuerung zu verwirklichen (vgl. Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, a.a.O., Vor § 268 AO 1977 Rdnr. 1 ff.). Den Maßstab für die Aufteilung von Einkommensteuerschulden gewinnen sie indes --im Falle des § 270 AO 1977 ebenso wie in dem des § 273 AO 1977-- aus einer fiktiven getrennten Veranlagung der Eheleute. Für die Aufteilung ist hingegen ohne Bedeutung, von wem und auf wessen Rechnung unter Umständen bereits Tilgungsleistungen auf die Einkommensteuer(gesamt)schuld erbracht worden sind, was das FA im Allgemeinen auch nicht zuverlässig oder allenfalls durch ein unangemessenes Eindringen in den privaten Bereich der Eheleute ermitteln könnte. § 276 Abs. 3 und 6 AO 1977 berücksichtigt allerdings, weil die Dinge insofern anders liegen, Steuerabzugsbeträge und getrennt festgesetzte Vorauszahlungen zugunsten des Gesamtschuldners, der sie geleistet hat bzw. für den sie geleistet worden sind; solche Leistungen sind jedoch nach den dem angefochtenen Urteil sinngemäß zu entnehmenden Feststellungen zugunsten der Klägerin nicht entrichtet worden. Das Begehren der Klägerin zielt vielmehr darauf, dass sie sich bei der Aufteilung an der angeblich durch Anrechnung einer Abzugsteuer erloschenen, tatsächlich jedoch rückständig gebliebenen Steuerschuld der Eheleute nicht nach Maßgabe ihrer bei Getrenntveranlagung gegebenen Einkommensteuerschuld beteiligen muss.

Dafür aber geben die Aufteilungsvorschriften auch unter den besonderen Umständen des Streitfalls weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinne nach etwas her. Selbst wenn nämlich die Klägerin darauf vertraut haben sollte, dass infolge rechtmäßiger Anrechnung von abgeführter Lohnsteuer auf die Steuer(gesamt)schuld diese erloschen ist, wenn sie insbesondere --was nicht festgestellt und nicht naheliegend ist-- von den Täuschungshandlungen des Beigeladenen nichts gewusst haben sollte, ist sie in diesem Vertrauen durch die Aufteilungsvorschriften der AO 1977 nicht, auch nicht nach deren Sinn und Zweck, geschützt. Diese Vorschriften schützen nicht das Vertrauen eines Ehegatten in das Erlöschen der Gesamtschuld infolge von Rechtshandlungen des anderen oder sonstige in dessen Bereich fallende Rechtsvorgänge (hier: die angebliche Abführung anrechnungsfähiger Lohnsteuer auf dessen Einkommen), sondern neutralisieren lediglich vollstreckungrechtlich die gesamtschuldnerische Haftung für die eheliche Einkommensteuerschuld.

Es trifft auch nicht zu, dass sich die Klägerin steuerlich in der gleichen Lage befindet wie ein Gesamtschuldner, dessen Ehegatte Einkünfte verschwiegen hat, so dass die Einkommensteuer der Eheleute insgesamt zu gering festgesetzt worden ist. Die Einkommensteuer der Klägerin und des Beigeladenen ist nicht zu gering festgesetzt worden und vom FA in den angefochtenen Bescheiden nach keinem der Klägerin ungünstigeren Maßstab aufgeteilt worden, als sie ohne die Täuschung des FA über die angeblich entrichtete Lohnsteuer hätte aufgeteilt werden müssen. Ob die Klägerin möglicherweise auf die Einkommensteuerschuld Leistungen erbracht hat, die sie ohne die Fälschung der Lohnsteuerkarten nicht erbracht hätte und nach dem ehelichen Verhältnis auch nicht hätte erbringen müssen, ist für die Aufteilungsentscheidung des FA belanglos und entzieht sich dessen Prüfungsmöglichkeiten. Die Aufteilungsvorschriften gewähren keinen Schutz dagegen, dass sich ein Ehegatte an der Tilgung der rückständigen Steuerschuld der Eheleute beteiligen muss, obwohl er möglicherweise bereits aus seinem Vermögen Tilgungsleistungen auf die Einkommensteuerschuld erbracht hat, die seinem sich bei sofortiger Aufteilung ergebenden Anteil entsprechen.

Es ist auch nicht willkürlich, dass das Gesetz in einem solchen Falle wie dem der Klägerin den Aufteilungsmaßstab des § 270 AO 1977 beibehält, während es in dem zuerst genannten Fall einer Änderung der Steuerfestsetzung im Ergebnis denjenigen Gesamtschuldner belastet, bei dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist (vgl. Müller-Eiselt, a.a.O., § 273 Rdnr. 5); allenfalls ließen sich Gründe dafür anführen, auch in diesem Fall den allgemeinen Aufteilungsmaßstab des § 270 AO 1977 anzuwenden (vgl. Schwarz, Abgabenordnung, § 273 Rdnr. 3).

Ende der Entscheidung

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