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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 21.05.2001
Aktenzeichen: VII R 4/00
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 118 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 1 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) erteilte der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) die Bewilligung, unter zollamtlicher Überwachung Stärke und Zucker --unter anderem D-Sorbit und Combisirup F 2/4-- zur Herstellung von Arzneiwaren des Kap. 30 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zu verwenden. Aufgrund dieser Bewilligung erteilte das HZA der Klägerin im Mai 1994 einen Erstattungsbescheid für die Verwendung von Combisirup F 2/4 bei der Herstellung von pharmazeutischen Präparaten des Kap. 30 KN. Im November 1994 zeigte die Klägerin die Beendigung der Verarbeitung des "Sorbitols 70 % in Combisirup F 2/4" an und teilte mit, sie habe "LN" hergestellt. Dieses Produkt wird von der Klägerin unter der Bezeichnung "BS: Lecithin" vertrieben. Daraufhin setzte das HZA mit Bescheid vom ... 1995 für die Klägerin den Produktionserstattungsbetrag fest. Dabei ging es davon aus, dass die Klägerin ... Liter pharmazeutische Erzeugnisse des Kap. 30 KN hergestellt hat.

Die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) bei der Oberfinanzdirektion (OFD), der das HZA eine Probe der Ware "BS: Lecithin" übersandt hatte, stellte sich in einem Gutachten vom 26. Januar 1995 auf den Standpunkt, die Ware sei als Tonikum in das Kap. 22 KN einzureihen. Bei der Ware, die ausweislich der Packungsaufschrift hochkonzentriertes biologisch aktiviertes Soja-Lecithin und Vitamin E enthalte, handele es sich auf Grund des Verwendungszwecks und der Anwendungsweise um ein Tonikum i.S. des Kap. 22 KN.

Das HZA folgte diesem Gutachten der ZPLA und nahm mit Bescheid vom ... 1995 den Auszahlungsbescheid vom ... Januar 1995 zurück. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Produkt "BS: Lecithin" sei als pharmazeutisches Erzeugnis in das Kap. 30 KN einzureihen. Ein pharmazeutisches Produkt i.S. der Pos. 3004 KN müsse genau umschriebene therapeutische und vor allem prophylaktische Eigenschaften aufweisen, wobei seine Wirkung auf ganz bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert sein müsse. Dabei reiche es nach dem Wortlaut der Pos. 3004 KN aus, dass die Ware aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu prophylaktischen Zwecken bestehe. Es sei nicht erforderlich, dass die Ware sowohl aus Erzeugnissen zu therapeutischen als auch zu prophylaktischen Zwecken besteht. Erfülle ein Mittel die Anforderungen der Pos. 3004 KN, so bleibe die rein theoretische Verwendung als Lebensmittel außer Betracht. Keine Eignung zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken besäßen demgegenüber Präparate, die nur der Behebung von Mangelzuständen oder der Vorbeugung gegen solche dienten. Dies gelte auch dann, wenn dem Erzeugnis arzneiliche Wirkstoffe zugesetzt seien, sofern diese Wirkstoffe keinen anderen Zweck hätten, als ein besseres diätetisches Gleichgewicht zu schaffen, den Energie- oder Nährwert des Erzeugnisses zu heben oder seinen Geschmack zu verbessern, ihm aber nicht den Charakter einer Lebensmittelzubereitung nähmen.

Unbeschadet dessen, dass der arzneimittelrechtlichen Zulassung des von der Klägerin hergestellten Produkts "BS: Lecithin" Indizwirkung zukomme, sei die Ware deshalb in die Pos. 3004 KN einzureihen, weil sie genau umschriebene prophylaktische Eigenschaften aufweise, deren Wirkung auf ganz bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert sei. Auf der Verpackung der Ware würden zunächst zwar Anwendungsgebiete genannt, die den Schluss zuließen, dass das Produkt der Behebung von Mangelzuständen oder der Vorbeugung gegen solche Mangelzustände dienen solle. Darüber hinaus sei aber auch ausgeführt, dass das Produkt "BS: Lecithin" der Arterienverkalkung vorbeuge. Es löse besser als körpereigenes Lecithin die Fettstoffe im Blut und halte somit die Versorgungswege zu den Gehirn- und Nervenzellen von Fettablagerungen frei. In der Packungsbeilage für das in Rede stehende Produkt sei darüber hinaus ausgeführt, dass das Lecithin im Blut Fettstoffe und das fettähnliche Cholesterin löse. Hierdurch würden die Versorgungswege zu den Gehirn- und Nervenzellen von Ablagerungen freigehalten und die Gefäße vor arteriosklerotischen Veränderungen geschützt.

Diese genau umschriebenen prophylaktischen Eigenschaften weise das Erzeugnis "BS: Lecithin" auch tatsächlich auf. Auch der Sachverständige Dr. E habe in seinem berichtigten Gutachten vom 18. August 1999 ohne weiteres nachvollziehbar dargelegt, dass er eine prophylaktische Wirkung des Präparats "BS: Lecithin" in der Prävention von Arteriosklerose nicht in Abrede stelle. Die linolsäurereichen Phospholipide in "BS: Lecithin" hätten in der Tat mehrere potentiell antiatherogene Wirksamkeiten. Wenn der Sachverständige Dr. E auf der Grundlage seiner wissenschaftlichen Fachrichtung auch kontrollierte klinische Studien vermisst habe, so habe er gleichwohl die Wirksamkeit des Präparats "BS: Lecithin" in der Prävention von Arteriosklerose nicht in Abrede gestellt.

Auch die Verordnung (EWG) Nr. 440/91 (VO Nr. 440/91) der Kommission vom 25. Februar 1991 über die Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 52/7) stehe dem nicht entgegen. Soweit im Anhang unter 3. der VO Nr. 440/91 für Gelatinekapseln in Aufmachung für den Einzelverkauf mit jeweils 1 222 mg Lecithin eine Einreihung in die Unterpos. 2106 90 91 KN vorgeschrieben werde, habe die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bereits auf Nachfrage des FG nicht mitteilen können, auf Grund welcher Erkenntnisse diese Einreihungsentscheidung getroffen worden sei. Es bedürfe auch keiner Entscheidung, ob der Regelung unter 3. des Anhangs zur VO Nr. 440/91 noch Wirksamkeit zukommen könne. Die KN i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 2261/98 der Kommission vom 26. Oktober 1998 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den gemeinsamen Zolltarif ... (ABlEG Nr. L 292/1) enthalte keine Unterpos. 2106 90 91 mehr, in die die im Anhang zu 3. der VO Nr. 440/91 genannten Gelatinekapseln eingereiht werden könnten. Jedenfalls sei die unter 3. des Anhangs zur VO Nr. 440/91 beschriebene Ware (unstreitig) anders zusammengesetzt als das von der Klägerin hergestellte Erzeugnis "BS: Lecithin". Eine Einreihungsverordnung der Kommission könne indessen nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass sie Waren betreffe, deren Zusammensetzung sich von der in der Einreihungsverordnung genannten Zusammensetzung unterscheide.

Mit der Revision macht das HZA die Verletzung von Bundesrecht geltend (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Erzeugnis "BS Lecithin" weise nicht die objektiven Merkmale und Eigenschaften einer Ware auf, wie sie im Wortlaut der Pos. 3004 KN festgelegt seien. Für die Zuweisung als Arzneiware in die Pos. 3004 KN und zur Abgrenzung gegenüber anderen Positionen sei die Feststellung erforderlich, dass ein Produkt Stoffe mit medizinischen Eigenschaften in einer Dosierung enthalte, die im Lichte der anerkannten medizinischen Erkenntnisse für eine prophylaktische Wirkung des Produktes ausreiche. Auch vor dem Hintergrund der VO Nr. 440/91 für ein Produkt mit demselben Wirkstoff müsse eine Einreihung in die Pos. 3004 KN ausscheiden.

Das HZA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin hält die Revision für unzulässig. Der Bundesfinanzhof (BFH) sei an die tatsächlichen Feststellungen des FG nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Das HZA weise zu Unrecht darauf hin, dass die Feststellung des vom FG angehörten Sachverständigen nicht den Schluss trügen, dass Lecithin eine prophylaktische Wirkung hätte, weil dies eine Tatsachen- und keine Rechtsfrage sei. Die Wirkungsweise einer Ware könne gerade nicht mit Hilfe rechtlicher Normen beurteilt werden.

Die Revision ist als unzulässig durch Beschluss zu verwerfen, weil sie nicht statthaft ist (§§ 124, 126 Abs. 1 FGO). Ein Fall der nach § 116 Abs. 2 FGO (in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung --FGO a.F.--, vgl. Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze --2.FGOÄndG-- vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757, 1760, hier allein in Betracht kommenden) zulassungsfreien Revision ist nicht gegeben.

Die Vorentscheidung ist kein Urteil in einer Zolltarifsache (§ 116 Abs. 2 FGO a.F.). Nach der Rechtsprechung des BFH liegt ein ohne Zulassung revisibles Urteil in einer Zolltarifsache nur vor, wenn das Urteil von einer in ihm getroffenen zolltarifrechtlichen Entscheidung abhängt oder abhängen kann, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die zolltarifrechtliche Frage die einzige oder auch nur die wesentliche Vorfrage war. Die zolltarifrechtliche Frage muss jedoch eine Rolle spielen; das Urteil muss auf der Entscheidung zu der zolltarifrechtlichen Frage beruhen (BFH-Beschlüsse vom 26. Februar 1991 VII R 41/89, BFHE 164, 5, BStBl II 1991, 526, und vom 30. Juni 1994 V R 138/93, BFH/NV 1995, 424, jeweils m.w.N.). Wie der Senat mehrfach entschieden hat, liegt dann keine Zolltarifsache vor, wenn nicht die zolltarifliche Einordnung, sondern die Beschaffenheit der Ware den Gegenstand des Rechtsstreits bildete (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 16. Juli 1992 VII R 13/91, BFH/NV 1993, 284, m.w.N.).

Gegen eine Zolltarifsache spricht vorliegend zunächst, dass in erster Linie darum gestritten wird, ob der Auszahlungsbescheid für eine gewährte Produktionserstattung zu Recht widerrufen worden ist. Dies schließt das Vorliegen einer Zolltarifsache allerdings nicht aus, weil eine solche Produktionserstattung u.a. nur deswegen gewährt wird, weil bestimmte Waren der KN eingesetzt bzw. hergestellt werden. Streitigkeiten in diesem Zusammenhang sind folglich dann Zolltarifsachen, wenn die Tarifierung der eingesetzten bzw. hergestellten Ware streitig ist (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juni 1997 VII R 92/96, BFH/NV 1998, 320).

Im Streitfall waren für das FG nicht die zolltarifrechtlichen Maßstäbe zur Abgrenzung der beiden in Betracht kommenden Kapitel (nämlich Kap. 30 KN und Kap. 22 KN) von Bedeutung, sondern ausschließlich die anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware zu klärende Frage, ob das Produkt "BS: Lecithin" prophylaktisch wirkt. Dies zeigt auch der Vortrag der Revision, die gerade nicht bestreitet, dass das FG die umfangreiche Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Senats zur Frage, wann ein pharmazeutisches Erzeugnis i.S. der Pos. 3004 KN vorliegt, nicht hinreichend beachtet oder missverstanden hat. Insoweit bringt das HZA keine Einwendungen vor, sondern beschränkt die Revision darauf, dass der Ware zu Unrecht prophylaktische Wirkung zugesprochen worden sei.

Gestritten und entschieden wurde daher nicht über die Tarifierung als solche, d.h. um Rechtsfragen, die sich hinsichtlich der Einreihung stellen, sondern ausschließlich um die Frage, ob nach dem Ergebnis der gutachterlichen Stellungnahmen der Ware eine prophylaktische Wirkungsweise zukommt. Diese Frage betraf allein die Beschaffenheit der Ware, die nicht anhand des Zolltarifs geklärt werden kann. Ist --wie vom FG-- festgestellt, dass die Ware prophylaktische Wirkung hat, besteht zwischen den Beteiligten kein Streit darüber, dass das Produkt zur Pos. 3004 KN gehört; weiter gehende zolltarifliche Fragen stellen sich dann nicht. Urteile über die Beschaffenheit der Ware sind, soweit die Revision nicht zugelassen und nicht nach § 116 Abs. 1 FGO a.F. zulassungsfrei statthaft ist, nicht revisibel. Ihnen kommt nicht die grundsätzliche Bedeutung zu, die Erkenntnissen über zolltarifrechtliche Fragen mit der Zulassungsfreiheit der Revision gemäß § 116 Abs. 2 FGO a.F. beigemessen wird.

Auch der Hinweis des HZA auf die VO Nr. 440/91 reicht nicht zur Annahme einer Zolltarifsache nach § 116 Abs. 2 FGO a.F. aus. Grundsätzlich liegt zwar eine Zolltarifsache vor, wenn die Beteiligten über die Anwendung oder Auslegung einer Einreihungsverordnung streiten und diese ggf. für den Rechtsstreit Bindungswirkung entfalten kann (vgl. hierzu: EuGH-Urteil vom 14. Dezember 1995 Rs. C-106/94 und C-139/94, EuGHE 1995, I-4759, 4785; Senatsurteil vom 17. November 1998 VII R 50/97, BFH/NV 1999, 688). Dies setzt aber voraus, dass tatsächlich die Möglichkeit einer Bindungswirkung besteht. Scheidet dies --wie im Streitfall-- von vornherein aus, weil die streitgegenständliche Ware offensichtlich anders zusammengesetzt ist als die in der Einreihungsverordnung aufgeführte Ware, kann die Einreihungsverordnung nur ein exemplarisches Gesetzgebungsbeispiel ohne jede Bindungswirkung sein und lässt die Streitigkeit nicht zu einer Zolltarifsache nach § 116 Abs. 2 FGO a.F. werden.



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