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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 18.11.2003
Aktenzeichen: VII R 5/02
Rechtsgebiete: AO 1977, HGB


Vorschriften:

AO 1977 § 37 Abs. 1
AO 1977 § 47
AO 1977 § 118
AO 1977 § 122 Abs. 2
AO 1977 § 124 Abs. 1 Satz 2
AO 1977 § 169 Abs. 1 Satz 3
AO 1977 § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1
AO 1977 § 191
AO 1977 § 231 Abs. 1
AO 1977 § 231 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 232
AO 1977 § 361 Abs. 2 Satz 1
HGB § 128
HGB § 161
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Erben des während des ersten Rechtsgangs verstorbenen V. V war vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) mit Haftungsbescheid vom 18. April 1989 gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. §§ 161, 128 des Handelsgesetzbuches als Komplementär einer zwischenzeitlich erloschenen GmbH und Co. KG u.a. für deren rückständige Umsatzsteuer für 1984 in Anspruch genommen worden. Während des Einspruchsverfahrens gegen den Haftungsbescheid hat der steuerliche Vertreter des Klägers dessen Aussetzung der Vollziehung beantragt. Das FA glaubte, diesem Antrag entsprochen zu haben. Den Einspruch gegen den Haftungsbescheid hat das FA als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Klage wurde u.a. mit dem Eintritt der Zahlungsverjährung bezüglich der Umsatzsteuer 1984 begründet. Soweit sich das FA auf die Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch Gewährung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) berufen hat, wurde vorgetragen, dass weder dem V selbst noch dem Prozessbevollmächtigten des V vor Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist die Aussetzungsverfügung, deren an den Prozessbevollmächtigten adressierte und mit dem Absendevermerk vom 30. August 1989 versehene Abschrift sich in den Akten des FA befindet, zugegangen sei. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage im ersten Rechtszug neben materiell-rechtlichen Erwägungen zur Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme auch mit der Begründung abgewiesen, dass die Zahlungsverjährung nicht eingetreten sei. Mit der Entscheidung vom 22. Juli 1999 V R 44/98 (BFHE 189, 315, BStBl II 1999, 749) hat der Bundesfinanzhof (BFH) im Revisionsverfahren das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache mit der Begründung an das FG zurückverwiesen, dass eine wirksame AdV nur vorliege, wenn entweder die Ausfertigung des Bescheides, der vor Ablauf der Verjährungsfrist die Finanzbehörde verlassen hat, dem Adressaten auch tatsächlich zugegangen oder die Bekanntgabe dieser Verfügung wiederholt worden sei. Das FA hat daraufhin die AdV-Verfügung vom 30. August 1989 am 15. September 1999 erneut an den Prozessvertreter des V, der nunmehr die Kläger vertritt, bekannt gegeben.

Die Kläger haben ihr Klagebegehren im zweiten Rechtsgang aufrecht erhalten. Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1073 veröffentlichten Urteil wurde die Klage wieder abgewiesen. Den Eintritt der Zahlungsverjährung verneinte das FG.

Die vom FG in Anbetracht des Vorlagebeschlusses des II. Senats vom 6. Juni 2001 II R 47/98, (BFHE 195, 32, BStBl II 2001, 695) erneut zugelassene Revision begründen die Kläger im Wesentlichen damit, dass die Bekanntgabe einer Zweitausfertigung der Aussetzungsverfügung vom 30. August 1989 am 15. September 1999 keine verjährungsunterbrechende Wirkung mehr entfalten könne.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

festzustellen, dass die Hauptsache wegen Eintritts der Zahlungsverjährung erledigt ist.

Hilfsweise wird beantragt, den Haftungsbescheid aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es schließt sich zur Begründung weitgehend den Überlegungen in den Entscheidungen der Vorinstanz vom 14. November 2001 und vom 16. März 1998 an. Eine AdV-Verfügung erziele ihre Wirkung bereits im Zeitpunkt der Übergabe zur Post, da sich das FA ab diesem Zeitpunkt an der Durchsetzung seiner Ansprüche gehindert sehe und der die AdV beantragende Steuerschuldner wahrnehmen könne, dass er von Versuchen des FA, die Steuerschuld zu realisieren, verschont bleibt. Die Kläger seien deshalb nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an der Berufung auf den Eintritt der Zahlungsverjährung gehindert. Das FA habe auf den Zugang der AdV-Verfügung beim Prozessbevollmächtigten des V vertrauen dürfen, weil dieser trotz vor Gewährung der AdV ergangener Mahnung und Vollstreckungsankündigung nach der Verbescheidung seines AdV-Antrages nicht nachgefragt habe.

II. Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, da der Haftungsanspruch durch Eintritt der Zahlungsverjährung erloschen ist (§§ 47, 231 AO 1977). Die Vorentscheidung ist damit gegenstandslos geworden. Dies ist auf Antrag der Kläger, der auch noch in der Revisionsinstanz gestellt werden konnte, festzustellen, da das FA weiterhin eine Sachentscheidung beantragt hat.

1. Da der Zahlungsanspruch des FA gegen den Steuer- bzw. Haftungsschuldner auch während eines Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Steuer- oder Haftungsschuld verjähren und damit erlöschen kann, ist der Erlöschenstatbestand des Eintritts der Zahlungsverjährung vorab in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und zu beachten (vgl. Urteil des Senats vom 26. April 1988 VII R 97/87, BFHE 153, 490, BStBl II 1988, 865, und Senatsbeschluss vom 6. August 1996 VII B 24/96, BFH/NV 1997, 95, 96).

2. Der mit Bescheid vom 18. April 1989 festgesetzte Haftungsanspruch ist durch Eintritt der Zahlungsverjährung erloschen.

a) Die Zahlungsverjährung für den mit Haftungsbescheid vom 18. April 1989 festgesetzten Haftungsanspruch begann mit Ablauf des 31. Dezember 1989 und endete nach fünf Jahren (§ 37 Abs. 1, § 228 AO 1977), mithin mit Ablauf des 31. Dezember 1994.

b) Die Zahlungsverjährungsfrist ist nicht nach § 231 Abs. 1 AO 1977 unterbrochen worden.

Nach § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 wird die Zahlungsverjährung u.a. durch die AdV (§ 361 AO 1977) unterbrochen. Hierbei gilt § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 sinngemäß (§ 231 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 ist die Frist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist "der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat". Daraus folgt, dass es zur Fristwahrung auch für die Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch AdV ausreicht, wenn eine schriftlich verfügte AdV noch vor Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist den Bereich der Finanzbehörde verlassen hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 189, 315, BStBl II 1999, 749). Da die AdV-Verfügung nach den Feststellungen des FG am 30. August 1989, mithin vor Ablauf der Zahlungsverjährung im Jahre 1994 abgesandt worden ist, hätte sie zur Unterbrechung der Verjährungsfrist führen können (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977).

3. Durch den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. November 2002 GrS 2/01 (BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548) ist die bislang streitige Rechtsfrage (siehe dazu Vorlagebeschluss in BFHE 195, 32, BStBl II 2001, 695) dahin geklärt, dass der Regelungsgehalt der Vorschrift des § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 nicht über die Regelung der Fristwahrung hinausgeht. § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 entbindet die Finanzbehörde nur davon, den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfes zu § 150 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO gleich § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977; BTDrucks VI/1982, S. 150), so dass die Festsetzungsfrist auch gewahrt ist, wenn der vor Fristablauf abgesandte Steuerbescheid dem Steuerpflichtigen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist zugeht. Ein Verzicht auf eine wirksame Bekanntgabe des zur Post gegebenen Schriftstücks kann daraus nicht hergeleitet werden. Die Vorschrift setzt vielmehr einen wirksam bekanntgegebenen Verwaltungsakt voraus. Daher ist die Festsetzungsfrist nicht gewahrt, wenn die Behörde im Fall der Bekanntgabe nach § 122 Abs. 2 AO 1977 den Zugang des Steuerbescheides nicht nachweisen kann (s. Vorlagebeschluss des BFH in BFHE 195, 32, BStBl II 2001, 695).

a) Diese Maßstäbe gelten auch für den Zugang der schriftlich verfügten AdV i.S. des § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 i.V.m. § 361 Abs. 2 Satz 1 AO 1977. Die AdV nach § 361 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 erfolgt durch Verwaltungsakt nach § 118 AO 1977 und erlangt, sofern die schriftliche Verfügung durch die Post übermittelt wird, erst mit Zugang bei dem Adressaten ihre Wirksamkeit (§§ 122 Abs. 2, 124 Abs. 1 Satz 2 AO 1977; vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 1994 X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4, 6). Die Unterbrechung der Verjährung durch eine AdV tritt daher nur ein, wenn ein die AdV gewährender durch Bekanntgabe wirksam gewordener Verwaltungsakt vorliegt. Denn die Wirksamkeit einer Unterbrechungshandlung ist jeweils nach den für diesen Unterbrechungstatbestand geltenden Kriterien zu beurteilen (BFH-Urteile vom 24. April 1996 II R 37/93, BFH/NV 1996, 865; vom 23. April 1991 VII R 37/90, BFHE 164, 392, BStBl II 1991, 742 für den Vollstreckungsaufschub, sowie vom 17. Oktober 1989 VII R 77/88, BFHE 158, 310, BStBl II 1990, 44 für eine Vollstreckungsmaßnahme, und Senatsurteile vom 27. April 1995 VII R 90/93, BFH/NV 1995, 943, 945, und vom 28. August 2003 VII R 22/01 BFHE 203, 20, BFH/NV 2003, 1624 für die Zahlungsaufforderung). Eine verwaltungsinterne, nicht nach außen wirksam gewordene Maßnahme --wie sie in einem stillschweigenden Absehen von Mahnungen und Vollstreckungsmaßnahmen gesehen werden könnte-- genügt zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung nicht. Für den Steuerpflichtigen muss auch bei Gewährung einer AdV mit der erforderlichen Klarheit feststellbar sein, bis wann die AdV gewährt ist und damit verjährungsunterbrechende Wirkung hat, ob sich der Ablauf der Zahlungsverjährung durch die ihm gegenüber wirksam gewordene Unterbrechungshandlung verzögert und ob und wann der Zahlungsanspruch wegen Eintritts der Zahlungsverjährung erlischt (§ 47 AO 1977 i.V.m. § 232 AO 1977; vgl. Senatsurteil in BFHE 164, 392, BStBl II 1991, 742, 744).

Gewährt das FA --wie im Streitfall-- die AdV des Haftungsanspruches durch eine mittels einfachem Brief durch die Post versandte schriftliche Aussetzungsverfügung, so treten deren Wirksamkeit und die daran geknüpften steuerrechtlichen Folgen nur ein, wenn diese Verfügung dem richtigen Adressaten zugegangen ist (§ 122 Abs. 2 AO 1977; BFH-Urteil in BFHE 189, 315, BStBl II 1999, 749, und Senatsurteil in BFH/NV 1995, 943, 945).

b) Bestreitet der Betroffene --hier der Haftungsschuldner-- den Zugang des Verwaltungsaktes, hat die Behörde den Zugang des Schriftstückes an den richtigen Empfänger anhand von Indizien auch dann nachzuweisen, wenn der Zugang erst nach Jahren bestritten wird (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsentscheidung vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534; BFH-Urteile vom 15. September 1994 XI R 31/94, BFHE 175, 327, BStBl II 1995, 41, 42, und vom 12. März 2003 X R 17/99, BFH/NV 2003, 1031, 1032, m.w.N.). Auf den sog. Anscheinsbeweis, der auf einen typischen, nicht aber auf den tatsächlichen Geschehensablauf abstellt, kann der Zugangsnachweis nicht gestützt werden (BFH-Urteil in BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534).

Nach der dem FG obliegenden Sachverhaltsermittlung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung, die mit Verfahrensrügen nicht angefochten worden ist (§ 118 Abs. 2 FGO) und die daher im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden kann, ob sie gegen die Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. BFH-Urteil vom 27. Juni 2001 I R 46/00, BFH/NV 2002, 1; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 30, m.w.N.), reichen die Indizien nicht für die Annahme aus, dass dem Prozessbevollmächtigten des V die an diesen adressierte und mit dem Absendevermerk vom 30. August 1989 versehene AdV-Verfügung zugegangen ist. Diese Schlussfolgerung des FG hat schon dann Bestand, wenn sie zwar nicht zwingend, aber möglich ist (BFH in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteile vom 15. September 1992 IX R 15/91, BFH/NV 1994, 301, und vom 23. Februar 1994 X R 27/92, BFH/NV 1994, 768, 769).

Die Würdigung des FG ist nicht zu beanstanden. Zutreffend hat die Vorinstanz den von ihr bejahten Nachweis der Absendung nicht genügen lassen, um die Zweifel an dem tatsächlichen Zugang der Verfügung vom 30. August 1989 zu beseitigen. Die Überzeugungsbildung des FG konnte sich nur auf wenige Indizien stützen. Keinen Bedenken begegnet deshalb die Schlussfolgerung, dass auch das Verhalten des Prozessbevollmächtigten trotz gewisser Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seiner Aussage, er habe die an ihn adressierte AdV-Verfügung vom 30. August 1989 nicht erhalten, zum Nachweis des Zuganges nicht genüge. Entscheidend war für das FG, dass in der unterlassenen Nachfrage des Prozessbevollmächtigten nach der förmlichen Verbescheidung seines Antrages kein zwingendes Indiz für den Zugang der AdV-Verfügung gesehen werden könne, weil für ihn keine Veranlassung zu einer Nachfrage bestanden habe, solange das FA von Mahnungen und Vollstreckungsmaßnahmen tatsächlich Abstand genommen hat. Weitere Umstände, aus denen auf den Zugang der AdV-Verfügung vom 30. August 1989 geschlossen werden könnte, haben sich im Verlauf der Ermittlungen des FG und bei der Zeugenbefragung nicht ergeben. Die Beweiswürdigung des FG lässt im Ergebnis keinen Denkfehler oder Verstoß gegen Erfahrungssätze noch einen sonstigen Rechtsfehler erkennen. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass die Nichtverfolgung des Erhebungsanspruches auch auf einer nicht bekanntzugebenden internen Stundung oder schlicht darauf beruhen könnte, dass die Behörde über den Antrag förmlich (noch) nicht entschieden hat. Für letzteren Fall ist die Behörde angewiesen, während des Verfahrens über einen AdV-Antrag keine Vollstreckungsmaßnahmen zu beginnen oder fortzuführen (Anwendungserlass zur Abgabenordnung --AEAO-- in der 1989 gültigen Fassung; vgl. auch AEAO in der Fassung vom 10. September 2002, BStBl I 2002, 867 ff. Rz. 3.1 zu § 361 AO 1977).

c) Kann danach im Streitfall der Zugang der mit Absendevermerk des FA vom 30. August 1989 versehenen Aussetzungsverfügung i.S. des § 122 Abs. 2 AO 1977 nicht nachgewiesen werden, fehlt es an einer wirksamen Bekanntgabe der AdV vor Ablauf der Zahlungsverjährung und damit an deren verjährungsunterbrechender Wirkung. Für die Unterbrechungswirkung einer Maßnahme i.S. des § 231 Abs. 1 i.V.m. § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ist entscheidend, dass der Verwaltungsakt, der noch innerhalb der Verjährungsfrist den Bereich der Finanzverwaltung verlassen hat, durch Bekanntgabe wirksam geworden ist. Schlägt der Bekanntgabeversuch fehl und wird der Verwaltungsakt später --nach Ablauf der Verjährungsfrist-- mit Erfolg bekannt gegeben, wird der Verwaltungsakt erst mit dieser Bekanntgabe wirksam (BFH, Großer Senat in BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548). Die erneute Bekanntgabe der AdV-Verfügung vom 30. August 1989 am 15. September 1999 erfolgte nach Ablauf der bis zum 31. Dezember 1994 andauernden Zahlungsverjährungsfrist (§§ 228, 232 AO 1977) und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem der Anspruch bereits erloschen war (§ 47 AO 1977).

4. Die Kläger sind auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert, sich auf den Nichtzugang der AdV-Verfügung vom 30. August 1989 und den damit verbundenen Eintritt der Zahlungsverjährung zu berufen.

a) Der Senat verkennt ebenso wenig wie der Große Senat in BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548, der VIII. Senat in seiner Entscheidung vom 31. Oktober 1989 VIII R 60/88 (BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518) und der Vorlagebeschluss in BFHE 195, 32, BStBl II 2001, 695, dass die vorstehende Gesetzesauslegung die Gefahr in sich birgt, dass berechtigte Steueransprüche wegen des unter Umständen erst nach Jahren und ggf. tatsachenwidrig vorgebrachten Einwandes, ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis sei mangels Bekanntgabe des ihm zugrunde liegenden Verwaltungsaktes nicht wirksam festgesetzt oder --wie im Streitfall-- eine verjährungshemmende oder unterbrechende Maßnahme sei vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht wirksam geworden, nicht mehr durchgesetzt werden können. Der Große Senat hat dazu entschieden, dass diese Erwägung es nicht rechtfertige, § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 entgegen seinem Wortlaut, dem Regelungszusammenhang und der Entstehungsgeschichte auszulegen (siehe Großer Senat in BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548, unter C. 2. d der Gründe), und der II. Senat hat diesbezüglich zutreffend auf die Regelungsverantwortung des Gesetzgebers verwiesen (BFH in BFHE 195, 32, BStBl II 2001, 695, unter B. 4. der Gründe).

b) Der auch im Steuerrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben ist nur in seltenen Fällen geeignet, eine verfahrensmäßig bedingte Unbilligkeit aufzufangen. Nach den von der Rechtsprechung zu diesem Rechtsinstitut entwickelten Grundsätzen kann ein Steuerpflichtiger an der Geltendmachung eines Rechts dann gehindert sein, wenn er mit der Berufung darauf in gravierender Weise gegen die berechtigten Belange der Behörde verstößt und sich zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzt (vgl. ständige Rechtsprechung des BFH, Urteile vom 7. Juli 1966 V 20/64, BFHE 86, 541, BStBl III 1966, 613; vom 6. Februar 1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673; vom 23. Juni 1993 X R 214/87, BFH/NV 1994, 295, 297, und vom 8. Februar 1996 V R 54/94, BFH/NV 1996, 733, 735, jeweils m.w.N.) und wenn ihn deshalb eine Rechtspflicht zu einem bestimmten Verhalten trifft (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 2001 XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745, 747, und BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 865). Der Grundsatz von Treu und Glauben verdrängt jedoch gesetztes Recht --wie die sich aus einer fehlgeschlagenen Bekanntgabe eines Steuerverwaltungsaktes ergebenden Rechtsfolgen-- nur in ganz außergewöhnlichen Fällen, in denen die Belange der Verwaltung nach allgemeinem Rechtsgefühl in so hohem Maße verletzt werden, dass demgegenüber die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit zurücktreten müssen (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 745; in BFH/NV 1996, 865, und vom 17. Juni 1992 X R 47/88 BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174, 175, und Senatsurteil vom 5. Februar 1980 VII R 101/77, BFHE 130, 90, 95).

Nach diesen strengen Maßstäben kann die Berufung der Kläger auf die fehlgeschlagene Bekanntgabe der verjährungsunterbrechenden AdV-Verfügung vom 30. August 1989 und den sich daraus ergebenden Verjährungseintritt nicht als illoyale Rechtsausübung gewertet werden. Für den V, der sein mit dem AdV-Antrag verfolgtes Ziel, von der Erhebung und zwangsweisen Beitreibung der Haftungsschuld bis zu einer Entscheidung über den Einspruch gegen den Haftungsbescheid verschont zu bleiben, erreicht hatte, bestand kein Anlass auf einer schriftlichen AdV-Verfügung zu bestehen oder nach einer solchen nachzufragen (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 1996, 865, und in BFH/NV 2002, 745, 747). Allein mit der Nichtzahlung der Haftungsschuld zum Fälligkeitszeitpunkt und dem Schweigen auf die Untätigkeit des FA hat V gegenüber dem FA keinen Vertrauenstatbestand gesetzt, der ihn nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet hätte, den fehlenden Zugang der AdV-Verfügung nicht geltend zu machen.

Ein wirksamer Verzicht auf den Eintritt der Zahlungsverjährung scheidet ohnehin aus, weil es sich hierbei nicht um ein Gestaltungsrecht der Beteiligten, sondern um einen kraft Gesetzes eintretenden Erlöschenstatbestand handelt (§ 232 i.V.m. § 47 AO 1977, vgl. auch BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 745, und Senatsurteil in BFHE 203, 20, BFH/NV 2003, 1624), der eine nachfolgende Geltendmachung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis verbietet, ungeachtet, ob einer der Beteiligten auf dessen Bestehen vertraut hat (§§ 47, 232 AO 1977; vgl. auch Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl., Rz. 1 zu § 232).

5. Im Streitfall ist die Zahlungsverjährung zum 31. Dezember 1994 eingetreten. Durch den Eintritt der Zahlungsverjährung ist der Anspruch aus dem Haftungsbescheid erloschen und damit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Der Streit um die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides ist mit Eintritt der Zahlungsverjährung gegenstandslos geworden, weil das FA aus dem Haftungsbescheid vom 18. April 1989 keine Rechtsfolgen mehr ziehen kann. Der Hilfsantrag der Kläger ist damit ebenfalls gegenstandslos geworden, weil eine Sachentscheidung nach Erledigung der Hauptsache nicht mehr getroffen werden kann (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 4/78, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375; BFH-Beschluss vom 25. März 1993 V B 73/92, BFH/NV 1994, 437).

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