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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 24.04.2001
Aktenzeichen: VII R 5/98 (1)
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 2730/79, MOG, VwVfG


Vorschriften:

VO (EWG) Nr. 2730/79 Art. 10 Abs. 1
VO (EWG) Nr. 2730/79 Art. 20 Abs. 2 bis 6
VO (EWG) Nr. 2730/79 Artikel 9 Absatz 1
MOG § 10 Abs. 1
MOG § 10 Abs. 3
VwVfG § 48 Abs. 2
VwVfG § 48 Abs. 3
VwVfG § 48 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte von April bis Juni 1987 in mehreren Sendungen eine auf der Basis von Kartoffelstärke hergestellte Ware mit der Bezeichnung "X" (Marktordnungs-Warenlistennummer 3906 90 2300) in die Schweiz aus. Als Warenempfänger waren die in ... unter derselben Anschrift ansässigen Unternehmen A-AG bzw. B-AG angegeben; beide Firmen wurden von demselben Personenkreis geführt und repräsentiert. Rechnungsempfänger war in allen Fällen die B-AG. Auf entsprechende Anträge der Klägerin hin, denen u.a. Schweizer Verzollungsbescheinigungen und Frachtpapiere beigefügt waren, gewährte das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt (HZA) der Klägerin Ausfuhrerstattung.

Spätere Ermittlungen der Zollfahndung ergaben, dass die Ausfuhrsendungen mit "X" unmittelbar nach ihrer Abfertigung zum freien Verkehr in der Schweiz in einem durch die B-AG neu eröffneten externen gemeinschaftlichen Versandverfahren unverändert und mit denselben Transportmitteln zurück in die Bundesrepublik Deutschland transportiert wurden, wo sie beim Warenempfänger unter Erhebung der entsprechenden Eingangsabgaben zum freien Verkehr abgefertigt wurden. Hinsichtlich dieser Warensendungen nahm das HZA mit Rückforderungsbescheid vom 16. Mai 1991 die ergangenen Ausfuhrerstattungsbescheide zurück und forderte die gewährte Ausfuhrerstattung in Höhe von insgesamt ... DM zurück.

Außerdem führte die Klägerin im Mai und Juni 1987 in mehreren Warensendungen eine als "Y" bezeichnete, auf der Basis von Weizenstärke hergestellte Ware (Marktordnungs-Warenlistennummer 3812 11 0000) in die Schweiz aus. Warenempfänger waren ebenfalls die A-AG bzw. B-AG. Das HZA gewährte auch in diesen Fällen Ausfuhrerstattung. Spätere Ermittlungen der Zollfahndung ergaben auch insoweit, dass die betreffenden Ausfuhrsendungen unmittelbar nach ihrer Abfertigung zum freien Verkehr in der Schweiz in einem durch die A-AG neu eröffneten externen gemeinschaftlichen Versandverfahren unverändert und mit denselben Transportmitteln nach Italien weiterbefördert wurden, wo sie ebenfalls unter Erhebung der entsprechenden Eingangsabgaben zum freien Verkehr abgefertigt wurden. Die mit dem Transport beauftragte Spedition erteilte der A-AG entsprechende Rechnungen für einen durchgehenden Transport der Waren vom Abgangsort in der Bundesrepublik Deutschland bis zum Bestimmungsort in Italien. Hinsichtlich dieser Warensendungen nahm das HZA mit Rückforderungsbescheid vom 22. Juni 1992 die entsprechenden Ausfuhrerstattungsbescheide zurück und forderte die gewährte Ausfuhrerstattung in Höhe von insgesamt ... DM zurück.

Die gegen die Rückforderungsbescheide gerichteten Einsprüche hatten keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 1995).

Im anschließenden Klageverfahren machte die Klägerin geltend, dass die Ausfuhrerstattung zu Unrecht zurückgefordert worden sei, weil die Waren sämtlich in der Schweiz zum freien Verkehr abgefertigt worden seien. In drei Fällen liege der Nachweis vor, dass die Warensendungen in der Schweiz vor ihrer Wiederausfuhr von der A-AG an die B-AG verkauft worden seien. Die Waren seien nicht in betrügerischer Absicht wieder in die Gemeinschaft eingeführt worden. Sie (die Klägerin) habe nicht gewusst, was die Käufer in der Schweiz mit der Ware machen würden.

Die Klage war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte u.a. aus, die Rückforderung der Ausfuhrerstattung nach § 10 Abs. 1 und 3 des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen --MOG--(i.d.F. der Bekanntmachung vom 27. August 1986 BGBl I, 1397) i.V.m. § 48 Abs. 2 bis 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sei rechtmäßig; die Klägerin habe keinen Anspruch auf die ihr gewährte Ausfuhrerstattung gehabt. Auf die in der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1999, 277 veröffentlichten Gründe wird verwiesen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht.

Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat der Senat mit Beschluss vom 2. Februar 1999 VII R 5/98 (BFH/NV 1999, 1255), auf den wegen der Darstellung des Sach- und Streitstandes im Einzelnen verwiesen wird, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"Ist Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 2 bis 6 VO (EWG) Nr. 2730/79 dahin auszulegen, dass der Ausführer seinen Anspruch auf Zahlung einer nach einem einheitlichen Erstattungssatz für alle Drittländer festgelegten Ausfuhrerstattung verliert, wenn das an einen in einem Drittland ansässigen Käufer verkaufte Erzeugnis, für das die Ausfuhrerstattung gezahlt wurde, unmittelbar nach seiner Abfertigung zum freien Verkehr in dem betreffenden Drittland wieder im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren in die Gemeinschaft befördert und dort, ohne dass eine Zuwiderhandlung festgestellt wurde, unter Erhebung der Eingangsabgaben zum freien Verkehr abgefertigt wird?

Wäre die Frage anders zu beantworten, wenn das Erzeugnis von dem in dem betreffenden Drittland ansässigen Käufer an ein ihm personell und wirtschaftlich verbundenes, ebenfalls in dem betreffenden Drittland ansässiges Unternehmen verkauft wurde, bevor es wieder in die Gemeinschaft eingeführt worden ist?"

Der EuGH hat daraufhin mit Urteil vom 14. Dezember 2000 Rs. C-110/99 wie folgt entschieden:

"Der in der Gemeinschaft ansässige Ausführer kann nach Artikel 9 Absatz 1, Artikel 10 Absatz 1 und Artikel 20 Absätze 2 bis 6 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 der Kommission vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 568/85 der Kommission vom 4. März 1985 geänderten Fassung seinen Anspruch auf Zahlung einer nichtdifferenzierten Ausfuhrerstattung verlieren, wenn das an einen in einem Drittland ansässigen Käufer verkaufte Erzeugnis, für das die Ausfuhrerstattung gezahlt wurde, unmittelbar nach seiner Abfertigung zum freien Verkehr in dem betreffenden Drittland wieder im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren in die Gemeinschaft befördert und dort, ohne dass eine Zuwiderhandlung festgestellt wurde, unter Erhebung der Eingangsabgaben zum freien Verkehr abgefertigt wird, wenn die Geschäftsgestaltung des in der Gemeinschaft ansässigen Ausführers missbräuchlich ist.

Ein Missbrauch setzt die Absicht des in der Gemeinschaft ansässigen Ausführers voraus, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass er die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich schafft. Der Beweis hierfür ist vor dem nationalen Gericht nach nationalem Recht zu erbringen, z. B. durch den Nachweis eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem betreffenden Ausführer und dem Einführer der Ware im Drittland.

Wenn das Erzeugnis von dem in dem Drittland ansässigen Käufer an ein ihm personell und wirtschaftlich verbundenes, ebenfalls in dem betreffenden Drittland ansässiges Unternehmen verkauft wurde, bevor es wieder in die Gemeinschaft eingeführt worden ist, so ist dies ein Umstand, den das nationale Gericht bei der Prüfung berücksichtigen kann, ob eine Verpflichtung zur Rückzahlung der Erstattung besteht."

Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu diesem Vorabentscheidungsurteil zu äußern.

Die Klägerin behauptet, dass kein den Missbrauchstatbestand erfüllendes kollusives Zusammenwirken zwischen ihr und der Firma A-AG bzw. der Firma B-AG in der Schweiz im Streitfall vorgelegen habe. Ihr sei nicht bekannt gewesen, dass sich die Firmen schon vor der Einfuhrabfertigung der Ware in der Schweiz entschieden hätten, die Ware wieder in die Europäische Gemeinschaft zu exportieren. Sie habe auch nicht willkürlich die entsprechenden Voraussetzungen für die Erlangung eines Vorteils geschaffen. Die Tatsachenfeststellungen des FG zeigten, dass ein solches rechtswidriges Handeln der Klägerin nicht vorliege.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Zum Urteil des EuGH bemerkt das HZA u.a., die Kaufverträge mit den Empfängern in Italien bzw. der Bundesrepublik Deutschland seien nach den Feststellungen des FG jeweils vor der Ausfuhr der Waren geschlossen worden. Die Geschäftsgestaltung sei deshalb von vorneherein auf einen Verkauf in der Gemeinschaft ausgelegt gewesen. Ohne eine Inanspruchnahme der Ausfuhrerstattung wären der Transport und die Abwicklung des Handelsgeschäfts über die Schweiz nur als zeit- und kostenaufwendiger Umweg anzusehen. Der Weg über die Schweiz habe lediglich der Erlangung der Ausfuhrerstattung gedient und sei somit als missbräuchliche Geschäftsgestaltung zur Erlangung der Ausfuhrerstattung anzusehen. Der Einwand der Klägerin, sie habe nicht gewusst, was der Käufer mit der Ware mache, greife nicht durch, weil sie durch vertragliche Abmachungen habe sicherstellen können, dass der jeweilige Käufer die Ware nicht der vorgeschriebenen Bestimmung entzieht.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Unter Zugrundelegung der Ausführungen des EuGH in seinem Vorabentscheidungsurteil ist das FG rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin die formellen Voraussetzungen für die Gewährung der Ausfuhrerstattung nicht erfüllt hat. Die Waren hatten nämlich, wie es Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2730/79 (VO Nr. 2730/79) der Kommission vom 29. November 1979 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 317/1) voraussetzt, das geographische Gebiet der Gemeinschaft verlassen. Die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 10 Abs. 1 VO Nr. 2730/79 hätten, wie der EuGH in seinem Vorabentscheiungsurteil (Rdnr. 48) ausgeführt hat, nur vor Zahlung der Erstattung geltend gemacht werden können.

Da das Urteil auf dieser unzutreffenden Rechtsauffassung beruht, ist es aufzuheben.

2. Die Sache ist aber nicht spruchreif, weil das FG es von seiner Auffassung ausgehend zwar folgerichtig, aber bei Beachtung der Ausführungen des EuGH zu Unrecht unterlassen hat, zu klären, ob ein Missbrauchstatbestand vorliegt, der dazu führt, dass der Anspruch auf Ausfuhrerstattung trotz Erfüllung der formellen Voraussetzungen nicht besteht (Vorabentscheidungsurteil Rdnr. 51).

Ein solcher Missbrauchstatbestand würde nach Auffassung des EuGH vorliegen, wenn eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergäbe, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde und subjektiv die Absicht des Ausführers bestanden hätte, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Da nach den festgestellten Umständen das Ziel der Gemeinschaftsregelung nicht erreicht worden ist, weil die Erzeugnisse unmittelbar nach ihrem Verbringen in die Schweiz wieder in die Gemeinschaft zurückbefördert worden sind, bleibt zu klären, ob auch das subjektive Element eines Missbrauchstatbestandes vorliegt.

Anders als die Beteiligten meinen, sind dem erstinstanzlichen Urteil keine Feststellungen zu entnehmen, die es dem Senat ermöglichen würden, selbst zu entscheiden, ob der Ausführer im Streitfall auch die Absicht hatte, gemeinschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zu missbrauchen. Die Tatsache, dass die Wiedereinfuhr der Waren in die Gemeinschaft schon vor ihrem Export in die Schweiz beabsichtigt war und dass die Schweiz nur als Durchgangsstation benutzt wurde (Urteil Seite 7,8), reicht nicht aus, um einen solchen Missbrauch formaler Gestaltungsmöglichkeiten zu bejahen. Denn insoweit fehlt es an der notwendigen Feststellung des subjektiven Elements, das in der Person des Ausführers bestehen muss, sich durch willkürliche Geschäftsgestaltung einen gemeinschaftsrechtlich nicht vorgesehenen Vorteil zu verschaffen. Allein eine solche Absicht der im Drittland ansässigen Käufer würde nicht ausreichen. Ihre diesbezügliche Absicht könnte der Klägerin auch nicht zugerechnet werden, weil sie nicht verpflichtet war, einen Weiterverkauf der ausgeführten Erzeugnisse in die Gemeinschaft zu verhindern.

3. Falls die noch zu treffenden Feststellungen des FG zu dem Ergebnis führen sollten, dass die Klägerin die Absicht hatte, sich durch einen Missbrauch gemeinschaftsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten einen Vorteil zu verschaffen, stünde einer Rückforderung der gewährten Ausfuhrerstattung gemäß § 10 Abs. 1 MOG nichts entgegen.



Ende der Entscheidung

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