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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.02.2007
Aktenzeichen: VII R 60/05
Rechtsgebiete: AO, FGO
Vorschriften:
AO § 34 | |
AO § 35 | |
AO § 69 | |
AO § 90 | |
AO § 162 | |
FGO § 118 Abs. 2 |
Gründe:
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war zunächst alleiniger Geschäftsführer einer GmbH und von 1984 bis 1994 deren Alleingesellschafter. 1992 wurde er als Geschäftsführer der GmbH abberufen und S zum allein vertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. Der Kläger wurde als kaufmännischer Betriebsleiter mit den Obliegenheiten Kundenbetreuung und kaufmännische Auftragsabwicklung eingestellt.
Aufgrund einer Betriebsprüfung bei der GmbH ergingen geänderte Umsatzsteuerbescheide 1993 bis 1995, jeweils vom August 1998. Hierdurch entstanden Zahllasten in Höhe von 1993: ca. 205 000 DM, 1994: ca. 6 600 DM und 1995: ca. 128 000 DM. Aufgrund des Umsatzsteuerbescheides 1996 vom August 1998 ergab sich eine Umsatzsteuerzahllast in Höhe von ca. 9 900 DM. Zahlungen darauf wurden nicht geleistet.
Am 14. Januar 1999 zahlte die GmbH 70 000 DM auf rückständige Lohnsteuer 1993. Am 2. Februar 1999 wurde Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am 1. April 1999 eröffnet.
Mit Haftungsvoranfrage vom August 1999 teilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) dem Kläger mit, er hafte als faktischer Geschäftsführer der GmbH gemäß §§ 34, 35 i.V.m. § 69 der Abgabenordnung (AO) neben dem nominell bestellten Geschäftsführer für Umsatzsteuerschulden der GmbH aus 1993 bis 1996 sowie November 1998, nebst Zinsen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt ... DM.
Nachdem der Kläger den Berechnungsbogen zur Ermittlung der Haftungsquote und Haftungssumme für den Zeitraum 28. September 1998 bis 1. April 1999 nicht vorgelegt hatte, erließ das FA am 16. September 1999 entsprechend seiner Ankündigung einen Haftungsbescheid.
Der Einspruch des Klägers gegen den Haftungsbescheid vom 16. September 1999 blieb erfolglos. Mit der Klage wandte sich der Kläger gegen seine Inanspruchnahme als faktischer Geschäftsführer und im Hinblick darauf, dass er bei der nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22. Januar 2004 IX ZR 39/03 (BGHZ 157, 350) gebotenen Berücksichtigung der Lohnsteuerzahlungen im Haftungszeitraum die Gesamtverbindlichkeiten --wie sich aus dem beigefügten Berechnungsbogen ergebe-- im möglichen Rahmen anteilig befriedigt habe. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch Reduzierung der Haftungsquote auf 21,8 % teilweise statt, weil das FA zu Unrecht eine Pflichtverletzung des Klägers auch wegen der Abgabe unzutreffender Voranmeldungen in den Jahren 1993 bis 1995 bejaht und deshalb die Liquiditätslage in diesem Zeitraum in die Berechnung der Haftungsquote einbezogen habe. Die auf die rückständige Lohnsteuer gezahlten 70 000 DM dagegen hielt es bei dieser Berechnung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht für berücksichtigungsfähig.
Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 241 veröffentlicht.
Die Revision stützt der Kläger darauf, dass bei der Ermittlung der Umsatzsteuer-Haftungsquote auch die im Januar 1999 gezahlte Lohnsteuer berücksichtigt werden müsse. Im Ergebnis seien dann die Lohn- und Umsatzsteuerforderungen des FA im betroffenen Haftungszeitraum nicht in geringerem Maße getilgt worden als die fälligen Forderungen anderer Gläubiger. Die Haftungsquote betrage dann 0 %. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BFH sei die Berücksichtigungsfähigkeit der gezahlten Lohnsteuer eine Konsequenz aus der Entscheidung des BGH in BGHZ 157, 350, weil danach der haftungsmäßigen Sonderstellung der Lohnsteuer grundsätzlich der Boden entzogen sei.
Die Tilgungsquote, für die der Geschäftsführer dem FA einzustehen habe, sei durch eine schlichte Gegenüberstellung sämtlicher im Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen und Gesamtverbindlichkeiten zu ermitteln. Eine Privilegierung von Lohnsteuer-Verbindlichkeiten sei nicht zu rechtfertigen, eine rechtliche Grundlage für die Differenzierung nach der Steuerschuld gebe es nicht. Für die Umsatzsteuerhaftung folge daraus, dass alle seine Zahlungen einschließlich der 70 000 DM Lohnsteuer zusammenzurechnen und den Gesamtverbindlichkeiten gegenüberzustellen seien.
II.
Die Revision ist unbegründet.
Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 und § 35 AO haften die gesetzlichen Vertreter und die Verfügungsberechtigten --unter anderem faktische Geschäftsführer-- einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Danach trifft den Geschäftsführer einer GmbH die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der GmbH geschuldeten Umsatzsteuer zu sorgen.
1. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen und damit den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) war der Kläger im Haftungszeitraum faktischer Geschäftsführer der GmbH. Die Heranziehung als Haftungsschuldner für rückständige Umsatzsteuern der GmbH ist demnach dem Grunde nach berechtigt.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH beschränkt sich die Haftung nach § 69 Satz 1 AO dem Umfang nach auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden ist. Die Höhe der Haftung ergibt sich daher unabhängig vom Grad des Verschuldens grundsätzlich allein aus der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den bei dem Fiskus eingetretenen Vermögensschaden. Danach ist die Haftung nach § 69 AO dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist. Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat (vgl. Senatsurteil vom 1. August 2000 VII R 110/99, BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271, m.w.N.). Rückständige Umsatzsteuer ist danach vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern. Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme). Hierzu hat das FA unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder --soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann-- im Schätzungswege die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO). Zur Feststellung der Haftungssumme kann das FA vom Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen der nicht entrichteten Umsatzsteuer in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (§ 90 Abs. 1 AO, vgl. Senatsbeschluss vom 31. März 2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322, m.w.N.).
3. Der Kläger hat nicht in Frage gestellt, dass die auf der Grundlage dieser Rechtsprechung vom FG bestätigte quotale Heranziehung zur Haftung wegen der nicht entrichteten Umsatzsteuern grundsätzlich berechtigt war. Er wendet sich allein dagegen, dass bei der Ermittlung der Haftungsquote und damit der Haftungssumme die von ihm unstreitig geleistete Zahlung von 70 000 DM auf rückständige Lohnsteuern unberücksichtigt geblieben sei. Dem kann so nicht gefolgt werden.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats sind grundsätzlich alle Verbindlichkeiten in die Berechnung der anteiligen Tilgungsquote einzubeziehen, ungeachtet ihres Rechtsgrundes und ihrer Bedeutung für die Fortführung des Unternehmens. Eine Tilgungsvordringlichkeit --mit der Folge der Nichtberücksichtigung einer Zahlung bei der Ermittlung der Haftungsquote-- ist grundsätzlich nicht anzuerkennen, auch nicht bei Personalkosten, d.h. den Löhnen und den darauf entfallenden Abgaben. Grundsätzlich sind deshalb auch die auf die gesamten rückständigen Steuerverbindlichkeiten geleisteten Zahlungen der GmbH zu berücksichtigen. Ausgenommen davon jedoch sind Zahlungen auf die vorrangig zu tilgenden Lohnsteuerbeträge (vgl. BFH-Entscheidungen in BFH/NV 2000, 1322; vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539, und vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172). Das bedeutet allerdings nicht --insoweit missverständlich das Berechnungsschema zur Ermittlung der Haftungssumme der Oberfinanzdirektion (OFD) Magdeburg (vom 23. November 1994, zit. in Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl., § 69 Rz 125)-- dass Lohnsteuer, zu deren Tilgung gezahlt worden ist, gleichwohl in den Gesamtverbindlichkeiten enthalten sein darf. Vielmehr sind Lohnsteuern, soweit sie getilgt sind, weder bei den Verbindlichkeiten noch bei den im Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen zu berücksichtigen (vgl. Klein/Rüsken, a.a.O., Rz 122; Urteil des FG Düsseldorf vom 4. Mai 2000 8 K 4994/97 H (U), EFG 2000, 768; a.A. OFD Magdeburg, Verfügung vom 22. Juni 2004 S 0190-14-St 252, juris, Rz. 5.1). Denn die Einbeziehung der abzuführenden Lohnsteuern im Rahmen der Gesamtverbindlichkeiten und der abgeführten Lohnsteuern bei den geleisteten Zahlungen führt rechnerisch --weil insoweit eine Tilgung zu 100 % vorliegt-- zu einer höheren Tilgungsquote als die jeweilige Nichtberücksichtigung dieser Beträge.
Ein solches Ergebnis widerspräche der vom BFH wiederholt hervorgehobenen haftungsrechtlichen Sonderstellung der Lohnsteuer, die den Geschäftsführer zur vorrangigen und ungekürzten Abführung der Lohnsteuern an das FA vor der Begleichung sonstiger Verbindlichkeiten verpflichtet (z.B. Urteile vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521; vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859; in BFHE 192, 249, BStBl II 2001, 271). Wer sich dieser Pflicht entsprechend verhält, verhält sich dem Fiskus gegenüber gerade nicht pflichtwidrig. Es muss deshalb sichergestellt werden, dass die --im Verhältnis zu sonstigen Zahlungen-- überproportionale Tilgung der Lohnsteuer nicht dazu führt, dass sich die Haftungsquote hinsichtlich der übrigen Steuerverbindlichkeiten zu Lasten des Haftungsschuldners erhöht.
b) Der Senatsentscheidung vom 7. November 1989 VII R 34/87 (BFHE 159, 106, BStBl II 1990, 201) ist nichts anderes zu entnehmen. Dort hatte der Senat zwar die ausstehenden Löhne und Gehälter den Gesamtverbindlichkeiten zugerechnet, jedoch gibt der Sachverhalt keinen Hinweis darauf, dass auf die Lohnsteuern im Haftungszeitraum Zahlungen geleistet worden waren.
c) Der Auffassung des Klägers, die Gleichstellung des Fiskus auch als Lohnsteuergläubiger mit den sonstigen Gläubigern bei der Anfechtung von in kritischer Zeit geleisteten Zahlungen der Gesellschaft durch den Insolvenzverwalter in BGHZ 157, 350 gebiete die Berücksichtigung der auf die Lohnsteuer 1993 geleisteten Zahlung in gleicher Weise wie aller sonstigen Zahlungen, ist nicht zu folgen. Der Kläger übersieht, dass die angestrebte Berücksichtigung dieser Zahlung notwendig auch die Berücksichtigung des Lohnsteuerrückstandes 1993 bei der Ermittlung der Gesamtverbindlichkeiten --sozusagen als Gegenbuchung-- voraussetzt. Der vom BFH hervorgehobene Tilgungsvorrang der Lohnsteuer mit der Folge der --nur durch die Auszahlung gekürzter Löhne beschränkten-- Vollhaftung des Geschäftsführers bei Nichtabführung ist insoweit ohne Bedeutung.
d) Die Beteiligten sind sich einig, dass die Berechnung des FA diesen Vorgaben gerecht wird, d.h. dass die rückständigen Lohnsteuern 1993 in den der Ermittlung der Haftungsquote zugrunde gelegten Gesamtverbindlichkeiten nicht enthalten waren. Dann aber ist eine Berücksichtigung der darauf geleisteten Zahlung von 70 000 DM nicht zu rechtfertigen. Die Entscheidung des FG erweist sich damit als zutreffend.
Ende der Entscheidung
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