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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.03.2001
Aktenzeichen: VII R 62/00
Rechtsgebiete: RAO, FGO
Vorschriften:
RAO § 144 Abs. 1 Satz 1 | |
RAO § 145 Abs. 1 | |
RAO § 147 Abs. 1 | |
FGO § 76 Abs. 2 | |
FGO § 76 Abs. 1 | |
FGO § 119 Nr. 3 | |
FGO § 126 Abs. 4 | |
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2 |
Gründe
I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) macht gegen den Kläger und Revisionskläger (Kläger) Ansprüche aus einem gegen diesen am 3. Januar 1975 ergangenen bestandskräftigen Haftungsbescheid über verkürzte Mineralölsteuer sowie aus einem unter demselben Datum ergangenen Zinsbescheid in Höhe von rd. ... DM geltend.
Zur Abwendung von Lohnpfändungen gewährte das HZA dem zahlungsunfähigen Kläger bereits mit Schreiben vom 7. Februar 1975 Ratenzahlungen und wiederholte diese Entscheidung nach zwischenzeitlichen Zahlungsschwierigkeiten des Klägers mit weiteren Schreiben vom 29. Juli 1976 und vom 26. Juni 1984. Die letzte Rate zahlte der Kläger 1991. Im Jahre 1997 erteilte das HZA einen Vollstreckungsauftrag und kündigte nach vergeblichem Vollstreckungsversuch weitere Vollstreckungsmaßnahmen an.
Die dagegen erhobene Feststellungsklage, mit der der Kläger sich auf die Verjährung der Ansprüche berufen hat, wies das Finanzgericht (FG) als unzulässig ab.
Am 27. Februar 1998 erließ das HZA auf Antrag des Klägers einen Abrechnungsbescheid, in dem es feststellte, dass die Zahlungsverpflichtung des Klägers aus dem Haftungsbescheid sowie aus dem Zinsbescheid noch bestehe, insbesondere keine Zahlungsverjährung eingetreten sei.
Die dagegen mit Zustimmung des HZA erhobene Sprungklage wies das FG als unbegründet ab. Es führte im Wesentlichen aus: Der Anspruch aus dem Haftungsbescheid sei nicht durch Verjährung erloschen. Unter Berücksichtigung der Regelungen in Art. 97 § 14 Abs. 2 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) i.V.m. §§ 144 Abs. 1 Satz 1, 145 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (RAO) habe die 10-jährige Verjährungsfrist für die geltend gemachte Haftungssumme am 1. Januar 1973 bzw. 1974 begonnen und wäre damit grundsätzlich am 31. Dezember 1982 bzw. 1983 abgelaufen. Die Gewährung der unbefristeten Ratenzahlungen mit Schreiben vom 7. Februar 1975, vom 29. Juli 1976 und 26. Juni 1984 seien als Maßnahmen des Vollstreckungsaufschubes i.S. der §§ 147 Abs. 1 RAO und 231 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) anzusehen und hätten damit die Verjährung unterbrochen. Die Verjährungsunterbrechung dauere noch an, da ein insoweit erforderlicher Widerruf des Vollstreckungsaufschubes nicht erfolgt sei. Auch die zeitweilige Nichterfüllung der Ratenzahlungsverpflichtung führe nicht automatisch zum Ablauf des Vollstreckungsaufschubes. Es könne zudem offen bleiben, ob in der Anzeige der Lohnabtretung gegenüber dem Arbeitgeber des Klägers unter dem 4. Januar 1985 ein Widerruf des Vollstreckungsaufschubes liege. Denn bereits mit Schreiben vom 28. Januar 1985 sei das Lohneinzugsverfahren wieder ausgesetzt und dem Kläger erneut Ratenzahlung und somit Vollstreckungsaufschub gewährt worden, der zur Unterbrechung der Verjährung geführt habe.
Mit der dagegen vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger Verfahrensmängel. Das FG habe gegen § 76 Abs. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verstoßen, da es den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig festgestellt habe. Das FG habe lediglich darauf abgestellt, dass in den Ratenzahlungsbewilligungen ein Widerruf vorbehalten gewesen sei. Dabei habe das FG außer Acht gelassen, dass in den Bewilligungen daneben noch die Regelung getroffen worden sei, dass die Stundungsvereinbarung gegenstandslos werde, wenn der Kläger mit der Ratenzahlung in Verzug gerate. Darauf beruhe das Urteil. Denn eine Auseinandersetzung mit dem weiteren Text der Ratenzahlungsvereinbarung hätte zu der rechtlichen Würdigung geführt, dass die gewährte Stundung bereits bei Eintritt des Verzuges automatisch entfallen sei und es keines Widerrufes bedurft hätte. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO sei auch deshalb zu bejahen, weil das FG nicht aufgeklärt habe, in welchem Umfang er (der Kläger) seit 1984 tatsächlich monatliche Raten gezahlt habe. Da seit 1984 nur vereinzelt Raten gezahlt worden seien, sei diese Feststellung aber insbesondere deshalb von Bedeutung gewesen, um zu verdeutlichen, dass die auflösende Bedingung des Zahlungsaufschubes bereits 1984, spätestens aber 1985 eingetreten gewesen sei. Darüber hinaus sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden (§ 96 Abs. 2 FGO i.V.m. Art. 103 des Grundgesetzes --GG--). Das FG habe in Abweichung von dem Tatbestand erstmals in den Entscheidungsgründen auf eine Ratenzahlungsbewilligung vom 28. Januar 1985 abgestellt. Zuvor sei zwischen allen Beteiligten lediglich die Rede von den Ratenzahlungsbewilligungen vom 7. Februar 1975, vom 29. Juli 1976 und vom 26. Juni 1984 gewesen. So könne er nur im Nachhinein deutlich machen, dass ihm ein Schreiben vom 28. Januar 1985 nicht bekannt gewesen sei. Da in der Einleitung der Vollstreckungsmaßnahmen vom 4. Januar 1985 ein Widerruf des Vollstreckungsaufschubes zu sehen sei, sei die Zahlungsverjährung spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 1990 eingetreten, da von einer 5-jährigen Zahlungsverjährung auszugehen sei.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und das HZA unter Aufhebung des Abrechnungsbescheides vom 27. Februar 1998 zu verpflichten, durch Abrechnungsbescheid festzustellen, dass die Forderung aus dem Haftungsbescheid und Zinsbescheid jeweils vom 3. Januar 1975 betreffend Mineralölsteuer und Nebenleistungen erloschen ist, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Eine Verletzung des § 76 Abs. 1 FGO liege nicht vor. Das FG habe den Inhalt der Ratenzahlungsvereinbarung in vollem Umfang zur Kenntnis genommen. So habe das FG diesbezüglich ausgeführt, dass die zeitweilige Nichterfüllung der Ratenzahlungsverpflichtung nicht automatisch zum Ablauf des Vollstreckungsaufschubes führe. Es habe damit lediglich eine andere rechtliche Auffassung vertreten, eine mangelhafte richterliche Aufklärung liege mithin nicht vor. Auch die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs vermöge nicht durchzugreifen. Denn es sei aufgrund der Verwaltungsvorgänge davon auszugehen, dass der Kläger Kenntnis von der Ratenzahlungsvereinbarung vom 28. Januar 1985 habe. Auch sei auf diese Vereinbarung bereits in dem Klageerwiderungsschreiben vom 19. Februar 1997 in einem anderen finanzgerichtlichen Verfahren Bezug genommen worden. Damit sei es in die finanzgerichtliche Auseinandersetzung bereits eingeführt worden.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Der Kläger rügt zu Recht die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) gewährleistet den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 11. Oktober 1978 2 BvR 214/76, BVerfGE 49, 325; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Anm. 10 ff., m.w.N.). Dem Kläger ist im Verfahren vor dem FG dieses Recht versagt worden. Er hatte vor Ergehen der Entscheidung keine Gelegenheit, sich zu dem vom FG als erheblich angesehenen Umstand zu äußern, dass ihm mit Schreiben vom 28. Januar 1985 erneut Vollstreckungsaufschub gewährt worden ist. Nach dem Inhalt der FG-Akten sind zwischen den Beteiligten des Verfahrens bis zum Erlass der Entscheidung nur die Ratenzahlungsbewilligungen des HZA vom 7. Februar 1975, 29. Juli 1976 und 26. Juni 1984 erörtert worden. Das Schreiben vom 28. Januar 1985 wird weder in den Schriftsätzen der Verfahrensbeteiligten in diesem Verfahren erwähnt, noch lässt sich dem Protokoll der mündlichen Verhandlung entnehmen, dass es im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist. Ausweislich des Protokolls hat die Berichterstatterin den wesentlichen Inhalt der Akten vorgetragen. Da dies üblicherweise durch die Verlesung des Tatbestandes erfolgt, rechtfertigt die fehlende Erwähnung des Schreibens im Tatbestand der Entscheidung den Rückschluss, dass das Schreiben auch tatsächlich nicht im Rahmen der mündlichen Verhandlung zur Sprache kam.
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht deshalb zu verneinen, weil der Kläger wie das HZA behauptet, von dem Schreiben vom 28. Januar 1985 Kenntnis gehabt haben soll. Auf die Kenntnis, welche der Kläger zudem bestreitet, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Entscheidend für die Bejahung der Gehörsverletzung ist allein der Umstand, dass das FG das Schreiben seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, ohne dass dessen Entscheidungserheblichkeit dem Kläger zuvor mitgeteilt und ihm Gelegenheit zur diesbezüglichen Äußerung eingeräumt worden ist. Das FG hat damit (aus Sicht des Klägers) eine Überraschungsentscheidung gefällt. Aus diesen Erwägungen kommt es ebenso wenig darauf an, ob das Schreiben in dem zwischen den Beteiligten vor dem FG bereits zuvor anhängigen Rechtsstreit eingeführt worden ist.
Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist ein Revisionsgrund, der regelmäßig zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt, weil nach § 119 Nr. 3 FGO unwiderleglich vermutet wird, dass das Urteil des FG auf dem gerügten Fehler beruht und damit grundsätzlich auch eine Zurückweisung der Revision gemäß § 126 Abs. 4 FGO ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 21. Dezember 1994 I R 65/94, BFHE 176, 571). Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn es auf das Vorbringen des Revisionsklägers unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann (BFH-Urteile vom 6. Februar 1992 V R 38/85, BFH/NV 1993, 102, und vom 18. Juni 1997 III R 41/95, BFH/NV 1998, 173; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Anm. 14, m.w.N.) oder wenn die Klageerhebung rechtsmissbräuchlich wäre (BFH-Urteil vom 8. Juli 1994 III R 78/92, BFHE 175, 7, BStBl II 1994, 859). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Das FG lässt in der Entscheidung ausdrücklich offen, ob in der Lohnpfändung vom 4. Januar 1985 ein konkludenter Widerruf der Ratenzahlungsvereinbarung zu sehen ist. Dies deshalb, weil nach Ansicht des FG mit dem Schreiben vom 28. Januar 1985 eine weitere Ratenzahlung gewährt worden ist, die zu einer erneuten Verjährungsunterbrechung geführt hat. Ist ein solcher Verwaltungsakt vom 28. Januar 1985 nicht ergangen, von dem der Kläger behauptet, ihn nicht erhalten zu haben, kommt es nach den Ausführungen des FG entscheidungserheblich darauf an, ob in der Ausbringung der Lohnpfändung ein konkludenter Widerruf enthalten ist. Dann wäre, sofern der Vollstreckungsaufschub nicht bereits zu einem früheren Datum geendigt hat, ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsunterbrechung beendet mit der Folge, dass die Ansprüche mit Ablauf des 31. Dezember 1995 verjährt wären (vgl. Art. 97 § 14 Abs. 1 und 2 EGAO 1977 i.V.m. § 229 AO 1977 und §§ 144 Abs. 1, 145 Abs. 1 RAO) und die Klage Erfolg hätte.
Die Ursächlichkeit des vorgenannten Verfahrensmangels entfällt auch nicht deswegen, weil das Urteil auf einer selbstständig tragenden zweiten Begründung beruht. Zwar hat das FG in der Entscheidung ausgeführt, ein Widerruf des Vollstreckungsaufschubes (der Ratenzahlungsvereinbarung) sei ausweislich der Verwaltungsakten nicht erfolgt. Vor dem Hintergrund der weiteren Ausführungen kann dies aber nur dahin gedeutet werden, dass das FG damit nur das Fehlen eines ausdrücklich erklärten Widerrufs festgestellt wissen, demgegenüber aber keinerlei Aussage zu einem konkludent erklärten Widerruf treffen wollte. Ansonsten wäre nicht nachvollziehbar, warum das FG in direktem Anschluss an diese Feststellungen, die Frage, ob in der Anzeige der Lohnpfändung gegenüber dem Arbeitgeber ein Widerruf (gemeint ist ersichtlich ein konkludent erklärter Widerruf) zu sehen sei, angesprochen und letztlich als nicht klärungsbedürftig erachtet hat.
2. Führt mithin bereits die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs zum Erfolg der Revision, braucht der Senat auf die weiteren vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler nicht einzugehen.
3. Da die Vorentscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist, ist sie aufzuheben und, da dem erkennenden Senat als Revisionsgericht im Streitfall eine Sachentscheidung verwehrt ist, die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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