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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 24.04.2008
Aktenzeichen: VII R 62/06
Rechtsgebiete: ZK
Vorschriften:
ZK Art. 220 Abs. 1 | |
ZK Art. 220 Abs. 2 Buchst. b |
Gründe:
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) meldete am 18. August 1995 eine Sendung entbeinter, gefrorener Hähnchenbrust mit Ursprung in China unter Vorlage eines Ursprungszeugnisses zur Abfertigung zum freien Verkehr unter Anwendung des Präferenzzollsatzes an. Die Zollstelle nahm die Anmeldung an, überließ die Waren und meldete die Sendung der Zentralstelle Zollkontingente zur Anrechnung auf das Zollkontingent, wobei sie wegen eines Fehlers im Deutschen Gebrauchszolltarif nicht erkannte, dass die Anwendung des Präferenzzollsatzes die Vorlage einer Einfuhrlizenz voraussetzte, welche von der Klägerin jedoch nicht vorgelegt worden war. Dieser Fehler wurde aufgrund einer am selben Tag an das Bundesministerium der Finanzen (BMF) gerichteten Anfrage entdeckt und korrigiert. Die Mitarbeiterin P des mit der Klägerin verbundenen Unternehmens B, die auch für die Zollabfertigungen der Klägerin zuständig war, wurde am 22. August 1995 per Telefax vom BMF über die Notwendigkeit der Vorlage einer Einfuhrlizenz unterrichtet.
Mit Abgabenbescheid vom 24. August 1995 setzte die Abfertigungszollstelle die Einfuhrabgaben für die Warensendung gleichwohl unter Anwendung der im Rahmen des Kontingents vorgesehenen präferenziellen Zollfreiheit fest. Nachdem festgestellt worden war, dass die Warensendung mangels Einfuhrlizenz nicht auf das Kontingent hätte angerechnet werden dürfen, erhob das seinerzeit zuständige Hauptzollamt, dessen Zuständigkeit auf den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Hauptzollamt --HZA--) übergegangen ist, die dem Zolltarif entsprechenden Einfuhrabgaben nach.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG urteilte, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex (ZK) der Nacherhebung nicht entgegenstehe. Zwar beruhe die Nichterhebung der gesetzlich geschuldeten Abgaben auf einem sog. aktiven Irrtum der Zollbehörde. Dieser Irrtum sei aber für die Klägerin erkennbar gewesen, weil die für die Zollabfertigung der Klägerin zuständige Mitarbeiterin P bereits am 22. August 1995 vom BMF auf das Erfordernis einer Einfuhrlizenz für die Inanspruchnahme des Präferenzzollsatzes hingewiesen worden sei. Bei Erhalt des Abgabenbescheids vom 24. August 1995 hätte die Klägerin daher erkennen können, dass ihr die Zollbefreiung nicht hätte gewährt werden dürfen. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme es bei der Frage nach der Erkennbarkeit des Irrtums nicht auf den Zeitpunkt der Zollanmeldung an.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin weiterhin geltend, dass der maßgebliche Zeitpunkt bezüglich der Erkennbarkeit des Irrtums der Zollbehörde der Zeitpunkt der Zollanmeldung, im Streitfall also der 18. August 1995, gewesen sei. Hierfür spreche u.a., dass die buchmäßige Erfassung, an die Art. 220 Abs. 2 ZK anknüpfe, nach Art. 218 Abs. 1 ZK im Fall des Entstehens einer Zollschuld durch Annahme der Zollanmeldung spätestens am zweiten Tag nach der Überlassung der Ware zu erfolgen habe. Daraus ergebe sich, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK für die Frage der Erkennbarkeit des Irrtums nur diesen Zwei-Tage-Zeitraum im Blick habe und später eintretende Umstände für die Beurteilung der Erkennbarkeit und der Gutgläubigkeit nicht zu berücksichtigen seien. Dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK verlange, dass der Zollanmelder alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten habe, spreche ebenfalls dafür, dass hinsichtlich der Erkennbarkeit des Irrtums nur solche Umstände Berücksichtigung finden könnten, die der Zollanmeldung zeitlich vorgelagert seien.
Das HZA schließt sich der Auffassung des FG an.
II.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die Revision der Klägerin ist nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen, denn das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Steueränderungsbescheid ist rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
1. Dass seinerzeit der Präferenzzollsatz mangels Vorlage einer Einfuhrlizenz nicht angewendet werden konnte, ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit, weshalb Ausführungen des Senats hierzu entbehrlich sind. Aus der unzutreffenden Anwendung des Präferenzzollsatzes folgt, dass die Einfuhrabgaben nicht in der gesetzlich geschuldeten Höhe buchmäßig erfasst und erhoben worden sind, weshalb gemäß Art. 220 Abs. 1 ZK die bisher nicht erhobenen Einfuhrabgaben nachträglich buchmäßig zu erfassen waren.
2. Das FG hat zu Recht entschieden, dass Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK der Nacherhebung des gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrags nicht entgegensteht.
Nach dieser Vorschrift erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vernünftigerweise vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet hat. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar ist mit den Beteiligten und dem FG davon auszugehen, dass die Abgabenerhebung unter Zugrundelegung des Präferenzzollsatzes auf einem Irrtum der zuständigen Zollstelle beruhte. Dieser Irrtum war jedoch --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- für die Klägerin erkennbar, weil bei Erhalt des Abgabenbescheids vom 24. August 1995 die für die Zollabfertigungen der Klägerin zuständige Mitarbeiterin P bereits durch das vorangegangene Telefax des BMF vom 22. August 1995 über das Erfordernis der Vorlage einer Einfuhrlizenz für die Inanspruchnahme des Präferenzzollsatzes unterrichtet war.
Die Tatbestandsmerkmale des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK, dass der Irrtum vom Zollschuldner vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte und er gutgläubig gehandelt hat, werden in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) häufig zu der Voraussetzung zusammengefasst, dass der behördliche Irrtum für einen gutgläubigen Abgabenschuldner nicht erkennbar war (vgl. EuGH-Urteil vom 3. März 2005 Rs. C-499/03 P, EuGHE 2005, I-1751, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2005, 228, m.w.N.). Dies mag daran liegen, dass die eine evtl. Bösgläubigkeit des Abgabenschuldners begründenden Umstände regelmäßig auch diejenigen sind, welche zur Annahme der Erkennbarkeit des Irrtums führen (vgl. Witte/Alexander, Zollkodex, 4. Aufl., Art. 220 Rz 44). Anders als die Revision meint, kann aber aus den im Regelfall gemeinsam zu prüfenden Merkmalen des "gutgläubigen Handelns" und der "Nichterkennbarkeit des Irrtums" nicht geschlossen werden, dass für die Frage, ob der behördliche Irrtum erkennbar war, maßgeblich auf den Zeitpunkt des letzten aktiven "Handelns" des Zollbeteiligten und damit in der Regel auf den Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung abzustellen ist.
Dass der Zollanmelder außerdem alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten haben muss, ist eine neben der fehlenden Erkennbarkeit des Irrtums gesondert zu prüfende Voraussetzung für ein Absehen von der Nacherhebung gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK. Rückschlüsse auf den hinsichtlich der Erkennbarkeit des Irrtums maßgeblichen Zeitpunkt erlaubt diese Tatbestandsvoraussetzung nicht.
Entgegen der Ansicht der Revision kann auch nicht aus Art. 218 Abs. 1 ZK hergeleitet werden, dass Umstände, die erst später als zwei Tage nach Annahme der Zollanmeldung eintreten, für die Frage der Erkennbarkeit des Irrtums ohne Bedeutung sind. Art. 220 ZK setzt allein voraus, dass der geschuldete Abgabenbetrag buchmäßig nicht erfasst worden ist. Auf die in Art. 218 ZK vorgeschriebene Frist für die buchmäßige Erfassung kommt es nicht an. Diese Frist hat nur Bedeutung für die Abführung der Eigenmittel an die Kommission; sie dient nicht dem Interesse des Zollschuldners, aus einer Fristüberschreitung kann er keine Rechte herleiten (Witte/Alexander, a.a.O., Art. 220 Rz 2).
Auch aus dem EuGH-Urteil in EuGHE 2005, I-1751, ZfZ 2005, 228 lässt sich nichts für die Auffassung der Revision herleiten. Die Ausführungen des EuGH unter Rz 55 des Urteils, auf die sich die Revision bezieht, betreffen die Frage, ob der Fehler der Zollverwaltung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt seitens der Einführer hätte erkannt werden können und ob dementsprechend die Einführer jenes Falles sich mit ausreichender Sorgfalt über die Einfuhrbedingungen informiert hatten. Für die im Streitfall allein maßgebende Frage, ob Umstände, die in der Zeit zwischen der Abgabe der Zollanmeldung und der Festsetzung der Einfuhrabgaben eintreten und die den Irrtum der Zollbehörden bei der Abgabenfestsetzung erkennbar machen, bei der Anwendung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK zu berücksichtigen sind oder nicht, trifft das vorgenannte EuGH-Urteil keine Aussage.
Mit Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK soll das berechtigte Vertrauen des Zollschuldners in die Richtigkeit aller Gesichtspunkte geschützt werden, die bei der Entscheidung darüber, ob Zölle nacherhoben werden, Berücksichtigung finden (vgl. EuGH-Urteil vom 27. Juni 1991 Rs. C-348/89, EuGHE 1991, I-3277). Entscheidend ist (u.a.) --was aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift folgt-- die für den Zollschuldner gegebene Erkennbarkeit des behördlichen Irrtums, der die buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben durch die Zollbehörde fehlerhaft macht. Die Frage, ob der Irrtum für den Zollschuldner erkennbar ist, kann sich somit erst stellen, wenn dieser die Höhe der buchmäßig erfassten Abgaben erfährt, was regelmäßig erst mit der Bekanntgabe des Einfuhrabgabenbescheids der Fall ist, also zu einem nach der Abgabe der Zollanmeldung liegenden Zeitpunkt. All dies hat das FG in dem angefochtenen Urteil bereits zutreffend ausgeführt, so dass hierauf verwiesen werden kann.
Im Übrigen gehören zu den behördlichen Irrtümern i.S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK insbesondere diejenigen bei der Auslegung und Anwendung des für den jeweiligen Zollfall maßgebenden Rechts (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 1991, I-3277), die naturgemäß erst begangen werden können, nachdem die Zollanmeldung abgegeben worden ist. Die von der Klägerin vertretene Auffassung liefe darauf hinaus, dass sich hinsichtlich solcher behördlicher Rechtsirrtümer bei der buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben die Frage nach der Erkennbarkeit des Irrtums gar nicht stellen könnte, weil im Zeitpunkt der Zollanmeldung der Irrtum noch gar nicht begangen war.
Aus dem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 23. März 1993 11 K 65/91 Z (ZfZ 1994, 116) ergeben sich keine für die Rechtsansicht der Klägerin sprechenden Argumente. Wenn es in dem Leitsatz jener Entscheidung heißt, dass es für die Erkennbarkeit des Irrtums maßgeblich auf die Verhältnisse zur Zeit der Zollanmeldung ankomme, so ist das FG in jener Entscheidung offenbar von dem üblichen Fall ausgegangen, dass die Zollanmeldung und die Abgabenerhebung in etwa zeitgleich stattfinden. Einen Fall, in dem die Abgaben erst mehrere Tage nach Abgabe der Zollanmeldung erhoben werden und der Abgabenschuldner während dieses Zeitraums weitere Erkenntnisse hinsichtlich des gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrags gewinnt, hatte das FG Baden-Württemberg nicht zu beurteilen. Das Gleiche gilt hinsichtlich der von der Klägerin für ihren Standpunkt angeführten Kommentierung von Alexander (in Witte, a.a.O., Art. 220 Rz 24), welche den Leitsatz vorstehend genannter Entscheidung des FG Baden-Württemberg lediglich sinngemäß wiedergibt.
Der seitens der Klägerin hervorgehobene Umstand, dass sich die Zollverwaltung hinsichtlich des Erfordernisses einer Einfuhrlizenz schon seit geraumer Zeit in einem "Dauerirrtum" befunden habe, rechtfertigt ebenfalls keine andere Entscheidung. Auch insofern kann auf die zutreffenden Ausführungen des FG verwiesen werden. Soweit die Klägerin des Weiteren geltend macht, dass sie spätestens mit der Annahme der Zollanmeldung und Überlassung der Ware jeglichen zollrechtlichen Handlungsspielraum verloren habe, hat das FG zu Recht darauf hingewiesen, dass sich das Vertrauen des Zollschuldners, um dessen Schutz es in Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK geht, nicht auf die Richtigkeit seiner Zollanmeldung, sondern auf die Richtigkeit der ursprünglichen buchmäßigen Erfassung der Einfuhrabgaben durch die Zollbehörde bezieht. Hätte die zuständige Zollstelle den Irrtum nicht begangen, sondern die Abgaben sogleich in der gesetzlich geschuldeten Höhe festgesetzt, hätte sich die Klägerin nicht darauf berufen können, bisher hinsichtlich der Entbehrlichkeit einer Einfuhrlizenz in gutem Glauben gewesen zu sein.
Der Senat hat aus den dargelegten Gründen keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK und sieht deshalb keine Verpflichtung, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (vgl. dazu: EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
3. Es bedarf schließlich keiner Ausführungen zum Vorbringen der Revision, dass die Klägerin alle Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten habe, weil sich das angefochtene FG-Urteil nicht darauf stützt, dass es an dieser Voraussetzung des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK fehle.
Ende der Entscheidung
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