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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 16.12.2008
Aktenzeichen: VII R 7/08
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 37 Abs. 2 S. 1
AO § 226 Abs. 4
1. Hat das für die Besteuerung der Organgesellschaft zuständige FA den Umsatzsteuererstattungsbetrag nicht an die Organgesellschaft, sondern an das für die Organträgerin zuständige FA --zugunsten des Steuerkontos der Organträgerin-- überwiesen, und ist dieser Betrag dort mit Umsatzsteuerschulden der Organträgerin verrechnet worden, so stellt die Überweisung des Erstattungsbetrags keine Leistung des für die Organgesellschaft zuständigen FA an die Organträgerin dar und löst folglich auch keinen Rückforderungsanspruch dieses FA gegenüber der Organträgerin aus.

2. Die Überweisung eines Geldbetrags von einem FA an ein anderes FA --zugunsten des Steuerkontos eines dort veranlagten Steuerpflichtigen-- kann nicht wie die Zahlung eines Dritten auf eine fremde Schuld behandelt werden, hat also keine unmittelbare Tilgungswirkung.


Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) einen Betrag von rd. 272 000 EUR zurückzahlen muss, weil sie diesen Betrag ohne Rechtsgrund von dem FA dadurch erhalten hat, dass das für die umsatzsteuerliche Veranlagung der Klägerin zuständige Finanzamt (im Folgenden: Veranlagungs-FA) diesen ihm vom FA überwiesenen Betrag auf Umsatzsteuerschulden der Klägerin angerechnet hatte.

Im Einzelnen liegt dem Streitverfahren folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin hat in den Streitjahren 2001 bis 2003 ein Einzelunternehmen betrieben, welches einer bei dem FA umsatzsteuerlich geführten GmbH, deren Gesellschafterin die Klägerin ist, sein Warenlager verkauft und sein Anlagevermögen vermietet hat, damit die GmbH damit einen Elektrogroßhandel betreiben kann. Die GmbH hat hierüber seit 2001 Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben und Umsatzsteuerbeträge in Höhe von insgesamt rd. 272 000 EUR an das FA abgeführt. Nach dem Ergebnis einer 2003 bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung besteht jedoch zwischen den Beteiligten Einigkeit, dass eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft vorlag und die Umsätze der GmbH daher der Klägerin als Organträgerin zuzurechnen sind. Über das Vermögen der GmbH ist inzwischen das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Das FA hat nach Feststellung der Organschaft den vorgenannten Betrag von rd. 272 000 EUR dem für die Klägerin zuständigen Veranlagungs-FA zugunsten des Steuerkontos der Klägerin überwiesen. Dies hat das Veranlagungs-FA der Klägerin mit Umbuchungsmitteilung vom 7. Januar 2004 (unter Aufteilung des vorgenannten Betrags auf die Umsatzsteuern 2001 bis 2003) mitgeteilt und den dem Steuerkonto der Klägerin gutgeschriebenen Betrag auch bei der Änderung der Umsatzsteuerbescheide der Klägerin für die Streitjahre angerechnet.

Der Insolvenzverwalter hat jedoch der Umbuchung der von der GmbH geleisteten Zahlungen zugunsten der Klägerin widersprochen und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 23. August 2001 VII R 94/99, BFHE 196, 18, BStBl II 2002, 330) einen Erstattungsanspruch der GmbH geltend gemacht. Das FA hat deshalb im Mai 2005 dem Insolvenzverwalter den Betrag von rd. 272 000 EUR als von der GmbH zu Unrecht geleistete Umsatzsteuer erstattet. Im Zusammenhang damit belastete das Veranlagungs-FA das Umsatzsteuerkonto der Klägerin erneut mit dem zuvor zu deren Gunsten verrechneten Betrag von rd. 272 000 EUR, machte dies jedoch alsbald einschließlich des darüber ergangenen Abrechnungsbescheids, der aufgehoben wurde, rückgängig (Bescheid des Veranlagungs-FA vom 17. Oktober 2005). Auch in einem erneuten Abrechnungsbescheid vom 30. November 2005 hielt das Veranlagungs-FA an der Verrechnung des vorgenannten Betrags zugunsten der Klägerin fest.

Das FA hat jedoch mit dem in diesem Verfahren angefochtenen Bescheid vom 28. September 2005 von der Klägerin den Betrag von rd. 272 000 EUR für sich zurückgefordert. Hiergegen richtet sich die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, die das Finanzgericht (FG) abgewiesen hat.

Es urteilte, das FA habe durch Überweisung auf das beim Veranlagungs-FA geführte Steuerkonto der Klägerin eine Leistung an die Klägerin erbracht; die Überweisung habe im Wege der Anrechnung im Rahmen von Umsatzsteuerbescheiden des Veranlagungs-FA zu einer Minderung der Steuerschulden der Klägerin geführt. Die Klägerin sei dadurch in ähnlicher Weise bereichert, als wenn die Zahlung unmittelbar an sie erfolgt wäre und sie damit ihre Steuerschulden bei dem Veranlagungs-FA getilgt hätte.

Die im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Klägerin von dem Veranlagungs-FA erlassenen Anrechnungsverfügungen hätten der Klägerin allerdings eine Rechtsposition eingeräumt, die ihr nach § 130 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) nicht mehr genommen werden könne. Die Anrechnung von Umsatzsteuer, die die Klägerin nie geleistet habe und die sie durch die fehlerhafte Überweisung auf das Steuerkonto beim Veranlagungs-FA auf Kosten des FA erlangt habe, sei jedoch ohne Rechtsgrund erfolgt. Denn die von der Organgesellschaft, der GmbH, geleisteten Zahlungen hätten dieser zugestanden. Deren Abtretung des diesbezüglichen Erstattungsanspruchs an die Klägerin sei aus mehreren Gründen unwirksam, insbesondere deshalb, weil ihr der Insolvenzverwalter widersprochen habe.

Mit dem Rückforderungsbescheid werde in die Bestandskraft der zu Unrecht erfolgten Anrechnungsverfügungen des Veranlagungs-FA nicht eingegriffen, sondern vielmehr der materielle Rückgewährsanspruch des FA mit einem --neuen-- Verwaltungsakt durchgesetzt. § 814 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) stehe der Rückforderung nicht entgegen; denn diese Vorschrift schließe einen Bereicherungsanspruch nur bei positiver Kenntnis von der fehlenden Zahlungsverpflichtung aus.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, die im Wesentlichen wie folgt begründet wird:

Bei der Abrechnung von Umsatzsteuer handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht um schlichte Kassenmitteilungen, sondern um Verwaltungsakte, die nur unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO berichtigt werden könnten. Die Rechtsprechung des BFH zur Bindungswirkung der Anrechnungsverfügung wäre obsolet, wenn, wie das FG meine, Umbuchungen als Zahlungen anzusehen seien und über § 37 Abs. 2 AO kondiziert werden könnten. Es entbehre überdies jeglicher Logik, wenn das FG einerseits eine Änderung der erlassenen Anrechnungsverfügungen gemäß § 130 Abs. 2 AO für ausgeschlossen halte, andererseits aber einen Rückforderungsanspruch des FA bejahe. Denn Anrechnungsverfügungen des für die Klägerin zuständigen Veranlagungs-FA, die regelten, dass die festgesetzte Steuerschuld der Klägerin durch Zahlung erloschen ist, könnten keinen Erstattungsanspruch bei anderen Finanzbehörden auslösen, auf deren Kosten die Anrechnung zu erfolgen hatte.

Ferner fehle es jedenfalls an einer Zahlung des FA an die Klägerin. Diese liege zwar in der erstmaligen Anrechnung der Steuerzahlungen der GmbH durch Umbuchung im Januar 2004. Infolge der Rückbuchung im März 2005 habe das FA diese Beträge jedoch zurückerhalten. Wenn man in der erneuten Überweisung des FA auf das Steuerkonto der Klägerin bei deren Veranlagungs-FA im Juli 2005 eine erneute Leistung sehe, stehe deren Kondizierung jedenfalls § 814 BGB entgegen.

Das FA trägt vor, ihm stehe ein Rückforderungsanspruch gegen die Klägerin zu, weil aus seinen Mitteln rechtsgrundlos an die Klägerin von der Organgesellschaft gezahlte Umsatzsteuer erstattet worden sei. Das FA greife damit nicht in die Bestandskraft des Abrechnungsbescheids über die Umsatzsteuer 2001 bis 2003 ein.

II.

Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Rückforderungsbescheids und der Einspruchsentscheidung des FA (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).

Als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid kommt nur § 37 Abs. 2 Satz 1 AO in Betracht. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, auf dessen Rechnung eine Steuerrückzahlung bewirkt worden ist, gegenüber dem Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des zurückgezahlten Betrags, wenn ohne rechtlichen Grund zurückgezahlt worden ist. Der Anspruch ist die Umkehrung des ohne rechtlichen Grund erfüllten Steuerrückzahlungsanspruchs. Er steht nach ständiger Rechtsprechung nicht demjenigen zu, von dem oder auf dessen Kosten die Zahlung erfolgt ist, sondern demjenigen, auf dessen Rechnung dies geschehen ist. Das ist grundsätzlich derjenige, gegen den sich der vermeintliche Zahlungsanspruch richtete, der also materiell-rechtlich zur Rückzahlung verpflichtet war, ungeachtet dessen, durch welche Zahlstelle er dieser vermeintlichen Verpflichtung nachgekommen ist.

Dementsprechend fehlt es im Streitfall an einer Zahlung des beklagten FA an die Klägerin nicht nur deshalb, weil ein tatsächlicher "Zahlungs"-Vorgang insofern nicht feststellbar ist, wie das FG mit Recht bemerkt hat, welches Hindernis allerdings unter Umständen nach den Grundsätzen der sog. Durchgriffskondiktion überwunden werden könnte, sondern vor allem deshalb, weil der vermeintliche Steuererstattungsanspruch der Klägerin sich nicht gegen das beklagte FA, sondern gegen das Land Berlin bzw. die Bundesrepublik Deutschland richtete. Das FA ist als Behörde lediglich ein Organ des Landes, welches die Umsatzsteuer verwaltet und nach näherer Maßgabe des Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes und des dazu ergangenen Ausführungsgesetzes Schuldner des dem Land zustehenden Teils einer etwaigen, von der Klägerin zurückzufordernden Umsatzsteuererstattungszahlung ist. Das zeigt z.B. § 226 Abs. 4 AO, der nicht etwa einzelne Behörden, sondern Körperschaften als Gläubiger und Schuldner steuerlicher Ansprüche anspricht. Deshalb kann die "Überweisung" eines FA an ein anderes FA derselben Körperschaft nicht als eine Zahlung zu Gunsten eines --wie auch immer infolge derselben wirtschaftlich begünstigten-- Steuerpflichtigen oder als eine kondizierbare "Leistung" diesem gegenüber angesehen werden. Sie stellt vielmehr eine verwaltungsinterne Maßnahme dar, die gegenüber dem Steuerpflichtigen in dem zu diesem bestehenden Steuerrechtsverhältnis keine Rechtswirkung zeitigt, genauso wenig wie es z.B. bei einer Umbuchung zwischen zwei von demselben Finanzamt geführten Steuerkonten der Fall wäre.

Die nach den Feststellungen des FG vom FA gegenüber dem Veranlagungs-FA vorgenommene "Überweisung" des Steuerbetrags, welcher der Klägerin erstattet werden sollte, ist also nicht wie die Zahlung eines Dritten auf eine fremde Schuld zu behandeln, welche infolge jener Tilgungsbestimmung die Schuld (hier: die vom Veranlagungs-FA verwaltete Steuerschuld der Klägerin) zum Erlöschen brächte und unter Umständen einen Bereicherungsanspruch gegenüber demjenigen zur Folge haben könnte, dessen Schuld die Zahlung des Dritten tilgen sollte. Klägerin, FA und Veranlagungs-FA formen, soweit es den Streitfall angeht, kein Dreieck selbständiger Rechtssubjekte mit je eigenständigen Rechtsbeziehungen untereinander, sondern der Umsatzsteuererstattungsanspruch ist der Klägerin (vermeintlich) im Rahmen des zu ihr bestehenden Umsatzsteuerschuldverhältnisses aufgrund des Organschaftsverhältnisses zu der GmbH (Organgesellschaft) erwachsen. Dementsprechend ist dieser Anspruch vom FA auch nicht etwa durch eine Erstattungszahlung befriedigt worden, sondern das FA hat die Befriedigung dem für das Umsatzsteuerrechtsverhältnis der Klägerin zuständigen Veranlagungs-FA überlassen, welches dann die erforderlichen Entscheidungen und sonstigen Rechtsakte (wie etwa eine Aufrechnungserklärung) erlassen hat. Auch das Veranlagungs-FA hat offenbar der "Überweisung" des FA keine solche, unmittelbar aufgrund einer Tilgungsbestimmung des FA eintretende Tilgungswirkung beigemessen, sondern eine "Umbuchungsmitteilung" für erforderlich gehalten, also durch einen von ihm als dem für Regelungen im Umsatzsteuerschuldverhältnis zu der Klägerin zuständigen FA vorgenommenen Rechtsakt die dem (vermeintlichen) Erstattungsanspruch der Klägerin entsprechende Steuerschuld zum Erlöschen bringen wollen.

Erst der Erklärung, die fragliche Umsatzsteuerrückzahlung werde mit den Umsatzsteuerschulden der Klägerin verrechnet, wohnt also eine Rechtswirkung in dem zu der Klägerin bestehenden Steuerschuldverhältnis inne. Diese Erklärung, die als wirksame Aufrechnungserklärung zu verstehen ist, welche wirksam abzugeben das Veranlagungs-FA, was die Gegenforderung angeht, gemäß § 226 Abs. 4 AO in der Lage war --und zwar ungeachtet der erwähnten vorherigen "Überweisung" des FA--, sowie die darauf fußenden, gegenüber der Klägerin erlassenen Anrechnungsverfügungen und Abrechnungsbescheide sind indes keine Rechtsakte des beklagten FA und folglich nicht Gegenstand dieses Verfahrens und der von dem erkennenden Senat zu treffenden Entscheidung. Diese muss deshalb darauf beschränkt sein, den angefochtenen Rückforderungsbescheid aufzuheben, weil dieser rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Ob das Veranlagungs-FA das dem materiellen Recht widersprechende steuerliche Ergebnis, dass der strittige, von der Organgesellschaft (nach Aufhebung der entsprechenden Voranmeldungen rechtsgrundlos) gezahlte Betrag von rd. 272 000 EUR sowohl der Organgesellschaft (nämlich an die Insolvenzmasse) erstattet als auch zu einer Minderung der Steuerschuld der Klägerin (Organträgerin) verwandt worden ist, korrigieren kann, oder ob dem unbeschadet der mangels Bestehens der Hauptforderung unwirksamen Aufrechnungserklärung des Veranlagungs-FA die Bestandskraft der von ihm erlassenen Anrechnungsverfügungen und Abrechnungsbescheide oder unter Umständen § 228 AO entgegensteht, ist daher nicht zu entscheiden (zur begrenzten Bestandskraftwirkung von Anrechnungsverfügungen vgl. Beschluss des Senats vom 13. Januar 2005 VII B 147/04, BFHE 208, 404, BStBl II 2005, 457).



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