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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 23.08.2001
Aktenzeichen: VII R 94/99
Rechtsgebiete: AO 1977, UStG, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 37
AO 1977 § 73
AO 1977 § 218 Abs. 2
UStG § 2 Abs. 1 Satz 1
UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2
FGO § 58
FGO § 60 Abs. 3
ZPO § 246 Abs. 1
Der Organträger hat auch nach Aufhebung der gegenüber einer vermeintlichen Organgesellschaft ergangenen Umsatzsteuerbescheide keinen unmittelbaren Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer, welche die Organgesellschaft zugunsten ihres eigenen Umsatzsteuerkontos gezahlt hat.
Gründe:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Gesamtvollstreckungsverwalter über das Vermögen einer Gesellschaft (im Folgenden: Gemeinschuldnerin), die im Jahre 1993 bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) umsatzsteuerrechtlich geführt wurde. Die Gemeinschuldnerin ist eine 100 %ige Tochter einer inzwischen im Handelsregister gelöschten AG, mit der ein Beherrschungs- und Abführungsvertrag bestand; die Beteiligten sind deshalb übereinstimmend der vom Finanzgericht (FG) gebilligten Auffassung, dass die Gemeinschuldnerin eine Organgesellschaft jener AG (im Folgenden: Muttergesellschaft) war.

Die Gemeinschuldnerin hat nach den Feststellungen des FG für das Jahr 1993 Umsatzsteuer in Höhe von rd. ... DM angemeldet und Vorauszahlungen von insgesamt ... DM geleistet. Die Gemeinschuldnerin hat jedoch inzwischen eine Umsatzsteuererklärung für 1993 abgegeben, welche --berichtigt-- Umsätze und Vorsteuern von 0 DM ausweist. Ihren Antrag, sie zur Umsatzsteuer zu veranlagen, hat das FA unter Hinweis auf die notwendige Erfassung der Umsätze und Vorsteuern bei dem Organträger abgelehnt. In der zu diesem Bescheid ergangenen Einspruchsentscheidung heißt es, die Festsetzungen über die Umsatzsteuer-Voranmeldungszeiträume 1993 seien damit aufgehoben. Die von der Gemeinschuldnerin geleisteten Vorauszahlungen hat das FA auf das Konto der Muttergesellschaft umgebucht und auf ihren Antrag hierüber den angefochtenen Abrechnungsbescheid erlassen.

Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

Gegen das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 154 veröffentlichte Urteil des FG richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, die im Wesentlichen folgendermaßen begründet wird:

Werde ein materiell fehlerhaft angenommenes Steuerschuldverhältnis formell durch Bescheidänderung beseitigt, bestehe ein mit der Zahlung der betreffenden Umsatzsteuerbeträge entstandener Anspruch auf Rückzahlung nach § 37 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Ferner bestehe ein Erstattungsanspruch wegen der von der Gemeinschuldnerin von vornherein ohne Rechtsgrund auf eigene Rechnung bewirkten Zahlung.

Für eine Aufrechnung des FA fehle es an einer Leistungspflicht der Organgesellschaft; zu dieser bestehe kraft Gesetzes kein Schuldverhältnis. Ein Steuerschuldverhältnis zur Organgesellschaft bestehe nur in den Fällen des § 73 AO 1977. Ein insofern anspruchsbegründender Haftungsbescheid liege jedoch nicht vor.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den geänderten Abrechnungsbescheid des FA vom 5. Februar 1998 und die Einspruchsentscheidung vom 20. März 1997 sowie das Urteil des FG dahin abzuändern, dass ein auszuzahlendes Guthaben in Höhe von ... DM bestehe.

Das FA beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Das FA weist zunächst darauf hin, dass die Gemeinschuldnerin infolge der Löschung ihrer einzigen Gesellschafterin im Handelsregister ihre Prozessfähigkeit verloren habe.

Materiell-rechtlich vertritt das FA die Auffassung, die Gemeinschuldnerin habe die Umsatzsteuer als Organgesellschaft letztlich für den Organkreis geleistet. Dem Grundsatz der Folgerichtigkeit steuerlichen Verhaltens und des gegenseitigen Vertrauens zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen müsse dadurch Rechnung getragen werden, dass nicht nur die Umsätze, sondern auch die geleisteten Vorauszahlungen der Mutter zugerechnet werden und etwaige Erstattungsforderungen nur dieser zustünden. Es sei unbillig, wenn eine Organgesellschaft zurückfordere, was vom Organkreis nachgezahlt werden müsse.

1. Der erkennende Senat kann entscheiden, obwohl die Muttergesellschaft der Gemeinschuldnerin inzwischen aus dem Handelsregister gelöscht worden ist und die Gemeinschuldnerin dadurch ihre Handlungsfähigkeit verloren haben mag. Denn dieser Rechtsstreit wird von dem Kläger, der aufgrund seines Amtes verfahrensrechtlich Rechtsnachfolger der Gemeinschuldnerin ist (vgl. Bundesfinanzhof --BFH--, Beschluss vom 23. November 1994 VIII R 51/94, BFH/NV 1995, 663), als Partei kraft Amtes geführt; auf seine prozessuale Rechtsstellung kann sich deshalb nicht auswirken, dass die Gemeinschuldnerin, wie das FA geltend macht, keine Vertreterin mehr besitzen und deshalb i.S. des § 58 der Finanzgerichtsordnung (FGO) prozessunfähig sein mag. Überdies könnte das Verfahren --was die Annahme einer Verfahrensunterbrechung im Streitfall vollends ausschließt-- selbst dann fortgesetzt werden, wenn der Kläger nicht Partei kraft Amtes, sondern lediglich rechtsgeschäftlicher Prozessbevollmächtigter der Gemeinschuldnerin wäre. Denn gemäß § 155 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) wird ein Klageverfahren ungeachtet des Wegfalls des gesetzlichen Vertreters eines Beteiligten fortgesetzt, wenn dieser durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist (BFH-Urteil vom 27. April 2000 I R 65/98, BFHE 191, 494, BStBl II 2000, 500).

2. Die vom FA für notwendig gehaltene Beiladung der Muttergesellschaft zu diesem Verfahren nach § 60 Abs. 3 Satz 1, § 123 Abs. 1 FGO ist nicht geboten. Abgesehen davon, dass die Muttergesellschaft nach dem Vortrag des FA gelöscht ist, ist sie an dem zum Erhebungsverfahren gehörigen Rechtsverhältnis, um das es hier geht, nicht beteiligt, die Rechtswirkungen der Entscheidung des Senats betreffen demgemäß ausschließlich den Kläger bzw. die Gemeinschuldnerin; in Rechte der Muttergesellschaft greift die Entscheidung nicht in einer Weise ein, dass die Entscheidung auch dieser gegenüber einheitlich ergehen müsste. Denn der streitige Abrechnungsbescheid betrifft nur die Zahlungspflichten, die zwischen der Gemeinschuldnerin bzw. dem Kläger und dem FA bestehen, wenn auch die Bejahung oder Verneinung einer (Rück-)Zahlungspflicht des FA gegenüber dem Kläger logische Folgerungen im Hinblick auf die Rechtsbeziehungen der Muttergesellschaft zum FA in einem insoweit durchzuführenden oder schon durchgeführten Abrechnungs- oder sonstigen Erhebungsverfahren nach sich ziehen müsste. Dies reicht jedoch für eine notwendige Beiladung nicht aus (vgl. Beschluss des Senats vom 11. Januar 1994 VII B 100/93, BFHE 173, 207, BStBl II 1994, 405).

3. Die Revision ist begründet. Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).

Abrechnungsbescheide nach § 218 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 entscheiden auf der Grundlage der Steuerbescheide nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 und der sonstigen Verwaltungsakte, durch welche die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis festgesetzt werden, über Streitigkeiten, welche die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO 1977) betreffen; sie entscheiden also darüber, ob und inwieweit der (im Allgemeinen durch Steuerbescheid) festgesetzte Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch zu verwirklichen ist oder ob er bereits erfüllt ist, weil eine bestimmte Zahlungsverpflichtung z.B. durch Zahlung, Aufrechnung, Verrechnung, Erlass, Eintritt der Zahlungsverjährung oder infolge von Vollstreckungsmaßnahmen erloschen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des erkennenden Senats vom 27. März 1968 VII 306/64, BFHE 92, 160, BStBl II 1968, 501; vom 17. Januar 1995 VII R 28/94, BFH/NV 1995, 580, 582, und vom 12. August 1999 VII R 92/98, BFHE 189, 331, BStBl II 1999, 751).

Die bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen ermöglichen keine abschließende Beurteilung, ob das beklagte FA in dem der (späteren) Gemeinschuldnerin erteilten wirksamen Abrechnungsbescheid zu Recht den vom FG festgestellten Überhang der geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen --dass andere oder weitere Zahlungen geleistet worden sein sollen, ist nicht zu berücksichtigen (§ 118 Abs. 2 FGO)-- über deren mangels Umsatzsteuerpflicht der Gemeinschuldnerin aufgrund des dazu ergangenen bestandskräftigen Steuerbescheides, nämlich des Bescheides über die Ablehnung einer Umsatzsteuerveranlagung 1993, mit 0 DM anzusetzende Jahresumsatzsteuerschuld sinngemäß als dadurch erloschen ausgewiesen hat, dass die vorgenannten Vorauszahlungen der Muttergesellschaft der Gemeinschuldnerin "zugerechnet" und auf deren Konto "umgebucht" worden sind.

Bei den vorgenannten Zahlungen handelt es sich um Umsatzsteuervorauszahlungen, die von der Gemeinschuldnerin auf ihre angebliche bzw. im Zahlungszeitpunkt durch deren Umsatzsteuervoranmeldungen formell wirksam begründete Umsatzsteuerschuld geleistet worden sind. Da die Beteiligten die Gemeinschuldnerin --in überzeugender Weise-- als steuerlich unselbständige Organgesellschaft, d.h. als finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen einer Muttergesellschaft (Organträger) eingegliedert (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes --UStG--), ansehen und das FA aufgrund dieser Erkenntnis die Umsätze der Gemeinschuldnerin (Organgesellschaft), der die Unternehmereigenschaft fehlt (§ 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 UStG), bei dem Organträger erfasst hat und die davon betroffenen Umsatzsteuerbescheide bzw. Anmeldungen durch die Ablehnung einer Jahresveranlagung erledigt bzw., wie es das FA in der Einspruchsentscheidung ausgedrückt hat, aufgehoben worden sind, fehlt es für die von der Gemeinschuldnerin geleisteten Vorauszahlungen (formell wie materiell) an einem Rechtsgrund. Sie hat nach § 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 Anspruch auf Erstattung derselben.

Denn nach § 37 Abs. 2 AO 1977 ist erstattungsberechtigt (Erstattungsgläubiger), auf wessen Rechnung eine Zahlung ohne rechtlichen Grund bewirkt worden ist. Das ist nach der Rechtsprechung des BFH derjenige, dessen --möglicherweise nur vermeintliche-- Steuerschuld nach dem Willen des Zahlenden, wie er im Zeitpunkt der Zahlung dem FA gegenüber erkennbar hervorgetreten ist, getilgt werden sollte (vgl. Urteil des Senats vom 25. Juli 1989 VII R 118/87, BFHE 157, 326, BStBl II 1990, 41). Die Vorschrift nimmt den Finanzbehörden eine Prüfung zivilrechtlicher Beziehungen, etwa zwischen dem Steuerschuldner und einem zahlenden Dritten oder zwischen Personen, die eine Steuer als Gesamtschuldner zu leisten haben, ab; ein Erstattungsanspruch soll nicht davon abhängen, wer von ihnen --im Innenverhältnis-- auf die zu erstattenden Beträge materiell-rechtlich einen Anspruch hat (vgl. Urteil in BFHE 157, 326, BStBl II 1990, 41, 42). Eine von einem --wirklichen oder vermeintlichen-- Steuerschuldner geleistete Zahlung kann auch grundsätzlich nicht auf die Steuerschuld eines anderen Steuerschuldners angerechnet werden (vgl. Senatsurteil vom 4. April 1995 VII R 82/94, BFHE 177, 224, BStBl II 1995, 492), sondern ist ggf. demjenigen zu erstatten, der im Sinne der vorstehenden Ausführungen als Leistender aufgetreten ist.

Zu Unrecht hat das FG dem Urteil des Senats in BFH/NV 1995, 580 entnommen, Umsatzsteuerzahlungen, welche die Organgesellschaft auf ihre vermeintlich eigene Steuerschuld geleistet hat, könnten auf die Umsatzsteuerschuld der Muttergesellschaft angerechnet werden, sobald entsprechende Steuerfestsetzungen vorgenommen worden sind (zur Möglichkeit der Änderung der Steuerfestsetzungen siehe schon BFH-Urteil vom 7. Juli 1966 V 20/64, BFHE 86, 541, BStBl III 1966, 613, sowie das Urteil des Senats in BFH/NV 1995, 580). Allerdings kommt, wie der Senat in diesem Urteil ausgeführt hat, eine "Anrechnung" gegen eine Organgesellschaft festgesetzter und von dieser gezahlter Umsatzsteuer auf die Umsatzsteuerschuld des Organträgers dann von vornherein nicht in Betracht, wenn die Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der Organgesellschaft, auf die von dieser Zahlungen erbracht worden sind, (noch) nicht aufgehoben worden sind (vgl. auch Urteil des Senats vom 26. November 1996 VII R 49/96, BFH/NV 1997, 537); denn im Abrechnungsverfahren nach § 218 Abs. 2 AO 1977 ist auf die (formelle) Bescheidlage und nicht auf die (materielle) Rechtslage abzustellen, einerlei ob es um eine Steuerzahlung oder --wie hier-- um eine Steuererstattung geht.

Das lässt indes nicht den Umkehrschluss zu, nach Änderung der betreffenden Steuerfestsetzung sei ein Erstattungsanspruch der Muttergesellschaft gegeben, welche die betreffenden Steuerzahlungen nicht geleistet hat und zugunsten deren Umsatzsteuerkonto sie auch von der (vom FA überhaupt erst später als solche erkannten) Organgesellschaft nicht geleistet worden sind.

Der Senat hat in diesem Zusammenhang bereits in seinem Urteil vom 30. Oktober 1984 VII R 70/81 (BFHE 142, 207, BStBl II 1985, 114), auf das auch in der Entscheidung in BFH/NV 1995, 580 Bezug genommen wird, ausgeführt, bei organschaftsähnlich verbundenen (Personen-)Gesellschaften müsse sich die herrschende Gesellschaft an die beherrschte Gesellschaft ausgezahlte Umsatzsteuer nicht auf einen Umsatzsteueranspruch anrechnen lassen, der sich nach den gesamten Umsätzen des Organkreises ergibt; das FA müsse vielmehr diese Umsatzsteuer nach Aufhebung des entsprechenden Umsatzsteuerbescheids von der beherrschten Gesellschaft zurückfordern. Die für diese rechtliche Beurteilung vom Senat angeführte Maßgeblichkeit der bestandskräftigen Verwaltungsakte und der zu deren Verwirklichung geleisteten Zahlungen der Beteiligten schließt es nicht nur aus, gegen eine Organgesellschaft festgesetzte und von dieser gezahlte Umsatzsteuer auf die Umsatzsteuerschulden der Muttergesellschaft anzurechnen, ohne dass die Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der Organgesellschaft aufgehoben worden sind. Auch nach Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide gegenüber der Organgesellschaft besteht kein unmittelbarer Erstattungsanspruch des Organträgers. Für eine Berücksichtigung von Vorschriften des materiellen Steuerrechts (nämlich der umsatzsteuerrechtlichen Grundsätze der Organschaft) ist insofern grundsätzlich kein Raum. Die im Festsetzungsverfahren vorzunehmende "Umbuchung" der vermeintlichen eigenen Umsätze der Organgesellschaft auf die Muttergesellschaft hat also nicht etwa Auswirkung auf das Steuererhebungsverfahren dahin, dass die wegen der angeblichen Umsätze geleisteten Steuer(voraus)zahlungen ebenfalls als (fiktiv) von der Muttergesellschaft geleistet "umzubuchen", d.h. mit deren Steuerschulden zu verrechnen oder dieser zu erstatten wären (vgl. auch den Senatsbeschluss vom 21. Juni 1994 VII R 68/93, BFH/NV 1995, 91).

Der erkennende Senat setzt sich mit dieser rechtlichen Würdigung nicht in einer mit § 11 Abs. 2 FGO unvereinbaren Weise in Widerspruch zu der Rechtsprechung des V. Senats des BFH und insbesondere den vom FG insofern angeführten Entscheidungen.

In dem Urteil vom 16. Dezember 1965 V 82/60 S (BFHE 85, 250, BStBl III 1966, 300) hat es der V. Senat allerdings als selbstverständlich bezeichnet, dass die bereits von der Organgesellschaft gezahlte Umsatzsteuer auf die Mehrsteuer der Muttergesellschaft angerechnet werden muss, weil es rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspreche, dieselben Umsätze doppelt zu besteuern. Die Umsatzsteuerzahlungen der Organgesellschaft, so hat der V. Senat seinen Rechtsstandpunkt später konkretisiert, seien der Muttergesellschaft zuzurechnen und eine etwaige Erstattungsforderung stehe der Muttergesellschaft selbst dann zu, wenn die Organgesellschaft Umsatzsteuer aufgrund eines an sie gerichteten Umsatzsteuerbescheides gezahlt hat, sofern die Berufung der Organgesellschaft auf den Wegfall der Steuerschuld nach einer Aufhebung der Steuerfestsetzungsbescheide gegen Treu und Glauben verstoße (vgl. BFH-Urteil vom 17. September 1981 V R 35/79, nicht veröffentlicht --NV--, und Beschluss vom 31. August 1987 V B 53/87, BFH/NV 1988, 201). Der erkennende Senat hat indes bereits in dem Urteil in BFH/NV 1997, 537 ebenso wie schon in seinem Urteil in BFH/NV 1995, 580, 581 darauf hingewiesen, dass diese Entscheidungen, die für die Frage der Anrechnung und Erstattung von Steuerzahlungen, die von der Organgesellschaft gezahlt worden sind, eine gewisse (Mit-)Berücksichtigung der materiellen Rechtslage einschließlich der Grundsätze von Treu und Glauben vorsähen, nicht im Verfahren über Abrechnungsbescheide nach § 218 Abs. 2 AO 1977 ergangen seien. Für das Urteil in BFHE 85, 250, BStBl III 1966, 300 ist überdies die Ansicht, die von der Organgesellschaft gezahlte Umsatzsteuer müsse auf die von der Mutter geschuldete Steuer angerechnet werden, nicht tragend; die in dem Urteil bejahte Beschwer der Mutter durch die umsatzsteuerrechtliche Erfassung der mit ihrem angeblichem Organ getätigten (in Wahrheit nicht steuerbaren Innen-)Umsätze beruht darauf, dass der V. Senat sinngemäß auf die durch die Einbeziehung dieser Umsätze bewirkte Erhöhung der festgesetzten Steuer abgestellt hat. In dem zudem gemäß § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen ergangenen Beschluss V R 35/79 ist der Gesichtspunkt, Umsatzsteuerzahlungen der Organgesellschaft seien dem Organträger zuzurechnen mit der Folge, dass eine etwaige Erstattungsforderung dem Organträger zustehe, nur als zusätzliche Bestätigung für das bereits anderweit tragend begründete Ergebnis angeführt, die Organgesellschaft könne einen Erlass der Umsatzsteuer aus persönlichen Billigkeitsgründen nicht verlangen. In dem Beschluss in BFH/NV 1988, 201 schließlich hat der V. Senat die Erstattungsberechtigung der Organgesellschaft letztlich offen gelassen, weil jedenfalls kein Anordnungsgrund dafür vorliege, durch einstweilige Anordnung die Umbuchung von der Organgesellschaft gezahlter Umsatzsteuer auf das Umsatzsteuerkonto des Organträgers zu verbieten.

Im Übrigen setzt sich der erkennende Senat aber mit seiner Rechtsansicht auch aus folgenden Gründen nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des V. Senats:

Der V. Senat hat der Organgesellschaft die Berufung auf den Wegfall der Steuerschuld nach einer Aufhebung der Steuerfestsetzungsbescheide versagt, sofern diese gegen Treu und Glauben verstoßen würde (Entscheidungen V R 35/79 und in BFH/NV 1988, 201), nachdem er in dem Urteil in BFHE 85, 250, BStBl III 1966, 300 den insofern maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt noch hat dahinstehen lassen. Auch das Schrifttum stellt darauf ab, dass die Geltendmachung eines Erstattungsanspruches der Organgesellschaft treuwidrig sein könne (Birkenfeld in Hartmann/ Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., E § 2 Abs. 2 Nr. 2 Rdnr. 741 ff.; vgl. auch Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rdnr. 144; offenbar weitergehend, jedoch ohne rechtliche Begründung Eckert, Das Steuerschuldverhältnis bei der umsatzsteuerlichen Organschaft nach der Rechtsprechung des BFH, Steuern und Bilanzen, 1999, 922).

Der erkennende Senat braucht nicht abschließend zu erörtern, unter welchen Voraussetzungen der Gesichtspunkt von Treu und Glauben es rechtfertigen kann, eine Verrechnung von der Organgesellschaft auf ihre (angebliche) Schuld geleisteter Steuer mit der Steuerschuld einer anderen, handelsrechtlich eigenständigen Gesellschaft gegen jener Willen vorzunehmen, ob es also möglich ist, aus Treu und Glauben gleichsam einen Anspruch des FA gegenüber der Organgesellschaft auf Abschluss eines Verrechnungsvertrages zugunsten der umsatzsteuerlichen Mutter herzuleiten. Ein Verrechnungsanspruch des FA kann jedenfalls nur nach den Umständen des einzelnen Falles angenommen werden, an dessen Besonderheiten sich die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben orientieren muss.

Insofern fällt grundsätzlich ins Gewicht, worauf die Revision mit Recht hinweist, dass nämlich eine Organgesellschaft nach § 73 AO 1977 für die Steuerschuld ihrer Mutter haftet und das FA nach (rechtzeitiger) Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft den Haftungsanspruch deren Steuererstattungsanspruch entgegenhalten und aufrechnen könnte. Dann aber ist es im Allgemeinen nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar, das FA auf diesen vom Gesetz zur effektiven Durchsetzung seiner Steuerforderungen im Organkreis vorgezeichneten Weg zu verweisen, und es ist nicht treuwidrig, wenn die Tochter ungeachtet einer etwaigen Zahlungsunfähigkeit der Muttergesellschaft für deren Steuerschulden im Erhebungsverfahren nicht unmittelbar einstehen will, sondern an sich unzweifelhaft entstandene eigene Steuererstattungsansprüche für sich beansprucht.

Dass die Gemeinschuldnerin oder der Kläger durch ihre Vorgehensweise treuwidrig eine ggf. notwendige Durchsetzung der Umsatzsteuerforderung des FA im Haftungswege hätten vereiteln oder erschweren wollen, ist nicht festgestellt und bislang nicht erkennbar. Es fehlt im Streitfall nach den bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen des FG auch sonst an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Gemeinschuldnerin sich den Vorwurf der Treuwidrigkeit gefallen lassen müsste, etwa dass sie von vornherein das Vorliegen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft erkannt und gleichwohl Umsatzsteuervoranmeldungen nur abgegeben hat, um das FA in die Irre zu führen und dadurch eine zutreffende Erfassung der Unternehmensumsätze bei der Muttergesellschaft zu vereiteln. Allein die --übrigens vom FG nicht festgestellte-- Abgabe einer für das FA leicht als unzutreffend durchschaubaren Erklärung, in der sich die Muttergesellschaft zunächst die von ihren Organgesellschaften geleisteten Vorauszahlungen angerechnet haben soll, machte es nicht treuwidrig, dass die Gemeinschuldnerin nunmehr auf ihrer eigenen handelsrechtlichen Rechtspersönlichkeit beharrt und dass sich der Kläger hierauf und auf den dadurch gerechtfertigten Erstattungsanspruch der Organgesellschaft beruft.

4. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, muss sein Urteil aufgehoben werden.

Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Dem Kläger steht die Erstattung der in dem angefochtenen Bescheid festgestellten, vom FG in seinem Urteil als richtig bestätigten "überzahlten Beträge" --d.h. des Überhangs der aufgrund formell wirksamer, durch die Ablehnung der Jahresveranlagung jedoch erledigter Umsatzsteuervoranmeldungen geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen über die nach Ablehnung der Umsatzsteuerveranlagung der Gemeinschuldnerin geschuldete Umsatzsteuer in Höhe von 0 DM-- nur dann zu, wenn der Gemeinschuldnerin wegen der beabsichtigten Durchsetzung ihres Umsatzsteuererstattungsanspruches weder der Vorwurf der Treuwidrigkeit gemacht werden kann noch über diesen Betrag --wie das FA indes geltend macht-- ein wirksamer Verrechnungsvertrag zustande gekommen ist. Insbesondere Letzteres erfordert eine weitere tatrichterliche Würdigung der Streitsache. Zwar hat das FG offenbar die Behauptung des FA, mit der Gemeinschuldnerin sei ein Verrechnungsvertrag geschlossen worden, als widerlegt angesehen, wie seiner Bemerkung zu entnehmen ist, der angefochtene Bescheid sei zutreffend, "wenn auch nicht mit der vom Beklagten angegebenen Begründung". Diese nur obiter geäußerte Ansicht entbehrt jedoch näherer Darlegung, welche erst die ihr zugrunde liegende tatrichterliche Würdigung in der erforderlichen Weise einer revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglich machen würde.

Die Sache muss daher an das FG zurückgehen.

Ende der Entscheidung

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