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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 24.04.2006
Aktenzeichen: VII S 43/05 (PKH)
Rechtsgebiete: AO 1977, InsO, FGO, ZPO


Vorschriften:

AO 1977 § 34
AO 1977 § 69
InsO § 129 Abs. 1
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 133 Abs. 1
InsO § 142
FGO § 76
FGO § 142
ZPO § 114
ZPO § 117 Abs. 2
ZPO § 117 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm den als Geschäftsführer einer in Insolvenz geratenen GmbH tätigen Antragsteller, Kläger und Revisionskläger (Antragsteller) gemäß §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen in den Monaten November und Dezember 2001 nicht abgeführter Lohnsteuer als Haftungsschuldner in Anspruch. Über das Vermögen der GmbH ist im Januar 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Nach dem vom Antragsteller im Wesentlichen erfolglos angestrengten Einspruchsverfahren hat das Finanzgericht (FG) die Klage als unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen. Das FG urteilte, dass der Antragsteller durch die Nichtabführung der Lohnsteuerbeträge den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 verwirklicht habe. Da er die Löhne ungekürzt ausgezahlt und keine Mittel zur Begleichung der Lohnsteuerschulden bereit gehalten habe, werde die schuldhafte Pflichtverletzung nicht dadurch ausgeschlossen, dass die GmbH möglicherweise an den Fälligkeitstagen nicht mehr über die entsprechenden Mittel zur Erfüllung der Steueransprüche verfügte. An der Kausalität der Pflichtverletzung ändere auch der Umstand nichts, dass der Steuerausfall möglicherweise auch bei einem pflichtgemäßen Verhalten des Antragstellers durch Anfechtung der Zahlungen durch den Insolvenzverwalter eingetreten wäre. Da § 69 AO 1977 Schadensersatzcharakter habe, könne ein hypothetischer Kausalverlauf keine Berücksichtigung finden. Aufgrund der Pflichtverletzung des Antragstellers sei ein Schaden entstanden und es sei kein Grund ersichtlich, warum ein Haftungsanspruch nicht entstehen solle.

Gegen das erstinstanzliche Urteil hat der Antragsteller Revision eingelegt und die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung des für ihn bereits tätig gewordenen Prozessbevollmächtigten beantragt. Zur Begründung der Revision trägt der Antragsteller vor, dass er sich aufgrund der in § 64 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung normierten Schadensersatzpflicht in einer Pflichtenkollision befunden habe. Denn nach dieser Vorschrift habe er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit, die bereits Mitte Oktober 2001 eingetreten sei, keine Zahlungen mehr vornehmen dürfen. Darüber hinaus hätte der Insolvenzverwalter die Lohnsteuerzahlungen, selbst wenn diese fristgerecht vorgenommen worden wären, nach § 129 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) anfechten können. Die GmbH sei zu den Fälligkeitszeitpunkten bereits zahlungsunfähig gewesen. Aus den Vollstreckungs- und Stundungsakten habe das FA Umstände erkennen können, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit hätten schließen lassen. Denn die mit dem FA getroffenen Stundungsvereinbarungen habe die GmbH nicht einhalten können. Für die Monate August bis November 2001 seien keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die geschuldeten Abgaben auch nicht entrichtet worden. Da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Lohnsteuerzahlungen kein Bargeschäft darstellten, sei die Anfechtung auch nicht nach § 142 InsO ausgeschlossen. Schließlich hätte das FG den Sachverhalt --insbesondere hinsichtlich des Zeitpunktes des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit-- nach § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) näher aufklären müssen.

Der Antrag ist begründet.

Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann eine solche Erfolgsaussicht bereits dann bestehen, wenn es bei der Hauptsache um schwierige rechtliche Fragen geht, über die im PKH-Verfahren eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist, und wenn die Einwände des Antragstellers nicht von vornherein aussichtslos erscheinen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 142 Rz 40, m.w.N.).

a) Im Streitfall geht es um die von den Instanzgerichten unterschiedlich beurteilte und vom BFH noch nicht abschließend geklärte Frage, ob die Abführung von Lohnsteuern in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung darstellt, oder ob ein sog. Bargeschäft nach § 142 InsO vorliegt, das nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO angefochten werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 11. August 2005 VII B 244/04, BFHE 210, 410, BStBl II 2006, 201, sowie die Entscheidungen des FG des Saarlandes vom 22. März 2005 2 V 354/04, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 1091; vom 20. Dezember 2004 2 V 385/04, EFG 2005, 680; des FG Baden-Württemberg vom 28. Juli 2004 1 V 30/04, EFG 2004, 1425, und vom 30. August 2004 1 V 49/03, EFG 2005, 2; des FG Münster vom 23. Juni 2004 7 K 5031/00 L, EFG 2006, 13, und des FG Rheinland-Pfalz vom 13. Oktober 2005 6 K 2803/04, EFG 2006, 83). Darüber hinaus ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob sich eine Anfechtbarkeit der Lohnsteuerzahlungen auf die für die Tatbestandsverwirklichung von § 69 AO 1977 zu fordernde Kausalität zwischen Tathandlung und Schadenseintritt auswirken kann. In Anbetracht der erheblichen Unsicherheiten in der Beurteilung dieser schwierigen Rechtsfragen, deren Klärung im PKH-Verfahren nicht möglich ist, erscheint die Revision des Antragstellers nicht von vornherein aussichtslos, so dass die begehrte PKH zu gewähren war.

b) Aufgrund der Angaben, die der Antragsteller in der nach § 117 Abs. 2 und 4 ZPO vorgelegten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, gelangt der Senat zu der Auffassung, dass der Antragsteller die Kosten der Rechtsverfolgung nur in Raten aufbringen kann.

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