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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 24.02.2005
Aktenzeichen: VIII B 216/03
Rechtsgebiete: FGO, GKG
Vorschriften:
FGO § 6 Abs. 1 | |
FGO § 69 Abs. 3 | |
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1 | |
FGO § 69 Abs. 5 | |
FGO § 69 Abs. 6 | |
FGO § 69 Abs. 6 Satz 1 | |
FGO § 79a Abs. 3 | |
FGO § 79a Abs. 4 | |
GKG § 11 Abs. 1 |
Gründe:
Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG).
1. Der angefochtene Beschluss verletzt das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes --GG--). Für die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung war nicht der Einzelrichter zuständig.
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse nach den Abs. 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO).
aa) Hat das Gericht einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO teilweise oder ganz abgelehnt, kann der Antragsteller jederzeit einen neuen Antrag stellen, da die Entscheidung nicht in materielle Rechtskraft erwächst. Das gilt entgegen der Auffassung des FG nicht nur dann, wenn zwischenzeitlich der Bundesfinanzhof (BFH) für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig geworden ist. Auch in diesem Fall kann der Antragsteller wählen, ob er die Änderung oder Aufhebung des vom FG erlassenen Beschlusses gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO beantragt oder einen neuen Antrag stellt. Als Gericht der Hauptsache ist der BFH sowohl für die Entscheidung über den neuen Antrag als auch für die Änderung oder Aufhebung des noch vom FG erlassenen Beschlusses zuständig (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rn. 1194; Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rn. 335; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Tz. 164).
bb) Die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ist allerdings zusätzlich an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gebunden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. September 1996 I B 39/96, BFH/NV 1997, 247; vom 25. März 1998 IX S 27/97, BFH/NV 1998, 1115; vom 13. Oktober 1999 I S 4/99, BFHE 190, 34, BStBl II 2000, 86; Senatsbeschluss vom 24. August 2004 VIII S 1/04, juris). Eine erneute Entscheidung in der Sache kann der Antragsteller also nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände herbeiführen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO).
b) Für die Entscheidung über einen Folgeantrag auf Aussetzung der Vollziehung ist das "Gericht der Hauptsache" zuständig (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO). Ist die Klage in der Hauptsache noch nicht erhoben worden, kommt es darauf an, welcher Spruchkörper nach dem Geschäftsverteilungsplan des örtlich zuständigen FG für die Entscheidung in der Hauptsache voraussichtlich zuständig wäre.
c) Nach § 6 Abs. 1 FGO kann der Senat den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Hat --wie im Streitfall-- der Einzelrichter einen ihm gemäß § 6 Abs. 1 FGO vom Senat zur Entscheidung übertragenen Antrag i.S. des § 69 Abs. 3 FGO abgelehnt und beantragt der im Verfahren sachkundig vertretene Antragsteller in derselben Angelegenheit ausdrücklich erneut die Aussetzung der Vollziehung, ist für die Entscheidung über den neuen Antrag nicht der Einzelrichter, sondern der Senat zuständig.
aa) Mit Beschluss vom 26. August 1997 VII B 80/97 (BFH/NV 1998, 463) hat der VII. Senat des BFH ausgesprochen, dass sich die Übertragung des Rechtsstreits zur Entscheidung auf den Einzelrichter zwar auf alle Neben- und Folgeentscheidungen sowie unselbständigen Nebenverfahren erstreckt, nicht jedoch auf solche selbständigen Nebenverfahren (z.B. Aussetzung der Vollziehung oder einstweilige Anordnung) oder selbständigen Zwischenverfahren wie eine Richterablehnung, die im Regelfall im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zuweisung der Sache an den Einzelrichter nicht vorhersehbar oder absehbar sind. Dem schließt sich der beschließende Senat an. Ein Folgeantrag auf Aussetzung der Vollziehung eröffnet nicht nur in Bezug auf den Rechtsstreit in der Hauptsache, sondern auch in Bezug auf das vorangegangene selbständige Nebenverfahren auf Aussetzung der Vollziehung ein neues, selbständiges Nebenverfahren, über das durch einen weiteren Beschluss --außerhalb der Entscheidung in der Hauptsache-- zu entscheiden ist.
bb) Etwas anderes ergibt sich nicht aus der mit § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO vom Gesetzgeber bezweckten Entlastung der Gerichte (vgl. BTDrucks 12/1061). Die Vorschrift begrenzt lediglich den Umfang der sachlichen Prüfung durch das zuständige Gericht, regelt aber nicht dessen Besetzung. Eine Einschränkung des Rechts auf den gesetzlichen Richter war damit auch nicht beabsichtigt. Dass mehrere Verfahren nach § 69 Abs. 3, 5 FGO innerhalb eines Rechtszugs als ein Verfahren gelten (vgl. Kostenverzeichnis Nr. 3210, Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes --GKG-- in der bis zum Juni 2004 gültigen Fassung), lässt ebenfalls keinen Schluss auf die sachliche Reichweite der Übertragung des Rechtsstreits zur Entscheidung auf den Einzelrichter zu.
cc) Die Entscheidungsbefugnis des Einzelrichters ergibt sich im Streitfall auch nicht daraus, dass er den erneuten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in einen Antrag auf Änderung oder Aufhebung gemäß § 69 Abs. 6 FGO umgedeutet hat. Der Senat kann offen lassen, ob für die Entscheidung über einen solchen Antrag ohne weiteren Übertragungsbeschluss der Einzelrichter zuständig ist, der die Ausgangsentscheidung erlassen hat (so: Gosch in Beermann, a.a.O., § 69 FGO Rn. 336; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 69 Rz. 201). Jedenfalls für die (noch) im Verfahren über den Folgeantrag zu treffende Entscheidung, das Begehren in einen Antrag auf Änderung oder Aufhebung des ablehnenden Beschlusses gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO umzudeuten, wäre der Senat zuständig gewesen.
d) Im Streitfall hat der Einzelrichter anstelle des Senats entschieden, ohne dass in dem zu entscheidenden Verfahren ein wirksamer Beschluss gemäß § 6 Abs. 1 FGO ergangen war. Die Voraussetzungen des § 79a Abs. 3 und Abs. 4 FGO lagen unstreitig ebenfalls nicht vor. Die Vorentscheidung leidet deshalb an einem schweren Verfahrensmangel.
2. Der Verfahrensverstoß führt im Streitfall zur Zurückverweisung der Sache ohne Sachprüfung an den zuständigen Senat des FG. Der BFH kann, wenn eine Beschwerde begründet ist, nach seinem Ermessen entweder durch eigene Sachentscheidung das Verfahren beenden oder die Sache an das FG zurückverweisen (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Juni 2001 V B 6/01, BFH/NV 2001, 1589). Die Zurückverweisung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die Vorinstanz unter Verstoß gegen die Vorschriften über die Besetzung des Gerichts entschieden hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Juli 1999 V B 25/99, BFH/NV 2000, 192, und vom 14. April 2000 V B 39/00, BFH/NV 2000, 1230, m.w.N.).
Ende der Entscheidung
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