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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 03.03.1998
Aktenzeichen: VIII B 62/97
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

GKG § 25 Abs. 2 Satz 1
GKG § 25 Abs. 2
BUNDESFINANZHOF

Ein nach dem 31. Dezember 1995 bekanntgegebener Gewinnfeststellungsbescheid, der gegen die Gesellschafter einer atypisch stillen Gesellschaft gerichtet ist, kann vom Inhaber des Handelsgeschäfts nicht nach § 352 Abs. 1 Nr. 1, erste Alternative AO 1977 i.d.F. des Grenzpendlergesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl I, 1395) mit dem Einspruch angefochten werden.

AO 1977 § 352 Abs. 1 und 2 FGO § 69 Abs. 3

Beschluß vom 3. März 1998 - VIII B 62/97 -

Vorinstanz: Hessisches FG


Gründe

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 26 (im folgenden: Antragstellerin zu 26 oder AG) ist eine Ende August 1990 im Wege der formwechselnden Umwandlung aus einer GmbH entstandene Aktiengesellschaft. Die AG schloß mit den Antragstellern und Beschwerdeführern zu 1 bis 25 (im folgenden: Antragsteller zu 1 bis 25 oder atypisch stille Gesellschafter) Ende 1990 jeweils einen "Vertrag über die Errichtung einer atypischen stillen Gesellschaft".

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erließ für die Jahre 1990 bis 1993 Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für "atypisch stille Gesellschaft in ... AG". Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

In den Jahren 1995/1996 führte das FA bei der AG und atypisch stille Gesellschafter eine Außenprüfung durch, die zu dem Ergebnis kam, daß die Voraussetzungen für eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb bei den Antragstellern nicht vorlägen und das jeweilige Jahresergebnis ausschließlich der AG zuzurechnen sei.

Das FA erließ daraufhin am 18. Oktober 1996 gegenüber den Antragstellern zu 1 bis 26 jeweils endgültige negative Feststellungsbescheide für die Jahre 1990 bis 1995, in denen es die für 1990 bis 1993 ergangenen Feststellungsbescheide gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 aufhob und die beantragte Gewinnfeststellung für die Jahre 1994 und 1995 ablehnte. Die negativen Feststellungsbescheide wurden den Antragstellern jeweils gesondert bekannt gegeben.

Gegen diese Bescheide legten die "AG und atypische stille Gesellschafter" und die AG mit Schreiben vom 25. Oktober 1996 Einspruch ein und beantragten zugleich, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide in der Weise auszusetzen, daß den atypisch stillen Gesellschaftern die in den Feststellungserklärungen 1990 bis 1995 angegebenen Gewinn/Verlustanteile und sonstigen Besteuerungsgrundlagen zugerechnet werden.

Der Antragsteller zu 12 legte am 21. November 1996 Einspruch ein. Über die Einsprüche hat das FA noch nicht entschieden.

Mit Verfügung vom 8. Januar 1997 lehnte das FA den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab, nachdem es bereits am 18. Dezember 1996 telefonisch die Ablehnung des Antrags mitgeteilt hatte.

Mit ihren beim Finanzgericht (FG) gestellten Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung tragen die Antragsteller im wesentlichen vor, die atypisch stillen Beteiligungen erfüllten die Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), so daß gemäß §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellungen durchzuführen seien.

Das FG hat die Anträge abgewiesen.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide seien nicht begründet. Das FA habe es zu Recht abgelehnt, für die Antragsteller ein Feststellungsverfahren durchzuführen. Zwischen den Antragstellern habe in den Streitjahren kein zivilrechtlich beachtliches Gesellschaftsverhältnis als Voraussetzung einer Mitunternehmerschaft bestanden.

Das FG hat die Beschwerde zugelassen.

Die Antragsteller haben gegen den Beschluß des FG Beschwerde eingelegt, der das FG nicht abgeholfen hat.

Die Antragsteller zu 1 bis 26 beantragen sinngemäß, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Vollziehung der negativen Feststellungsbescheide 1990 bis 1995 vom 18. Oktober 1996 bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung auszusetzen. Für die negativen Feststellungsbescheide 1994 und 1995 gelte dies mit der Maßgabe, daß vorläufig bis zu einem Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung von einem Verlust in Höhe von 118 996 DM und für das Kalenderjahr 1995 von einem Verlust von 329 076 DM auszugehen sei.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Die zulässige Beschwerde ist begründet, soweit sie von der AG und dem Antragsteller zu 12 eingelegt wurde. Der angefochtene Beschluß ist insoweit aufzuheben; die angefochtenen Feststellungsbescheide werden teilweise ausgesetzt.

Beschwerde der Antragsteller zu 12 und 26

Das FG hat insoweit zutreffend die Zulässigkeit des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung bejaht.

a) Es ist zu Recht davon ausgegangen, daß in Verfahren, die einen negativen Feststellungsbescheid betreffen, vorläufiger Rechtsschutz nicht durch einstweilige Anordnung, sondern durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist (st. Rspr. seit dem Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637; vgl. die Nachweise bei Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 69 FGO Tz. 40).

b) Die AG und der Antragsteller zu 12 waren berechtigt, vorläufigen Rechtsschutz gegen den negativen Feststellungsbescheid zu beantragen. Sie haben den Bescheid vom 18. Oktober 1996 rechtzeitig mit dem Einspruch angefochten (§ 69 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Sie sind auch persönlich antragsbefugt. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist ein Nebenverfahren zum Verfahren der Hauptsache (hier: Einspruch). Aussetzung der Vollziehung eines Feststellungsbescheides kann jeder beantragen, der in der Hauptsache zur Einlegung von Rechtsbehelfen gegen diesen Bescheid berechtigt ist (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 69 Rz. 17; Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz. 60).

Im Streitfall bestimmt sich die Rechtsbehelfsbefugnis der Feststellungsbeteiligten nach § 352 AO 1977 i.d.F. des Grenzpendlergesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl I, 1395, im folgenden: § 352 AO 1977 n.F.), weil der angefochtene Feststellungsbescheid nach dem 31. Dezember 1995 bekanntgegeben worden ist (vgl. Art. 97 § 18 Abs. 3 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung).

aa) Die Antragsbefugnis der AG ergibt sich allerdings nicht aus § 352 Abs. 1 Nr. 1 1. Altern. AO 1977. Danach ist der "zur Vertretung berufene Geschäftsführer" berechtigt, Einspruch gegen einen Feststellungsbescheid einzulegen; der Geschäftsführer handelt dabei als Organ der Gesellschaft in gesetzlicher Prozeßstandschaft für die Gesellschafter (st. Rspr. zu § 352 AO 1977 a.F. und § 48 FGO a.F.; vgl. dazu eingehend Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 48 FGO n.F., Rz. 15 ff., 22, 27, m.w.N.; a.A. Tipke/Kruse, a.a.O., § 48 FGO n.F., Tz. 4). Der erkennende Senat hat zu § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F. in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß die atypisch stille Gesellschaft als Innengesellschaft nicht Beteiligte eines finanzgerichtlichen Verfahrens sein kann, das die einheitliche Feststellung der Einkünfte betrifft (vgl. z.B. Urteil vom 12. November 1985 VIII R 364/83, BFHE 145, 408, BStBl II 1986, 311; Beschluß vom 24. November 1988 VIII B 90/87, BFHE 155, 32, BStBl II 1989, 145; Urteil vom 15. Dezember 1992 VIII R 42/90, BFHE 170, 345, BStBl II 1994, 702). Denn bei der Innengesellschaft kommt eine Vertretung, d.h. ein rechtsgeschäftliches Handeln für die Gesellschaft im Außenverhältnis, nicht in Betracht; die stille Gesellschaft hat keine Organe und keine Bevollmächtigten (K. Schmidt in Schlegelberger, Handelsgesetzbuch, 5. Aufl., Bd. III/2, § 230 HGB n.F. Rz. 171). Der Senat hat jedoch § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO a.F. in Gewinnfeststellungsverfahren einer atypisch stillen Gesellschaft in dem Sinne entsprechend angewendet, daß an die Stelle der (umfassenden) Klagebefugnis der Gesellschaft die des Inhabers des Handelsgeschäfts tritt (Beschluß in BFHE 155, 32, BStBl II 1989, 145).

An dieser Rechtsprechung kann für die geltende Fassung der § 352 AO 1977, § 48 FGO nicht festgehalten werden (h. M., vgl. von Beckerath in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 48 FGO a.F. Rz. 70; Gräber/von Groll, a.a.O., § 48 Rz. 28; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 352 Anm. 3; Steinhauff, a.a.O., § 48 FGO Rz. 63; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 352 AO 1977 Rz. 82; Dißars/Dißars, Betriebs-Berater --BB-- 1996, 773, 775; Tipke/Kruse, a.a.O., § 48 FGO Tz. 5; a.A. Szymczak in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 352 Rz. 15). Eine sinngemäße Anwendung des § 352 Abs. 1 Nr. 1 1. Altern. AO 1977 auf Geschäftsführer von atypisch stillen Gesellschaften ist nicht zulässig, weil die Neufassung der Vorschrift insoweit nicht lückenhaft ist. § 352 Abs. 1 Nr. 1 2 Altern. AO 1977 n.F. (S 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO n.F.) regelt nunmehr ausdrücklich die Fälle, in denen --wie bei der atypisch stillen Gesellschaft-- ein zur Vertretung befugter Gesellschafter nicht vorhanden ist. Einspruchsbefugt ist dann der Empfangsbevollmächtigte i.S. des § 352 Abs. 2 AO 1977 n.F. i.V.m. § 183 Abs. 1 AO 1977, sofern die übrigen Feststellungsbeteiligten über die Einspruchsbefugnis des Empfangsbevollmächtigten belehrt worden sind (S 352 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 n.F.). Im Streitfall sind aus den Akten keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die AG von den stillen Gesellschaftern zum gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt worden ist. Die AG ist jedoch Empfangsbevollmächtigte nach § 183 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977, da sie als Geschäftsführerin der stillen Gesellschaft deren steuerliche Pflichten zu erfüllen hat. Gleichwohl ist sie nicht einspruchsbefugt nach § 352 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977, da die Feststellungserklärungen der Streitjahre keine Belehrung i.S. des § 352 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 enthalten.

bb) Die Einspruchs- und Antragsbefugnis der AG und des Antragstellers zu 12 folgt jedoch aus § 352 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AO 1977 n.F. Die Einspruchsbefugnis nach den Nrn. 2 und 4 des § 352 Abs. 1 AO 1977 ist --anders als die nach Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 der Vorschrift-- dem Umfang nach beschränkt. Der Einspruchsführer wird insoweit nicht in Prozeßstandschaft für die übrigen Gesellschafter tätig, sondern nur aus eigenem Recht. Er kann deshalb nur die ihn selbst betreffenden Feststellungen angreifen (Birkenfeld, a.a.O., § 352 AO 1977 Rz. 38, 41). In gleichem Umfang ist auch seine Antragsbefugnis im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes begrenzt. Die Vollziehung der angefochtenen Bescheide kann nur hinsichtlich der ihn betreffenden Anteile am Gewinn oder Verlust der Gesellschaft ausgesetzt werden (BFH-Beschlüsse vom 22. Oktober 1980 I S 1/80, BFHE 131, 455, BStBl II 1981, 99, zu 3., und vom 4. Oktober 1991 VIII B 93/90, BFHE 165, 339, BStBl II 1992, 59). Der Senat legt den Antrag der AG und der übrigen Antragsteller dahin aus, daß sie die Aussetzung der Vollziehung der streitigen Bescheide nur in bezug auf ihre eigenen Gewinn- oder Verlustanteile begehren.

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