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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 08.11.2005
Aktenzeichen: VIII R 105/03
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 233a
EStG § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
EStG § 3 Nr. 55
EStG § 20
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Frage, ob Erstattungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören.

Die Einkommensteuer 1993 der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde zunächst mit Bescheid vom 16. Oktober 1995 auf 304 968 DM festgesetzt. Im Dezember 1999 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Einkommensteuer um mehr als 53 000 DM niedriger fest; zugleich setzte das FA die Zinsen zur Einkommensteuer auf ./. 3 660 DM fest. Diesem Betrag lagen u.a. Erstattungszinsen von 10 620 DM zugrunde, die das FA bei der Einkommensteuerveranlagung 1999 der Klägerin als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasste.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 498 veröffentlichten Urteil vom 23. Oktober 2003 ab. Das FG entschied, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehörten gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden sei, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhänge. Dazu zählten auch Erstattungszinsen auf Steuererstattungsforderungen gemäß § 233a AO 1977. Auch diese Zinsen würden als Entgelt für die --wenn auch nicht freiwillige-- Überlassung des Kapitalvermögens gewährt und stellten damit einen Ertrag aus dem Steuererstattungsanspruch dar.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, notwendiges Tatbestandsmerkmal für die Einkunftsbesteuerung von Einnahmen sei die Einkunftserzielungsabsicht. Eine einkommensteuerlich relevante Betätigung oder Vermögensnutzung sei nur gegeben, wenn die Absicht bestehe, auf Dauer gesehen nachhaltig Überschüsse zu erzielen. Erstattungszinsen könnten nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen führen, denn sowohl ihre Entstehung als auch die Bestimmung ihrer Höhe lägen außerhalb der Einwirkungsmöglichkeiten der Steuerpflichtigen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Einkommensteuer 1999 unter Aufhebung des Urteils des FG Hamburg vom 23. Oktober 2003 V 288/01 sowie unter Änderung der Einspruchsentscheidung 1999 vom 6. November 2001 in der Fassung des Änderungsbescheides 1999 vom 21. August 2002 soweit herabzusetzen, wie sie sich bei Nichterfassung von Erstattungszinsen in Höhe von 10 620 DM bei den Einkünften aus Kapitalvermögen ergibt.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das FA vertritt die Auffassung, nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zählten zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden sei, selbst wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhänge. Zwar habe der Gesetzgeber Erstattungszinsen gemäß § 233a AO 1977 nicht ausdrücklich im Katalog des § 20 EStG genannt, sie würden jedoch durch die typisierende Beschreibung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG eindeutig erfasst. Dem entspreche auch die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (BFH-Urteile vom 18. Februar 1975 VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; vom 8. April 1986 VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557). Einkünfte aus Kapitalvermögen beziehe, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlasse. Die Steuererstattungsansprüche der Klägerin gehörten zu den sonstigen Kapitalforderungen jeder Art und die Steuererstattungsforderung werde so verzinst, als habe die Finanzverwaltung ein Darlehen erhalten, das ihr die Klägerin gewährt habe. Dass die Nutzungsüberlassung nicht auf einer vertraglichen Abmachung beruhe, spiele keine Rolle, denn auch bei einer vom FA erzwungenen Kapitalüberlassung in Form von zuviel erhobener Steuer sei eine entgeltliche Kapitalüberlassung anzunehmen.

II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass die der Klägerin im Streitjahr 1999 zugeflossenen Erstattungszinsen (§ 233a AO 1977) steuerpflichtige Einnahmen aus Kapitalvermögen sind (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG).

1. Dass vom FA geleistete Erstattungszinsen der Steuerpflicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterliegen, hat der Senat bereits mehrfach entschieden (vgl. Senatsurteile in BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; in BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557, m.w.N.; vom 25. Oktober 1994 VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121; Senatsbeschluss vom 14. April 1992 VIII B 114/91, BFH/NV 1993, 165; in diesem Sinne auch FG München, Beschluss vom 7. November 2001 13 V 3786/01, juris; FG Düsseldorf, Urteil vom 16. Dezember 2002 7 K 6126/01 E, EFG 2003, 461, und Niedersächsisches FG, Urteil vom 18. Februar 2004 3 K 252/02, EFG 2004, 1213). Auch Schrifttum und Finanzverwaltung gehen übereinstimmend davon aus, dass eine erzwungene Kapitalüberlassung zu Einnahmen aus Kapitalvermögen führen kann (Schmidt/ Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 24. Aufl., § 20 Rz. 161, 162; Harenberg in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 20 EStG Anm. 850, Stichwort Erstattungszinsen bzw. Prozesszinsen; Harenberg/Irmer, Die Besteuerung privater Kapitaleinkünfte, 3. Aufl., S. 476; Blümich/Stuhrmann, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 20 EStG Rz. 298; Hamacher in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 20 Rz. 172; Dötsch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 20 Rdnr. I 13; Loose, EFG 2004, 501; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Vor § 233 AO Tz. 17; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Vor §§ 233 bis 239 AO Rz. 16; Schreiben des Bundesministerium der Finanzen --BMF-- vom 20. November 2000 IV B 4 -S 1300- 222/00, Ertragsteuerliche Erfassung der Zinsen auf Steuernachforderungen und Steuererstattungen gemäß § 233a AO, BStBl I 2000, 1508; Oberfinanzdirektion --OFD-- Magdeburg, Behandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen, Verfügung vom 27. August 2003 -S 2252- 68-St 214, Der Betrieb --DB-- 2003, 2040).

2. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Denn auch der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist eine "sonstige Kapitalforderung jeder Art" i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG und die Klägerin hat die Erstattungszinsen als Gegenleistung dafür erhalten, dass sie dem Steuerfiskus --wenn auch gezwungenermaßen-- Kapital überlassen hat, zu dessen Leistung sie letztlich nicht verpflichtet war (Senatsurteile in BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121, und in BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557; Dötsch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rdnr. 172). Demgemäß hat der Senat auch in anderen Fällen nichtvertraglicher Kapitalüberlassung die daraus entstandenen Zinsen (z.B. Zinsen für Enteignungsentschädigung, Zinsen auf Wiedergutmachungsentschädigung oder Prozesszinsen) gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG (heute: § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) erfasst (vgl. Senatsurteil in BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557, m.w.N.).

3. Dass die Klägerin hinsichtlich der Erstattungszinsen nicht von vornherein mit konkreter Einkunftserzielungsabsicht gehandelt hat, ist in diesem Zusammenhang nicht relevant. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil in BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568) beruhen Erstattungszinsen darauf, dass die Finanzverwaltung die zuviel erhobenen Steuern so verzinsen soll, als habe sie in dieser Höhe ein Darlehen erhalten, während der Steuerpflichtige (hier: die Klägerin) so gestellt werden soll, als habe er ein Darlehen bewilligt. Da der Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen materiell-rechtlich erst in dem Augenblick entsteht, in dem eine Überzahlung der Steuer erfolgt (vgl. Senatsurteil in BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568), kann erst bei Kenntnis der Überzahlung eine konkrete und auf den jeweiligen Erstattungsfall bezogene Einkunftserzielungsabsicht entstehen. Da Kapital zwischen fremden Dritten in der Regel aber nicht unentgeltlich, sondern gegen Entgelt zur Nutzung überlassen wird, ist davon auszugehen, dass Steuerpflichtige, die von den ihnen zustehenden Erstattungsansprüchen Kenntnis erlangen, die aufgrund eines solchen Anspruchs gezahlten Erstattungszinsen als Entgelt für entgangene anderweitige Kapitalnutzung betrachten. Damit ist vom Bestehen einer Einkunftserzielungsabsicht, die grundsätzlich auch bei Kapitaleinkünften Voraussetzung für die Besteuerung ist (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766), auszugehen. Das folgt auch aus der Überlegung, dass es --entgegen der Auffassung der Klägerin-- gerade bei Ansprüchen, die nicht auf vertraglichen Grundlagen beruhen, sondern --wie hier-- kraft Gesetzes entstehen, nicht allein auf die Vorstellung des Steuerpflichtigen ankommen kann. Denn eine Besteuerung allein nach Absichten und Vorstellungen der Steuerpflichtigen würde gegen das Gebot der Besteuerung nach der objektiven Leistungsfähigkeit verstoßen; maßgeblich sind vielmehr die objektiven Verhältnisse des Einzelfalles (vgl. Schmidt/ Weber-Grellet, EStG, § 15 Rz. 25, m.w.N.).

4. Im Übrigen spricht auch die Entstehungsgeschichte des § 233a AO 1977 dafür, Erstattungszinsen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG der Einkommensteuer zu unterwerfen. Die mit Steuerreformgesetz 1990 (StRG 1990) vom 25. Juli 1988 (BStBl I 1988, 224) in die AO 1977 eingeführte Regelung des § 233a sollte mit der allgemeinen Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Sowohl Steuernachforderungen als auch Steuererstattungen sollten daher nach Ablauf einer Karenzzeit verzinst werden (vgl. Gesetzentwurf Bundesregierung vom 23. März 1988, BRDrucks 100/88, Art. 1 --Änderung des EStG--, Nr. 2 i) ist aufgrund des Antrages des Freistaates Bayern vom 27. April 1988 (BRDrucks 100/2/88) sowie der ersten Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Bundestages vom 21. Juni 1988 (BTDrucks 11/2529) nicht Gesetz geworden. Der Finanzausschuss ist vielmehr von der Steuerpflicht der Erstattungszinsen ausgegangen. Das ergibt sich sowohl aus der ersten Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 21. Juni 1988 (BTDrucks 11/2529) als auch aus dem ersten Bericht des Finanzausschusses des Bundestages vom 21. Juni 1988 (BTDrucks 11/2536), in dem in der Einzelbegründung (zu Art. 1 - EStG) zum Wegfall des ursprünglich vorgesehenen § 3 Nr. 55 EStG ausgeführt wird: "Eine Steuerbefreiung für Erstattungszinsen bei Personensteuern hält der Ausschuß nicht für gerechtfertigt. Sie sollen entsprechend den allgemeinen Grundsätzen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 2O EStG) erfaßt werden."

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