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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 11.03.2003
Aktenzeichen: VIII R 108/01
Rechtsgebiete: BGB, EStG, AO 1977, GG


Vorschriften:

BGB § 267
BGB § 362 Abs. 1
EStG § 64
EStG § 70 Abs. 2
EStG § 64 Abs. 1
EStG § 68 Abs. 1
AO 1977 § 37 Abs. 2
AO 1977 § 163
AO 1977 § 227
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) bezog Kindergeld für seine 1987 bzw. 1989 geborenen Kinder T und U. Zum ... 1998 zog der Kläger aus der gemeinsamen ehelichen Wohnung aus, die Kinder verblieben im Haushalt der Kindesmutter, der Ehefrau des Klägers. Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) davon aufgrund einer Mitteilung der Kindesmutter erfahren und diese erklärt hatte, das Kindergeld sei seit Februar 1998 nicht weitergeleitet worden, hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung ab Februar 1998 auf und forderte das von Februar bis August 1998 gezahlte Kindergeld in Höhe von ... DM vom Kläger zurück. Den dagegen erhobenen Einspruch wies der Beklagte mit der Begründung zurück, der Kläger habe keine schriftliche Bestätigung der Kindesmutter über die Weiterleitung vorgelegt, vielmehr habe diese die Weiterleitung bestritten.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, das Kindergeld seit der Trennung von seiner Frau zusammen mit dem Unterhalt monatlich auf deren Konto überwiesen zu haben, und bezog sich insoweit auf eine Bestätigung seiner Ehefrau vom 22. März 1999, wonach das Kindergeld für den streitigen Zeitraum Februar bis August 1998 vom Kläger an sie weitergeleitet worden sei.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, dem Rückforderungsanspruch des Beklagten stehe Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) entgegen. Der Kläger habe von Anfang an darauf verwiesen, ausweislich seiner Bankauszüge das Kindergeld weitergeleitet zu haben, diesem Beweisangebot hätte der Beklagte nachgehen müssen. Nachdem aufgrund der Bestätigung der Ehefrau vom 22. März 1999 die Weiterleitung des Kindergeldes feststehe, sei eine Ermessensreduzierung auf null eingetreten, so dass der Beklagte den Kläger nicht mehr auf Zahlung in Anspruch nehmen könne. Zudem habe der Kläger gegenüber dem Rückforderungsanspruch die Einrede der Erfüllung gemäß §§ 267, 362 Abs. 1 BGB.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die fehlerhafte Anwendung der §§ 64, 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Die Voraussetzungen einer Weiterleitung nach der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes (DA-FamEStG) 64.4 Abs. 4 (BStBl I 2000, 639) seien nicht erfüllt.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass der Beklagte gemäß § 70 Abs. 2 EStG befugt war, die Kindergeldfestsetzung zugunsten des Klägers ab Februar 1998 aufzuheben.

Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Die Regelung bedeutet zum einen, dass das Kindergeld für ein und dasselbe Kind nicht mehrfach gewährt wird; zum anderen ergibt sich aus der Vorschrift, dass eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, nicht stattfindet (Seewald/Felix, Kindergeldrecht, § 64 EStG Rdnr. 12). Vielmehr wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld nach dem sog. Obhutsprinzip demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Eltern trennen und das Kind anschließend nur bei einem Berechtigten im Haushalt lebt (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) liegt darin nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137).

Im Streitfall haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes erheblichen Verhältnisse dadurch geändert, dass die Kinder des Klägers ab Februar 1998 nicht mehr bei ihm, sondern bei ihrer Mutter lebten und in deren Haushalt aufgenommen waren. Ab diesem Zeitpunkt stand das Kindergeld daher nicht mehr dem Kläger, sondern der Kindesmutter zu. Die bisherige Festsetzung des Kindergeldes zugunsten des Klägers war demgemäß vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben (§ 70 Abs. 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). Einen Entscheidungsspielraum besitzt die Verwaltung insoweit nicht (Felix in Kirchhof/ Söhn, Einkommensteuergesetz, § 70 Rdnr. C 13; BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231).

2. Entgegen der Auffassung des FG ist der Kläger aufgrund der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab Februar 1998 jedoch gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 verpflichtet, das an ihn seit diesem Zeitpunkt gezahlte Kindergeld von insgesamt ... DM zu erstatten. Hierin liegt ein materiell-rechtlicher Mangel der Vorentscheidung, der zu deren Aufhebung und zur Abweisung der Klage führt.

Ist eine Steuervergütung, wie das Kindergeld (§ 31 Satz 3 EStG), ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist (hier: der Beklagte), nach § 37 Abs. 2 AO 1977 gegenüber dem Leistungsempfänger (hier: der Kläger) einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrages. Diese Rechtsfolgen treten auch dann ein, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO 1977). Durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung mit Bescheid des Beklagten vom 30. Dezember 1998 ist der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes an den Kläger weggefallen. Dieser ist daher verpflichtet, dem Beklagten den zurückgeforderten Betrag von ... DM zu erstatten.

Ob sich der Kläger gegenüber der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 EStG bzw. gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten unter Umständen auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (§ 242 BGB) berufen kann, lässt der Senat dahingestellt. Denn das kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger als ursprünglich Kindergeldberechtigter seine im Rahmen des Kindergeldrechtsverhältnisses bestehende Mitwirkungspflicht verletzt hat (vgl. Felix in Kirchhof/ Söhn, a.a.O., § 70 Rdnr. C 17). Gemäß § 68 Abs. 1 EStG hat derjenige, der Kindergeld beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich der zuständigen Familienkasse mitzuteilen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231). Der Haushaltswechsel des Kindes ist eine erhebliche Änderung der Verhältnisse in diesem Sinne (vgl. auch Nr. 17 des Kindergeld-Merkblattes 1996, BStBl I 1996, 1073, 1100), die der Kläger jedoch nicht angezeigt hat.

3. Der Kläger kann sich gegenüber dem Rückforderungsanspruch des Beklagten gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 nicht darauf berufen, er habe das Kindergeld an seine Ehefrau, die Kindesmutter, als vorrangig Berechtigte weitergeleitet.

a) Nach 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG des Bundesamts für Finanzen (BfF) zu § 64 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung kann der Rückforderungsanspruch gegenüber dem nachrangig Berechtigten und der Kindergeldanspruch des vorrangig Berechtigten als erloschen behandelt werden, wenn Letzterer bescheinigt, das Kindergeld durch Weiterleitung erhalten zu haben, und er seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anerkennt (vgl. Verfügung des BfF vom 30. Juni 1997, BStBl I 1997, 654; ergänzende Dienstanweisung zu 64.4 DA-FamEStG im Schreiben des BfF vom 25. August 1997, BStBl I 1997, 797; Neufassung der DA-FamEStG vom 9. April 1998, BStBl I 1998, 386, 441 ff., bzw. vom 15. März 2002, BStBl I 2002, 366; vgl. auch Schreiben des BfF vom 25. August 1998, BStBl I 1998, 1126 f. zur Bestätigung des vorrangig Berechtigten --neuer Anhang 14 zu 64.4 Abs. 4 DA-FamEStG--). Der in DA-FamEStG 64.4 Abs. 4 bis 8 vorgesehenen Form hat der Kläger jedoch nicht Genüge getan und auch sonst keine Gründe vorgebracht, die eine Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung zu seinen Gunsten rechtfertigen könnten. Insbesondere die erforderliche schriftliche Bestätigung der Kindesmutter als vorrangig Berechtigter auf dem vorgeschriebenen amtlichen Vordruck hat der Kläger nicht vorgelegt. Zwar hat die Kindesmutter nach Ergehen der Einspruchsentscheidung --entgegen ihrem früheren Vorbringen-- bestätigt, das Kindergeld erhalten zu haben. Sie hat jedoch nicht deutlich gemacht, ihren eigenen Anspruch auf Kindergeld als erfüllt anzusehen, sodass die von der DA-FamEStG für eine Weiterleitung geforderten Voraussetzungen nicht gegeben sind und sich der Kläger auf die Einrede der Erfüllung nicht berufen kann. Die Entscheidung des Beklagten ist daher nicht zu beanstanden; sie beruht darauf, dass die Weiterleitung die Rückforderung nicht von Gesetzes wegen ausschließt, sondern lediglich aus Vereinfachungsgründen von der Familienkasse als Erfüllung des Rückforderungsanspruchs im verkürzten Zahlungswege berücksichtigt werden kann (Senatsurteil vom 9. Dezember 2002 VIII R 80/01, BFH/NV 2003, 606). Wie der Senat bereits mit Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 64/00 (BFH/NV 2002, 1425) dargelegt hat, kann bei dieser Sachlage offen bleiben, ob es sich bei einer auf 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG gestützten Entscheidung der Familienkasse um eine erlassähnliche Billigkeitsentscheidung der Verwaltung gemäß §§ 163, 227 AO 1977 handelt, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt und die grundsätzlich nur auf Ermessensfehler überprüft werden kann, oder ob Gegenstand der Bestimmungen in 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG nicht der Erlass einer Billigkeitsmaßnahme, sondern der Abschluss eines sog. Verrechnungsvertrages ist.

b) Entgegen der Auffassung des FG reicht insbesondere der Umstand, dass die Kindesmutter nach Ergehen der Einspruchsentscheidung vom 15. März 1999 am 22. März 1999 den Erhalt des Kindergeldes von monatlich 440 DM für den Zeitraum Februar bis August 1998 gegenüber dem Beklagten bestätigt hat, nicht für eine Weiterleitung des Kindergeldes gemäß der in der DA-FamEStG vorgesehenen Regelung aus. Zum einen steht eine derartige Auslegung von 64.4. Abs. 3 ff. DA-FamEStG in klarem Widerspruch zum Wortlaut der Vorschrift. Denn diese stellt darauf ab, dass der vorrangig Kindergeldberechtigte nicht nur bescheinigt, das Kindergeld durch Weiterleitung erhalten zu haben, sondern gleichzeitig anerkennt, seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anzusehen (vgl. Verfügung des BfF vom 30. Juni 1997, BStBl I 1997, 654; ergänzende Dienstanweisung zu 64.4 DA-FamEStG im Schreiben des BfF vom 25. August 1997, BStBl I 1997, 797; Neufassung der DA-FamEStG vom 9. April 1998, BStBl I 1998, 386, 441 ff.; vgl. auch Schreiben des BfF vom 25. August 1998, BStBl I 1998, 1126 f. zur Bestätigung des vorrangig Berechtigten --neuer Anhang 14 zu 64.4 Abs. 4 DA-FamEStG--). Zum anderen hat der Senat bereits mit Urteil in BFH/NV 2002, 1425 dargelegt, dass es im sog. Weiterleitungsverfahren nicht Aufgabe der Familienkasse sein kann, Unterhaltsvereinbarungen bzw. -zahlungen unter verschiedenen Kindergeldberechtigten (Ehegatten) zu berücksichtigen, zu überprüfen und zivilrechtlich zu beurteilen (BFH-Beschluss vom 12. Januar 2000 VI B 206/99, BFH/NV 2000, 835; vgl. auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 1. Juli 1998 II 672/97 Ki, Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 1525). Bei Wechsel der Anspruchsberechtigung ist es vielmehr Sache der Kindergeldberechtigten, ihre privatrechtlichen Vereinbarungen der Gesetzeslage anzupassen oder bei verspäteter Anpassung mögliche Überzahlungen auf privatrechtlichem Wege auszugleichen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 39/99, juris). Es ist insoweit auch nicht sachwidrig, von einer Rückforderung des Kindergeldes nur bei Vorlage einer Erklärung des vorrangig kindergeldberechtigten Elternteils nach Maßgabe der oben angeführten Verfügungen des BfF (zuletzt: Schreiben des BfF vom 15. März 2002, BStBl I 2002, 366 f.) abzusehen. Denn ohne eine derartige Erklärung würde sich der Beklagte dem Risiko einer doppelten Inanspruchnahme aussetzen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 39/99, juris).



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