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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: VIII R 12/03
Rechtsgebiete: EStG


Vorschriften:

EStG § 52 Abs. 32 b
EStG § 66 Abs. 2
EStG § 66 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein bosnischer Kriegsflüchtling, der seit 1993 in Deutschland nichtselbständig tätig ist. Er hat zwei Kinder, die 1986 und 1992 geboren sind. Einen im Jahre 1994 gestellten Antrag auf Festsetzung von Kindergeld lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 14. September 1994 ab, weil der Kläger ausländerrechtlich im Inland nur geduldet sei.

Am 30. Oktober 2000 beantragte der Kläger erneut Kindergeld auf dem amtlichen Vordrucksformular. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2000 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Auf einen Antrag des Klägers vom 18. April 2001 setzte der Beklagte unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) über die Fortgeltung des deutsch-jugoslawischen Abkommens über die soziale Sicherheit für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens mit Bescheid vom 6. August 2001 Kindergeld ab Januar 2001 fest.

Mit Schreiben vom 21. März 2002 beantragte der Kläger Kindergeld rückwirkend für den Zeitraum vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Dezember 2000. Er machte geltend, er habe ursprünglich Kindergeld nur für die Zukunft beantragt. Deshalb sei der Bescheid vom 1. Dezember 2000 nur als Ablehnungsbescheid ab dem Zeitpunkt der Antragstellung zu verstehen. Mit Bescheid vom 28. März 2002 lehnte der Beklagte den Antrag ab.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem Begehren, den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für zwei Kinder für die Zeit von Juli 1997 bis einschließlich September 2000 zu gewähren, ab. Es entschied, der Bescheid vom 1. Dezember 2000 sei als bis zum Zeitpunkt der Verjährung rückwirkender Ablehnungsbescheid anzusehen. Der Kläger habe auf dem amtlichen Vordruck Kindergeld ohne eine zeitliche Begrenzung beantragt. Die Familienkasse sei bei Kindergeldanträgen auf den amtlichen Vordrucken zu einer umfassenden Prüfung und bei Anerkennung eines Anspruchs auch zu einer zeitlich rückwirkenden Gewährung von Kindergeld verpflichtet. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 756 veröffentlicht.

Der Kläger macht zur Begründung der Revision geltend, es gebe keinen allgemeinen Auslegungsgrundsatz, wonach Leistungsbescheide generell für die Zukunft und die Vergangenheit wirkten. Auch aus den Begleitumständen habe er, der Kläger, nicht entnehmen können, dass der Bescheid auch für die Vergangenheit wirken könne. Der jeweiligen Fragestellung in dem Formblattantrag sei keineswegs zu entnehmen gewesen, dass der Kindergeldantrag auch für die Vergangenheit geprüft werde. Er habe seinem Antrag vom 30. Oktober 2000 lediglich eine Bescheinigung über seinen damals aktuellen Aufenthaltstitel beigelegt. Nach den weiter zurückliegenden Aufenthaltszeiten sei weder im Antragsformular noch im weiteren Verfahren gefragt worden. Die Familienkasse habe im Rahmen der Entscheidung über den Antrag vom 30. Oktober 2000 auch gar nicht geprüft, ob ihm Kindergeld für die Vergangenheit zu gewähren sei.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und den Bescheid vom 28. März 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2002 aufzuheben, soweit darin Kindergeldansprüche für die Zeit von Juli 1997 bis September 2000 abgelehnt werden, und den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld für zwei Kinder für die Zeit von Juli 1997 bis einschließlich September 2000 zu gewähren, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass dem Begehren des Klägers, ihm Kindergeld für die Zeit von Juli 1997 bis einschließlich September 2000 zu gewähren, die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 1. Dezember 2000 entgegensteht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergibt sich der Umfang der Bindungswirkung eines Bescheides aus seinem Regelungsgehalt. Als Verwaltungsakt trifft er eine Regelung auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Bescheiderteilung. Ein Bescheid, durch den ein Antrag auf die Festsetzung von Kindergeld abgelehnt wird, erschöpft sich in der Regelung des Anspruchs auf Kindergeld für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum. Über die in der Zukunft liegenden und damit zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht entstandenen Kindergeldansprüche kann ein Ablehnungsbescheid oder eine diesem gleichzusetzende sog. Nullfestsetzung noch keine Regelung treffen (vgl. BFH-Urteile vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88, unter 2.b der Gründe; vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89, unter 2.a der Gründe). Der erkennende Senat hat sich der Rechtsprechung des VI. Senats angeschlossen, dass sich die Bindungswirkung eines bestandskräftigen Ablehnungsbescheides auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe erstreckt und beschränkt (vgl. z.B. Beschluss vom 9. Juli 2003 VIII B 40/03, BFH/NV 2003, 1422). Er hält an dieser Rechtsauffassung fest.

Nach § 66 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird das Kindergeld vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Daraus ergibt sich die Pflicht der Behörde, einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld (§ 67 EStG), der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, umfassend und damit auch für die Vergangenheit zu prüfen. Diese Prüfung liegt auch im Interesse des Antragstellers. Zwar ist § 66 Abs. 3 EStG, wonach Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt wird, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist, gemäß § 52 Abs. 32 b EStG i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 1997, 2970, BStBl I 1998, 127) letztmals für das Kalenderjahr 1997 anzuwenden, so dass Kindergeld auf einen nach dem 31. Dezember 1997 gestellten Antrag rückwirkend längstens bis einschließlich Juli 1997 gezahlt werden kann. Doch kann Kindergeld unter Berücksichtigung der Festsetzungsverjährung (vgl. § 31 Satz 3 EStG i.V.m. §§ 37 Abs. 1, 155 Abs. 4, 169 der Abgabenordnung --AO 1977--) auch weiterhin nur für einen begrenzten Zeitraum rückwirkend gewährt werden. Bei dieser Sachlage wäre es aber bei einem auch für die Vergangenheit berechtigten Antrag auf Kindergeld nicht verständlich, wenn die Behörde das Kindergeld nur für die Zukunft festsetzen und dem Antragsteller im Laufe des weiteren Verfahrens entgegenhalten würde, dass eine Festsetzung für die Vergangenheit ausdrücklich hätte beantragt werden müssen und daher nunmehr insoweit teilweise Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Dies spricht dafür, auch nach Wegfall des § 66 Abs. 3 EStG einen Kindergeldantrag, der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, seinem objektiven Inhalt nach dahin zu verstehen, dass die Kindergeldfestsetzung auch für die Vergangenheit begehrt wird. Sollte ein Antragsteller abweichend von der regelmäßigen Interessenlage einen Grund dafür haben, zunächst kein Kindergeld für die Vergangenheit zu beantragen, bleibt es ihm unbenommen, in einem solchen Ausnahmefall einen entsprechenden Antrag ausdrücklich nur für die Zukunft zu stellen.

Da der Kindergeldantrag des Klägers im Streitfall eine entsprechende Einschränkung nicht enthielt, hat die Vorinstanz zu Recht entschieden, dass sich der bestandskräftig gewordene Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 1. Dezember 2000 auch auf die Vergangenheit bezogen hat.

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