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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.12.2006
Aktenzeichen: VIII R 29/01
Rechtsgebiete: EStG, EStDV


Vorschriften:

EStG § 17 a.F.
EStG § 17 Abs. 2 a.F.
EStG § 22 Nr. 3 Satz 3 a.F.
EStG § 23 a.F.
EStG § 23 Abs. 1 a.F.
EStG § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
EStG § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b a.F.
EStG § 23 Abs. 3 Satz 4 a.F.
EStG § 23 Abs. 3 Satz 9 n.F.
EStG § 23 Abs. 4 Satz 3
EStDV § 54
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1996 zu 50 v.H. am Stammkapital von 60 000 DM an einer Steuerberatungsgesellschaft mbH (GmbH) beteiligt. Die Anschaffungskosten des Klägers für diesen Geschäftsanteil betrugen 30 000 DM.

Mit notariellem Übertragungs- und Anteilsabtretungsvertrag vom 5. Juli 1996 erwarb der Kläger die vier übrigen Geschäftsanteile der GmbH in Höhe von jeweils 7 500 DM zu einem Preis in Höhe von insgesamt 50 000 DM. Mit notariellem Vertrag vom gleichen Tage übertrug der Kläger seinen bereits zuvor gehaltenen Geschäftsanteil in Höhe von 30 000 DM sowie seine am gleichen Tag hinzu erworbenen vier Geschäftsanteile an zwei Erwerber. Dabei erzielte er sowohl für seinen ursprünglichen Geschäftsanteil im Nennbetrag von 30 000 DM als auch für die vier hinzuerworbenen Geschäftsanteile jeweils einen Veräußerungspreis in Höhe von 50 000 DM.

In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte der Kläger aus der Veräußerung der GmbH-Anteile einen Gewinn nach § 17 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung (EStG a.F.) in Höhe von 17 230 DM geltend; dieser Betrag ergab sich unter Berücksichtigung der Anschaffungskosten in Höhe von insgesamt 80 000 DM und von Veräußerungskosten von insgesamt 2 770 DM.

Die Veräußerungskosten setzten sich zusammen aus Inseratskosten in Höhe von 210 DM, aus den auf den Kläger entfallenden Notarkosten für die Beurkundung des Kaufvertrags über die Gesellschaftsanteile und eines Gesellschaftsbeschlusses in Höhe von 287 DM sowie aus Reisekosten in Höhe von 1 314 DM und 959 DM.

Bei der Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer 1996 ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus, dass der Kläger lediglich hinsichtlich des ursprünglich gehaltenen Geschäftsanteils Einkünfte nach § 17 EStG a.F. erzielt habe, während hinsichtlich der am gleichen Tag veräußerten vier Geschäftsanteile § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. anzuwenden sei. Die geltend gemachten Veräußerungskosten seien deshalb hälftig auf die beiden Veräußerungsvorgänge aufzuteilen. Somit seien je 1 385 DM als Veräußerungskosten im Rahmen des § 17 EStG a.F. und als Werbungskosten bei den Einkünften nach § 23 EStG a.F. zu berücksichtigen. Da die am 5. Juli 1996 für 50 000 DM erworbenen Geschäftsanteile zum selben Preis weiterveräußert worden seien, habe der Kläger insoweit einen Verlust erzielt, der jedoch nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG a.F. nicht ausgleichs- und abzugsfähig sei. Den Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG a.F. ermittelte das FA mit 18 616 DM; nach Abzug des Freibetrages von 10 000 DM ergab sich ein steuerpflichtiger Gewinn von 8 616 DM.

Der Einspruch des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid vom 11. Juni 1997 hatte nur zum Teil Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 7. Mai 1998 setzte das FA den Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG a.F. auf 18 585 DM und die Einkommensteuer nach der Grundtabelle auf 9 031 DM herab. Dabei rechnete es Aufwendungen in Höhe von 1 415 DM als Veräußerungskosten den Einkünften i.S. des § 17 EStG a.F. zu, den verbleibenden Betrag von 1 358 DM den Einkünften i.S. des § 23 EStG a.F.

Die Klage, mit der der Kläger begehrte, den steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn i.S. des § 17 EStG a.F. nach Abzug der gesamten Veräußerungskosten von 2 770 DM auf 17 230 DM und die Einkommensteuer 1996 auf 8 872 DM herabzusetzen, hatte keinen Erfolg.

Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 25 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§§ 17, 23, 9 EStG a.F.). Er macht geltend, der Tatbestand eines Veräußerungsgeschäfts i.S. des § 23 EStG a.F. sei nicht erfüllt. Es fehle an einer Überschusserzielungsabsicht in Bezug auf die im Streitjahr erworbenen Anteile, da er --der Kläger-- diese Anteile am selben Tag zum selben Preis angeschafft und weiterveräußert habe. Jedenfalls seien aber die streitigen Veräußerungskosten nicht durch das vermeintliche Spekulationsgeschäft, sondern allein durch den Verkauf des ursprünglichen Geschäftsanteils des Klägers wirtschaftlich veranlasst gewesen und deshalb in vollem Umfang den gewerblichen Einkünften i.S. des § 17 EStG a.F. zuzuordnen. Im Übrigen seien die Aufwendungen auch deshalb einkünftemindernd zu berücksichtigen, weil die Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG a.F. verfassungswidrig sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 11. Juni 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Mai 1998 dahingehend zu ändern, dass weitere Aufwendungen in Höhe von 1 358 DM als Veräußerungskosten i.S. des § 17 Abs. 2 EStG a.F. berücksichtigt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur anderweitigen Festsetzung der Einkommensteuer 1996 (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Die streitigen Aufwendungen des Klägers im Zusammenhang mit der Veräußerung seiner Anteile an der GmbH sind in voller Höhe einkünftemindernd zu berücksichtigen.

1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger mit der Anschaffung der vier Geschäftsanteile am 5. Juli 1996 und der Veräußerung dieser Geschäftsanteile am selben Tag den Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG a.F. verwirklicht hat. Für die Annahme eines Spekulationsgeschäfts im Sinne dieser Vorschrift ist es ohne Bedeutung, dass der Kläger die Geschäftsanteile seiner Mitgesellschafter nicht aus Gründen der Einkunftserzielung erworben hat, sondern nur deshalb, weil diese den nachfolgenden Erwerbern gegenüber nicht Gewährleistungsansprüchen ausgesetzt sein wollten. Denn der Tatbestand des § 23 Abs. 1 EStG a.F. setzt keine Spekulationsabsicht voraus (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. März 1969 VI R 208/67, BFHE 96, 19, BStBl II 1969, 520; vom 29. August 1969 VI R 319/67, BFHE 96, 520, BStBl II 1968, 705; vom 2. Mai 2000 IX R 74/96, BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469, m.w.N.). Das alle Einkunftsarten kennzeichnende Merkmal der Überschusserzielungsabsicht hat der Gesetzgeber für die Einkünfte i.S. des § 23 EStG a.F. durch die verhältnismäßig kurzen Spekulationsfristen in typisierender Weise objektiviert (BFH-Urteil in BFHE 192, 88, BStBl II 2000, 469).

2. FA und FG haben die Gesamtaufwendungen, die dem Kläger im Zusammenhang mit der Veräußerung seiner Geschäftsanteile entstanden sind, aufgeteilt und einen Anteil in Höhe von 1 358 DM als Anschaffungsnebenkosten bzw. Veräußerungskosten den Einkünften nach § 23 EStG a.F. zugeordnet. Der Senat kann offenlassen, ob diese Ansicht zutreffend ist oder ob mit der Revision davon auszugehen ist, dass der gesamte Aufwand von 2 770 DM ausschließlich in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Veräußerung der ursprünglichen Beteiligung des Klägers von 50 v.H. stand. Die Revision ist auch dann begründet und die Einkommensteuer antragsgemäß herabzusetzen, wenn die streitigen Aufwendungen (1 358 DM) durch die Anschaffung und Veräußerung der von den Mitgesellschaftern erworbenen Geschäftsanteile veranlasst waren und damit in Höhe dieser Aufwendungen ein Spekulationsverlust nach § 23 EStG a.F. entstanden ist.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG a.F. dürfen Verluste aus Spekulationsgeschäften nur bis zur Höhe eines Spekulationsgewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr erzielt hat, ausgeglichen werden. Unter Berufung auf diese Vorschrift hat es das FG abgelehnt, den strittigen Betrag von 1 358 DM einkünftemindernd zu berücksichtigen. Dabei hat es nicht beachtet, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91 (BVerfGE 99, 88) das Verlustausgleichsverbot des § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a.F. für unvereinbar mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) erklärt hat. Die Grundsätze dieser Entscheidung sind, wie der BFH in seinem Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/01 (BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26) entschieden hat, auf die Vorschrift des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG in der für die Streitjahre dieses Rechtsstreits gültigen Fassung (EStG 1987/1990) übertragbar.

3. Der Senat ist an einer Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG a.F. nicht durch das Urteil des BVerfG vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) gehindert, mit dem das BVerfG § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der für 1997 und 1998 geltenden Fassung für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat, soweit er Veräußerungsgeschäfte aus Wertpapieren betrifft.

Zwar ist nicht auszuschließen, dass in 1996 grundsätzlich ein vergleichbares Vollzugsdefizit bei Spekulationsgeschäften gegeben war, wie es das BVerfG für die Jahre 1997 und 1998 festgestellt hat (vgl. dazu das ein Vollzugsdefizit für 1996 verneinende Urteil des FG Münster vom 14. September 2006 8 K 4710/01 E, juris; offen im Beschluss des BVerfG vom 18. April 2006 2 BvL 8/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2006, 716). Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass Gegenstand des Veräußerungsgeschäfts Anteile an einer GmbH waren, die --bei unterstellter Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 EStG a.F. im Streitjahr-- jedenfalls der Steuerpflicht nach § 17 EStG a.F. unterlagen. Im Übrigen kann bei der Veräußerung von GmbH-Beteiligungen schon aufgrund der Übersendungspflicht der Notare an die Finanzämter nach § 54 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) auch für die Besteuerung nach § 23 EStG a.F. nicht von einem strukturellen Vollzugsdefizit ausgegangen werden (so wohl auch das BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, 133, BStBl II 2005, 56, 69; vgl. auch BFH-Beschluss vom 14. Februar 2006 VIII B 107/04, BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523).

4. Wie der BFH in seinem Urteil in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26 entschieden hat, ist § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG 1987/1990 nach den Maßstäben des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 99, 88 mit Art. 3 GG unvereinbar. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an und nimmt insoweit auf die Gründe des Urteils in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26 Bezug.

Wenngleich das Verlustausgleichs- und -abzugsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG 1987/1990 danach verfassungswidrig ist, kommt eine Anrufung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht. Vielmehr ist der Anwendungsbereich der Regelung für Streitjahre vor dem Inkrafttreten des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG n.F. (1999) --soweit § 23 EStG a.F. auch unter Berücksichtigung des Urteils in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 anwendbar bleibt-- verfassungskonform einzuschränken (BFH-Urteile vom 7. September 2004 IX R 73/00, BFH/NV 2005, 51; in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26). Danach sind die vom BVerfG im Beschluss in BVerfGE 99, 88 zu § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a.F. entwickelten Grundsätze auf die noch offenen Altfälle, die von § 23 Abs. 4 Satz 3 EStG 1987/1990 betroffen sind, verfassungskonform entsprechend anzuwenden. Somit gelten auch für diese Altfälle die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über Verlustausgleich und Verlustabzug. Der Senat nimmt auch insoweit wegen der Begründung Bezug auf das BFH-Urteil in BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26.

5. Da die Vorentscheidung auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Sie führt zur anderweitigen Festsetzung der Steuer entsprechend dem Antrag des Klägers.

Die Berücksichtigung eines Verlusts bei den Einkünften aus § 23 EStG a.F. in Höhe von 1 358 DM ergibt ein zu versteuerndes Einkommen von 47 818 DM und eine festzusetzende Einkommensteuer von 8 604 DM.

Bei der vom Kläger beantragten Berücksichtigung der gesamten Aufwendungen bei den Einkünften nach § 17 EStG a.F. ergibt sich demgegenüber ein zu versteuerndes Einkommen von 47 821 DM und eine festzusetzende Einkommensteuer von 8 871 DM.

Da diese Steuer höher ist als diejenige, die sich bei der Berücksichtigung eines Spekulationsverlusts ergibt, ist die Klage jedenfalls in Höhe der vom Kläger begehrten Steuerminderung begründet. Eine Herabsetzung der Einkommensteuer auf einen den Klageantrag unterschreitenden Betrag ist dem Senat verwehrt (§ 121 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).

Ende der Entscheidung

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