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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.08.2000
Aktenzeichen: VIII R 33/98
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 181 Abs. 5
AO 1977 § 171 Abs. 10
AO 1977 § 181
EStG § 15 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Im Anschluss an eine beim Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) durchgeführte Steuerfahndungsprüfung für die Jahre 1976 bis 1980 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) u.a. einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Einkommensteueränderungsbescheid 1977 vom 7. Oktober 1988, in welchem er --dem Steuerfahndungsbericht vom 26. November 1987 folgend-- dem Kläger bislang nicht erfasste Einkünfte aus gewerblichem Wertpapierhandel zurechnete. Die Fahndungsprüferin hatte diese Einkünfte dergestalt ermittelt, dass von den angesetzten Betriebseinnahmen aus Wertpapiergeschäften in Höhe von insgesamt ... DM --zum Teil geschätzte-- Betriebsausgaben in Höhe von zusammen ... DM sowie eine Gewerbesteuerrückstellung in Höhe von ... DM abgesetzt wurden. In dem Fahndungsbericht (Tz. 8.1.) heißt es u.a., der Kläger habe die in Rede stehenden gewerblichen Wertpapiergeschäfte "als Mitglied eines Personenzusammenschlusses zur Erlangung eines gemeinsamen Ziels" getätigt.

Gegen den genannten Einkommensteueränderungsbescheid 1977 hat der Kläger beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Aufgrund eines Hinweises der Berichterstatterin in diesem FG-Verfahren, dass an den betreffenden Einkünften auch andere beteiligt gewesen seien und deshalb eine einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte in Betracht komme, erließ das FA am 4. Mai 1994 u.a. den erstmaligen Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte der K (= Kläger) und R GbR für 1977.

Die gegen den genannten Feststellungsbescheid vom Kläger nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG hob den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid auf, weil bei dessen Erlass die Feststellungsfrist sowie die Festsetzungsfrist betreffend die Einkommensteuer 1977 des Feststellungsbeteiligten R bereits abgelaufen gewesen seien. Zwar könne gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 eine gesonderte Feststellung auch noch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als sie für einen Zeitraum von Bedeutung sei, für den die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen sei. Dies setze aber --entgegen der Ansicht des FA-- voraus, dass die Festsetzungsfristen für die Folgesteuern noch bei keinem der Feststellungsbeteiligten abgelaufen seien (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90, BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381).

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 181 Abs. 5 AO 1977. Es beantragt, die Vorentscheidung, soweit sie das Streitjahr 1977 betrifft, aufzuheben und die Klage gegen den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheid 1977 abzuweisen.

Der Kläger hat sich nicht geäußert.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es hat keinen Antrag gestellt.

II. Die Revision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Unrecht hat das FG angenommen, dass der angefochtene Gewinnfeststellungsbescheid 1977 allein wegen Ablaufs der Feststellungsfrist und der Einkommensteuer-Festsetzungsfrist bei einem Teil der Feststellungsbeteiligten nicht mehr habe erlassen werden dürfen.

1. Zutreffend ist die Vorentscheidung davon ausgegangen, dass im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids 1977 vom 4. Mai 1994 die für ihn maßgebliche Feststellungsfrist bereits abgelaufen war. Diese endete, wie das FG rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, selbst wenn man eine Steuerhinterziehung annimmt, gemäß §§ 169 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. 181 Abs. 1 AO 1977 spätestens mit Ablauf des Jahres 1990. Darüber besteht auch zwischen den Beteiligten kein Streit.

2. Ebenso frei von Rechtsirrtum hat das FG angenommen, dass bei Erlass des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids 1977 im Jahre 1994 die Frist für die Festsetzung der Einkommensteuer betreffend den Feststellungsbeteiligten R bereits abgelaufen war. Sie endete nach den zutreffenden Ausführungen des FG --selbst bei Annahme einer Steuerhinterziehung-- spätestens im Jahr 1989.

3. Nicht zu folgen ist dem FG aber darin, dass im Streitfall der Ablauf der Einkommensteuer-Festsetzungsfrist bei einem der Feststellungsbeteiligten (R) zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids geführt habe.

a) Gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist; hierbei bleibt § 171 Abs. 10 AO 1977 außer Betracht.

b) Umstritten ist, ob eine gesonderte Feststellung auch noch in den Fällen vorzunehmen ist, in denen nicht bei allen, wohl aber bei einzelnen Feststellungsbeteiligten bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist (bejahend die herrschende Meinung in der Literatur: vgl. z.B. Schwarz/Frotscher, Abgabenordnung, § 181 Rz. 33 ff.; Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 181 Anm. 6; Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 181 Rz. 11; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 181 AO 1977 Anm. 4; Kunz in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 181 AO 1977 Rz. 28; a.A.: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 181 AO 1977 Tz. 20; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 181 AO 1977 Rz. 43 und 43 a).

Ein Teil der Senate des BFH hat die Auffassung vertreten, dass jedenfalls in den Fällen, in denen es nicht um die einheitliche und gesonderte Feststellung von Gewinn-Einkünften gehe, auch nach Ablauf der Feststellungsfrist der Eintritt der Festsetzungsverjährung bei einem Feststellungsbeteiligten dem Erlass eines Feststellungsbescheids nicht entgegenstehe (vgl. BFH-Urteile vom 8. Juni 1995 V R 20/94, BFHE 178, 297, BStBl II 1995, 822, betreffend Umsatzsteuer, und vom 27. August 1997 XI R 72/96, BFHE 183, 376, BStBl II 1997, 750, betreffend Feststellung von Grundlagen für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen).

Demgegenüber hat der IV. Senat des BFH in seinem Urteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 entschieden, dass eine einheitliche und gesonderte Feststellung der Einkünfte nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist nicht mehr durchgeführt oder geändert werden könne, wenn für eine oder mehrere Personen, denen die Einkünfte zuzurechnen sind, die Festsetzungsfrist für die Folgesteuer bereits abgelaufen ist. Allerdings soll diese Entscheidung --wie der IV. Senat in seinem späteren Urteil vom 23. September 1999 IV R 56/98 (BFHE 189, 351) klargestellt hat-- so verstanden werden, dass sie nur die Frage betreffe, "ob § 181 Abs. 5 AO 1977 eine Bilanzberichtigung im Fehlerjahr gestattet, obwohl sich der berichtigte Bilanzansatz bei einem Feststellungsbeteiligten infolge des Ablaufs der Festsetzungsfrist in diesem Jahr nicht mehr auswirken kann". Dementsprechend hat der IV. Senat die von ihm in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 vertretene Ansicht in seinem späteren Urteil in BFHE 189, 351 (unter II. 1. c) dergestalt eingeschränkt, dass er den Ablauf der Feststellungsfrist nach § 181 Abs. 5 AO 1977 jedenfalls dann nicht mehr als Hindernis für den Erlass eines Gewinnfeststellungsbescheids ansieht, wenn den Gesellschaftern, bei denen die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen ist, aus dem Gewinnfeststellungsbescheid keine aus der Anwendung der Grundsätze vom formellen Bilanzenzusammenhang resultierenden Nachteile erwachsen können.

c) Im Streitfall hat das FG --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- bislang nicht geprüft und auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger und R --wie vom FA angenommen-- die in Rede stehenden Einkünfte gemeinschaftlich, in Form einer GbR, erzielt haben und --bejahendenfalls-- ob es sich bei diesen Einkünften um solche aus Gewerbebetrieb (gewerblichem Wertpapierhandel) i.S. von § 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) in der für das Streitjahr gültigen Fassung (vgl. nunmehr: § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1984) handelte (vgl. unten 4.).

Unterstellt man, dass beides zu bejahen sein sollte, so könnten dem Gesellschafter R aus der Anwendung der Grundsätze vom formellen Bilanzenzusammenhang keine Nachteile erwachsen. Die Gewinne aus den Wertpapiergeschäften sind offenbar bei seiner Einkommensteuerveranlagung 1977 bestandskräftig erfasst worden; die Frist für die Festsetzung der Einkommensteuer der Folgejahre bis einschließlich des Jahres der Vollbeendigung der GbR (spätestens 1980) ist offensichtlich abgelaufen. Der Streitfall nötigt deshalb nicht zu einer abschließenden Entscheidung der Streitfrage, ob § 181 Abs. 5 AO 1977 stets anzuwenden ist, wenn die Frist für die Festsetzung der Einkommensteuer bei einem Gesellschafter noch nicht abgelaufen ist.

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird zunächst prüfen müssen, ob zwischen dem Kläger und R überhaupt eine GbR bestand und, falls dies zu bejahen sein sollte, ob diese mit den in Rede stehenden Wertpapiergeschäften gewerbliche Einkünfte erzielte (zur Beurteilung von Wertpapiergeschäften als gewerbliche Betätigung und deren Abgrenzung von der privaten Vermögensverwaltung vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29. Oktober 1998 XI R 80/97, BFHE 187, 287, BStBl II 1999, 448, m.w.N.; ferner --speziell zum Handel mit festverzinslichen Wertpapieren-- BFH-Urteile vom 31. Juli 1990 I R 173/83, BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66; vom 6. März 1991 X R 39/88, BFHE 164, 53, BStBl II 1991, 631; vom 9. Oktober 1992 III R 9/89, BFH/NV 1994, 80).

Sodann wird das FG die bislang offen gelassene Frage untersuchen müssen, ob die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1977 des Klägers bei Erlass des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids im Jahr 1994 noch offen war.

Verneinendenfalls wird das FG der Klage erneut stattgeben müssen, da dann bei Erlass des angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheids die Einkommensteuer-Festsetzungsfristen bei keinem der betroffenen Feststellungsbeteiligten mehr offen waren. Bejahendenfalls wird das FG des Weiteren zu untersuchen haben, ob das FA die Höhe der gewerblichen Einkünfte zutreffend festgestellt hat.



Ende der Entscheidung

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