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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.10.2004
Aktenzeichen: VIII R 43/04
Rechtsgebiete: AO 1977, SGB IV, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 § 175 Abs. 2
SGB IV § 17 Abs. 1 Nr. 3
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
EStG § 32 Abs. 4 Satz 4
EStG § 32 Abs. 4 Satz 5
EStG § 32 Abs. 4 Satz 6
EStG § 70 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist der Vater der 1980 geborenen Tochter F. F bewarb sich nach Abschluss ihrer Schulausbildung im Juni 2000 zunächst für einen Studienplatz im Fach Medizin. Ihre Zulassung wurde jedoch für das Wintersemester 2000/2001, das Sommersemester 2001, das Wintersemester 2001/2002 und das Sommersemester 2002 abgelehnt. In der Zeit von November 2000 bis November 2001 nahm F an einem Au-pair-Programm in den USA teil. Sie besuchte während dieser Zeit verschiedene Sprachkurse mit unterschiedlicher Wochenstundenzahl. F erhielt in den USA freie Unterkunft und Verpflegung in einer Gastfamilie sowie ein wöchentliches Taschengeld in Höhe von 139 US-$.

Ab dem 20. Dezember 2001 war F nichtselbständig tätig, um die weitere Wartezeit für einen Studienplatz zu überbrücken.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) hob die Kindergeldfestsetzung für F mit Bescheid vom 5. Juni 2002 unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung 1977 (AO 1977) für die Zeit von Januar bis Juli 2001 auf und forderte das danach zu Unrecht gezahlte Kindergeld in Höhe von 1 890 DM bzw. 966,34 € zurück. Er ging dabei davon aus, dass die Gewährung freier Unterkunft und Verpflegung nach der auf § 17 Abs. 1 Nr. 3 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) beruhenden Verordnung über den Wert der Sachbezüge in der Sozialversicherung (Sachbezugsverordnung --SachBezV--) mit 6 838,70 DM zu bewerten sei und dass das der F gewährte Taschengeld einem Bezug in Höhe von 1 344,04 DM monatlich entspreche. Weiter war er der Auffassung, dass der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Streitfall 11/12 von 14 040 DM, also 12 870 DM betrage, weil der Monat Dezember 2001 wegen der Vollzeiterwerbstätigkeit der F als sog. Kürzungsmonat anzusehen sei.

Einspruch und Klage des Klägers hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung aus, dass F sich im streitigen Zeitraum nicht in einer Berufsausbildung befunden habe, da sie nicht, wie dies für die Anerkennung der Teilnahme an einem Au-pair-Programm als Ausbildung erforderlich sei, an theoretisch-systematischem Sprachunterricht von mindestens zehn Unterrichtsstunden pro Woche teilgenommen habe. F sei jedoch gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG dem Grunde nach für das Kindergeld zu berücksichtigen gewesen, weil sie eine Ausbildung --das Studium der Medizin-- mangels Ausbildungsplatzes nicht habe beginnen können. Der Kläger habe allerdings keinen Anspruch auf Kindergeld für F, weil deren Einkünfte und Bezüge aufgrund der nach der SachBezV zu bewertenden Leistung von freier Unterkunft und Verpflegung in der Gastfamilie sowie des nach § 32 Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG (in der im Streitjahr geltenden Fassung) umzurechnenden Taschengeldes den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag in Höhe von 14 040 DM überschritten hätten. Dabei ging das FG davon aus, dass der Jahresgrenzbetrag nicht wegen der Erwerbstätigkeit der F im Dezember 2001 um 1/12 zu kürzen sei. Die Leitsätze der Entscheidung sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1620 veröffentlicht.

Mit seiner Revision macht der Kläger insbesondere geltend, dass das seiner Tochter gewährte Taschengeld entsprechend der Kaufkraft in den USA --ebenso wie die Sachbezüge nach der SachBezV-- im Verhältnis 1:1 zur DM anzusetzen sei, so dass insoweit lediglich ein Gesamtbetrag in Höhe von 6 625,63 DM (11 x 602,33 US-$) zu berücksichtigen sei. Darüber hinaus ist der Kläger der Auffassung, dass Aufwendungen seiner Tochter für die Eigenbeteiligung am Au-pair-Programm, Kautionsgebühren, Taxifahrten von und zum Flughafen, Telefonkosten, Schulbücher, nicht erstattete Arzt- und Laborkosten, eine Bücherkarte, Kontoführungsgebühren, Fahrtkosten zu einem Kinderpflegepraktikum, ein Visum, ein ärztliches Pflichtattest, die Beglaubigung von Zeugnissen, Fotokopien für Bewerbungen, Porti, einen Pass, einen internationalen Führerschein, ein Führungszeugnis, eine Meldeauskunft, einen Kreditkartenantrag und eine Bahncard in Höhe von insgesamt 2 703,69 DM von deren Einkünften und Bezügen abzuziehen seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie den angefochtenen Bescheid vom 5. Juni 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. August 2002 aufzuheben und ihm für die Zeit von Januar bis Dezember 2001 Kindergeld für seine Tochter F zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Dem Kläger steht für den streitigen Zeitraum kein Kindergeld für seine Tochter F zu.

a) Der Senat ist an die nicht mit Revisionsrügen angegriffene Feststellung der Vorinstanz gebunden, dass die von der F in den USA besuchten Sprachkurse nicht ausreichen, um sie als ein in der Ausbildung befindliches Kind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für das Kindergeld berücksichtigen zu können. Mit der Vorinstanz ist daher davon auszugehen, dass F gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als ein ausbildungswilliges Kind, das eine Ausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen kann, zu berücksichtigen war.

b) Der Kindergeldanspruch des Klägers ist wegen der Höhe der Einkünfte und Bezüge der F im streitigen Zeitraum ausgeschlossen.

aa) Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG setzt der Kindergeldanspruch voraus, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhaltes oder der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, den Jahresgrenzbetrag von --nach der im Streitjahr geltenden Gesetzesfassung-- 14 040 DM nicht überschreiten. Bezüge, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, bleiben dabei außer Ansatz. Der Betrag von 14 040 DM ermäßigt sich nach § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung für jeden Kalendermonat um 1/12, in dem die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG nicht vorliegen (sog. Kürzungsmonate). Bei der Prüfung, ob der sich danach ergebende anteilige Jahresgrenzbetrag überschritten ist, bleiben nach § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung diejenigen Einkünfte und Bezüge des Kindes außer Ansatz, die auf die Kürzungsmonate entfallen. Der Senat kann offen lassen, ob der Monat Dezember 2001 wegen der Erwerbstätigkeit der Tochter des Klägers als Kürzungsmonat anzusehen ist. Auch wenn man mit der Vorinstanz von der Anwendbarkeit des vollen Jahresgrenzbetrages in Höhe von 14 040 DM ausgeht, ist der Kindergeldanspruch wegen der Höhe der Einkünfte und Bezüge der F ausgeschlossen.

bb) Die Leistungen der Gasteltern in Form von freier Unterkunft und Verpflegung stellen Bezüge eines Kindes i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG dar und sind nach der SachBezV zu bewerten (vgl. Senatsurteil vom 22. Mai 2002 VIII R 74/01, BFHE 199, 283, BStBl II 2002, 695, m.w.N.). Das FG hat den Wert der Bezüge der Tochter des Klägers für den streitigen Zeitraum insoweit fehlerfrei mit 6 838,70 DM ermittelt.

cc) Ob das einem Kind gewährte Taschengeld gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung umzurechnen oder in entsprechender Anwendung der SachBezV im Verhältnis 1:1 anzusetzen ist, braucht der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Als Taschengeld sind nur geringfügige Beträge anzusehen, die lediglich dazu dienen, kleinere Anschaffungen des täglichen Bedarfs sowie alltägliche Freizeitgestaltungen zu finanzieren. Der Betrag von 139 US-$ pro Woche geht darüber deutlich hinaus; er ist bereits als Entgelt für die im Rahmen des Au-pair-Programms geleisteten Dienste anzusehen. Die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung der Zahlung als "Taschengeld" bindet den Senat bei seiner rechtlichen Beurteilung nicht.

Als Entgelt ist die von der Tochter des Klägers bezogene Leistung gemäß § 32 Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung nach dem im September des Vorjahres von der Europäischen Zentralbank bekannt gegebenen Referenzkurs umzurechnen. Der Senat kann offen lassen, ob ein Abschlag im Hinblick auf die geringere Kaufkraft in den USA vorzunehmen ist (für eine Umrechnung nach der gesetzlichen Regelung Helmke/ Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach A, I. Kommentierung, § 32 EStG Rdnr. 111). Selbst bei Berücksichtigung eines Abschlages wäre der Jahresgrenzbetrag noch weit überschritten. Dabei wäre der Abschlag etwa mit 23 v.H. anzusetzen. Der im Jahr 2001 durchschnittlich zu gewährende Kaufkraftausgleich für die USA betrug 30 v.H.; eine Rückrechnung des im Ausland bezogenen --also 130 v.H. entsprechenden-- Betrages auf 100 v.H. erfordert dann den Abzug von 23 v.H.

Die Bezüge der Tochter des Klägers berechnen sich wie folgt:

Taschengeld umgerechnet (Umrechnungskurs 1 € = 0,8765 US-$, BStBl I 2001, 121, 122) |14 784,55 DM| ./. 23 v.H.|3 400,45 DM|11 384,10 DM Sachbezüge||6 838,70 DM ./. Kostenpauschale|| 360,00 DM ||17 862,80 DM

dd) Ausbildungsbedingter Mehrbedarf der F war nicht zu berücksichtigen. Der Senat kann offen lassen, ob ausbildungsbedingter Mehrbedarf im vorliegenden Fall nicht schon deshalb nicht in Abzug zu bringen ist, weil die F sich während des streitigen Zeitraums nicht in einer Ausbildung befand. Jedenfalls sind eine Reihe der von dem Kläger aufgeführten Positionen (z.B. Telefon- und Portokosten, Kosten einer Bahncard, Kosten eines Kreditkartenantrags, Kontoführungsgebühren und Arztkosten) --unabhängig von der Frage, ob sie hinreichend belegt worden sind-- schon ihrer Natur nach nicht als ausbildungsbedingter Mehrbedarf anzusehen (zu den als ausbildungsbedingter Mehrbedarf anerkennungsfähigen Aufwendungen vgl. BFH-Urteile vom 14. November 2000 VI R 62/97, BFHE 193, 444, BStBl II 2001, 491; vom 14. November 2000 VI R 52/98, BFHE 193, 453, BStBl II 2001, 489; VI R 128/00, BFHE 193, 457, BStBl II 2001, 495; vom 25. Juli 2001 VI R 78/00, BFH/NV 2001, 1558; vom 23. Juli 2002 VIII R 63/00, BFH/NV 2003, 24). Selbst wenn aber die Berücksichtigung ausbildungsbedingten Mehrbedarfs in Betracht käme und alle vom Kläger geltend gemachten Kosten anzuerkennen wären, wäre der im Streitfall maßgebliche Jahresgrenzbetrag nicht unterschritten.

c) Ohne Erfolg rügt der Kläger eine Ungleichbehandlung mit ausländischen Teilnehmern an Au-pair-Programmen, die entsprechende Leistungen wie seine Tochter in den USA in Deutschland erhalten und diese hier nicht zu versteuern haben. Der Kläger verkennt, dass die gewährten Leistungen nicht als --grundsätzlich der Steuerpflicht unterliegende-- Einkünfte seiner Tochter, sondern als Bezüge, also Einnahmen, die nicht im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung erfasst werden, anzusetzen sind.

2. Der Beklagte war auch berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter des Klägers aufzuheben. Stellt sich während oder nach Ablauf eines Kalenderjahres heraus, dass die Einkünfte und Bezüge eines Kindes den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, so ist die Familienkasse berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes rückwirkend mit Wirkung zum Beginn dieses Kalenderjahres aufzuheben. Dabei kann offen bleiben, ob die Änderung in diesen Fällen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 allein oder i.V.m. § 175 Abs. 2 AO 1977 oder auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen ist (BFH-Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 83/98, BFHE 196, 265, BStBl II 2002, 85; VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86; vom 6. November 2001 VI R 76/01, BFH/NV 2002, 343; vom 16. April 2002 VIII R 76/01, BFHE 199, 116, BStBl II 2002, 525; vom 16. April 2002 VIII R 96/01, BFH/NV 2002, 1027).

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