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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.12.1999
Aktenzeichen: VIII R 49/98
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1
AO 1977 § 3 Abs. 1
AO 1977 § 38
BUNDESFINANZHOF

Der Senat hält für die Zeit bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1993 an seiner Rechtsprechung fest, dass die Erträge aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft dem Veräußerer der Beteiligung auch dann zeitanteilig für die Dauer seiner Rechtsinhaberschaft zuzurechnen sind, wenn Anteilseigner im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses der Erwerber war.

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 §§ 3 Abs. 1, 38

Urteil vom 14. Dezember 1999 - VIII R 49/98 -

Vorinstanz: FG Berlin (EFG 1997, 1180)


Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) --Ehegatten-- wurden für das Streitjahr 1991 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war bis zum 1. Januar 1991 alleiniger Gesellschafter einer GmbH. Mit Vertrag vom 8. April 1991 veräußerte er seine Geschäftsanteile "zum 31. Dezember 1990 mit Gewinnbezugsrecht ab 1. Januar 1991". Der Verkaufspreis betrug 3 040 000 DM. Daneben wurde vereinbart, dass der Bilanzgewinn zum 31. Dezember 1990 ausgeschüttet werden und dem Kläger zustehen solle. Demgemäß beschloss die GmbH am 10. Mai 1991 die Ausschüttung dieses Gewinns in Höhe von brutto 1 155 724 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfasste den Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung bei der Einkommensteuerveranlagung 1991; insoweit besteht unter den Beteiligten kein Streit mehr. Streitig geblieben ist, ob der vertraglich vereinbarte Kaufpreis (und damit auch der Veräußerungsgewinn nach § 17 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) um die Gewinnausschüttung zu erhöhen (so das FA) oder ob die Gewinnausschüttung den Einkünften aus Kapitalvermögen mit der Folge zuzuordnen ist, dass die einbehaltene Körperschaftsteuer und die Kapitalertragsteuer auf die Einkommensteuer anzurechnen sind (so die Kläger). Zum Zweck der Berücksichtigung dieser Anrechnungsbeträge begehrten die Kläger die Festsetzung einer höheren Einkommensteuer.

Einspruch und Klage blieben erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1997, 1180).

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts (§§ 2 Abs. 1, 17, 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1991 vom 5. Januar 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. September 1994 mit der Maßgabe zu ändern, dass die Einkommensteuer unter Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns in Höhe von 2 147 574 DM und von weiteren Einnahmen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 1 155 724 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere sind die Kläger beschwert. Ein Einkommensteuerbescheid kann auch mit dem Ziel angefochten werden, die Einkommensteuer höher festzusetzen, wenn anderenfalls die Anrechnung einer höheren Kapitalertragsteuer oder einer höheren Körperschaftsteuer nicht möglich wäre (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362 unter I. der Gründe).

2. Die Klage ist auch begründet. Der für das Jahr 1990 ausgeschüttete Gewinn der GmbH ist beim Kläger nicht als Teil des Veräußerungsgewinns i.S. von § 17 EStG, sondern als Einnahme bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen im Veranlagungszeitraum 1991 zu erfassen (§§ 2 Abs. 1 Nr. 5, 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 EStG, §§ 3 Abs. 1, 38 der Abgabenordnung --AO 1977--).

a) Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. auch Gewinnanteile aus Beteiligungen an einer GmbH. Von wem die Einkünfte erzielt werden, regelt das Gesetz in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung nicht. Dies folgt vielmehr aus den allgemeinen Vorschriften (§ 3 Abs. 1, § 38 AO 1977, § 2 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Danach erzielt Einkünfte aus Kapitalvermögen, wer die Tatbestandsmerkmale dieser Einkunftsart verwirklicht.

b) Der erkennende Senat hat dazu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber einer Kapitalforderung oder Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft die Kapitalerträge demjenigen steuerrechtlich zuzurechnen seien, dem sie nach der Regel des § 101 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) oder nach einer von dieser Regel abweichenden Vereinbarung gebühren (vgl. die Rechtsprechungsnachweise im Beschluss vom 21. November 1995 VIII B 40/95, BFH/NV 1996, 405). Der Große Senat des BFH hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (Beschluss vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 438, BStBl II 1983, 272, 274).

3. Der Streitfall erfordert keine abschließende Entscheidung darüber, ob an diesen Grundsätzen in vollem Umfang festzuhalten ist.

a) Die nunmehr in § 20 Abs. 2 a EStG für Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG getroffene Regelung, dass die Einkünfte stets derjenige erzielt, dem im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses die Anteile gemäß § 39 AO 1977 zuzurechnen sind, gilt erst ab dem Veranlagungszeitraum 1994 (§ 52 Abs. 20 Satz 3 EStG 1994). Die Ansicht des Finanzausschusses des Bundestages, die Vorschrift habe nur klarstellende Bedeutung (BTDrucks 12/5016, S. 87), ist nicht Gesetz geworden.

b) Bis zu dieser gesetzlichen Regelung war in Schrifttum und Rechtsprechung streitig, nach welchen Grundsätzen die persönliche Zurechnung von Beteiligungserträgen zu erfolgen habe (zum Streitstand s. u.a. Senatsurteil vom 30. April 1991 VIII R 38/87, BFHE 164, 357, BStBl II 1991, 574; FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 15. September 1993 2 K 99/89, EFG 1994, 353; Raupach/Harenberg in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 20 EStG Anm. 36, 40; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 20 Anm. 4; Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 20 Rdnr. B 11 bis B 35). Unterschiedlich beurteilt wurde vor allem, ob eine von der Regel des § 101 BGB abweichende Vereinbarung der Berechtigten auch für die einkommensteuerrechtliche Zurechnung von Einkünften zu beachten ist (vgl. u.a. Schmidt/ Heinicke, a.a.O., 18. Aufl., § 20 Rz. 13). Darüber hinaus wurde --vor allem für die Beteiligungserträge i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG-- aber auch die Regel des § 101 Nr. 2 Halbsatz 2 BGB selbst als unbeachtlich angesehen; die Erträge bestimmten sich nach dem zwischen der Kapitalgesellschaft und dem jeweiligen Gesellschafter bestehenden Rechtsverhältnis und seien deshalb demjenigen zuzurechnen, der bei Entstehung der Dividendenforderung bezugsberechtigter Gesellschafter sei (so u.a. die neuere Rechtsprechung des I. Senats des BFH, vgl. u.a. Urteile vom 16. Dezember 1992 I R 32/92, BFHE 170, 354, BStBl II 1993, 399, und vom 17. Dezember 1997 I R 30/97, BFH/NV 1998, 1093, sowie Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. B 27, m.w.N.). Für den Streitfall würde dies bedeuten, dass der Ausschüttungsbetrag bei den Einkünften aus Kapitalvermögen des Erwerbers der GmbH-Anteile zu erfassen, der Erlös des Veräußerers der Beteiligung um den Gewinnanspruch zu erhöhen und die Erfüllung dieses Anspruchs beim Erwerber als Einkommensverwendung zu behandeln wäre (zu den Folgeproblemen vgl. u.a. Raupach, Festschrift für Beisse --1997--, S. 403, 422 f.).

c) Der Senat hält für die Zeit bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 1993 an seiner Rechtsprechung fest, dass die Beteiligungserträge dem Veräußerer zeitanteilig für die Dauer seiner Rechtsinhaberschaft zuzurechnen sind. Es ist für die Entscheidung im Streitfall ohne Bedeutung, ob man dieses Ergebnis durch einen Rückgriff auf die in § 101 Nr. 2 Halbsatz 2 BGB getroffene Regelung gewinnt, nach der Gewinnanteile dem Rechtsinhaber für die Dauer seiner Berechtigung gebühren, oder ob es aus dem allgemeinen Grundsatz folgt, dass die Einkünfte demjenigen persönlich zuzurechnen sind, der den Tatbestand der Einkünfteerzielung erfüllt. Das ist derjenige, der die vom Gesetz geforderte Leistung bewirkt; er bleibt es, solange er diese bewirkt (dazu näher Raupach/Schencking in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 2 EStG Anm. 126 f.; Raupach/Harenberg, a.a.O., § 20 EStG Anm. 40; Raupach, Festschrift für Beisse --1997--, S. 403, 408 f.; Wassermeyer in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 20 Rdnr. B 20 f., jeweils m.w.N.). Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt danach, wer für eigene Rechnung und Gefahr einem anderen Kapital entgeltlich zur Nutzung überlässt (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteil vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539 unter 3. der Gründe, und die weiteren Nachweise bei Schmidt/Heinicke, a.a.O., 18. Aufl., § 20 Rz. 12). Für Beteiligungserträge i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG gilt letztlich nichts anderes; die von den Gesellschaftern zu leistende Einlage wird vom Gesetz der entgeltlichen Kapitalüberlassung auf Zeit gleichgestellt. Eine Änderung dieser Rechtslage trat erst mit der in § 20 Abs. 2 a EStG getroffenen Regelung ein.

Es ist für den Streitfall auch ohne Bedeutung, ob die zivilrechtlich zulässige Vereinbarung einer von der Regel des § 101 Nr. 2 Halbsatz 2 BGB abweichenden Verteilung der Beteiligungserträge auch für das Einkommensteuerrecht gilt; eine solche Vereinbarung liegt hier nicht vor. Der Kläger war zumindest bis zum 31. Dezember 1990 --und damit für den gesamten, von der Vereinbarung erfassten Ausschüttungszeitraum-- Inhaber der Geschäftsanteile.

d) Eine Divergenz i.S. von § 11 Abs. 3 FGO zur Rechtsprechung des I. Senats des BFH liegt nicht vor. Darauf hat der erkennende Senat hinsichtlich der Urteile vom 21. Mai 1986 I R 199/84 (BFHE 147, 44, BStBl II 1986, 794) und I R 190/81 (BFHE 147, 27, BStBl II 1986, 815) bereits in seinem Beschluss in BFH/NV 1996, 405 hingewiesen. Entsprechendes gilt für das Urteil in BFH/NV 1998, 1093; auch in diesem Fall wurden von der Regel des § 101 BGB abweichende Vereinbarungen getroffen, die die Zurechnung des ausgeschütteten Gewinns beim Veräußerer bis zum Zeitpunkt der Veräußerung der Anteile nicht hinderten.

Ende der Entscheidung

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