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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 22.05.2002
Aktenzeichen: VIII R 53/00
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 76 Abs. 1
FGO § 118 Abs. 2
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 122
AO 1977 § 122 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog Kindergeld für seine Kinder I und F. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. März 1997 hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) die Bewilligung des Kindergeldes für I für Juli bis Dezember 1995 auf. Mit dem hier angefochtenen Rückforderungsbescheid vom selben Tag hob er die Festsetzung des Kindergeldes für I für Januar bis September 1996 auf und forderte danach zuviel gezahltes Kindergeld in Höhe von 1 800 DM zurück. Mit Schreiben vom 14. April 1997 übersandte der Beklagte eine Zahlungsmitteilung über eine Forderung der Bundesanstalt für Arbeit in Höhe von 2 200 DM und mit Schreiben vom 20. Mai 1997 eine Mahnung über 2 231,60 DM.

Mit Kindergeldantrag vom 23. April 1997, bei dem Beklagten eingegangen am 29. April 1997, beantragte der Kläger erneut Kindergeld für seine beiden Kinder. Am 29. Mai 1997 sprach die Ehefrau des Klägers bei dem Beklagten vor. Bei diesem Besuch unterschrieb sie ein von einem Bearbeiter des Beklagten vorformuliertes Schriftstück mit dem Text: "Ich gehe gegen den Aufhebungs + Erstattungsbescheid vom 18. März 1997 in Einspruch." Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 4. Juni 1997 legte der Kläger gegen "einen möglicherweise ergangenen Bescheid auf Rückzahlung von Kindergeld" Widerspruch ein. Diesen Widerspruch verwarf der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 11. November 1997 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig. Gegen die Einspruchsentscheidung erhob der Kläger Klage vor dem Finanzgericht (FG). Daraufhin hob der Beklagte die Einspruchsentscheidung auf, weil er den Zugang des Bescheides vom 18. März 1997 nicht nachweisen konnte. Mit erneuter Einspruchsentscheidung wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück, da der Kläger trotz Aufforderung eine Begründung nicht eingereicht habe. Gegen diese Einspruchsentscheidung erhob der Kläger wiederum Klage vor dem FG.

Im Klageverfahren machte der Kläger erneut geltend, er habe den Bescheid vom 18. März 1997 nicht erhalten. In der Sache trug er vor, dass der Arbeitgeber des Sohnes I des Klägers das Ausbildungsverhältnis im Juni 1995 gekündigt habe, nachdem der Sohn aufgrund eines Unfalls sieben Monate arbeitsunfähig gewesen sei. In der Folge habe der Sohn zunächst erfolglos nach einem Ausbildungsplatz gesucht, habe aber erst im Sommer 1997 in eine Maßnahme des X vermittelt werden können.

Der Beklagte vertrat demgegenüber die Auffassung, dass der Bekanntgabemangel durch Erlass der ersten Einspruchsentscheidung vom 11. November 1997 geheilt worden sei. Durch die ordnungsmäßig bekannt gegebene Einspruchsentscheidung sei dem Bescheid seine endgültige Fassung gegeben worden.

Der Einzelrichter wies im Klageverfahren darauf hin, dass er den Eindruck gewonnen habe, dass die Ehefrau des Klägers den Einspruch gegen den angefochtenen Bescheid wohl am 13. Mai 1997 --also vor Erhalt der Mahnung vom 20. Mai 1997-- zu Protokoll erklärt habe. Die Behauptung, den Bescheid nicht erhalten zu haben, sei daher seiner Ansicht nach nicht zu halten.

Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass der Bescheid vom 18. März 1997 bestandskräftig geworden sei. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt werde, gelte im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugegangen. Im Zweifel habe die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Es stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger den Bescheid erhalten habe. Dies ergebe sich daraus, dass der Kläger im April 1997 einen erneuten Kindergeldantrag gestellt habe. Auch habe der von der Ehefrau des Klägers zur Niederschrift erklärte Einspruch keinen Hinweis darauf enthalten, dass der Bescheid nicht zugegangen sei. Es lägen daher besondere Umstände vor, die die Annahme rechtfertigten, dass der Bescheid zugegangen sei.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. März 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung, eingegangen am 9. September 1998, aufzuheben, hilfsweise, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er trägt insbesondere vor, die Vorsprache der Ehefrau des Klägers habe bereits am 13. Mai und nicht erst am 29. Mai 1997 --also vor Absendung der Mahnung vom 20. Mai 1997-- stattgefunden.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Die Annahme des FG, dass der Bescheid des Beklagten vom 18. März 1997 bestandskräftig geworden sei, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

a) Die Vorentscheidung verstößt gegen § 122 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 76 Abs. 1 FGO, da das FG keine Feststellungen zu dem Tag der Aufgabe des Bescheides vom 18. März 1997 zur Post getroffen hat. Gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gilt ein schriftlicher Bescheid, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Vermutung des Zuganges knüpft also an das Datum der Aufgabe des Bescheides zur Post an. Dieses ergibt sich nicht zwingend aus dem Bescheiddatum (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. Mai 2001 III R 56/98, BFH/NV 2001, 1365, 1366, m.w.N.). Da der Tag der Aufgabe des Bescheides vom 18. März 1997 zur Post nicht feststeht, war die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 nicht anwendbar. Es hätte vielmehr einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes bedurft.

b) Zudem hat das FG nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt. Damit hat es § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt. Das FG ist im Wege eines Indizienbeweises zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger den Bescheid erhalten haben müsse. Es hat sich dabei nicht hinreichend damit auseinander gesetzt, dass der Kläger den Zugang des Bescheides bestritten hat und der Beklagte selbst ebenfalls nicht behauptet hat, der Bescheid sei dem Kläger zugegangen. Vielmehr hat der Beklagte die Rechtsansicht vertreten, dass er den Nachweis des Zuganges nicht führen könne, aber der vom Kläger geltend gemachte Bekanntgabemangel durch die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geheilt sei. Weiterhin hat der Kläger --im Klageverfahren unwidersprochen-- erklärt, dass der zur Niederschrift erklärte Einspruch anlässlich einer Vorsprache seiner Ehefrau bei dem Beklagten am 29. Mai 1997 als Reaktion auf eine Mahnung des Beklagten vom 20. Mai 1997 eingelegt worden sei. Die Behauptung des Beklagten, der Einspruch sei bereits am 13. Mai 1997 eingelegt worden, steht dem vom FG festgestellten Sachverhalt entgegen und ist als neuer Tatsachenvortrag in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigen (§ 118 Abs. 2 FGO).

2. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Sie wird daher zur anderweitigen Verhandlung an das FG zurückverwiesen. Dieses wird den Zeitpunkt der Aufgabe des Bescheides vom 18. März 1997 zur Post feststellen müssen. Es wird zudem aufzuklären haben, ob die Ehefrau des Klägers den Einspruch gegen den Bescheid am 13. oder am 29. Mai 1997 eingelegt hat und aus welchem Grund der Kläger am 23. April 1997 erneut einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld gestellt hat. Sollte nach der danach gewonnenen Überzeugung des Gerichts der Zugang des Bescheides vom 18. März 1997 nicht nachgewiesen worden sein, ist von einem rechtzeitig eingelegten Einspruch auszugehen. In diesem Fall wird das FG die Rechtmäßigkeit des Bescheides zu prüfen haben.

Ende der Entscheidung

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