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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 29.01.2003
Aktenzeichen: VIII R 60/00
Rechtsgebiete: EStG, FGO
Vorschriften:
EStG § 32 Abs. 4 Satz 2 | |
FGO § 68 | |
FGO § 68 Satz 2 |
Gründe:
I. Der Sohn K des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ist schwer behindert und außer Stande, sich selbst zu unterhalten. Den Antrag des Klägers vom 20. April 1998, ihm Kindergeld zu gewähren, hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter) mit Bescheid vom 23. Februar 1999 zurückgewiesen, weil die Einkünfte und Bezüge des Sohnes den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) überstiegen hätten. Der Einspruch blieb erfolglos.
Mit seiner Klage beantragte der Kläger, ihm Kindergeld für Januar bis Dezember 1997 zu gewähren, weil in diesem Jahr der Grenzbetrag nicht überschritten sei. Während des Klageverfahrens änderte der Beklagte den Kindergeldbescheid und setzte das Kindergeld für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 1998 mit monatlich 220 DM und ab 1. Januar 1999 mit monatlich 250 DM fest. Zur Begründung führte er aus, dass K ab Januar 1998 nicht in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Änderungen für das Jahr 1997 nahm der Beklagte nicht vor. Er führte lediglich aus, dass der Bescheid den mit der Klage angefochtenen Bescheid und die Einspruchsentscheidung ändere. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält darüber hinaus den Hinweis, dass der Bescheid mit dem Einspruch angefochten oder gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden könne.
Der Kläger hat weder Einspruch gegen diesen Bescheid eingelegt noch einen Antrag nach § 68 FGO gestellt.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unzulässig ab, weil der Kläger nicht innerhalb der Monatsfrist des § 68 Satz 2 FGO beantragt habe, den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Damit sei dieser Bescheid bestandskräftig und der angefochtene Bescheid gegenstandslos geworden (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2001, 153).
Mit der Revision rügt der Kläger, das FG habe § 68 FGO unzutreffend ausgelegt.
Er beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Das FG musste das Klageverfahren fortführen und über den Klageantrag sachlich entscheiden. Die Klage ist durch die Änderung des Kindergeldbescheides vom 23. Februar 1999 nicht unzulässig geworden.
1. Nach § 68 FGO in der vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 --FGO a.F.-- (BGBl I, 1757, BStBl I, 1567) geltenden Fassung wurde der Verwaltungsakt, der den angefochtenen Verwaltungsakt nach Klageerhebung ändert oder ersetzt, auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens. Wurde der Antrag nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsaktes gestellt und der Verwaltungsakt auch nicht mit dem Einspruch angefochten, wurde der Verwaltungsakt bestandskräftig und die Klage unzulässig (vgl. u.a. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Oktober 1994 IV R 26/91, BFH/NV 1995, 245).
Das galt jedoch nur für den mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakt. Selbständige neue Verwaltungsakte enthalten selbst dann keine Änderung oder Ersetzung i.S. von § 68 FGO, wenn sie mit dem angefochtenen Verwaltungsakt verbundene Verwaltungsakte betreffen, wie dies etwa bei Steuer- oder Feststellungsbescheiden für verschiedene Besteuerungszeiträume der Fall ist (vgl. u.a. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 68 FGO Tz. 10). Entsprechendes gilt, wenn ein teilbarer Bescheid nur teilweise angefochten war und sich die Änderung nur auf den nicht angefochtenen Teil bezieht; § 68 FGO ist hier nicht anwendbar (vgl. zu der inhaltlich vergleichbaren Regelung in § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes --SGG-- Bundessozialgericht --BSG--, Beschluss vom 18. August 1999 B 4 RA 25/99 B, SozR 3-1500 § 96 SGG Nr. 9, sowie Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 68 Rz. 40).
2. Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Kindergeldbescheid vom 23. Februar 1999 ist nur insoweit Gegenstand des Klageverfahrens geworden, als er einen Anspruch des Klägers auf Kindergeld für das Kalenderjahr 1997 abgelehnt hat. Dagegen war Regelungsinhalt des Änderungsbescheides der Kindergeldanspruch für die Zeit ab 1. Januar 1998.
a) Der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung haben den Antrag des Klägers, ihm (weiterhin) Kindergeld für K zu gewähren, ab Januar 1997 abgelehnt. Der Kläger hat diesen Bescheid jedoch nur für die Zeit von Januar bis Dezember 1997 mit der Klage angefochten. Das ergibt sich sowohl aus seinem Klageantrag als auch aus der von dem rechtskundigen Bevollmächtigten des Klägers gefertigten Klageschrift. Damit ist sein prozessuales Klagebegehren eindeutig bestimmt. Für eine Auslegung im Sinne einer weiter gehenden Anfechtung finden sich in der Klage keine Anhaltspunkte; das FG musste deshalb von einer auf das Kalenderjahr 1997 beschränkten Teilanfechtung des Bescheides ausgehen (zur Beurteilung von Verfahrenserklärungen vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 15. Dezember 1998 I B 45/98, BFH/NV 1999, 751, m.w.N.).
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass das FG offensichtlich von einer weiter gehenden Anfechtung ausging; das Revisionsgericht ist bei der Beurteilung von Prozesserklärungen nicht an die Auffassung der Tatsacheninstanz gebunden (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 7. Oktober 1997 VIII R 7-8/96, BFH/NV 1998, 1099).
b) Die Teilanfechtung war mit dem Klageziel, dem Kläger das Kindergeld ausschließlich für das Kalenderjahr 1997 zu gewähren, zulässig.
Der Kindergeldbescheid vom 23. Februar 1999 war zwar ein --negativer-- Dauerverwaltungsakt für die Zeit ab dem 1. Januar 1997 (zum Kindergeldbescheid als Dauerverwaltungsakt vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231, unter II.1.c der Gründe); er konnte jedoch als teilbarer Verwaltungsakt für jeden Monat geändert oder aufgehoben werden und für andere Monate unverändert bestehen bleiben (BFH-Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 163/00, BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174, und vom 12. September 2001 VI R 25/01, juris). Er konnte deshalb auch für jeden Monat angefochten werden; die nicht angefochtene Kindergeldfestsetzung wurde bestandskräftig (zur Teilanfechtung vgl. u.a. Gräber/von Groll, a.a.O., vor § 40 Rz. 42, § 47 Rz. 3 f., m.w.N., und zur Bestandskraft negativer Kindergeldbescheide BFH-Urteile vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88; vom 25. Juli 2001 VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89; vom 23. November 2001 VI R 125/00, BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296, zu 2.b der Gründe).
c) Der Änderungsbescheid bezog sich nach seinem Regelungsinhalt nur auf den vom Kläger nicht angefochtenen Teil des Kindergeldbescheides vom 23. Februar 1999.
Er ist nach seinem objektiven Regelungsgehalt unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, unter denen er ergangen ist, auszulegen (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 18. Juli 1994 X R 33/91, BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4, unter 4. der Gründe, m.w.N.). Diese Auslegung ergibt, dass er nur den Kindergeldanspruch des Klägers für die Zeit ab Januar 1998 regeln und deshalb auch nur insoweit den ursprünglichen Kindergeldbescheid und die Einspruchsentscheidung ändern wollte. Das folgt sowohl aus seinem Tenor als auch aus seiner Begründung, die keinen Hinweis auf die Kindergeldfestsetzung für 1997 enthält. Hinsichtlich dieser Festsetzung ist der Bescheid vom 23. Februar 1999 in Gestalt der Einspruchsentscheidung deshalb weiterhin wirksam (§ 124 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--). Der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung, dass gegen den Bescheid der Einspruch gegeben sei oder ein Antrag nach § 68 FGO gestellt werden könne, ändert an diesem Ergebnis nichts (vgl. dazu BFH-Urteil vom 6. August 1996 VII R 77/95, BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79, unter 2.b der Gründe a.E.; BFH-Beschluss vom 12. Februar 1998 VII B 252/97, BFH/NV 1998, 1140).
3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben und die Sache zur Fortführung des Klageverfahrens und zur sachlichen Entscheidung über den Klageantrag an das FG zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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