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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 03.06.2003
Aktenzeichen: X B 102/02
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 76
FGO § 76 Abs. 2
FGO § 96
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 96 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die gerügten Verfahrensmängel (Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens, Verletzung des rechtlichen Gehörs, Verletzung der Sachaufklärungspflicht) rechtfertigen keine Zulassung der Revision.

1. Der Einwand des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), der Tenor des angefochtenen Urteils entspreche nicht den Entscheidungsgründen, geht fehl.

Zwar hat das Finanzgericht (FG) eingangs der Entscheidungsgründe (S. 8 Mitte des Urteilsabdrucks) die Schätzung im Hinblick darauf beanstandet, dass ungeklärte Einlagen bzw. ungeklärte Zuflüsse aus Einkünften aus Kapitalvermögen "bzw. dem Erlös aus der Grundstücksveräußerung stammen können". Dies wird auf S. 11 des Urteils mit der Aussage aufgenommen, dass es sich zwar um nicht erklärte Einkünfte aus Gewerbebetrieb handeln könne, "die ungeklärten Einlagen und Zuflüsse ... jedoch auch ab Mitte 1992 aus dem Erlös des Grundstücksverkaufs bzw. Einkünften aus Kapitalvermögen stammen können". Das FG hält sodann die Zuschätzung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen für schlüssig und sieht "die im Ergebnis der Betriebsprüfung als ungeklärt angesehenen Einlagen in das Betriebsvermögen" in Höhe dieser Zuschätzung "als geklärt an", was im betragsmäßigen Umfang der hinzugeschätzten Kapitaleinkünfte zu einer Änderung der angefochtenen Steuerbescheide führte. Das FG hat damit dem Vortrag des Klägers Rechnung getragen, die Hinzuschätzung von Kapitaleinkünften stünde im Widerspruch mit dem Vorwurf ungeklärter Einlagen. Darüber hinaus ist dem angefochtenen Urteil die konkludente Aussage zu entnehmen, dass weitere Einlagen zwar aus Mitteln der Grundstücksveräußerung stammen "können", dass dies indes jedenfalls im Ergebnis nicht erwiesen sei. Dies wiederum nimmt erkennbar Bezug auf den Vortrag des Klägers vor dem FG, eine weitere Aufklärung über die Herkunft der eingelegten Mittel sei ihm nicht möglich. Ungeachtet der aufgezeigten Auslegungsbedürftigkeit des Urteils decken sich jedenfalls Urteilsformel und Entscheidungsgründe. Der diesbezüglich gerügte Verfahrensfehler liegt nicht vor; erst recht ist das angefochtene Urteil nicht nichtig.

2. Eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 96 Abs. 2 FGO liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539; vom 31. Juli 1991 VIII R 23/89, BFHE 165, 398, BStBl II 1992, 375; vom 3. März 1998 VIII R 66/96, BFHE 185, 422, BStBl II 1998, 383). Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht i.S. des § 76 Abs. 2 FGO verlangen jedoch nicht, dass das Gericht die maßgeblichen Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert. Auf nahe liegende rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte braucht es zumindest dann nicht ausdrücklich hinzuweisen, wenn die Beteiligten fachkundig vertreten sind (vgl. BFH-Beschluss vom 20. August 1998 XI B 110/95, BFH/NV 1999, 329).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung des FG, der Kläger habe nicht hinreichend belegt, dass die privat aufgenommenen Darlehen tatsächlich in den Betrieb eingelegt worden seien, überraschend kam. Die Verfahrensrüge ist jedenfalls nicht ordnungsgemäß erhoben, denn der Kläger hat nicht dargelegt, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Januar 2000 III B 57/99, BFH/NV 2000, 861).

Gleiches gilt für den Vorwurf, das FG habe in der mündlichen Verhandlung nicht darauf hingewiesen, es werde die vom Kläger anhand der amtlichen Richtsatzsammlung für den ...-Einzelhandel erstellte Rohgewinnermittlung nicht als Beweismittel werten. Auch in diesem Punkt wären substantiierte Darlegungen erforderlich gewesen, was der Kläger bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen Einfluss auf das FG-Urteil hätte haben können.

3. Der Kläger trägt außerdem vor, das FG sei seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, weil es eine in der Verwaltung vorhandene Richtsatzkartei für die streitbefangenen Zeiträume nicht herangezogen habe. Insoweit wird eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) nicht schlüssig gerügt. Mit diesem Vorbringen macht der Kläger allenfalls geltend, das Urteil des FG sei materiell-rechtlich falsch. Eine mögliche Verletzung materiellen Rechts durch das FG kann jedoch alleine nicht zu einer Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO führen.

4. Mit der Rüge, das FG habe die Einstellung des gegen ihn eingeleiteten Steuerstrafverfahrens nicht beachtet, will der Kläger erkennbar dartun, das FG habe entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt. Auch damit kann er nicht durchdringen. Zwar verpflichtet § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO das FG, den gesamten Prozessstoff vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen. Deshalb kann ein Verfahrensmangel darin liegen, dass das FG bei seiner Überzeugungsbildung eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unbeachtet lässt oder bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgeht (Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO Rz. 172). Jedoch gebietet § 96 FGO nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Vielmehr ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat (BFH-Beschluss vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673, m.w.N.). Das FG brauchte somit auf den klägerischen Vortrag in der mündlichen Verhandlung, das Steuerstrafverfahren sei eingestellt worden, im Urteil nicht ausdrücklich einzugehen, zumal der Kläger den Einstellungsbeschluss nicht vorgelegt hat und somit offen blieb, aus welchen Gründen die Einstellung verfügt wurde.

5. Auch die Rüge, das FG habe sich im Wege einer unzulässigen Beweisantizipation einen Fehler des FA zu eigen gemacht, geht fehl. Das FG hat vor allem im Hinblick auf das klägerische Vorbringen während der Außenprüfung und in einem Zivilrechtsstreit gegen seine Stiefmutter erkannt, dass das fragliche Bankkonto dem Kläger zuzurechnen sei. Darin kann keinesfalls eine unzulässige Beweisantizipation, sondern allenfalls eine fehlerhafte Beweiswürdigung gesehen werden. Damit kann jedoch ein Verfahrensmangel nicht begründet werden, da die Grundsätze der freien Beweiswürdigung revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen sind (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 19. Oktober 1995 XI B 28/95, BFH/NV 1996, 339).

6. Im Übrigen sieht der Senat von einer weiteren Begründung nach Maßgabe des § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ab.

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