Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 08.01.2007
Aktenzeichen: X B 190/06
Rechtsgebiete: AO, FGO, EStG


Vorschriften:

AO § 165 Abs. 1 Satz 2
FGO § 5 Abs. 3 Satz 1
FGO § 6 Abs. 1
FGO § 6 Abs. 4
FGO § 133a
FGO § 133a Abs. 2
EStG § 10d Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die für das Streitjahr 2002 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der von ihnen angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 30. September 2004 erging u.a. wegen der Problematik der nur beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der im Streitjahr geltenden Fassung; künftig: EStG a.F.) vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO).

Mit ihrer Klage machen die Kläger geltend, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) habe zu Unrecht den für Vorsorgeaufwendungen geltenden Vorwegabzug (§ 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG a.F.) gekürzt. Er habe nicht berücksichtigt, dass die Klägerin keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt habe und ihr deshalb der hälftige Vorwegabzug zu belassen sei.

Mit Schreiben vom 4. Januar 2006 wies das Finanzgericht (FG) die Verfahrensbeteiligten darauf hin, dass der Rechtsstreit gemäß §§ 5 Abs. 3 Satz 1, 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf den Einzelrichter übertragen werden könne. Hierauf teilte der Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 26. Januar 2006 mit, einer Übertragung auf den Einzelrichter werde nicht zugestimmt. Da es im finanzgerichtlichen Verfahren nur eine einzige Tatsacheninstanz gebe, sei eine Entscheidung der Kammer (gemeint: des Vollsenats) nach mündlicher Verhandlung notwendig.

Durch Beschluss vom 6. Juli 2006 hat das FG den Rechtstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger mit einfachem Brief übersandt, welcher am 6. Juli 2006 zur Post aufgegeben wurde. Der Einzelrichter hat über die Klage bisher nicht entschieden.

Mit dem mittels Telefax am 21. August 2006 beim FG eingegangenen Schreiben vom 25. Juli 2006 legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger gegen den Beschluss vom 6. Juli 2006 Beschwerde ein. Zur Begründung trug er vor, die Beschwerde sei nicht nach § 6 Abs. 4 FGO ausgeschlossen. Denn die Übertragung auf den Einzelrichter sei greifbar gesetzwidrig erfolgt. In der Klagebegründung sei auf die Vielzahl der zu § 10d Abs. 3 EStG (gemeint: § 10 Abs. 3 EStG a.F.) ergangenen Rechtsprechung hingewiesen worden. Die zutreffende Anwendung dieser Rechtsprechung auf den Streitfall erfordere eine "ausgesprochen umfassende" Aufklärung des Sachverhalts, die von einem einzelnen Richter nur schwerlich erbracht werden könne. Auch erfordere die zutreffende Anwendung der rechtlichen Entscheidungsgrundlagen das kumulative Zusammenwirken mehrerer Berufsrichter.

Der Einzelrichter des FG teilte dem Prozessbevollmächtigten mit, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die gegen einen Übertragungsbeschluss erhobene Beschwerde grundsätzlich nicht statthaft sei. Hierauf teilte dieser dem FG mit Schreiben vom 20. Oktober 2006 mit, an der erhobenen außerordentlichen Beschwerde werde festgehalten. Sofern das Gericht zu der Auffassung gelange, eine solche außerordentliche Beschwerde sei nicht statthaft, sei der Rechtsbehelf als Gegenvorstellung zu behandeln. Sofern das Gericht die Beschwerde an den BFH abgebe, werde ausdrücklich eine Entscheidung des BFH in der Sache selbst begehrt. Eine Zurückverweisung durch den BFH an das FG, damit dieses in der Sache entscheide, werde nicht begehrt. In der Sache habe das FG den Rechtsstreit zu Unrecht auf den Einzelrichter übertragen. Denn es sei derzeit ungeklärt, ob die Regelung des Vorwegabzugs verfassungsgemäß sei. Hierzu seien mehrere Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Durch die Instanzgerichte sei deshalb zu prüfen, ob die Regelung verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine solche Prüfung sei aber dem Vollsenat vorbehalten. Durch Beschluss vom 2. November 2006 hat der Einzelrichter des FG entschieden, dass der Beschwerde nicht abgeholfen werde.

II. Die Beschwerde ist nicht statthaft und daher unzulässig.

1. Ein Beschluss, durch den ein Senat des FG den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 FGO einem seiner Mitglieder zur Entscheidung überträgt, ist gemäß Abs. 4 Satz 1 dieser Bestimmung unanfechtbar (BFH-Beschluss vom 9. Januar 2002 VII B 275/01, BFH/NV 2002, 926). Eine "greifbare Gesetzeswidrigkeit" kann nicht mittels Anfechtung des Übertragungsbeschlusses, sondern im Rechtsmittelverfahren gegen die abschließende Hauptsacheentscheidung geltend gemacht werden (BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2004 II B 13/04, BFH/NV 2005, 897; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 6 Rz 24 f.).

2. Auch eine außerordentliche Beschwerde ist nicht statthaft.

Seit Einführung des § 133a FGO durch das Anhörungsrügengesetz (AnhRügG) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3220) zum 1. Januar 2005 ist die außerordentliche Beschwerde wegen sog. greifbarer Gesetzeswidrigkeit als außerordentlicher, gesetzlich nicht geregelter Rechtsbehelf nicht mehr statthaft (BFH-Beschlüsse vom 30. November 2005 VIII B 181/05, BFHE 211, 37, BStBl II 2006, 188, und vom 22. Juni 2006 IX B 108/06, BFH/NV 2006, 1696; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. Februar 2006 IV ZB 57/04, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2006, 695).

3. Ob seit Inkrafttreten des AnhRügG gegen eine (unanfechtbare) gerichtliche Entscheidung der formlose Rechtsbehelf der Gegenvorstellung gegeben ist, über die das Gericht zu entscheiden hat, das die angegriffene Entscheidung erlassen hat, hat der angerufene Senat nicht zu entscheiden. Denn eine solche Entscheidung des FG begehren die Kläger ausdrücklich nicht.

a) Ob seit dem Inkrafttreten des AnhRügG noch Raum ist für den von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsbehelf der Gegenvorstellung, wird von der Rechtsprechung und der Literatur unterschiedlich beantwortet. Teilweise wird angenommen, ein solcher Rechtsbehelf sei nicht mehr gegeben. Zum Teil wird vertreten, die Gegenvorstellung sei weiterhin statthaft. Nicht einheitlich beantwortet wird auch die Frage, ob die Gegenvorstellung nur innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 133a Abs. 2 FGO (früher: analog § 321a Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung) erhoben werden kann oder fristlos möglich ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 8. Juni 2005 V S 12/04 (PKH), BFH/NV 2005, 1838, und vom 13. Oktober 2005 IV S 10/05, BFHE 211, 13, BStBl II 2006, 76).

b) Die Kläger haben ihre Gegenvorstellung nur für den Fall erhoben, dass das FG ihren Rechtsbehelf nicht an den BFH weiterleitet. Für den Fall, dass der BFH --wie geschehen-- mit der Angelegenheit befasst wird, erstreben die Kläger nur eine Entscheidung durch den BFH und keine Abgabe des Rechtsbehelfs an das FG. Mit diesem Begehren wollen die Kläger, wie ihr Hinweis auf den BFH-Beschluss vom 5. November 2003 I B 105/03, I B 106/03 (BFH/NV 2004, 359) zeigt, im Ergebnis so behandelt werden, als ob sie ihren Rechtsbehelf unmittelbar beim BFH eingelegt hätten. In einem solchen Fall kommt aber eine Abgabe des Rechtsbehelfs an das FG als Gegenvorstellung nicht in Betracht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 359).

Ende der Entscheidung

Zurück