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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 29.09.2008
Aktenzeichen: X B 203/07
Rechtsgebiete: BGB, FGO


Vorschriften:

BGB §§ 1030 ff.
FGO § 76 Abs. 1 Satz 1
FGO § 79b
FGO § 96 Abs. 1 Satz 1
FGO § 96 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betreibt einen Einzelhandel mit Wohnmöbeln und ein Beerdigungsinstitut. Zum notwendigen Betriebsvermögen gehören Grundstücke mit Gebäuden, die in den 1950er Jahren errichtet bzw. generalüberholt wurden. Ende 1995 übertrugen die Kläger ihren Grundbesitz auf ihre beiden Kinder. Dazu gehörten auch die betrieblich genutzten Grundstücke des Klägers. Die Kläger behielten sich ein lebenslanges Nießbrauchsrecht an den Grundstücken vor. Sie trugen auch die außergewöhnlichen privaten und öffentlich rechtlichen Belastungen der Grundstücke. Die Grundstücke durften zudem ohne Zustimmung der Kläger weder veräußert noch belastet werden. Bei einem Verstoß waren die Erwerber verpflichtet, die Grundstücke auf die Kläger zurück zu übertragen. Die Verpflichtung zur Rückübertragung wurde dinglich durch eine Rückauflassungsvormerkung gesichert. Besitz, Nutzungen, Gefahr und Lasten gingen am Tag des Vertragsabschlusses auf die Erwerber über. Der Kläger nutzte die Grundstücke weiterhin für betriebliche Zwecke. In den Jahren 1997 und 1998 führte er auf eigene Rechnung umfangreiche Arbeiten an den Gebäuden durch, deren Kosten insgesamt ca. 1,3 Mio. DM betrugen.

Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, in der Grundstücksübertragung auf die Kinder sei eine Grundstücksentnahme mit der Folge zu sehen, dass die in den Grundstücken enthaltenen stillen Reserven zu realisieren seien. Die Finanzverwaltung ermittelte einen Entnahmegewinn in Höhe von ... DM und setzte ihn in dem geänderten Einkommensteuerbescheid für 1995 an. Den dagegen eingelegten Einspruch, der sich vorrangig mit der steuerlichen Zurechnung der Grundstücke beschäftigte, wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 18. August 2003 zurück.

Mit ihrer Klage, die sie am 24. Februar 2004 begründeten, machten die Kläger geltend, in der Übertragung des Eigentums an den Grundstücken liege keine Entnahme aus dem Betriebsvermögen des Klägers. Dieser sei wirtschaftlicher Eigentümer geblieben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei der Vorbehaltsnießbraucher wirtschaftlicher Eigentümer, wenn seine rechtliche und tatsächliche Bestellung gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer des Grundstücks so über die gesetzlichen --lediglich eine Nutzungsbefugnis vermittelnden-- Regelungen der §§ 1030 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinausgehe, dass er die tatsächliche Herrschaft über das nießbrauchsbelastete Grundstück ausübe. Diese Voraussetzung liege im Streitfall vor. Auch habe der Kläger in den Jahren 1997 und 1998 auf eigene Rechnung umfangreiche Herstellungsarbeiten durchgeführt. Die unveränderte Nutzung der Grundstücke für betriebliche Zwecke zeige, dass er wirtschaftlicher Eigentümer geblieben sei.

Nachdem die (weiteren) Schriftsätze des FA und der Kläger vom 26. Mai 2004, 29. Juni 2004 und 14. September 2004 ausgetauscht worden waren, betrieb das Finanzgericht (FG) das Verfahren zunächst nicht weiter. Am 1. Juli 2007 wurde der Geschäftsverteilungsplan des zuständigen Senats geändert und mit Ladungsverfügung des FG vom 17. Juli 2007, die der Prozessbevollmächtigte der Kläger am selben Tag erhielt, zur mündlichen Verhandlung am 9. August 2007 geladen. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2007 teilten die Kläger mit, nunmehr bestünden auch bezüglich der Höhe des Entnahmewerts erhebliche Bedenken. Dabei verwiesen sie auf ein zu Gunsten der Mutter des Klägers bestehendes Nießbrauchsrecht, das versehentlich in dem Bewertungsgutachten des FA nicht wertmindernd berücksichtigt worden sei. Zudem gehe das Gutachten von einem "normalen, etwas überholungsbedürftigen" Bauzustand der Gebäude aus. Dies sei unzutreffend, was bereits durch die umfassenden, näher beschriebenen Renovierungs- und Reparaturarbeiten in den Jahren 1997 und 1998 belegt werden könne. Zum Beweis, dass die vom FA unterstellte Restnutzungsdauer aufgrund des Sanierungs- und Reparaturstaus zu lang sei, wurde der sachverständige Zeuge Architekt D. sowie ein Sachverständigenbeweis angeboten. Nach Auffassung der Kläger sei von einem weiteren Wertabschlag in Höhe von 20 bis 30 % des Entnahmewerts auszugehen.

In der mündlichen Verhandlung vom 9. August 2007 wies der Prozessbevollmächtigte der Kläger auf die überhöhten Entnahmewerte hin und rügte "vorsorglich die Nichterhebung der Beweise durch den Senat".

Durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 98 veröffentlichte Urteil vom 9. August 2007 wurde der Entnahmegewinn wegen des auf den Grundstücken lastenden Nießbrauchsrechts der Mutter des Klägers gemindert. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. In der Begründung führte das FG aus, das FA habe dem Grunde nach zu Recht in dem Einkommensteueränderungsbescheid einen Gewinn aus der Entnahme der bisher im Betriebsvermögen des Einzelunternehmens befindlichen Grundstücke angenommen. Die Grundstücke seien nicht mehr dem Kläger zuzurechnen gewesen. Die Höhe des Entnahmegewinns sei nur um das Nießbrauchsrecht zu Gunsten der Mutter des Klägers zu mindern gewesen. Eine weitere Minderung sei entgegen der Auffassung der Kläger nicht vorzunehmen. Im Rahmen der Betriebsprüfung seien umfangreiche Gutachten zur Ermittlung der Verkehrswerte erstellt und den Klägern zur Verfügung gestellt worden. Die in den Gutachten ermittelten Werte seien von den Klägern jahrelang nicht in Frage gestellt worden.

Die vor der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Bedenken der Kläger wies das FG wegen Prozessverschleppung zurück. Die Beteiligten treffe auch im Finanzgerichtsprozess eine Mitwirkungspflicht und Prozessverantwortung. Sie hätten sich zu den ihrer Auffassung nach entscheidungserheblichen Fragen tatsächlicher Art so rechtzeitig äußern müssen, dass dem Gericht eine ordnungsgemäße Vorbereitung der mündlichen Verhandlung möglich gewesen wäre und es rechtzeitig notwendige Aufklärungsmaßnahmen hätte veranlassen können. Das Gericht habe keine Veranlassung, einen Entnahmewert zu hinterfragen, der jahrelang von den durch Angehörige der steuer- und rechtsberatenden Berufe vertretenen Steuerpflichtigen nicht beanstandet worden sei. Eine kurz vor der mündlichen Verhandlung beantragte umfangreiche andere Wertermittlung könne nur als Prozessverschleppungstaktik gewertet werden. Dies treffe in besonderem Maße auf die Kanzlei der Bevollmächtigten der Kläger zu. Diese sei gerichtsbekannt dafür, dass sie regelmäßig kurz vor einer mündlichen Verhandlung in umfangreichen Schriftsätzen bisher Unstreitiges in Zweifel ziehe und Beweisanträge stelle. Toleriere man ein solches Verhalten, wäre eine ordnungsgemäße Sitzungsvorbereitung nicht mehr möglich, es sei denn, das Gericht würde auch ohne konkrete Veranlassung immer Ausschlussfristen nach § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) setzen.

Den Antrag der Kläger auf Ablehnung der drei Berufsrichter wegen der Besorgnis der Befangenheit lehnte das FG mit Beschluss vom 8. Oktober 2007 als unzulässig, den Antrag auf Tatbestandsberichtigung als unbegründet ab.

Mit der gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde rügen die Kläger die Verletzung des durch Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO geschützten Rechts auf rechtliches Gehör, weil das FG die gegen die Wertermittlung vorgetragenen Bedenken zu Unrecht und unter Verletzung des § 79b FGO zurückgewiesen habe. Hinsichtlich der vom FG behaupteten Prozessverschleppung liege eine Überraschungsentscheidung vor. Zudem beruhe das Urteil auf einem Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO sowie auf einem Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO.

II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO). Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO; es verletzt den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG; § 96 Abs. 2 FGO, § 119 Nr. 3 FGO).

1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Prozessbeteiligten, dass das Gericht ihre Ausführungen zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht ist dabei aber nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Um einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen zu können, müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich gemacht werden, dass ein tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 5. Dezember 1995 1 BvR 1463/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 153, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG).

2. Diese besonderen Umstände sind im Streitfall gegeben. Das FG hat die Bedenken der Kläger gegen die im Gutachten des FA festgestellten Grundstückswerte wegen Prozessverschleppung zurückgewiesen und sie dementsprechend nicht bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Es hat infolgedessen die von den Klägern beantragte Beweisaufnahme unterlassen und die vom FA festgestellten Grundstückswerte dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

a) Für eine Prozessverschleppungsabsicht der Kläger liegen keine Anhaltspunkte vor. Es ist dem FG zwar zuzugeben, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör durch die Mitverantwortung der Beteiligten begrenzt ist (vgl. dazu Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 96 Rz 27, m.w.N.). Es ist jedoch im Streitfall nicht erkennbar, warum die Kläger ihrer Mitverantwortung nicht nachgekommen sein sollten.

Dass sich die Kläger im Vorverfahren und in den Schriftsätzen des Jahres 2004 in ihrer Argumentation nur auf die Frage konzentrierten, ob überhaupt eine Entnahme vorgelegen habe oder das wirtschaftliche Eigentum bei dem Kläger verblieben sei, bedeutet nicht, dass sie die --bestrittene-- Entnahme der Höhe nach akzeptiert hatten. Zu diesem Zeitpunkt des finanzgerichtlichen Verfahrens waren sie nicht verpflichtet, sich hiermit hilfsweise auseinanderzusetzen. Es stellt keinen Verstoß gegen die prozessuale Mitverantwortung dar, wenn die Kläger erst im Rahmen der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung 14 Tage nach Erhalt der Ladungsverfügung und 10 Tage vor der mündlichen Verhandlung dem Gericht zusätzliche Bedenken in Bezug auf einen weiteren hilfsweise zu erwägenden Gesichtspunkt --hier die Höhe des Grundstückswerts-- mitteilen, selbst wenn im bisherigen Verfahren andere Aspekte im Vordergrund standen und dadurch noch eine Beweisaufnahme nötig werden könnte. Dies folgt aus der Amtsermittlungspflicht des FG, die es dazu verpflichtet alles, was ihm bis zur Entscheidung zur Kenntnis gelangt, bei seinem Urteil zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 5. März 1970 IV R 235/68, BFHE 98, 528, BStBl II 1970, 496, und vom 23. Februar 1984 IV R 195/81, nicht veröffentlicht).

Hinzu kommt, dass zwischen dem Austausch der Schriftsätze im Jahr 2004 und dem senatsinternen Zuständigkeitswechsel am 1. Juli 2007 das Verfahren nicht weiter betrieben wurde und insofern für die Kläger keine Veranlassung bestand, ggf. schon in der Zwischenzeit Bedenken gegen die Bewertung vorzubringen.

b) Das weitere Argument des Gerichts, die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten sei dafür gerichtsbekannt, dass sie regelmäßig kurz vor einer mündlichen Verhandlung in umfangreichen Schriftsätzen bisher Unstreitiges in Zweifel ziehe sowie Beweisanträge stelle und die Tolerierung eines solchen Verhaltens eine ordnungsgemäße Sitzungsvorbereitung unmöglich mache, kann den Vorwurf der Prozessverschleppung nicht stützen. Diese Vorgehensweise der Prozessbevollmächtigten in anderen Fällen kann kein Grund dafür sein, einem Steuerpflichtigen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör zu versagen.

3. Auf die Frage nach der schlüssigen Rüge und dem Vorliegen weiterer Revisionszulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 FGO kommt es unter den gegebenen Umständen nicht (mehr) an.

Ende der Entscheidung

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