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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 04.08.1999
Aktenzeichen: X B 209/98
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO, ZPO
Vorschriften:
AO 1977 § 162 | |
AO 1977 § 110 Abs. 1 Satz 2 | |
AO 1977 § 80 Abs. 1 Satz 1 | |
AO 1977 § 80 Abs. 1 Satz 3 | |
FGO § 142 | |
ZPO § 114 |
Gründe
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) handelte im Streitjahr 1995 mit Farben, Tapeten und Fußbodenbelägen. Unter dem 29. Juli 1996 hatte sie dem Steuerberater S die Vertretungsmacht für ihre steuerlichen Angelegenheiten erteilt. Diese Vertretungsmacht hat S mit Schreiben vom 18. Januar 1997 an den Beklagten (das Finanzamt --FA--), eingegangen am 21. Januar 1997, zurückgenommen. Unter dem 1. Februar 1997 hat die Antragstellerin dem S erneut eine "Vertretungsvollmacht" mit folgendem Inhalt erteilt:
"Hiermit erteile ich dem o.g. Steuerbüro die Vollmacht, mich in allen Steuerangelegenheiten vor den hierfür zuständigen Behörden und Gerichten zu vertreten. Der Bevollmächtigte ist befugt, für mich verbindliche Erklärungen abzugeben, Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einzulegen und zurückzunehmen und rechtsverbindliche Unterschriften zu leisten. . . .
Steuerbescheide und alle sonstigen Verwaltungsakte (einschließlich förmlicher Zustellungen) sowie Urteile und gerichtliche Verfügungen sind ausschließlich dem Bevollmächtigten bekanntzugeben.
Darüber hinausgehende Mitteilungen, z.B. Mahnungen, sind dem Mandanten zuzustellen."
Mit Einkommensteuerbescheid vom 18. Juni 1997, an diesem Tag durch Aufgabe zur Post versandt, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen (Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Vermietung und Verpachtung) auf der Rechtsgrundlage des § 162 der Abgabenordnung (AO 1977). Der Bescheid wurde am 18. Juni 1998, an S adressiert, zur Post gegeben. Mit dem Einspruch vom 12. August 1997 trug die Antragstellerin vor, Einnahmen aus der Vermietung ihres Ladengeschäfts habe sie lediglich im Dezember 1996 erzielt. Zum Hinweis des FA auf eine Versäumung der Einspruchsfrist trug die Antragstellerin vor, ihr sei der Steuerbescheid von ihrem Steuerberater zugeschickt worden; danach sei sie wegen eines Todesfalles in der Familie 14 Tage lang nicht zu Hause gewesen und habe daher keine Post bearbeiten können. Das FA hat den Einspruch durch Entscheidung vom 22. April 1998 als unzulässig verworfen; die Monatsfrist für die Einlegung des Einspruchs sei am 21. Juli 1997 abgelaufen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil sich die Antragstellerin das Verschulden ihres Vertreters zurechnen lassen müsse (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). S gelte wegen der ihm erteilten Vollmacht als Zustellungsbevollmächtigter (§ 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes).
Hiergegen hat die Antragstellerin, vertreten durch ihre Prozeßbevollmächtigte, unter der Überschrift "Klage - PKH-bedingt" am 25. Mai 1998 beantragt, "für folgende beabsichtigte Klage" Prozeßkostenhilfe (PKH) zu bewilligen; auf den Schriftsatz vom 25. Mai 1998 wird Bezug genommen.
Das Finanzgericht (FG) hat den Antrag auf PKH abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Innerhalb der Klagefrist sei keine Klage erhoben worden; jedenfalls sei eine Klage unbegründet. Der am 25. Mai 1998 beim FG eingegangene Schriftsatz sei keine unbedingt erhobene rechtswirksame Klage. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden. Jedenfalls habe das FA den Einspruch zu Recht wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt, da sich die Antragstellerin das Verschulden des S wie eigenes zurechnen lassen müsse.
Hiergegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt, die sie u.a. wie folgt begründet. Das Gericht habe die Klage "unbedingt bearbeitet". Vor den ordentlichen Gerichten sei es durchaus möglich, PKH-Anträge für beabsichtigte Rechtsmittel zu stellen und binnen 14 Tagen Wiedereinsetzung zu beantragen. Zur Rechtzeitigkeit des Einspruchs trägt sie vor, aus der dem FA am 14. Februar 1997 übersandten Vollmacht könne "nicht zweifelsfrei" auf ihre Geltung für zurückliegende Zeiträume geschlossen werden. "Vergangene Steuerangelegenheiten" wie die Steuerfestsetzung für 1995 seien in Anbetracht der Erklärung des S vom 18. Januar 1997 nicht über diesen abzuwickeln gewesen. Wie die Vollmacht zu verstehen gewesen sei, ergebe sich aus ihrer, der Antragstellerin, eidesstattlichen Versicherung vom 16. Dezember 1998. Der angefochtene Steuerbescheid sei bis heute nicht an eine bevollmächtigte Person zugestellt worden (Beweis: Zeugnis des Steuerberaters S sowie dessen mit Schriftsatz vom 7. Juni 1999 überreichte eidesstattliche Versicherung). Das FA hätte vor Versendung eines Steuerbescheids "unter Umständen" das Vorliegen einer Zustellungsvollmacht prüfen müssen. Da S die Vollmacht auch für das Jahr 1995 widerrufen hatte, habe er mit Sicherheit davon ausgehen können, daß auch die Antragstellerin selbst einen entsprechenden Bescheid erhalte. Aufgrund der eingereichten Unterlagen sei das FA ohnehin verpflichtet, die Schätzung zu korrigieren.
Die Antragstellerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ihr PKH unter Beiordnung der Prozeßbevollmächtigten ratenfrei zu bewilligen.
Zugleich mit der Beschwerdeschrift hat sie beim FG beantragt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand "für die Klage gem. dem Schriftsatz vom 25. 05. 98" zu gewähren sowie "unbedingt beantragt", den Einkommensteuerbescheid für 1995 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies bereits daraus folgt, daß sie beim FG lediglich Antrag auf Bewilligung der PKH gestellt hat, ohne innerhalb eines Monats nach Zustellung der Einspruchsentscheidung auch Klage zu erheben (vgl. hierzu Beschluß des Bundesfinanzhof --BFH-- vom 3. April 1987 VI B 150/85, BFHE 149, 409, BStBl II 1987, 573). Dem FG ist im Ergebnis jedenfalls darin zu folgen, daß das FA den Einspruch zu Recht wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt hat.
Der Steuerbescheid vom 18. Juni 1997 ist dem Steuerberater S rechtswirksam zugestellt worden. Dieser war aufgrund der Vollmacht vom 1. Februar 1997 Zustellungsbevollmächtigter. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kann sich ein Beteiligter im Besteuerungsverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Für die Erteilung der Vollmacht ist keine besondere Form vorgeschrieben. Schriftlich muß nur --gegebenenfalls-- der Nachweis der Vollmacht geführt werden (§ 80 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Die Vollmacht ermächtigt nach § 80 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verwaltungshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anderes ergibt. Die hier zu beurteilende (Empfangs-)Vollmacht stellt eine verfahrensrechtliche Willenserklärung dar, deren Inhalt durch Auslegung unter Beachtung des "Empfängerhorizonts" zu ermitteln ist (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1994 II R 131/91, BFH/NV 1995, 475). Diese Auslegung ergibt, daß die Zustellungsvollmacht inhaltlich nicht "auf künftige Steuerangelegenheiten ab 1997" beschränkt war. Es kann dahinstehen, ob die Antragstellerin den Vollmachtsumfang insoweit intern beschränkt hatte. Denn eine solche Beschränkung war für das FA nicht erkennbar und wirkte somit nicht nach außen (vgl. BFH-Beschluß vom 4. November 1993 III B 72/93, BFH/NV 1994, 525; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 80 AO 1977 Anm. 49 f.). Auf das eine interne Einschränkung der Vollmacht betreffende Beweisangebot der Antragstellerin kommt es daher nicht an.
Galt der Steuerbescheid mithin am 21. Juni 1997 als zugestellt, war der am 12. August 1997 eingelegte Einspruch verspätet und mithin unzulässig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht, weil die Einspruchsfrist, wie das FG zutreffend entschieden hat, durch das Verschulden des S versäumt worden ist. Dieser mußte wissen, daß die ihm erteilte Zustellungsvollmacht inhaltlich unbeschränkt war und daß er einen ihm zugestellten Steuerbescheid nicht unbearbeitet lassen konnte. Sollte er tatsächlich angenommen haben, er sei für einen fristwahrenden Rechtsbehelf in der Einkommensteuersache 1995 nicht verantwortlich, wäre dieser Rechtsirrtum nicht unverschuldet.
Ende der Entscheidung
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