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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 06.06.2005
Aktenzeichen: X B 36/05
Rechtsgebiete: FGO, BGB, ZPO


Vorschriften:

FGO § 62 Abs. 1 Satz 2
FGO § 62a
FGO § 78 Abs. 3
FGO § 142
FGO § 142 Abs. 1
FGO § 155
BGB § 133
ZPO § 114
ZPO § 117 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz
ZPO § 121 Abs. 2
ZPO § 121 Abs. 4
ZPO § 121 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Klägerin und Antragstellerin (Klägerin) betreibt ein Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG). Im Verlauf dieses Verfahrens ordnete das FG durch Beschluss vom 30. November 2004 gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an, dass der Klägerin aufgegeben wird, einen Bevollmächtigten zu bestellen oder einen Beistand hinzuzuziehen. In der diesem Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrung wurde auf das statthafte Rechtsmittel der Beschwerde und auf den Vertretungszwang im Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) hingewiesen (§ 62a FGO). Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 3. Dezember 2004 zugestellt. Mit ihrem am 10. Januar 2005 beim FG eingegangenen Schreiben vom 3. Januar 2005 bat sie unter Hinweis auf eine beigefügte ärztliche Bescheinigung um Verlängerung der Beschwerdefrist. In der ärztlichen Bescheinigung ist angegeben, dass die Klägerin krankheitsbedingt (weiterhin) nicht in der Lage sei, Gerichtstermine wahrzunehmen. In der Sache trug die Klägerin vor, sie sei finanziell nicht in der Lage, einen Bevollmächtigten oder Beistand hinzuzuziehen. Der Berichterstatter wies sie mit Schreiben vom 17. Januar 2005 auf die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe (PKH) hin. Zugleich bat er die Klägerin um Mitteilung, ob ihr Schreiben vom 3. Januar 2005 als Beschwerde zu behandeln und deshalb dem BFH vorzulegen sei. In ihrem Antwortschreiben vom 15. Februar 2005 wies die Klägerin darauf hin, sie habe keinen zu ihrer Vertretung bereiten Beistand gefunden. Ihrem zugleich eingereichten Antrag auf Gewährung von PKH, der nicht unterschrieben ist, waren zahlreiche Anlagen beigefügt. Sie bat um Prüfung, ob "nach steuergerichtlichen Verfahrensvorschriften eine Beiordnung beantragbar sei". Zur Behandlung ihres Schreibens vom 3. Januar 2005 äußerte sich die Klägerin nicht.

Das FG wertete nunmehr das Schreiben der Klägerin vom 3. Januar 2005 als Beschwerde. Es beschloss am 21. Februar 2005, dass der Beschwerde nicht abgeholfen wird.

II. Das Schreiben der Klägerin ist nicht als eine gegen den Beschluss des FG vom 30. November 2004 gerichtete Beschwerde, sondern als ein an das FG gerichteter Antrag auszulegen, ihr für das vor dem FG betriebene Klageverfahren PKH zu gewähren und ihr in diesem Rahmen einen Rechtsanwalt oder Steuerberater beizuordnen.

1. Die nicht eindeutige Prozesserklärung der Klägerin ist analog § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auszulegen (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Mai 2002 I B 8/02, I S 13/01, BFH/NV 2002, 1317). Dabei ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln.

a) Hiernach könnte der Umstand, dass sich die Klägerin gegen den Beschluss des FG vom 30. November 2004 mit der Begründung gewandt hat, sie sei finanziell zur Beauftragung eines Beistands nicht in der Lage, für die Einlegung einer Beschwerde sprechen. Dieser Vortrag kann aber auch lediglich in dem Sinne zu verstehen sein, dass die Klägerin gegen die nach § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO getroffene Anordnung als solche keine Einwendungen erheben will, jedoch angesichts ihrer eingeschränkten finanziellen Verhältnisse die Beiordnung eines Bevollmächtigten im Rahmen der PKH erstrebt (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 121 Abs. 2, Abs. 4 und Abs. 5 der Zivilprozessordnung --ZPO-- und § 142 Abs. 2 FGO). Für diese Auslegung spricht die Tatsache, dass die Klägerin in ihrem Schreiben vom 3. Januar 2005 beantragt hat, die Frist zur Einlegung der Beschwerde zu verlängern, ohne dieses Rechtsmittel ausdrücklich gegen den Beschluss vom 30. November 2004 einzulegen. Auch hat die Klägerin ihr Schreiben entgegen der ihr bekannten Rechtsmittelbelehrung ohne Einschaltung einer nach § 62a FGO hierzu befugten Person verfasst.

b) Angesichts dieser nicht eindeutigen Lage kann ein Rückschluss aus dem nachfolgenden Verhalten der Klägerin gezogen werden. Danach ist nicht von der Einlegung einer Beschwerde, sondern von einem Antrag auf Gewährung von PKH auszugehen. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 15. Februar 2005 (nur) um Gewährung von PKH gebeten. Ihre Anfrage, ob "die Beiordnung (eines Prozessbevollmächtigten) beantragbar sei", ist deshalb als Antrag zu verstehen, ihr im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten einen Rechtsanwalt oder Steuerberater beizuordnen.

c) Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass die Klägerin infolge der Nichtanfechtung des Beschlusses vom 30. November 2004 in ihrem vor dem FG geführten Prozess nicht mehr postulationsfähig ist (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2001 IX B 75/01, BFH/NV 2002, 662). Die rechtskräftige Anordnung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 FGO hat zwar zur Folge, dass der Betroffene --abgesehen von der Bestellung eines Bevollmächtigten-- keine Prozesshandlungen mehr wirksam vornehmen kann. Dies kann aber nach Ansicht des erkennenden Senats nur gelten, wenn Prozesserklärungen unmittelbar gegenüber dem Prozessgericht abzugeben sind (BFH-Beschluss vom 4. April 1996 XI S 11/96, XI S 13/96, BFH/NV 1996, 786). Anträge auf Gewährung von PKH können jedoch gemäß § 155 FGO i.V.m. § 78 Abs. 3 und § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz ZPO auch vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärt werden (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss vom 23. Januar 1991 II S 17/90, BFH/NV 1991, 338). Nur eine solche Auslegung wird auch dem Verfassungsgebot gerecht, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (Beschluss der 2. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Oktober 2004 1 BvR 964/04, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2005, 409).

2. Unbeachtlich ist, dass die Klägerin den von ihr eingereichten PKH-Antrag nicht unterschrieben hat. Zwar bedarf ein solcher Antrag grundsätzlich der Unterschrift des Antragstellers (Zöller/Philippi, Zivilprozessordnung, 25. Aufl., § 117 Rz. 2). Die Klägerin hat aber ihr Schreiben vom 15. Februar 2005, dem der PKH-Antrag beigefügt war, selbst unterschrieben. Angesichts der zahlreichen Anlagen, die diesem Antrag beigefügt waren, kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem Antrag auch nicht nur um einen Entwurf gehandelt hat (vgl. auch Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242).

3. Das FG wird daher zu entscheiden haben, ob die Voraussetzungen von § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO vorliegen. Sofern dies der Fall ist, wird das FG auch darüber zu befinden haben, ob der Klägerin gemäß § 142 FGO i.V.m. § 121 Abs. 2, Abs. 5 ZPO ein Rechtsanwalt oder Steuerberater beizuordnen ist. Es wird in diesem Zusammenhang die Klägerin aufzufordern haben, ihren Vortrag, sie habe keinen zu ihrer Vertretung bereiten Beistand gefunden, substantiiert zu begründen (Oberverwaltungsgericht des Saarlands, Beschluss vom 6. September 2002 9 W 33/02, juris; vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16. Februar 2004 IV ZR 290/03, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2004, 864 zu § 78b Abs. 1 ZPO).

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