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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.10.2005
Aktenzeichen: X B 41/05
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977
Vorschriften:
FGO § 96 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 | |
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3 | |
AO 1977 § 80 Abs. 3 |
Gründe:
Die Beschwerde ist unbegründet, weil weder die vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) aufgeworfene Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Entgegen der Auffassung des FA ist die Revision auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
1. a) "Grundsätzliche Bedeutung" i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. wenn die Beantwortung der Rechtsfrage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. April 1999 I B 99/98, BFHE 188, 372, BStBl II 2000, 254; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 23, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig sein (Gräber/Ruban, a.a.O.).
b) Die vom FA aufgeworfenen Rechtsfragen
- Ist eine tatsächliche Verständigung, die ohne Beteiligung eines Steuerberaters getroffen wurde, wegen offensichtlicher Unrichtigkeit des Ergebnisses unwirksam, wenn die Zahlen, auf die sich die Beteiligten geeinigt haben, um 7,4 bis 15,5 v.H. über den Werten liegen, die sich bei der Anwendung des höchsten Richtsatzes der amtlichen Richtsatzsammlung ergeben würden, und sich ein Grund für die Überschreitung der Richtsätze nicht feststellen lässt
- Verstößt die Finanzbehörde gegen § 80 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977), wenn sie mit einem Steuerpflichtigen, der sich bisher durch einen Steuerberater hatte vertreten lassen, ohne Beteiligung des Steuerberaters eine tatsächliche Verständigung abschließt, nachdem der Steuerpflichtige zu einem Gesprächstermin, der im Beisein seines Steuerberaters vereinbart worden war, ohne den Steuerberater erschienen ist wären in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig.
aa) Das Finanzgericht (FG) hat seine Entscheidung nicht auf den ersten vom FA gebildeten Rechtssatz gestützt, sondern in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH erkannt, dass die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine tatsächliche Verständigung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt, im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu beurteilen sei. Ein gewichtiges Indiz sei, ob die tatsächliche Verständigung im Einverständnis des steuerlichen Beraters des Steuerpflichtigen getroffen worden sei, der diesen auch bisher steuerlich betreut habe und daher die Verhältnisse im Betrieb seines Mandanten kenne und infolgedessen auch die Angemessenheit der im Rahmen der tatsächlichen Verständigung zugrunde gelegten Zahlen beurteilen könne. Sei dies der Fall, würden die als Grundlage der Einigung festgestellten Besteuerungsgrundlagen regelmäßig nicht offensichtlich unzutreffend sein. Ein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis liege regelmäßig auch dann nicht vor, wenn sich die Hinzuschätzungen im Rahmen der Richtsätze hielten. Das FG hat seine Entscheidung, im Streitfall führe die tatsächliche Verständigung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis, aber nicht nur auf die fehlende Beteiligung des Steuerberaters des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) und darauf gestützt, dass sich die Hinzuschätzung nicht im Rahmen der Richtsätze bewegt. Es hat vielmehr die Tauglichkeit der Kalkulation des Außenprüfers als Basis der tatsächlichen Verständigung verneint, die dieser Kalkulation zugrunde liegenden Werte als "aus der Luft gegriffen" gewertet und außerdem eine Erklärung des FA dafür vermisst, wie der weitgehend allein tätige Kläger derart hohe Umsätze arbeitstechnisch hätte bewerkstelligen können.
Im Übrigen lassen sich angesichts der Vielfalt der tatsächlichen Verhältnisse keine konkreten Zahlen festlegen, die dazu führen, dass eine tatsächliche Verständigung über eine Hinzuschätzung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.
bb) Auch die zweite vom FA aufgeworfene Rechtsfrage wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, da das FG seine Auffassung, im Streitfall führe die tatsächliche Verständigung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis, nicht nur auf die fehlende Teilnahme des Steuerberaters des Klägers zum Abschluss der Vereinbarung, sondern auf eine Fülle anderer Fakten gestützt hat (vgl. oben unter 1. b aa). Zudem wird, worauf das FA in der Beschwerdebegründung zutreffend hinweist, § 80 Abs. 3 AO 1977 von der Rechtsprechung und der Literatur dahin gehend interpretiert, dass sich die Finanzbehörde in aller Regel an den Bevollmächtigten halten soll und nur in Ausnahmefällen an den Beteiligten selbst herantreten darf. Die Frage, wie sich die Finanzbehörde zu verhalten hat, wenn der Steuerpflichtige von sich aus an die Behörde herantritt, kann nur im Einzelfall beantwortet werden. Generelle Grundsätze lassen sich hierzu nicht aufstellen.
2. Die Revision war im Streitfall auch nicht wegen Divergenz des FG-Urteils zu den Entscheidungen des FG Köln vom 22. November 2001 10 K 7558/96 (juris Nr: STRE200270475) und des FG München vom 10. September 2002 12 K 3053/01 (juris Nr: STRE200271870) zuzulassen.
a) In der Entscheidung vom 22. November 2001 hat das FG Köln aus den Umständen des Einzelfalles gefolgert, dass die tatsächliche Verständigung zu keinem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führe. Im Streitfall hat das FG hingegen sachverhaltsbezogen eine offensichtlich unzutreffende Besteuerung bejaht. Damit rügt das FA allenfalls eine seiner Meinung nach unterschiedliche Anwendung der von der Rechtsprechung zur tatsächlichen Verständigung entwickelten Rechtssätze auf den im Streitfall gegebenen Sachverhalt. Es lässt dabei außer Acht, dass die Anwendung dieser Grundsätze notwendigerweise eine tatrichterliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls erfordert (vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 1997 X R 31/95, BFHE 183, 65, BStBl II 1997, 561). Die Einwände des FA richten sich in Wahrheit gegen die im Verfahren der Revisionszulassung unbeachtliche Subsumtion des vom FG ermittelten Sachverhalts unter die prinzipiell nicht mehr klärungsbedürftigen Anforderungen an eine tatsächliche Verständigung.
b) Das FG München hat in der o.a. Entscheidung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 12. August 1999 XI R 27/98, BFH/NV 2000, 537) festgestellt, dass kein Fall einer unzutreffenden Besteuerung vorliege, wenn sich die Beteiligten bei bestehender Unsicherheit über die tatsächlichen Umstände auf einen bestimmten Steuersachverhalt festlegten und sich dieser später aufgrund neuer Erkenntnisse als so nicht zutreffend erweist. Es liege im Wesen der tatsächlichen Verständigung, dass die Bindung an einen angenommenen und nicht an den tatsächlichen Sachverhalt eintrete und die Abweichung vom wirklichen Sachverhalt, die sich zu Gunsten wie auch zu Ungunsten jeder Partei auswirken könne, keine Berücksichtigung mehr finde.
Im Streitfall hat das FG hingegen aus verschiedenen Umständen den Schluss gezogen, dass die tatsächliche Verständigung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.
3. Die Rüge des FA, das FG habe die in der Handakte des Außenprüfers enthaltene Kalkulation nicht zur Kenntnis genommen oder sie zumindest nicht gedanklich nachvollzogen, geht ins Leere.
a) Die Nichtberücksichtigung von Umständen, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätten einfließen müssen, kann verfahrensfehlerhaft sein, wenn das FG Teile des Gesamtergebnisses des Verfahrens unberücksichtigt lässt oder seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht nachkommt (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 7. Juni 2001 X B 159/00, BFH/NV 2001, 1577). Ein Verfahrensverstoß liegt insbesondere dann vor, wenn das FG bei seiner Überzeugungsbildung eine nach Aktenlage feststehende Tatsache unberücksichtigt lässt bzw. bei seiner Entscheidung vom Nichtvorliegen einer solchen Tatsache ausgeht (sog. Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten). Dabei ist zu berücksichtigen, dass § 96 FGO nicht gebietet, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Es ist vielmehr im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinander gesetzt hat (BFH-Beschluss vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673).
b) Mit der Feststellung, das FG habe nur deshalb zu dem Ergebnis kommen können, dass die Kalkulation des Außenprüfers "von völlig unrealistischen Werten ausgegangen sei", weil es die in der Handakte befindliche Kalkulation nicht angesehen habe, macht das FA im Ergebnis lediglich geltend, das FG hätte den Akteninhalt, insbesondere die Handakte des Außenprüfers, anders würdigen müssen. Die fehlerhafte Würdigung des Akteninhalts durch das FG ist jedoch kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (Senatsentscheidung vom 19. Mai 2000 X B 75/99, BFH/NV 2000, 1458).
Ende der Entscheidung
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