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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.06.2003
Aktenzeichen: X B 42/03
Rechtsgebiete: EStG, FGO


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 66
FGO § 76 Abs. 1
FGO § 116 Abs. 5 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) unterhielt bis zum Jahr 1991 ein Groß- und Einzelhandelsunternehmen in der ...branche. Im Jahr 1990 dehnte er seinen Handel auf die neuen Bundesländer aus. Den Großhandel betrieb er in der Rechtsform einer GmbH, den Einzelhandel in der Form eines Einzelunternehmens.

Wegen ungünstiger Geschäftsentwicklung erlitt der Kläger mit seinem Einzelunternehmen bis zum Frühjahr 1991 einen Verlust in Höhe von über 1 Mio. DM. Er war daher außerstande, die aus Warenlieferungen der Großhandels-GmbH an sein Einzelunternehmen resultierenden Verbindlichkeiten gegenüber der GmbH in Höhe von rd. 650 000 DM zu erfüllen. Über das Vermögen der GmbH wurde im Jahr 1991 das Konkursverfahren eröffnet. Zum 1. Oktober des Streitjahres 1993 erklärte der Kläger die Betriebsaufgabe bezüglich seines Einzelunternehmens.

Im Rahmen eines zwischen dem Konkursverwalter und dem Kläger geführten Zivilrechtsstreits über die vom Konkursverwalter geltend gemachten Forderungen schlossen die Parteien in der Berufungsinstanz einen Vergleich, in welchem sich der Kläger verpflichtete, an den Konkursverwalter bis zum 31. Mai 1993 40 000 DM und bis zum 31. Dezember 1994 weitere 30 000 DM zu zahlen, und der Konkursverwalter im Gegenzug auf die restlichen Forderungen gegen den Kläger verzichtete.

Im vorliegenden Verfahren ist vor allem streitig, ob die durch diesen Verzicht ausgelöste Betriebsvermögensmehrung gemäß § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes 1993 (EStG a.F.) steuerfrei zu belassen war.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) verneinte dies. Das Finanzgericht (FG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setze die Anwendung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. voraus, dass das Unternehmen sanierungsbedürftig sei, die Schulden ganz oder teilweise erlassen würden, die Gläubiger in der Absicht handelten, die geschäftliche und finanzielle Gesundung des Schuldners herbeizuführen und der Schuldenerlass geeignet sei, das sanierungsbedürftige Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 1998 XI R 48/95, BFH/NV 1998, 1214). Für das Merkmal der Sanierungseignung reiche es dabei aus, dass es der Forderungserlass dem Einzelunternehmer ermögliche, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 1990 I R 64/85, BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810). Die Sanierungsabsicht sei zu bejahen, wenn die Forderung zum Zwecke der Sanierung erlassen werde. Dabei würden regelmäßig auch eigennützige Motive des Gläubigers eine Rolle spielen, wie etwa die Rettung eines Teiles der Restforderung oder der Erhalt von Geschäftsverbindungen. Solche Erwägungen seien aber unschädlich, sofern die Sanierungsabsicht mitentscheidend gewesen sei (vgl. BFH-Urteile vom 19. März 1993 III R 79/91, BFH/NV 1993, 536, und vom 16. Mai 2002 IV R 11/01, BFHE 199, 278, BStBl II 2002, 854).

Nach diesen Grundsätzen seien die Voraussetzungen des § 3 Nr. 66 EStG a.F. im Streitfall nicht erfüllt.

Der Konkursverwalter habe die Forderungen der GmbH nicht in Sanierungsabsicht erlassen. Eine solche Sanierungsabsicht könne nicht vermutet werden, da nicht sämtliche Gläubiger des Einzelunternehmens einen Erlass oder Teilerlass ausgesprochen hätten. Die Annahme einer Sanierungsabsicht des Konkursverwalters scheitere schon an dessen Stellung im Konkursverfahren. Seine Aufgabe bestehe darin, das Vermögen der Gemeinschuldnerin an sich zu ziehen und an die Gläubiger zu verteilen. Mit dieser Aufgabe vertrage es sich nicht, wenn der Konkursverwalter einzelne Schuldner des Gemeinschuldners zu Lasten dessen Gläubiger bevorzuge. Der Erlass der Forderung durch den Konkursverwalter könne daher nur in der Absicht geschehen sein, wenigstens einen Teilbetrag der Forderungen der GmbH schnell und einfach für deren Gläubiger zu realisieren und den schwebenden Rechtsstreit über die Forderung zu beenden.

Überdies fehle es auch an der Sanierungseignung des Forderungserlasses. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810 sei eine Maßnahme nur dann zur Sanierung geeignet, wenn sie es dem Einzelunternehmer ermögliche, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein. Unter den Beteiligten sei unstreitig, dass die Hauptgläubigerin des Klägers, die Bank G, ihre Forderungen in Höhe von mehr als 1 Mio. DM auch nicht teilweise erlassen habe. Der Erlass durch den Konkursverwalter habe daher nicht zur Entschuldung des Klägers geführt.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision. Er macht im Wesentlichen geltend, dass das FG gegen seine Pflicht verstoßen habe, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe und das FG von der Rechtsprechung des BFH abgewichen sei.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist begründet und führt zur Zulassung der Revision.

Das FG hat seine klageabweisende Entscheidung kumulativ auf zwei jeweils für sich allein tragende Gründe gestützt. In diesem Fall hat die Beschwerde nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Beschlüsse vom 29. Mai 1996 I B 118/95, BFH/NV 1997, 66; vom 12. Mai 2000 IV B 74/99, BFH/NV 2000, 1133; vom 17. April 2000 X B 9/00, BFH/NV 2000, 1334) nur dann Erfolg, wenn der Beschwerdeführer für jede der selbständig tragenden Begründungen einen Revisionszulassungsgrund schlüssig geltend macht, und diese Zulassungsgründe auch tatsächlich vorliegen. Das trifft im Streitfall zu.

1. Soweit das FG die Klageabweisung mit der nach seiner Auffassung fehlenden Sanierungsabsicht des Konkursverwalters begründet hat, macht der Kläger schlüssig und begründet eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend.

a) Er trägt vor, dass er die Meinung des FG, aus der Stellung des Konkursverwalters sei stets zu folgern, dass bei einem von diesem ausgesprochenen Forderungserlass niemals eine Sanierungsabsicht bejaht werden könne, für schlechthin falsch halte. In diesem Sinne habe der BFH --soweit ersichtlich-- auch noch keine Entscheidung getroffen. Die Tätigkeit eines Insolvenzverwalters schließe seine Berechtigung nicht aus, mit einem Schuldner des Gemeinschuldners einen teilweisen Schuldenerlass zu vereinbaren, um jenem die Möglichkeit zu geben, weiter am Erwerbsleben teilzunehmen oder es ihm zu ermöglichen, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein. Bei dem Begriff "Sanierungsabsicht" handele es sich um einen Terminus, bei dem die Willensrichtung, also die subjektive Seite, von mitentscheidender Bedeutung sei. Gehe die Willensrichtung des Konkursverwalters dahin, bei der Vereinbarung eines Schuldenerlasses auch dem Schuldner bei einer Sanierung oder dabei zu helfen, dass er von weiter bestehenden Schulden nicht beeinträchtigt werde, sei diese Willensrichtung zu beachten.

b) Die Rüge ist zulässig und begründet.

Mit Recht führt der Kläger aus, dass die Ansicht des FG, die Annahme einer Sanierungsabsicht des Konkursverwalters scheitere schon an dessen Stellung im Konkursverfahren, jedenfalls in dieser Rigidität zweifelhaft ist. Zutreffend weist das FG in diesem Zusammenhang zwar darauf hin, dass die Aufgabe des Konkursverwalters darin bestehe, das Vermögen des (Gemein-)Schuldners an sich zu ziehen und an dessen Gläubiger zu verteilen. Ebenso zutreffend konstatiert das FG, dass der Erlass der Forderungen gegen den Kläger von dem Bestreben des Konkursverwalters getragen war, den über die Berechtigung der Forderungen der GmbH (Gemeinschuldnerin) schwebenden Rechtsstreit zu beenden und wenigstens einen Teil dieser Forderungen gegen den Kläger schnell und einfach zu realisieren.

Entgegen der vom FG vertretenen Auffassung schlossen es diese Intensionen des Konkursverwalters indessen nicht per se aus, dass er gleichzeitig in der Absicht handelte, den Kläger zu sanieren und es diesem zu ermöglichen, sein in erhebliche "Schieflage" geratenes Einzelunternehmen ohne künftige Beeinträchtigung durch vom verbliebenen Aktivvermögen des Klägers nicht gedeckte Schulden abzuwickeln und sein verbliebenes gewerbliches Engagement als Komplementär der X-KG ohne die aus dem Einzelunternehmen resultierenden "erdrückenden" Schuldenlasten fortzuführen. Im Gegenteil: Im Streitfall liegt es durchaus nicht fern, dass sich das eigennützige Motiv des Konkursverwalters, für die Konkursmasse "zu retten, was noch zu retten war", und das Motiv, die wirtschaftliche Existenz des Klägers zu erhalten, einander bedingten. Nach der Aktenlage lässt sich jedenfalls nicht ohne weiteres ausschließen, dass der Konkursverwalter ohne den (Teil-)Erlass nicht einmal die vom Kläger zugesagten und später auch --in drei Raten (am 15. Juni 1993: 40 000 DM, am 30. Dezember 1994: 23 100 DM und am 2. Januar 1995: 6 900 DM)-- gezahlten 70 000 DM hätte realisieren können. In diesem Sinne hat denn auch der BFH mehrfach betont, dass an das Vorliegen der Sanierungsabsicht keine strengen Anforderungen zu stellen seien. Es liege auf der Hand, so der BFH, dass regelmäßig auch eigennützige Motive eine Rolle spielen würden, etwa die Rettung eines Teils der Restforderung. Solche Erwägungen seien indessen unschädlich, sofern die Sanierungsabsicht mitentscheidend gewesen sei (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 199, 278, BStBl II 2002, 854, unter 3. a; in BFH/NV 1993, 536, unter 2.; vom 26. Februar 1988 III R 257/84, BFH/NV 1989, 436, unter 4. a).

Ebenso zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass der BFH speziell zu der vom FG aufgestellten These, einem Handeln des Konkursverwalters in Sanierungsabsicht stehe schon dessen Stellung entgegen, soweit ersichtlich, noch keine Entscheidung getroffen hat.

2. Soweit das FG sein klageabweisendes Urteil zudem auf die fehlende Sanierungseignung des vom Konkursverwalter ausgesprochenen Forderungsverzichts gestützt hat, rügt der Kläger mit Erfolg, dass das FG seine aus § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) folgende Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären, verletzt hat.

a) Der Kläger trägt insoweit vor, dem FG habe sich bei Beachtung der sorgfältigen Rechtsausführungen des BFH-Urteils in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810 die Aufklärung der Frage aufdrängen müssen, ob der mit dem Konkursverwalter vereinbarte Schuldenerlass dem Kläger die Möglichkeit eröffnet habe, sein Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein. Diese Frage sei eindeutig zu bejahen. Der Kläger habe sein Einzelunternehmen zum 1. Oktober 1993, also im engen Zusammenhang mit dem Forderungsverzicht durch den Konkursverwalter, aufgegeben. Da auch die Firma Y-Leasing auf ihre Forderungen gegen den Kläger in Höhe von 90 000 DM verzichtet habe, seien nur noch die Verbindlichkeiten gegenüber der Bank G übrig geblieben. Diese weiter bestehenden Bankschulden hätten den Kläger nicht beeinträchtigt. Sie seien sämtlich dinglich gesichert gewesen und hätten --bis auf einen Rest-- dadurch beglichen werden können, dass der Kläger seine Immobilien verkauft und den Erlös an die Bank abgeführt habe. Die übrig gebliebene Restschuld sei auf einem Untererbbaurecht des Klägers dinglich gesichert gewesen. Die entsprechenden Zins- und Tilgungsleistungen seien dadurch voll gedeckt gewesen, dass die Mieterträge aus dem Untererbbaurecht an die Bank abgetreten gewesen seien. Der Kläger habe sich also seit der vollzogenen Sanierung wirtschaftlich wieder frei bewegen können. Die KG habe fortgeführt werden können und sei in der Lage gewesen, aus laufenden Erträgen die Raten an den Konkursverwalter abzuführen, zu deren Zahlung sich der Kläger im Sanierungsvergleich verpflichtet gehabt habe.

b) Die Sachaufklärungsrüge hat Erfolg. Was die Frage der Sanierungseignung anbelangt, hat sich das FG ausdrücklich der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810) angeschlossen. So hat es unter Hinweis auf das Urteil in BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810 hervorgehoben, für das Merkmal der Sanierungseignung reiche aus, "wenn es der Forderungserlass dem Einzelunternehmer (ermögliche), das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein".

Auf der Grundlage dieser materiell-rechtlichen Auffassung drängte es sich dem FG --wie der Kläger zu Recht beanstandet hat-- nach Lage der Akten auf, auch ohne entsprechende Beweisanträge Nachforschungen darüber anzustellen, ob die nach den Forderungserlassen seitens des Konkursverwalters und der Y-Leasing verbliebenen Restverbindlichkeiten, namentlich gegenüber der Bank G, den Kläger in einer Weise beeinträchtigten, dass der Sanierungserfolg, d.h. die Verhinderung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Klägers und der X-KG, aller Voraussicht nach nicht eintreten konnte.

In diesem Zusammenhang weist der beschließende Senat darauf hin, dass die nach einem Forderungserlass durch einen Teil der Gläubiger fortbestehenden Schulden den (intendierten) Sanierungserfolg (= Sanierungseignung) nicht per se gefährden mussten (vgl. den dem BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 536 zugrunde liegenden Sachverhalt, in welchem nur ein Teil der Gläubiger --Lieferanten-- auf ihre Forderungen verzichteten und rd. 77 v.H. der Lieferantenschulden bestehen blieben) und eine solche Gefährdung jedenfalls dann nicht in Betracht kam, wenn die restierenden Schulden durch das dem Steuerpflichtigen verbliebene Aktivvermögen und/oder durch die aus der gebotenen ex-ante-Sicht im Zeitpunkt des "Sanierungserlasses" (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 536, unter 3.) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwartenden künftigen Erträge gedeckt waren.

Entsprechende Feststellungen zur Sanierungseignung mussten sich dem FG im Streitfall aufdrängen, zumal der Kläger in seinem Schreiben an das FG vom 10. Januar 2001 auf seine zur Schuldentilgung verwerteten und verwertbaren Vermögenswerte (darunter fünf Mehrfamilienhäuser, ein großes Lager- und Bürohaus sowie eine Lebensversicherung) hingewiesen hatte.

3. Von einer weiteren Begründung des Beschlusses wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

Ende der Entscheidung

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