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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 13.09.2005
Aktenzeichen: X B 55/05
Rechtsgebiete: AO 1977, FGO


Vorschriften:

AO 1977 § 129
FGO § 56
FGO § 115 Abs. 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Finanzgericht (FG) die Klage der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gegen die Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 2001 und 2002 abgewiesen, weil nach Auffassung des FG der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zu Recht die Änderungsmöglichkeit nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) bejaht hat.

Das Urteil des FG ist den Prozessbevollmächtigten der Kläger am 2. März 2005 zugestellt worden. Mit beim Bundesfinanzhof (BFH) am 4. April 2005 eingegangenem Telefax-Schriftsatz haben die Kläger rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil eingelegt und mit am 3. Mai 2005 eingegangenem Schriftsatz begründet. Mit Schreiben vom 4. Mai 2005 machte der Vorsitzende des Senats die Prozessbevollmächtigten der Kläger unter Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darauf aufmerksam, dass die Beschwerdebegründung um einen Tag zu spät beim BFH eingegangen ist. Auf diese ihnen am 10. Mai 2005 zugestellte Mitteilung beantragten die Prozessbevollmächtigten der Kläger mit am 30. Mai 2005 beim BFH eingegangenem Telefax-Schriftsatz für ihre Mandanten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist.

Zur Begründung bringen die Kläger vor, die seit 30 Jahren im Beruf und seit 2 Jahren für Zustellungen im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten zuständige und bei dem Vermerk der Fristen fehlerfrei tätige Bürovorsteherin habe die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde versehentlich im Fristenkalender nicht notiert. Seit Beginn ihrer Tätigkeit seien derartige Vorkommnisse nicht passiert. Diese Einlassung des Prozessbevollmächtigten der Kläger wird durch eine eidesstattliche Versicherung seiner Bürovorsteherin und einen Auszug aus dem Fristenkontrollbuch belegt.

Mit der Beschwerdebegründung machen die Kläger den Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend. Sie tragen vor, ein mechanischer Fehler i.S. von § 129 AO 1977 sei dann ausgeschlossen, wenn dem FA der gleiche Fehler zweimal unterlaufe.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Der Senat kann es dahinstehen lassen, ob den Klägern wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) bewilligt werden könnte, obwohl ihre Prozessbevollmächtigten nicht vorgetragen haben, dass sie alle Vorkehrungen dafür getroffen haben, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass sie durch regelmäßige Belehrung und Überwachung ihrer Bürokräfte für die Einhaltung ihrer Anordnungen Sorge getragen haben (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Februar 1999 X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221, m.w.N.). Die Beschwerde ist schon deshalb unzulässig und daher zu verwerfen, weil ihre Begründung nicht den in § 115 Abs. 2 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geregelten Anforderungen entspricht.

1. a) Für die Geltendmachung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist eine substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Fall voraussichtlich auch klärbar ist, erforderlich. Dazu ist auszuführen, dass die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängt. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen. Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, so ist zusätzlich darzulegen, weshalb eine erneute Entscheidung des BFH für erforderlich gehalten wird. Eine weitere bzw. erneute Klärung der Rechtsfrage kann z.B. geboten sein, wenn gegen die bisherige Rechtsprechung gewichtige Einwendungen erhoben worden sind, mit denen sich der BFH bislang noch nicht auseinander gesetzt hat. Darüber hinaus ist auf die Bedeutung der Klärung der konkreten Rechtsfrage für die Allgemeinheit einzugehen (BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217).

b) Es fehlt bereits an der erforderlichen Darlegung der sog. Breitenwirkung der erstrebten höchstrichterlichen Entscheidung. Einwendungen, die sich gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils wenden, sind grundsätzlich nicht geeignet, das für das Zulassungsverfahren erforderliche Allgemeininteresse zu indizieren (BFH-Beschluss vom 9. August 2002 III B 34/02, BFH/NV 2002, 1616).

c) Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht die Klärungsbedürftigkeit abstrakter Rechtsfragen hinreichend dargelegt.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind zur Berichtigung von Steuerbescheiden nach § 129 AO 1977 berechtigende offenbare Unrichtigkeiten mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler; sie können aber auch in einem unbeabsichtigten, unrichtigen Ausfüllen des Eingabebogens oder in einem Irrtum über den tatsächlichen Programmablauf bzw. in der Nichtbeachtung der für das maschinelle Veranlagungsverfahren geltenden Dienstanweisung bestehen. Fehler bei der Auslegung oder Nichtanwendung einer Rechtsnorm, unrichtige Tatsachenwürdigung, unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder Fehlers, die auf mangelnder Sachaufklärung bzw. Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen, schließen die Anwendung der Vorschrift hingegen aus (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. März 2000 IV R 3/99, BFHE 191, 226, BStBl II 2000, 372, 375).

Besteht eine mehr als nur theoretische Möglichkeit eines Rechtsirrtums, so liegt kein bloßes mechanisches Versehen und damit auch keine offenbare Unrichtigkeit mehr vor, ebenso nicht bei einer unrichtigen Tatsachenwürdigung, bei der unzutreffenden Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder bei Fehlern, die auf mangelnder Sachaufklärung beruhen. Die offenbare Unrichtigkeit muss nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein. Die Annahme einer solchen Unrichtigkeit kann zwar ausgeschlossen werden, wenn der Veranlagungsbeamte feststehende Tatsachen nicht berücksichtigt. Dabei muss es sich dann aber um Unrichtigkeiten handeln, die über mechanische Versehen deshalb hinausgehen, weil sie nicht ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, und deshalb letztlich auf unzureichender Sachaufklärung beruhen. Hat die Nichtberücksichtigung einer Tatsache dagegen ihren Grund in einer bloßen Unachtsamkeit und liegt diese offen zutage, so kann von einem auf mangelnder Sachaufklärung beruhenden Nichterkennen der Tatsache nicht gesprochen werden (BFH-Urteil vom 17. Februar 1993 X R 47/91, BFH/NV 1993, 638, m.w.N.). Eine offenbare Unrichtigkeit kommt namentlich dann in Betracht, wenn sich der Fehler aus der Steuererklärung und/oder den dieser beigefügten Unterlagen ergibt (BFH-Urteil in BFH/NV 1993, 638, dort auch eine Vielzahl weiterer Beispielsfälle).

Ob jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder einer unvollständigen Sachaufklärung bzw. fehlerhaften Tatsachenwürdigung auszuschließen ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles, vor allem nach Aktenlage. Die Entscheidung darüber im konkreten Fall ist im Wesentlichen eine Tatfrage, die revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist (§ 118 Abs. 2 FGO; BFH-Urteile vom 29. Januar 2003 I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139; vom 23. Juli 2002 VIII R 6/02, BFH/NV 2003, 1; in BFHE 191, 226, BStBl II 2000, 372, 375; BFH-Beschluss vom 21. Oktober 1992 I B 85/92, BFH/NV 1994, 517, jeweils m.w.N.).

d) Die Kläger haben sich mit diesen Rechtsprechungsgrundsätzen nicht auseinander gesetzt. Sie haben darüber hinaus nicht dargelegt, dass die Rechtsprechung losgelöst von den besonderen Umständen des konkreten Falles überhaupt zusätzliche, über die in ständiger Rechtsprechung bereits entwickelten Maßstäbe hinausgehende abstrakte Kriterien für die Auslegung und Anwendung des § 129 AO 1977 entwickeln könnte.

Allein der Umstand, dass über einen genau vergleichbaren Sachverhalt bislang vom BFH noch nicht entschieden worden ist, verleiht der Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung. Im Übrigen lässt sich der Streitfall ohne weiteres anhand der umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheiden (vgl. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1616).

2. Die Beschwerdebegründung der Kläger erschöpft sich im Kern --nach Art einer Revisionsbegründung-- in Ausführungen darüber, dass und warum das FG den Streitfall unrichtig entschieden habe. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen jedoch für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 24, m.w.N.).

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