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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 04.11.1999
Aktenzeichen: X B 81/99
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 142
ZPO § 114
AO 1977 § 110
AO 1977 § 110 Abs. 1 Satz 2
AO 1977 § 355
AO 1977 § 110 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) hat die an die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) und ihren zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann adressierten Einkommensteuerbescheide vom 15. Dezember 1995 für die Streitjahre 1984 und 1985 dem Prozeßvertreter mit Postzustellungsurkunde am 18. Dezember 1995 zugestellt. Am 19. Januar 1996 ging beim FA ein vom Prozeßvertreter gefertigtes Einspruchsschreiben mit Datum vom 18. Januar 1996 ein. Nachdem das FA auf die Verspätung des Einspruchs hingewiesen hatte, beantragte die Antragstellerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hierzu legte der Prozeßbevollmächtigte eine von ihm unterzeichnete eidesstattliche Versicherung vor, derzufolge er bereits am 15. Januar 1996 ein Einspruchsschreiben in einen Postbriefkasten geworfen und sich zusätzlich am 18. Januar 1996 vergebens bemüht hatte, das Einspruchsschreiben vom 18. Januar 1996 an das FA zu faxen; zu diesem Zwecke sei er "gegen 23.00 Uhr" nochmals in sein Büro gefahren. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben. Den zugleich gestellten Antrag auf Prozeßkostenhilfe (PKH) für dieses Klageverfahren hat das Finanzgericht (FG) abgelehnt.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Antragstellerin ihr auf Bewilligung von PKH gerichtetes Begehren weiterverfolgt. Das FA hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhält ein Prozeßbeteiligter, der nach seinen persönlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung verspricht Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers nach dessen Sachdarstellung und den vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß das angestrebte Verfahren erfolgreich sein wird (Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Dezember 1986 VIII B 115/86, BFHE 148, 215, BStBl II 1987, 217). Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage muß eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Erfolges in der Hauptsache sprechen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 142 Rz. 7, m.w.N.). Dies ist nach Aktenlage grundsätzlich nicht mit Hilfe von Beweiserhebungen, sondern anhand präsenter Beweismittel zu beurteilen (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Februar 1997 VII B 201/96, BFH/NV 1997, 610). Bezogen auf den Streitfall muß das Beschwerdevorbringen geeignet sein, eine tragfähige Grundlage für die Prognose abzugeben, daß konkrete Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sprechen.

Das ist hier nicht der Fall. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist weit überwiegend wahrscheinlich, daß in einem Hauptsacheverfahren die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig bestätigt werden wird. Wegen der unstreitigen Versäumung der Einspruchsfrist wäre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) nur in Betracht gekommen, wenn die Antragstellerin ohne ihr Verschulden (wozu nach § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 auch Vertreterverschulden zu rechnen ist) gehindert gewesen wäre, die Frist des § 355 AO 1977 einzuhalten. Ein solcher Entschuldigungsgrund ist hier wenig wahrscheinlich, vor allem auch nicht glaubhaft gemacht worden (§ 110 Abs. 2 Satz 2 AO 1977).

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob dem FG darin zu folgen ist, daß eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bereits deswegen zu versagen ist, weil der Prozeßbevollmächtigte der Antragstellerin mangels nachprüfbarer Postausgangskontrolle die rechtzeitige Absendung des Einspruchsschreibens nicht nachgewiesen hat. Denn ein Mangel der von der Rechtsprechung geforderten Fristen- und Postausgangskontrolle muß für die Versäumung der Frist ursächlich sein (Senatsurteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266; Beschluß vom 9. April 1998 VIII R 35/96, BFH/NV 1998, 1242; Zöller/Greger, Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., 1999, § 233, Anm. 22, jeweils m.w.N.). Ein festgestellter Organisationsmangel ist im Regelfall dann nicht ursächlich für die Fristversäumnis, wenn eine diesen Mangel ausgleichende konkrete Einzelanweisung an Bürobedienstete erteilt, jedoch von diesen nicht befolgt worden ist. Demgemäß hat der BFH eine i.S. von § 56 FGO unverschuldete Versäumnis sowohl im Falle der wirksamen Kontrolle des Postausgangs aufgrund einer im Einzelfall erteilten ausdrücklichen und eindeutigen Weisung (BFH-Urteil in BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266) als auch dann angenommen, wenn nach dem glaubhaft gemachten Tatsachenvortrag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, daß das Schriftstück nicht nur rechtzeitig bearbeitet, sondern auch rechtzeitig abgesandt worden ist (BFH-Beschluß vom 24. März 1995 VIII B 62/94, BFH/NV 1995, 1069). Dieser Grundsatz könnte --so auch im Streitfall-- in gleicher Weise vor allem dann gelten, wenn der Prozeßbevollmächtigte selbst das fristwahrende Schreiben bei der Post aufgibt. Geht ein solches Schreiben --nachweislich-- verloren, sind ausschließlich zeitlich danach eintretende Umstände, die dem Postlauf oder dem internen Behördengang zuzurechnen sind, für die Fristversäumnis ursächlich.

3. Ungeachtet dessen ist dem FG jedoch darin zu folgen, daß das Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten aufgrund einer Gesamtwürdigung nicht glaubhaft gemacht ist.

a) Die in der eidesstattlichen Versicherung aufgestellte Behauptung, ein Einspruchsschreiben vom 15. Januar 1996 sei an diesem Tage durch den Prozeßbevollmächtigten persönlich in den Briefkasten geworfen worden, ist nicht näher belegt worden. Dieses Schreiben und ein zugehöriger Briefumschlag befinden sich nicht bei den Akten des FA. Auch wenn aus den unter 2. genannten Gründen eine fehlerhafte Fristen- und Postausgangskontrolle nicht ursächlich für die Fristversäumnis ist, bedarf es nicht nur der schlüssigen und damit lückenlosen Schilderung, welche Person, zu welcher Zeit (Uhrzeit), in welcher Weise den Brief aufgegeben hat (BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 1996 I R 13/96, BFH/NV 1997, 120; vom 26. November 1993 VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644; vom 24. Juli 1989 III R 83/88, BFH/NV 1990, 248), sondern es bedarf auch der Glaubhaftmachung, d.h. der Vorlage präsenter Beweismittel, die mit hinreichender Sicherheit den Schluß auf die Richtigkeit des zur Entschuldigung Vorgetragenen zulassen. Hierzu gehören u.a. Kopien der Fristen- oder Postausgangsbücher (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 1997 III B 146/96, BFH/NV 1997, 674; in BFH/NV 1998, 1242). Eine Kopie des Postausgangsbuchs für den Monat Januar 1996 hat der Prozeßbevollmächtigte trotz diesbezüglicher Aufforderung durch das FA nicht vorgelegt. Hierzu hat er sich im Klageverfahren dahin eingelassen, daß er ein derartiges Buch nicht führe. Diese mangelnde Beweisvorsorge muß sich die Antragstellerin zurechnen lassen. Der vom Prozeßbevollmächtigten geführte elektronische Terminkalender ist im vorliegenden Zusammenhang nicht beweiskräftig.

Damit ist die rechtzeitige Aufgabe der Schriftstücke zur Post nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht. Die anwaltliche Versicherung allein reicht hierfür auch dann nicht aus, wenn der Bevollmächtigte darlegt, er selbst habe das fristwahrende Schriftstück zur Post gegeben (vgl. BFH-Beschluß vom 25. April 1995 VIII R 86/94, BFH/NV 1995, 1002, m.w.N.). Die nach ständiger Rechtsprechung des BFH zusätzlich erforderlichen objektiven Beweismittel --vor allem die Eintragung der Frist im Fristenkontrollbuch und deren Löschung aufgrund der Eintragung im Postausgangsbuch-- müssen im Zeitpunkt der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag präsent sein (vgl. BFH in BFH/NV 1995, 1002, m.w.N.; Beschluß vom 31. Januar 1996 VIII B 102- 103/94, nicht veröffentlicht). Dies ist hier nicht der Fall.

b) Ungewöhnlich ist der Vortrag der Antragstellerin, der Prozeßbevollmächtigte habe --"um sicher zu gehen, daß der Einspruch auch wirklich fristgerecht eingeht"-- den Einspruch am "17.1." 1996 erneut geschrieben. Daß er dieses Schreiben auf den 18. Januar 1996 datiert hat, mag ein --wenn auch kaum erklärliches-- Versehen sein. Nicht erklärlich ist hingegen der Umstand, daß ein Rechtsanwalt ohne erkennbaren Grund ein fristwahrendes Schreiben ein zweites Mal fertigt und sich intensiv um dessen Absendung bemüht. Insbesondere dann, wenn der Absender den Schriftsatz selbst zur Post gebracht hat, besteht für ihn im Normalfall kein Anlaß dafür, dem regulären Postlauf zu mißtrauen. Den Angehörigen der rechtsberatenden Berufe ist bekannt, daß ein Verlust auf dem Postweg ohne weiteres die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt. Auch hätte es bei Zweifeln am Zugang des aus der Sicht des Prozeßbevollmächtigten tatsächlich abgesandten Schreibens nahegelegen, zunächst am 17. oder 18. Januar 1996 --zwei bzw. drei Tage nach dem behaupteten Einwurf der Rechtsmittelschrift in den Briefkasten-- beim FA nachzufragen, ob der Einspruch eingegangen ist. Weiterhin ist dem FG darin zu folgen, daß im Falle einer vorsorglich wiederholten Einlegung eines Rechtsmittels als der Lebenserfahrung entsprechend zu erwarten ist, daß aus Gründen der Rechtsklarheit auf diesen besonderen Umstand hingewiesen wird.

c) Ungeklärt sind des weiteren die vom Prozeßbevollmächtigten behaupteten nächtlichen Umstände, unter denen die Übermittlung des Einspruchsschreibens mittels Fax kurz vor Ablauf der Frist --ausweislich der eidesstattlichen Versicherung in der Zeit nach 23 Uhr bzw. "gegen 23 Uhr"; ausweislich der Klageschrift vom 3. April 1997 "gegen 22.00 Uhr"-- mißlang. Hatte der Prozeßbevollmächtigte, wie er behauptet, das Einspruchsschreiben am 17. Januar 1996 --erneut-- gefertigt, ist unklar, weshalb er es nicht angesichts einer bevorstehenden Reise nach Erfurt bereits an diesem Tage per Fax oder durch Aufgabe zur Post versandt, sondern bis kurz vor Ablauf der Frist zugewartet hat; insbesondere hat der Prozeßbevollmächtigte kein Fehlerprotokoll vorgelegt, das den behaupteten vergeblichen Versuch bestätigen würde. Im übrigen ist nach Aktenlage weit überwiegend wahrscheinlich, daß das Empfangsgerät des FA in den Stunden vor Fristablauf nicht gestört war.

d) Nach dem Vortrag des Prozeßbevollmächtigten war diesem bewußt, daß die Einspruchsfrist am 18. Januar 1996 um 24.00 Uhr ablief; dies erklärt seinen Vortrag, er habe sich noch zu nächtlicher Stunde um eine Übermittlung mittels Fax bemüht. Unter dieser Voraussetzung ist nicht verständlich, warum er das Einspruchsschreiben am 19. Januar 1996 um 10.22 Uhr dem FA zufaxte, ohne die bereits abgelaufene Einspruchsfrist anzusprechen und --aus seiner Sicht vorsorglich-- Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzutragen. Denn ihm mußte bekannt sein, daß derartige Gründe nur innerhalb der Antragsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 vorgebracht werden können. Solches hat er --nach dem Hinweis des FA auf die Fristversäumnis im Schreiben vom 26. Januar 1996-- erst mit dem am 13. Februar 1996 beim FA eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage getan.

Ende der Entscheidung

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