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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 09.02.2005
Aktenzeichen: X R 11/04
Rechtsgebiete: FGO, ZPO, BGB


Vorschriften:

FGO § 54 Abs. 2
FGO § 56
ZPO § 222 Abs. 1
BGB § 187 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2 Alternative 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Auf die Beschwerde der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat der Senat die Revision mit einem dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 30. März 2004 zugestellten Beschluss zugelassen.

Nachdem innerhalb der Revisionsbegründungsfrist keine Revisionsbegründung beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen war, wies der Senatsvorsitzende den Prozessbevollmächtigten der Kläger mit einem am 12. Mai 2004 zugestellten Schreiben auf die Fristversäumnis und die Vorschrift des § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hin.

Daraufhin übersandte der Prozessbevollmächtigte am 14. Mai 2004 eine Revisionsbegründung und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dazu trug er vor, die Revisionsbegründung bereits am 6. April 2004 fertig gestellt, selbst kuvertiert und frankiert und noch am gleichen Tag "in den Postkasten an der Universität" X eingeworfen zu haben.

In einem weiteren, am 10. August 2004 eingegangenen Schriftsatz hat er diese Ausführungen dahin ergänzt, dass er den Brief mit der Revisionsbegründungsschrift um 12.30 Uhr auf dem Weg zur Mensa eingeworfen habe und der Postkasten um 17 Uhr geleert werde. Er ist der Auffassung, dass es in seinem Fall auf eine Fristenkontrolle nicht ankomme, weil er den Brief persönlich eingeworfen habe, hauptberuflich als Hochschullehrer tätig sei und als Steuerberater nebenberuflich nur ca. fünf Klagen bzw. Revisionen im Jahr bearbeite. Er führe keine Fristenkontrolle mittels eines gebundenen Buches durch, sondern trage sämtliche durchzuführenden Arbeiten in eine Tätigkeitsliste ("ABC-Liste") ein; nach Erledigung der Arbeit werde der Eintrag gestrichen.

Nach Aufforderung des Berichterstatters des beschließenden Senats, zur Glaubhaftmachung der in seinem Wiedereinsetzungsantrag angeführten Tatsachen eine Ablichtung des entsprechenden Auszugs seiner "ABC-Liste" sowie eine eidesstattliche Versicherung vorzulegen, versicherte der Prozessbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 28. Oktober 2004 an Eides statt, dass er die Revisionsbegründung am 6. April 2004 fertig gestellt und den betreffenden Schriftsatz zusammen mit anderer Post auf dem Weg zur Mensa in den Postkasten an der Universität X eingeworfen habe. Gleichzeitig teilte er mit, da er seine "ABC-Listen" etwa alle zwei Wochen neu schreibe, wenn die Streichungen erledigter Sachen die unerledigten Angelegenheiten überwögen, hebe er die alten Listen nicht auf.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist das angefochtene Urteil aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise sie als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

1. Die Kläger haben die Frist zur Begründung der Revision versäumt. Wird die Revision auf eine Beschwerde der Kläger vom BFH zugelassen, ist sie innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO). Der Zulassungsbeschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 30. März 2004 zugestellt. Gemäß § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs endete die Revisionsbegründungsfrist am 30. April 2004 und konnte durch die erst am 14. Mai 2004 eingegangene Revisionsbegründung nicht gewahrt werden.

2. Den Klägern kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

Die Gewährung von Wiedereinsetzung setzt in formeller Hinsicht voraus (vgl. § 56 Abs. 2 FGO in der bis 31. August 2004 geltenden Fassung), dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll; die Glaubhaftmachung der geltend gemachten Tatsachen kann hingegen auch noch im weiteren Verfahren über den Antrag geschehen (BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 1983 II R 211/81, BFHE 139, 15, BStBl II 1983, 681; vom 9. März 1993 VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616, und vom 15. Mai 2003 VII B 246/02, BFH/NV 2003, 1206).

Das Wiedereinsetzungsbegehren der Kläger scheitert jedenfalls daran, dass sie ihren Vortrag nicht hinreichend glaubhaft gemacht haben.

a) Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf die Behauptung der fristgerechten Absendung eines beim Adressaten nicht eingegangenen Schriftsatzes gestützt, sind zum einen genaue Angaben dazu erforderlich, wann (an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit), in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten oder Abgabe in einer bestimmten Postfiliale) und von welcher Person der Schriftsatz zur Post gegeben worden ist (BFH-Beschlüsse vom 25. April 1988 X R 90/87, BFH/NV 1989, 110; in BFH/NV 1993, 616; vom 26. November 1993 VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644; vom 19. Juni 1996 I R 13/96, BFH/NV 1997, 120, und vom 9. April 1998 VIII R 35/96, BFH/NV 1998, 1242, unter 1.). Ferner ist die Organisation der Fristenkontrolle nach Art und Umfang darzulegen (BFH-Beschlüsse vom 10. März 1994 IX R 43/90, BFH/NV 1994, 813, unter 5., und vom 15. Mai 2002 X R 71/01, BFH/NV 2002, 1320). Schließlich sind diese Angaben durch geeignete Beweismittel glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2, § 155 FGO, § 294 ZPO). Dazu ist sowohl die Abgabe detaillierter eidesstattlicher Versicherungen der mit der Anfertigung und Absendung des Schriftsatzes unmittelbar befassten Personen (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1242, unter 1.) als auch die Vorlage von Auszügen aus dem Fristenkontrollbuch und dem Postausgangsbuch erforderlich (BFH-Beschluss vom 25. April 1995 VIII R 86/94, BFH/NV 1995, 1002).

Im Streitfall haben die Kläger lediglich vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Revisionsbegründungsschrift am 6. April 2004 fertig gestellt, selbst kuvertiert und frankiert und in den Postkasten an der Universität X eingeworfen. Es kann dahinstehen, ob mit diesem Vortrag die Anforderungen der Rechtsprechung an die Bezeichnung des Postbriefkastens, in den die Sendungen eingeworfen worden sein sollen, erfüllt werden (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 12. April 1989 II B 197/88, BFH/NV 1990, 298, unter 2.; in BFH/NV 1994, 644; in BFH/NV 1994, 813, unter 5.; vom 14. Februar 2002 VII B 112/01, BFH/NV 2002, 798, und in BFH/NV 2003, 1206), zumal sich im räumlichen Ausdehnungsbereich größerer Universitäten regelmäßig mehrere Postbriefkästen befinden. Jedenfalls haben die Kläger keinerlei Darlegungen zu Art und Umfang der bei ihrem Prozessbevollmächtigten eingerichteten Fristenkontrolle vorgebracht (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 27. März 2002 V B 189/01, BFH/NV 2002, 946).

b) Selbst wenn man den Vortrag in dem weiteren Schriftsatz vom 10. August 2004, der Prozessbevollmächtigte trage sämtliche zu erledigenden Arbeiten "gegebenenfalls mit Frist" in seine Tätigkeitsliste ein, als zulässige Ergänzung des innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgetragenen Wiedereinsetzungsgrunds der rechtzeitigen Absendung ansieht, fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Glaubhaftmachung. Denn einen Auszug aus dieser Tätigkeitsliste konnte der Prozessbevollmächtigte der Kläger dem Senat nicht vorlegen, obwohl die Vorlage derartiger vorhandener objektiver Mittel der Glaubhaftmachung nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht durch die Abgabe persönlicher Erklärungen oder Versicherungen ersetzt werden kann (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1995, 1002; vom 12. November 1996 III R 13/96, BFH/NV 1997, 420, unter III., und vom 7. Februar 1997 III B 146/96, BFH/NV 1997, 674).

c) Im vorliegenden Fall muss nicht abschließend entschieden werden, welche Anforderungen an die Fristen- und Postausgangskontrolle bei Steuerberatern, die nur eine geringe Anzahl an Mandaten betreuen, zu stellen sind.

Die Rechtsprechung ist bisher davon ausgegangen, dass eine Überwachung der Fristen "von Fall zu Fall" genügen kann, wenn nur wenige Verfahren mit fristgebundenen Schriftsätzen zu führen sind. Auch dann erfordert die Überwachung aber eine allgemeine Organisation, die gewährleistet, dass eine Frist erst nach dem Abgang des Schriftsatzes gestrichen wird (Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. März 1987 9b RU 8/86, BSGE 61, 213, für eine Behörde, die nur etwa zehn Berufungen im Jahr selbst einlegt; daran anschließend BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, unter 4.). Auch in der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 23. Februar 2001 T 428/98 (ABl EPA 2001, 494, juris MPRE110060964, unter 3.5.) sind --für den Fall einer "kleinen Arbeitseinheit", in der der Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen allein für die Bearbeitung der anfallenden Akten verantwortlich war-- nicht etwa die Anforderungen an die Fristenkontrolle als solche begrenzt worden; vielmehr wurde dort nur ausgesprochen, dass eine Überwachung der Fristenkontrolle durch einen von der fristenführenden Person unabhängigen Kontrollmechanismus nicht geboten sei. Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine jedenfalls diesen Mindestanforderungen entsprechende Organisation der Überwachung des Fristablaufs eingerichtet hätte, hat er weder dargelegt noch glaubhaft gemacht.

Zwar kann es an der Ursächlichkeit eines Organisationsmangels für die Fristversäumung fehlen, wenn der Prozessbevollmächtigte --wie hier-- vorträgt, das beim Adressaten nicht eingegangene Schreiben persönlich zur Post gegeben zu haben (BFH-Beschluss vom 4. November 1999 X B 81/99, BFH/NV 2000, 546, unter 2.). Auch in diesen Fällen muss aber der Absendevorgang detailliert geschildert und eine Kopie des Fristen- oder Postausgangsbuchs vorgelegt werden; allein eine Versicherung des Prozessbevollmächtigten genügt nicht (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2000, 546, unter 3.a, und vom 23. Oktober 2002 IX R 24/01, BFH/NV 2003, 198, unter 2.a).

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass sich weder dem Steuerberatungsgesetz noch der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften Regelungen entnehmen lassen, die bei lediglich nebenberuflich tätigen Steuerberatern eine Herabsetzung der --gerade im Interesse der Mandanten geltenden-- Anforderungen an die erforderliche Sorgfalt und die einzurichtende Organisation rechtfertigen könnten. Vielmehr gebietet der Schutzzweck dieser Vorschriften eine Beachtung der Sorgfaltsanforderungen unabhängig vom Umfang der unter der Bezeichnung als "Steuerberater" ausgeübten Tätigkeit, der zudem für den einzelnen Mandanten nicht immer erkennbar sein wird.

Ende der Entscheidung

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