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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 28.07.1999
Aktenzeichen: X R 116/96
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977, BGB, FGO


Vorschriften:

EStG § 10e Abs. 1
EStG § 10e Abs. 6
EStG § 10e
EStG § 21 Abs. 2
EStG § 52 Abs. 21 Satz 2
AO 1977 § 164 Abs. 2
AO 1977 § 39 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 95 Abs. 1 Satz 2
FGO § 139 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) übertrug mit notariellem Vertrag vom 13. April 1991 das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück auf seine Tochter und behielt sich gleichzeitig den lebenslangen Nießbrauch vor. Das Wohnhaus war bis 1991 als Einfamilienhaus bewertet worden. Die Wohnung im Erd- und Obergeschoß war vermietet. In Ausübung seines Nießbrauchsrechts errichtete der Kläger in dem Haus eine weitere Wohnung mit 159 qm, die er ab dem 1. Dezember 1991 selbst nutzte.

In den Einkommensteuererklärungen für 1991 und 1992 machte er einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie für das Jahr 1991 zusätzlich Vorkosten gemäß § 10e Abs. 6 EStG für die neu errichtete Wohnung geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ in den --nach einer im Jahr 1993 durchgeführten abgekürzten Außenprüfung-- gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheiden für 1991 (vom 23. September 1994) und 1992 (vom 12. September 1994) die beantragte Förderung des Wohnungseigentums gemäß § 10e EStG unberücksichtigt mit der Begründung, der Kläger sei als Vorbehaltsnießbraucher weder zivilrechtlicher noch wirtschaftlicher Eigentümer gewesen. Er bewohne nicht, wie von § 10e EStG vorausgesetzt, eine Wohnung im eigenen Haus.

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) schloß sich der Auffassung des FA an; die Entscheidung ist mit Leitsatz abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 218.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er führt aus, mit dem Tatbestandsmerkmal der "Wohnung im eigenen Haus" in § 10e Abs. 1 EStG habe der Gesetzgeber die Formulierung der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 und 21a Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG wiederholt. Nach der bisherigen Rechtsprechung sei auch der Vorbehaltsnießbraucher AfA-befugt gewesen. Vergleichbares müsse für § 10e Abs. 1 EStG gelten.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 5. Februar 1996 aufzuheben, die Einkommensteuerbescheide für 1991 und 1992 mit der Maßgabe zu ändern, daß ein Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 EStG in Höhe von jeweils 16 500 DM und zusätzlich im Jahr 1991 Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG in Höhe von 3 238 DM berücksichtigt werden, sowie festzustellen, daß eine Vertretung im Vorverfahren notwendig war.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG weder einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 EStG gewährt noch Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG zum Abzug zugelassen.

1. Die Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG steht Steuerpflichtigen zu, die eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung im eigenen Haus oder eine eigene Eigentumswohnung hergestellt oder angeschafft haben. Der Begriff "eigen" bedeutet, daß der Steuerpflichtige Eigentümer des von ihm errichteten Objekts sein muß. In Fällen, in denen zivilrechtliches und wirtschaftliches Eigentum nicht übereinstimmen, ist der wirtschaftliche Eigentümer zur Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung nach § 10e Abs. 1 EStG berechtigt (ausführlich Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Mai 1992 X R 61/91, BFHE 168, 261, BStBl II 1992, 944; vom 27. November 1996 X R 92/92, BFHE 182, 104, BStBl II 1998, 97).

2. Der Kläger ist nach Übertragung des Eigentums auf seine Tochter nicht mehr zivilrechtlicher Eigentümer des Gebäudes und --trotz Vorbehaltsnießbrauchs-- nicht dessen wirtschaftlicher Eigentümer.

a) Abweichend vom Zivilrecht kann der Steuerpflichtige wirtschaftlicher Eigentümer des Gebäudes sein, wenn der Grundstückseigentümer durch vertragliche Vereinbarung oder aus anderen Gründen für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Gebäude ausgeschlossen ist (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977).

b) Nach ständiger Rechtsprechung ist der Vorbehaltsnießbraucher nur dann wirtschaftlicher Eigentümer, wenn sich seine rechtliche und tatsächliche Stellung gegenüber dem zivilrechtlichen Eigentümer des Grundstücks von der normalen --lediglich eine Nutzungsbefugnis vermittelnden-- Position eines Nießbrauchers so deutlich unterscheidet, daß er die tatsächliche Herrschaft über das nießbrauchsbelastete Grundstück ausübt (ausführlich zuletzt BFH-Urteile vom 26. November 1998 IV R 39/98, BFHE 187, 390, 394, BStBl II 1999, 263, m.w. Rechtsprechungsnachw.; vom 24. Juli 1991 II R 81/88, BFHE 165, 290, BStBl II 1991, 909; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 39 AO 1977 Rz. 77; Schmieszek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 39 AO 1977 Rz. 33, jeweils m.w.N.; vgl. Schmitz, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1993, 497, 1361, und Ehlig, DStR 1996, 1629, 1636; a.A. wohl Weber-Grellet, Der Betrieb --DB-- 1995, 2550, 2558).

c) Im Streitfall unterscheidet sich die rechtliche und tatsächliche Stellung des Klägers gegenüber der zivilrechtlichen Eigentümerin des Grundstücks nicht so deutlich von der Stellung eines Nießbrauchers, daß er --abweichend vom Normalfall-- als wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks anzusehen wäre.

3. Offenbleiben kann, ob der Nießbraucher, der lediglich ein lebenslängliches und nicht an der voraussichtlichen Nutzungsdauer des Gebäudes bzw. der Wohnung orientiertes Nutzungsrecht hat, als wirtschaftlicher Eigentümer beurteilt werden könnte, wenn er im Innenverhältnis zum Eigentümer für eigene Rechnung über die Substanz verfügen darf (Budde/Karig in Beck'scher Bilanzkommentar, 4. Aufl., § 246 HGB Rdnr. 37, m.w.N.) oder wenn sich der Vorbehaltsnießbraucher ein uneingeschränktes durch Auflassungsvormerkung gesichertes Rücknahmerecht vorbehalten hat (Ehlig, DStR 1996, 1629, 1634; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 39 AO 1977 Rz. 78; Schmieszek in Beermann, a.a.O., § 39 AO 1977 Rz. 33), denn diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

a) Zwar kann der Kläger aufgrund des Nießbrauchsrechts die Eigentümerin über einen bestimmbaren Zeitraum --zu Lebzeiten des Klägers--, aber nicht notwendigerweise für die gewöhnliche Nutzungsdauer des Gebäudes bzw. der Wohnung von der Nutzung ausschließen; ihm ist als bloß Nutzungsberechtigtem jedoch der Zugriff auf die Sachsubstanz verwehrt. Andere tatsächliche oder rechtliche Umstände, die im Streitfall dem Kläger die Verwertung der Sachsubstanz des Gebäudes ermöglichen, liegen nicht vor.

b) Wirtschaftliches Eigentum kommt allerdings grundsätzlich auch an einem realen Gebäudeteil in Betracht. Der Kläger ist jedoch auch nicht wirtschaftlicher Eigentümer der "neuen" Wohnung geworden. Er hat zwar eine Wohnung i.S. des § 10e Abs. 1 EStG "hergestellt", weil durch seine Aufwendungen in dem vorhandenen Gebäude erstmals eine --zusätzliche-- abgeschlossene Wohneinheit geschaffen worden ist. Auch sind ihm die von ihm als dinglich Nutzungsberechtigtem mit dem Gebäude verbundenen Teile --aber auch nur diese-- als deren rechtlichem Eigentümer zuzurechnen (vgl. § 95 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--); in bezug auf das bereits vor dem Innenausbau vorhandene Gebäude hat der Kläger jedoch außer der dinglichen Nutzungsbefugnis keine weiteren Rechte (mehr). Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung nach § 10e EStG ist jedoch, daß der Steuerpflichtige rechtlicher oder wirtschaftlicher Eigentümer des begünstigten Objekts, d.h. der Wohnung, ist.

4. Entgegen einer zum Teil im Schrifttum (z.B. Stephan, Die Wohneigentumsförderung, 6. Aufl. 1999, S. 169 ff; Stuhrmann in Deutsche Steuer-Zeitung 1992, 262, 265) vertretenen Auffassung berechtigt allein der Umstand, daß der Vorbehaltsnießbraucher vor der Übertragung des Eigentums die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des ganzen Gebäudes getragen hatte, keine andere Beurteilung (ebenso FG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 1998 18 K 1647/95 E, EFG 1998, 732 --rechtskräftig--; Bundesministerium der Finanzen --BMF--, Schreiben vom 31. Dezember 1994, BStBl I 1994, 887, Rdnr. 5; B. Meyer in Herrmann/ Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 10e EStG Rdnr. 40 ff.; Lademann, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 4. Aufl. 1997, § 10e Rdnr. 28; Kleeberg in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 10e Rdnr. B 18; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 18. Aufl. 1999, § 10e Rdnr. 41). Anknüpfungspunkte hierfür lassen sich weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus dem Zweck der Vorschrift herleiten.

a) Nach der Rechtslage vor 1987 (im Geltungsbereich der sog. Nutzungswertbesteuerung) erstreckte sich die Wohnungsbauförderung auch auf dem Steuerpflichtigen nicht gehörende Gebäude. Zivilrechtliches oder wirtschaftliches Eigentum war für die Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen nach § 7b EStG nicht erforderlich (BFH-Urteile vom 15. März 1990 IV R 30/88, BFHE 160, 244, BStBl II 1990, 623, und vom 15. Mai 1990 IX R 21/86, BFHE 162, 26, BStBl II 1992, 67). Es reichte aus, daß der Steuerpflichtige die Herstellungskosten für das Gebäude getragen hatte und damit Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielte, zu denen neben dem Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus (§ 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG i.d.F. vor 1987) auch der Nutzungswert einer fremden Wohnung (§ 21 Abs. 2 Alternative 2 EStG i.d.F. vor 1987) gehörte, die der Steuerpflichtige aufgrund einer gesicherten Rechtsposition unentgeltlich nutzte (z.B. BFH-Urteil vom 23. Oktober 1984 IX R 48/80, BFHE 143, 313, BStBl II 1985, 453, m.w.N.).

b) Abgesehen davon, daß sich die Wohnungsbauförderung nach § 10e EStG nicht nur systematisch, sondern auch inhaltlich in wesentlichen Punkten von der Förderung durch erhöhte Absetzungen unterscheidet (ausführlich hierzu BFH in BFHE 168, 261, BStBl II 1992, 944 unter 1. b), war die Gleichstellung des Vorbehaltsnießbrauchers mit dem Eigentümer im Rahmen der Nutzungswertbesteuerung (§ 21 Abs. 2 EStG) deshalb gerechtfertigt, weil auch der Nießbraucher aufgrund seines Rechts Einkünfte erzielt bzw. bei ihm auch im Falle der Eigennutzung Einkünfte fingiert wurden. Die Inanspruchnahme erhöhter Absetzungen hing jedoch --anders als die Inanspruchnahme des Abzugsbetrages nach § 10e EStG-- nicht davon ab, daß der Steuerpflichtige zivilrechtlicher oder wirtschaftlicher Eigentümer des begünstigten Objekts war (vgl. Urteil in BFHE 162, 26, BStBl II 1992, 67, 68, m.w.N.). Auch die Übergangsregelungen in § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. April 1997 (BGBl I 1997, 821) --EStG a.F.-- und § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG a.F. rechtfertigen keine andere Beurteilung. Diese Vorschriften berechtigen (lediglich) aus Gründen des Vertrauensschutzes zur Fortführung der aufgrund der Rechtslage vor Einführung des § 10e EStG in Anspruch genommenen Förderung; § 10e EStG und § 52 Abs. 21 Satz 6 EStG a.F., eine Übergangsregelung für bestimmte Herstellungskosten im Anwendungsbereich des § 10e EStG, stellen jedoch auf die zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung im eigenen Haus ab und sind deshalb auf den Vorbehaltsnießbraucher, der nicht ausnahmsweise die Voraussetzungen des wirtschaftlichen Eigentums erfüllt, nicht anwendbar (z.B. Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 10e EStG Rdnr. 41).

5. Über den Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist nach ständiger Rechtsprechung nicht im Revisionsverfahren zu entscheiden (z.B. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 57/89, BFH/NV 1993, 278, 279, m.w.N.). Zuständig für diese Entscheidung ist das Gericht des ersten Rechtszugs (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 139 Anm. 32, m.w.N.).

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