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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 04.02.2004
Aktenzeichen: X R 24/02
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 7 Abs. 1 Satz 5 | |
EStG § 9 Abs. 1 | |
EStG § 10e Abs. 6 | |
EStG § 10e Abs. 6 Satz 1 |
Gründe:
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und werden im Streitjahr 1994 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Mit notariellem Vertrag vom 10. Mai 1993 kaufte die Klägerin das mit einem Einfamilienhaus (ehemaliges Geschäft mit angeschlossener Wohnung des Betriebsinhabers) bebaute Grundstück in B. Der von den Verkäufern beauftragte Makler hatte das Objekt auch als Baugrundstück angeboten. Der Kaufpreis betrug 835 000 DM, der Bodenrichtwert des Grundstücks zum 31. Dezember 1992 798 600 DM (726 qm x 1 100 DM). Der Besitzübergang erfolgte zum 1. Oktober 1993 gleichzeitig mit der Eintragung der Klägerin als Grundstückseigentümerin in das Grundbuch. Zuvor hatte ihr Architekt mit Schreiben vom 23. September 1993 den Abriss des Gebäudes beantragt.
Anstelle des abgerissenen Gebäudes errichtete die Klägerin einen zu eigenen Wohnzwecken genutzten Neubau. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1994 machten die Kläger die Kosten des Abrisses des Gebäudes in Höhe von 55 424 DM und den Gebäudewert des abgerissenen Hauses in Höhe von 173 850,80 DM als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) versagte den Abzug.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 153 veröffentlichtem Urteil ab. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung spreche der Beweis des ersten Anscheins für einen steuerschädlichen Erwerb in Abbruchabsicht, wenn mit dem Abbruch des Gebäudes innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb begonnen werde. Diesen Anschein hätten die Kläger nicht durch Gegenbeweis entkräftet. Der Architekt der Klägerin habe im finanzgerichtlichen Verfahren zu der Frage der Abbruchabsicht nicht gehört werden müssen, da es entscheidend auf die Absicht der Klägerin im Zeitpunkt des Übergangs von Besitz, Nutzen und Lasten am 1. Oktober 1993 ankomme und zu diesem Zeitpunkt sich die Klägerin --wie sich aus dem Abrissantrag vom 23. September 1993 ergebe-- bereits zu einem Abbruch des Gebäudes entschlossen habe.
Mit der Revision rügen die Kläger Verfahrensmängel. Zu Unrecht sei das FG davon ausgegangen, dass der Architekt der Klägerin nicht als Zeuge zu der Frage der Abbruchabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs gehört werden müsse. Damit habe es ihnen, den Klägern, die Möglichkeit genommen, den Gegenbeweis anzutreten. Insoweit beruhe das FG-Urteil auf einer mangelhaften Sachaufklärung. Darüber hinaus wenden sich die Kläger gegen die in materiell-rechtlicher Hinsicht vom FG vertretene Auffassung.
Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des FG-Urteils und der Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 1998 den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1994 vom 25. Februar 1997 dahin abzuändern, dass weitere Aufwendungen in Höhe von 156 732 DM als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zwar liegt der von den Klägern geltend gemachte Verfahrensmangel nicht vor (unter 1.). Die Kläger haben ihre Revision aber auch auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt. In einem solchen Fall muss der Bundesfinanzhof (BFH) das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die Verletzung revisiblen Rechts prüfen, ohne dabei an die vorgebrachten Revisionsgründe gebunden zu sein (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 65). Diese Prüfung führt zu dem Ergebnis, dass das FG zu Unrecht die Abbruchkosten und die Absetzung für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) gemäß § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung nicht als Aufwendungen gemäß § 10e Abs. 6 EStG zum Abzug zugelassen hat, weil im Zeitpunkt des Übergangs von Besitz, Nutzen und Lasten Abbruchabsicht zu bejahen sei (unter 2.).
1. Die Rüge, das finanzgerichtliche Urteil beruhe auf einem Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil der Architekt der Klägerin nicht zu der Frage der Abbruchabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs gehört worden sei, greift nicht durch. Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Oktober 2000 III B 16/00, BFH/NV 2001, 202; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz. 68, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Somit musste das FG den beantragten Beweis nicht erheben, da es nach seiner Auffassung für die Feststellung der Abbruchabsicht "im Zeitpunkt des Erwerbs" auf den Zeitpunkt des Übergangs von Besitz, Nutzen und Lasten ankam und in diesem Zeitpunkt ausweislich des bereits zuvor gestellten Abrissantrags eine Abbruchabsicht der Kläger offenkundig vorlag.
2. Nach § 10e Abs. 6 Satz 1 EStG können Aufwendungen, die bis zum Beginn der erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstehen, unmittelbar mit der Herstellung des Gebäudes zusammenhängen, nicht zu den Herstellungskosten der Wohnung gehören und im Falle der Vermietung der Wohnung als Werbungskosten abgezogen werden könnten, wie Sonderausgaben abgezogen werden. Zu den als Vorkosten abziehbaren Aufwendungen gehören auch AfaA und Abrisskosten (so BFH-Urteile vom 26. Juni 2001 IX R 22/98, BFH/NV 2002, 16; vom 16. April 2002 IX R 50/00, BFHE 199, 120, BStBl II 2002, 805; vom 22. Januar 2003 X R 36/01, BFH/NV 2003, 765), wenn das abgerissene Gebäude nicht in der Absicht, es abzureißen, erworben wurde. Denn solche Aufwendungen wären gemäß § 9 Abs. 1 EStG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG als Werbungskosten und nicht als Herstellungskosten zu berücksichtigen gewesen, wenn das Gebäude, anstelle der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, vermietet worden wäre (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 12. Juni 1978 GrS 1/77, BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620, unter D. II. 1; BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 16; in BFH/NV 2003, 765).
a) Der Große Senat des BFH hat in seinem Beschluss in BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620 nicht ausdrücklich erläutert, was er in diesem Sinne unter Erwerb versteht. Er hat freilich seine Beurteilung des Erwerbs in Abbruchabsicht an die Überlegung geknüpft, dass wer ein objektiv technisch oder wirtschaftlich noch nicht verbrauchtes Gebäude entgeltlich erwirbt, "sich im allgemeinen vor Abschluss des Kaufvertrages vergewissert" hat, dass und in welchem Umfange er das Gebäude für seine Belange werde verwerten können. "Bricht er das Gebäude alsbald ab, so bringt er damit erfahrungsgemäß zum Ausdruck, dass es für ihn nicht von Wert war. Es kann deshalb in der Regel angenommen werden, dass der Steuerpflichtige mit dem Erwerb einen anderen Zweck verfolgt hatte als den, das Gebäude zu nutzen, insbesondere wenn er alsbald ein neues Gebäude oder sonstiges Wirtschaftsgut auf dem erworbenen Grundstück erstellt."
Der VIII. Senat des BFH hat im Urteil vom 6. Februar 1979 VIII R 105/75 (BFHE 127, 504, BStBl II 1979, 509) aus den Gründen der Entscheidung des Großen Senats entnommen, dass er hierunter "die Anschaffung" versteht. Der in diesem Zusammenhang gebrauchte Begriff "Anschaffung" ist jedoch unpräzise und bedarf der Konkretisierung. Im herkömmlichen Sinne angeschafft ist ein Wirtschaftsgut zu dem Zeitpunkt, in dem der Erwerber die wirtschaftliche Verfügungsmacht darüber erhält (Schmidt/ Glanegger, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl. 2003, § 6 Rz. 82; Stobbe in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 6 EStG Rz. 274), also im Zeitpunkt des Übergangs von Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten (BFH-Urteil vom 28. April 1977 IV R 163/75, BFHE 122, 121, BStBl II 1977, 553; Schreiben des Bundesministers der Finanzen --BMF-- vom 28. August 1991 IV B 3 - InvZ 1010 - 13/91, BStBl I 1991, 768 Tz. 15; Schmidt/Glanegger, a.a.O., Rz. 82). Aus den Gründen der Entscheidung in BFHE 127, 504, BStBl II 1979, 509 ist jedoch zu entnehmen, dass der VIII. Senat unter Anschaffung --ebenso wie die Rechtsprechung bei der Ermittlung der Spekulationsfrist-- den Zeitpunkt des Abschlusses des obligatorischen Rechtsgeschäfts versteht und dies wie folgt begründet:
"Mit der Frage, welcher Zeitpunkt als Anschaffungszeitpunkt anzusehen ist, hat sich die Rechtsprechung, soweit ersichtlich, nur im Zusammenhang mit der Ermittlung der Spekulationsfrist beschäftigt. Dabei hat sie in ständiger Rechtsprechung betont, dass es in der Regel auf den Abschluss des obligatorischen Vertrags ankommt (...). Maßgebend für diese Ansicht war, die Tätigkeit des Steuerpflichtigen, durch die er die für die Veräußerung erheblichen Grundlagen setzte, entscheidend sein zu lassen. Außerdem würde ... das Abstellen auf das dingliche Rechtsgeschäft den Ablauf der Frist vom Zufall abhängig machen. Der Senat hält diese Überlegungen hinsichtlich der Berechnung der Spekulationsfrist auch für die Berechnung der Dreijahresfrist zwischen Erwerb und Abbruch eines Gebäudes für anwendbar. Schon im Interesse der Rechtsklarheit ist es erforderlich, für die Berechnung einer Frist von klar bestimmten und bestimmbaren Terminen auszugehen."
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Bei der Frage einer steuerschädlichen Abbruchabsicht im Zeitpunkt des Erwerbs ist beim Kauf eines Grundstücks auf den Abschluss des notariellen Kaufvertrags abzustellen (Stobbe in Hermann/Heuer/Raupach, a.a.O., Rz. 671; Hoffmann in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 6 EStG Rz. 270; Schmidt/ Glanegger, a.a.O., Rz. 210). In diesem Zeitpunkt hat sich der Steuerpflichtige hinsichtlich des Grundstückserwerbs und der dafür aufzuwendenden Kosten verbindlich festgelegt. Folglich erscheint es geboten, auf diesen Zeitpunkt auch für die Beantwortung der Frage abzustellen, wofür (zu welchem Zweck) er den (Anschaffungs-)Aufwand tätigte (vgl. auch Stobbe in Hermann/ Heuer/Raupach, a.a.O., Rz. 671).
b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG rechtsfehlerhaft entschieden, die Abbruchkosten und die AfaA seien deshalb nicht als Sonderausgaben nach § 10e Abs. 6 EStG abziehbar, weil sich die Kläger am Tag des Übergangs von Besitz, Nutzen und Lasten bereits für einen Abbruch entschieden hatten. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, da das FG nicht geprüft hat, ob im Zeitpunkt des Abschlusses des obligatorischen Rechtsgeschäfts am 10. Mai 1993 Abbruchabsicht vorlag.
Das FG wird im zweiten Rechtsgang prüfen, ob es den Klägern --die nur wenig mehr als vier Monate nach Abschluss des notariellen Kaufvertrags den Abbruch des erworbenen Objekts beantragt haben-- gelingt, den Beweis des ersten Anscheins für einen Erwerb in Abbruchabsicht (vgl. Großer Senat des BFH in BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620) zu entkräften. Hierfür muss der Steuerpflichtige den Gegenbeweis führen, z.B. dass es zu dem Abbruch erst aufgrund eines ungewöhnlichen, nicht typischen Geschehensablaufs gekommen ist (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 125, 516, BStBl II 1978, 620, unter D. III. 2.; seither ständige Rechtsprechung; z.B. BFH-Urteil vom 13. Januar 1998 IX R 58/95, BFH/NV 1998, 1080). Das FG wird zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des BFH eine Abbruchabsicht beim Erwerb eines Gebäudes auch dann zu bejahen ist, wenn der Erwerber den schlechten baulichen Zustand des Gebäudes kannte und für den Fall der Undurchführbarkeit des geplanten Umbaus den Abbruch des Gebäudes billigend in Kauf genommen hatte (BFH-Urteile vom 4. Dezember 1984 IX R 5/79, BFHE 142, 477, BStBl II 1985, 208, und vom 15. Oktober 1996 IX R 2/93, BFHE 182, 41, BStBl II 1997, 325). Gelingt den Klägern der Nachweis, im Zeitpunkt des Abschlusses des obligatorischen Vertrags habe keine Abbruchabsicht vorgelegen, wird das FG ermitteln, ob das Gebäude in diesem Zeitpunkt bereits wirtschaftlich oder technisch verbraucht war. Liegt diese Voraussetzung vor, scheidet der Abzug einer AfaA als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG aus (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 182, 41, BStBl II 1997, 325).
Ferner wird das Gericht zu berücksichtigen haben, dass die Kläger nach eigenem Vorbringen im Zeitpunkt des Erwerbs einen grundlegenden Umbau des gekauften Objekts planten. Soweit die Abbruchkosten und der --ggf. vorhandene-- anteilige Restwert des abgebrochenen Gebäudes auf Gebäudeteile entfallen, die bei Durchführung des geplanten Umbaus ohnehin hätten entfernt werden sollen, liegen in jedem Fall Herstellungskosten des neuen Gebäudes vor (BFH-Urteile vom 20. April 1993 IX R 122/88, BFHE 171, 234, BStBl II 1993, 504; vom 10. Mai 1994 IX R 26/89, BFHE 175, 55, BStBl II 1994, 902, und in BFHE 182, 41, BStBl II 1997, 325). Hinsichtlich dieser Gebäudeteile bestand beim Erwerb bereits Teilabbruchabsicht. Ein Abzug als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG kommt nicht in Betracht.
Ende der Entscheidung
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