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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.01.2007
Aktenzeichen: X R 29/06
Rechtsgebiete: AO, FGO
Vorschriften:
AO § 233a | |
AO § 236 | |
AO § 236 Abs. 1 | |
AO § 236 Abs. 1 Satz 1 | |
AO § 236 Abs. 2 | |
AO § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a | |
AO § 236 Abs. 3 | |
AO § 238 Abs. 2 | |
AO § 237 | |
AO § 361 Abs. 3 Satz 1 | |
FGO § 69 Abs. 2 Satz 4 | |
FGO § 137 Satz 1 |
Gründe:
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes. Dieser war an einer KG als Kommanditist beteiligt. Zunächst war für den verstorbenen Ehemann für 1975 ein Veräußerungsgewinn aus dieser Beteiligung in Höhe von 163 900,11 DM festgestellt und im Einkommensteuerbescheid erfasst worden.
Gegen den Feststellungsbescheid 1975 erhob am 3. Juli 1987 ein anderer Kommanditist der zu diesem Zeitpunkt bereits vollbeendeten KG Klage. Im Verlauf des Klageverfahrens entsprach das zuständige Finanzamt dem Klagebegehren. Der Rechtsstreit war in der Hauptsache erledigt. Nach dem Gewinnfeststellungsbescheid für 1975 vom 23. Dezember 2002 betrug der Veräußerungsgewinn des Ehemannes der Klägerin 0 DM. Der geänderte Einkommensteuerbescheid für 1975 vom 10. Juli 2003 führte zu einer Einkommensteuererstattung in Höhe von 21 911,41 €.
Den Antrag der Klägerin auf Festsetzung von Prozesszinsen gemäß § 236 der Abgabenordnung (AO) lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ab.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab, weil weder die Klägerin noch ihr verstorbener Ehemann am Klageverfahren gegen den Feststellungsbescheid 1975 beteiligt gewesen seien.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 236 AO. Sie beantragt sinngemäß, das FG-Urteil sowie den Ablehnungsbescheid vom 28. Dezember 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2005 aufzuheben und das FA zu verpflichten, Prozesszinsen zur Einkommensteuererstattung 1975 gemäß Bescheid vom 10. Juli 2003 festzusetzen und an die Klägerin auszuzahlen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG ist das FA verpflichtet, den Erstattungsbetrag vom Tag der Rechtshängigkeit der Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid bis zum Auszahlungstag zu verzinsen.
1. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO). Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der zu erstattende Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Dies gilt nach § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO entsprechend, wenn eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer führt.
Auch nach Einführung der Vollverzinsung nach Maßgabe des § 233a AO gibt es keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass rückständige Staatsleistungen (angemessen) zu verzinsen sind. Das Gesetz kennt vielmehr nur die Verzinsung auf der Grundlage genau umschriebener Tatbestände (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. April 1997 VII R 91/96, BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476) wie der Vorschrift betreffend Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge (§ 236 AO). Deren Zweck ist es, dem Gläubiger eines Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu gewähren (vgl. BFH-Urteile vom 13. Juli 1994 I R 38/93, BFHE 175, 496, BStBl II 1995, 37; vom 16. November 2000 XI R 31/00, BFHE 196, 1, BStBl II 2002, 119; vom 15. Oktober 2003 X R 48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169). Davon ist bei der Auslegung des § 236 AO auszugehen (BFH-Beschluss vom 20. Januar 1999 IV B 40/98, BFH/NV 1999, 1055, unter Hinweis auf die Entscheidung in BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476).
2. Die Voraussetzungen des § 236 AO sind im Streitfall erfüllt. Unabhängig davon, welcher Kommanditist mit seiner Klage die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheides der vollbeendeten KG für 1975 erreicht hat, war ein Rechtsstreit für die Herabsetzung der Einkommensteuer der Klägerin kausal (so auch Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 236 AO Rz 28; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 236 AO Rz 33; Wagner in: Kühn/v.Wedelstädt, 18. Aufl., AO, § 236 Rz 13; Schwarz in Schwarz, AO, § 236 Rz 12). Allein darauf stellt § 236 AO ab.
a) Weder der Wortlaut des § 236 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO noch der des § 236 Abs. 1 AO lassen die Auslegung zu, dass Prozesszinsen nur derjenige beanspruchen kann, der durch die Anfechtung des Grundlagenbescheides mittelbar die Änderung seiner Einkommensteuerfestsetzung eingeklagt hat. Voraussetzung für den Zinsanspruch ist vielmehr lediglich, dass ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich --wie im Streitfall-- ein Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der im Folgebescheid festgesetzten Steuer führt.
b) Gegenteiliges kann auch nicht aus § 236 Abs. 3 AO entnommen werden. Diese Vorschrift schließt den Zinsanspruch aus, wenn einem Beteiligten die Kosten des Rechtsbehelfs nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt worden sind. Derjenige, der sich einen Tatsachenvortrag bis zum finanzgerichtlichen Verfahren vorbehält, soll keinen Vorteil gegenüber demjenigen erlangen, der seiner Mitwirkungspflicht (§ 90 AO) bereits im Verwaltungsverfahren nachkommt. Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz dahingehend, dass nur Beteiligten im Rechtsstreit gegen den Grundlagenbescheid ein Zinsanspruch bei Änderung des Folgebescheides zusteht, kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden.
c) Auch die verfahrensrechtliche Symmetrie ("Waffengleichheit") gebietet, Feststellungsbeteiligten Prozesszinsen zuzuerkennen, die von der gerichtlichen Anfechtung eines Grundlagenbescheides durch einen früheren Mitgesellschafter profitieren. Die Aussetzung der Vollziehung eines Grundlagenbescheides hemmt dessen Vollziehbarkeit insgesamt. Nach § 361 Abs. 3 Satz 1 AO bzw. § 69 Abs. 2 Satz 4 FGO sind deshalb im Falle einer vollbeendeten Gesellschaft sämtliche Folgebescheide auszusetzen. Bleibt ein gegen einen Grundlagenbescheid gerichtetes Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren endgültig erfolglos, sind Aussetzungszinsen nach § 237 AO somit auch von den Steuerpflichtigen zu erheben, die den Grundlagenbescheid nicht angefochten haben.
d) Zudem verlangt die Prozessökonomie, früheren Gesellschaftern einer vollbeendeten Personengesellschaft auch dann Prozesszinsen zuzusprechen, wenn sie den Grundlagenbescheid nicht selbst angefochten haben. Könnten nur (Haupt-)Beteiligte im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid Prozesszinsen beanspruchen (so aber das Urteil des Hessischen FG vom 7. November 2002 7 K 2143/02, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2003, 508), würden nicht nur die FG, sondern auch die Steuerpflichtigen und Finanzbehörden mit einer Vielzahl vermeidbarer Prozesse belastet.
e) Die in § 236 Abs. 2 AO angeordnete entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 AO gebietet es, den Streitfall anders zu behandeln als die Fälle eines Musterverfahrens, wonach ein Steuerpflichtiger, dessen Einspruchsverfahren im Hinblick auf ein von einem anderen Steuerpflichtigen angestrengtes Musterverfahren ausgesetzt wurde, bei einem günstigen Ausgang dieses Prozesses ebenso wenig einen Anspruch auf Prozesszinsen (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1974 IV R 160/69, BFHE 114, 397, BStBl II 1975, 370) hat wie wenn die Steuerfestsetzung wegen eines Musterverfahrens für einen anderen Steuerabschnitt zu Gunsten des Steuerpflichtigen geändert wird. Für diese Fälle fehlt es an der Anordnung der entsprechenden Anwendung des § 236 Abs. 1 AO.
3. Nach alledem ist --wie beantragt-- der Erstattungsbetrag in Höhe von 21 911,41 € zu verzinsen. Dieser ist gemäß § 238 Abs. 2 AO auf 21 900 € abzurunden. Der Zinslauf begann mit Rechtshängigkeit der Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid (3. Juli 1987) und endete mit der Auszahlung des Erstattungsbetrags (10. Juli 2003). Angesichts der der Klägerin zustehenden Zinsen von einhalb vom Hundert für jeden vollen Monat (§ 238 Abs. 1 AO) ist das FA somit verpflichtet, Prozesszinsen in Höhe von 21 024 € festzusetzen.
4. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung war als unzulässig abzulehnen, weil die Klägerin bzw. ihr Prozessbevollmächtigter das erforderliche besondere Rechtsschutzbedürfnis für die Festsetzung des Streitwerts durch den beschließenden Senat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 17. Mai 1985 VIII R 65/84, BFH/NV 1986, 348, und vom 27. Januar 1994 VII S 36/93, BFH/NV 1994, 818; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., Vor § 135 Rz 38, m.w.N.) nicht dargelegt hat. Die Ermittlung und Festssetzung des Streitwerts sind im Regelfall unselbständiger Teil des Kostenansatzverfahrens bzw. -festsetzungsverfahrens und obliegen daher in erster Linie dem Kostenbeamten (ständige Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., Vor § 135 Rz 38). Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Streitwertfestsetzung durch das Gericht als Spruchkörper fehlt, wenn sich --wie hier-- die Höhe des Streitwerts eindeutig aus den gestellten Sachanträgen sowie aus den von der Rechtsprechung zur Bemessung des Streitwerts in gleichartigen Fällen entwickelten Grundsätzen ermitteln lässt (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 1994, 818; Gräber/Ruban, a.a.O., Vor § 135 Rz 38).
Ende der Entscheidung
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