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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 31.03.2004
Aktenzeichen: X R 3/01
Rechtsgebiete: ZPO, EStG
Vorschriften:
ZPO § 323 | |
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a |
Gründe:
I. Streitig ist, ob Zahlungen des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) an seine Mutter (M) in voller Höhe oder nur mit dem Ertragsanteil als Sonderausgaben abzuziehen sind.
Am 19. Februar 1987 verstarb der Vater des Klägers, der von M zu 1/2 und vom Kläger sowie dessen Halbschwester (S) zu je 1/4 beerbt wurde. Der Nachlass bestand aus einem Gewerbebetrieb, mehreren Grundstücken, je einem Wertpapier- und Aktiendepot sowie Guthaben auf einem Girokonto.
Mit notariellem Vertrag vom 11. Februar 1988 setzte sich die Erbengemeinschaft auseinander. S erhielt Wertpapiere und Bankguthaben in einer Gesamthöhe, die ihrem Erbanteil an dem von den Parteien angenommenen Wert des Nachlasses entsprach. Der Kläger erhielt den Betrieb sowie den gesamten Grundbesitz. M sollte eine monatliche "Leibrente" von 2 500 DM erhalten, die wertgesichert wurde. Darüber hinaus stand ihr ein unentgeltliches lebenslängliches Wohnungsrecht an einem auf den Kläger übertragenen Einfamilienhaus zu; für den Fall, dass sie diese Wohnung nicht mehr nutzen sollte, verpflichtete sich der Kläger, die Miete für eine angemessene Ersatzwohnung bis zu 700 DM monatlich zu tragen. Ferner verpflichtete sich der Kläger, für M die Hälfte der Kosten einer Hausgehilfin bis zu 3 000 DM jährlich zu tragen, ihr einen Pkw zur Verfügung zu stellen und dessen Betriebskosten bis zu 2 200 DM jährlich zu tragen. Die Parteien bekundeten, sich einig zu sein, dass es dem Willen des Erblassers entspreche, den Lebensunterhalt der M "bestmöglich sorgenfrei sicherzustellen".
In einem notariellen Nachtragsvertrag vom 6. Dezember 1991 vereinbarten der Kläger und M die Abänderbarkeit der Zahlungsverpflichtung nach § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter Hinweis darauf, dass darüber von Anbeginn Einvernehmen bestanden habe.
In den angefochtenen Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre 1990 und 1991 ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lediglich den Ertragsanteil der jeweils gezahlten 30 000 DM zum Sonderausgabenabzug zu. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte --unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung-- aus, eine in Geld bestehende Versorgungsleistung sei nur dann abänderbar, wenn sich dies entweder aus einer ausdrücklichen Bezugnahme auf § 323 ZPO oder in anderer Weise aus dem Vertrag ergebe. Hier sei dem Gesamtinhalt des Vertrages auch unter Berücksichtigung "aller Umstände" keine Abänderbarkeit zu entnehmen. Der Änderungsvertrag könne für die Streitjahre noch nicht zugrunde gelegt werden, da rückwirkende Vereinbarungen steuerrechtlich nicht anzuerkennen seien.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Er beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide für 1990 und 1991 vom 8. Februar 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. April 1998 dahin gehend abzuändern, dass die jeweils vom Kläger an seine Mutter gezahlten 30 000 DM in voller Höhe als dauernde Last zum Sonderausgabenabzug zugelassen werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG geht zutreffend davon aus, dass die wiederkehrenden Leistungen im Streitfall in sachlichem Zusammenhang mit der Übertragung von Vermögen in vorweggenommener Erbfolge stehen, spezialgesetzlich den Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG) und den wiederkehrenden Bezügen (§ 22 Nr. 1 Satz 1 EStG) zugeordnet sind und weder Veräußerungsentgelt noch Anschaffungskosten darstellen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, unter C. II. 1. c; vom 15. Juli 1991 GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78, unter C. II. 3. a, 4. a, und vom 12. Mai 2003 GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, unter C. II. 2. c).
2. Zu Unrecht hat das FG indes angenommen, die wiederkehrenden Leistungen seien nicht abänderbar.
a) Nach seiner Auffassung sind Geldleistungen --selbst wenn sie als Versorgungsleistungen in einem Vermögensübergabevertrag zur vorweggenommenen Erbfolge vereinbart werden-- ohne ausdrückliche Bezugnahme auf § 323 ZPO nur dann abänderbar, wenn sich dies aus dem Vertrag ergebe. Dies setze entweder die Vereinbarung schwankender Bezugsgrößen oder eine Anknüpfung an die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten bzw. den Bedarf des Berechtigten voraus.
b) Für die Einordnung von Versorgungsleistungen als Leibrente oder dauernde Last haben der Große Senat und im Anschluss daran der erkennende Senat die folgenden Grundsätze aufgestellt:
aa) Wiederkehrende Sach- und Geldleistungen, die in sachlichem Zusammenhang mit einer Vermögensübergabe vereinbart werden, stellen dauernde Lasten dar, wenn sie abänderbar sind (BFH-Beschluss in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78, unter C. II. 3.).
bb) Für eine steuerrechtlich zu beachtende Änderungsklausel genügt der Vorbehalt der Rechte aus § 323 ZPO, weil dies so zu verstehen ist, dass der Vertrag nach Maßgabe des materiellen Rechts, auf das diese Vorschrift Bezug nimmt, abänderbar sein soll. Eine solche ausdrückliche Bezugnahme auf § 323 ZPO führt jedoch nicht zur Annahme abänderbarer Leistungen, wenn die Vertragspartner deren Höhe nach dem Inhalt der gesamten Vereinbarungen materiell-rechtlich von Voraussetzungen abhängig gemacht haben, die einer Wertsicherungsklausel entsprechen (BFH-Urteile vom 15. März 1994 X R 93/90, BFH/NV 1994, 848, m.w.N. auf die ältere Rechtsprechung; vom 27. August 1997 X R 54/94, BFHE 184, 337, BStBl II 1997, 813, unter II. 1. b aa).
cc) Fehlt eine Bezugnahme auf § 323 ZPO, kann sich eine gleichwertige Änderungsmöglichkeit aufgrund eines Vertragsinhalts ergeben, der eine Anpassung nach den Bedürfnissen des Übergebers oder der Leistungsfähigkeit des Übernehmers erlaubt (BFH-Beschluss in BFHE 165, 225, BStBl II 1992, 78, unter C. II. 3. c). Die Abänderbarkeit kann auch aus der Rechtsnatur des typischen Versorgungsvertrags folgen (Senatsurteil vom 11. März 1992 X R 141/88, BFHE 166, 564, BStBl II 1992, 499, unter 3., 4.). Die Rechtsprechung geht im Anschluss an die vorgenannte Entscheidung des Großen Senats davon aus, dass Versorgungsleistungen, die in sachlichem Zusammenhang mit der Übergabe von existenzsicherndem Vermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vereinbart werden, "im Regelfall" abänderbar sind (BFH-Urteile vom 25. März 1992 X R 38/86, BFH/NV 1992, 595; vom 26. Januar 1994 X R 141/90, BFH/NV 1994, 845, unter 2. b; vom 27. August 1996 IX R 86/93, BFHE 181, 175, BStBl II 1997, 47, unter 2. d aa, und vom 16. März 1999 X R 87/95, BFH/NV 2000, 12, unter II. 1. b), es sei denn, aus dem Vertrag ergibt sich, dass die Parteien ausnahmsweise gleichbleibende Leistungen vereinbart haben (Senatsurteile vom 27. November 1996 X R 85/94, BFHE 182, 110, BStBl II 1997, 284, und in BFH/NV 2000, 12).
c) Das angefochtene Urteil entspricht diesen Grundsätzen nicht.
Der Erbauseinandersetzungsvertrag vom 11. Februar 1988 --den der Senat selbst auslegen darf, da das FG alle dafür maßgebenden tatsächlichen Umstände festgestellt hat (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 75/00, BFHE 201, 278, BStBl II 2003, 467, unter 1. a cc)-- ist im Verhältnis zwischen M und dem Kläger als Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen zu beurteilen. M hat mit diesem Vertrag ihre anteilige Mitberechtigung an umfangreichem Betriebs- und Grundvermögen gegen die Zusage von Versorgungsleistungen auf den Kläger übertragen. Der Vertrag ist dem zivilrechtlichen Typus des "Versorgungsvertrags" bzw. "Altenteilsvertrags" im Wesentlichen vergleichbar.
Nach der vorgenannten Rechtsprechung sind derartige Versorgungsleistungen im Regelfall abänderbar. Aus dem Erbauseinandersetzungsvertrag ergeben sich keinerlei Umstände für die Vereinbarung gleichbleibender Leistungen. Im Gegenteil haben die Vertragsparteien ausdrücklich bekundet, dass der Lebensunterhalt der M "bestmöglich sorgenfrei" sichergestellt sein solle.
3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist seine Entscheidung aufzuheben. Der spruchreifen Klage ist stattzugeben. Die Einkommensteuer der Streitjahre 1990 und 1991 ist auf den Betrag festzusetzen, der sich ergibt, wenn die vom Kläger an seine Mutter jeweils gezahlten 30 000 DM in voller Höhe als dauernde Last zum Sonderausgabenabzug zugelassen werden. Die Berechnung wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
Ende der Entscheidung
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