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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 07.07.2004
Aktenzeichen: X R 33/02
Rechtsgebiete: FGO, VwZG, ZPO


Vorschriften:

FGO § 47 Abs. 1 Satz 1
FGO § 56
FGO § 56 Abs. 2 Satz 2
VwZG § 3
VwZG § 3 Abs. 1 Satz 2
VwZG § 3 Abs. 3
ZPO § 180
ZPO § 181
ZPO § 182
ZPO § 183
ZPO § 184
ZPO § 185
ZPO § 186
ZPO § 195
ZPO § 195 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Beim Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), der von Dezember 1985 bis 31. Dezember 1998 Inhaber eines Einzelhandelsunternehmens war, wurde eine zunächst für die Streitjahre 1993 bis 1996 angeordnete Betriebsprüfung auf die Jahre 1987 bis 1992 sowie 1997 und 1998 erweitert.

Im Anschluss an die Betriebsprüfung setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) mit Bescheiden vom 14. März 2001 die Einkommensteuer sowie mit Bescheiden vom 21. sowie 28. März 2001 und 11. April 2001 die einheitlichen Gewerbesteuermessbeträge für den Prüfungszeitraum fest.

Gegen diese Bescheide wandte sich der Kläger mit seinen Einsprüchen vom 12., 19., 20. und 23. April 2001.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2001, die mit der Kennzeichnung "RbLNr.: wingf. 29-40" erging, wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück.

Diese Einspruchsentscheidung wurde zusammen mit einer weiteren --die Einkommensteuer 1987 bis 1995, 1997 und 1998, Bescheide über Solidaritätszuschlag 1996 bis 1998, Umsatzsteuer 1987 bis 1998 und Vermögensteuer 1. Januar 1992 bis 1. Januar 1996 betreffenden-- Einspruchsentscheidung (wingf. 1-28, 41-43) am 16. Juli 2001 durch Niederlegung zugestellt. Auf der Postzustellungsurkunde war als Geschäftsnummer "die Steuernummer - RBBZ. 2", darunter "wingf 1-28, 41-43 + 29-40" vermerkt und als weitere Kennzeichnung "2 E.E.'en vom 13.07.2001" angegeben.

Mit der am 17. August 2001 erhobenen Klage trug der Kläger vor, die vom FA vorgenommenen Schätzungen seien völlig unrealistisch und vorsätzlich überzogen.

In der dem Kläger mit Schreiben des Finanzgerichts (FG) vom 13. September 2001 mitgeteilten Klageerwiderung führte das FA aus, die Klage sei verspätet erhoben worden.

Auf einen richterlichen Hinweis vom 2. November 2001, dass die Klage vom 17. August 2001 nach Aktenlage unzulässig sei, weil die Klagefrist am 16. August 2001, 24.00 Uhr abgelaufen sei, und dass darüber hinaus Wiedereinsetzungsgründe weder vorgetragen noch ersichtlich seien, reichte der Kläger am 15. Januar 2002 die Durchschrift eines Faxprotokolls bei Gericht ein und behauptete hierzu, er habe die Klage bereits am 16. August 2001 per Telefax erhoben. Aus dem Protokoll, das keinen Absender und keine Telefon- bzw. Telefaxnummer erkennen lässt, ergibt sich als Sendezeit der 16. August 2001, 18.58 Uhr und als Sendeempfänger die Faxnummer 20 66 - 5 37. Die Übertragungsdauer betrug 1 Min. 18 Sek. Mit Schreiben vom 15. Januar 2002 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ohne den Antrag zu begründen.

Das FA widersprach einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Das FG bejahte mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 425 veröffentlichten Zwischenurteil (§ 97 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) die Zulässigkeit der Klage.

Es führte aus, zwar habe der Kläger Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO erst verspätet vorgetragen. Die Klagefrist sei jedoch im Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen gewesen (§ 9 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes --VwZG--), da die Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2001 nach den Grundsätzen der Rechtsprechung (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Juni 1998 X B 139/97, BFH/NV 1999, 187) dem Kläger nicht gemäß § 3 VwZG wirksam zugestellt worden sei. Sollten mehrere Einspruchsentscheidungen in einem Briefumschlag zugestellt werden, so müsse sich aus der auf dem Briefumschlag angebrachten Geschäftsnummer ergeben, welchen Inhalt die zuzustellende Sendung habe. Es reiche nicht aus, dass der Empfänger aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen auf den Inhalt der Sendung schließen könne.

Durch die Kennzeichnung des Inhalts der Sendung mit der Steuernummer des Klägers und den Rechtsbehelfsnummern "wingf 1-28, 41-43 + 29-40" sowie dem Zusatz "2 E.E.'en vom 13.07.2001" sei zwar eine der zwei zugestellten Einspruchsentscheidungen vom 13. Juli 2001 zutreffend bezeichnet (wingf 1-28, 41-43). Hinsichtlich der anderen Einspruchsentscheidung (wingf 29-40) lasse sich aufgrund der Anhängung der Zahlenfolge an die Rechtsbehelfsnummer "wingf 1-28, 41-43" durch Setzen eines Additionszeichens eine Beziehung zwischen der Bezeichnung auf der Postzustellungsurkunde und dem tatsächlichen Inhalt der Sendung jedoch nur durch Wahrscheinlichkeitserwägungen herstellen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 187). Das genüge nicht.

Das FA rügt Verletzung des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage als unzulässig abzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Zwischenurteil wird aufgehoben und die Klage als unzulässig abgewiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Entgegen der Auffassung des FG ist die Klage erst nach Ablauf der Klagefrist (§ 47 FGO) beim FG eingegangen. Sie ist deshalb wegen Fristversäumnis unzulässig. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO ist nicht zu gewähren.

1. Die einmonatige Klagefrist (§ 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO) wird durch die wirksame Bekanntgabe (§ 124 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung --AO 1977--) der Einspruchsentscheidung in Gang gesetzt. Ordnet das FA die Bekanntgabe durch förmliche Zustellung (§ 122 Abs. 5 AO 1977) an, wird die Klagefrist nur durch eine Zustellung in Lauf gesetzt, die den Voraussetzungen des § 3 VwZG i.V.m. §§ 180 bis 186 und § 195 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) in der für die streitige Zustellung am 16. Juli 2001 maßgeblichen Fassung vor In-Kraft-Treten des Zustellungsreformgesetzes (ZustRG) vom 25. Juni 2001 (BGBl I 2001, 1206) entspricht (§ 122 Abs. 5 Satz 2 AO 1977). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Bei der Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 VwZG die Sendung u.a. mit einer Geschäftsnummer zu versehen. Gemäß § 3 Abs. 3 VwZG, § 195 ZPO muss die von dem Postbediensteten über die Zustellung zu fertigende Urkunde die Übergabe der ihrer Anschrift und ihrer Geschäftsnummer nach bezeichneten Sendung bezeugen. Da die Postzustellungsurkunde nicht die Übergabe des Schriftstücks selbst, sondern nur die Übergabe einer Sendung bezeugt, stellt die Angabe der Geschäftsnummer auf der Sendung sowie auf der Postzustellungsurkunde die einzige urkundliche Beziehung zwischen dieser und dem zuzustellenden Schriftstück her. Wegen der gebotenen Gewähr für die Nämlichkeit und den unveränderten Inhalt der Sendung muss die Geschäftsnummer die Identifizierung der zugestellten Sendung ermöglichen. Deshalb muss sie geeignet sein, den Verwaltungsakt, die Gerichtsentscheidung oder das sonstige Schriftstück, dessen Zustellung vorgenommen worden ist, zu konkretisieren (BFH-Urteile vom 12. September 1995 IX R 72/94, BFHE 178, 546, BStBl II 1995, 898; vom 25. Oktober 1995 I R 16/95, BFHE 179, 202, BStBl II 1996, 301, m.w.N., und vom 18. März 2004 V R 11/02, BStBl II 2004, 540; Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 187).

Werden --wie im Streitfall-- mehrere Schriftstücke verschiedenen Inhalts in einem Briefumschlag zugestellt, dann muss sich aus der auf dem Briefumschlag angebrachten Geschäftsnummer ergeben, welchen Inhalt die Sendung hat; nur auf diese Weise kann der Adressat einer mehrere Schriftstücke umfassenden Sendung deren Vollständigkeit prüfen und ggf. den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Zustellung führen (BFH-Urteile in BFHE 178, 546, BStBl II 1995, 898; vom 23. Mai 2000 VIII R 20/99, BFH/NV 2000, 1359). Angesichts dieses Zwecks der Geschäftsnummer reicht es aus, wenn der fragliche Vorgang derart durch Zahlen und Buchstaben gekennzeichnet ist, dass der Empfänger die Sendung eindeutig dem Vorgang zuordnen kann (BFH-Urteil vom 19. Juni 1991 I R 77/89, BFHE 165, 5, BStBl II 1991, 826). Eine hinreichende Konkretisierung liegt dagegen nicht vor, wenn der Empfänger lediglich aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen auf den Inhalt der Sendung schließen kann (Senatsbeschluss in BFH/NV 1999, 187).

b) Durch die im Streitfall gebildete Geschäftsnummer bestehend aus der um die Abkürzung "RBBZ. 2" ergänzten Steuernummer des Klägers und der Angabe "wingf 1-28, 41-43 + 29-40" sowie dem Zusatz "2 E.E.'en vom 13.07.2001" war der Inhalt der zugestellten Sendung hinreichend konkretisiert. Es war erkennbar, dass es sich um zwei im Besteuerungsverfahren des Klägers ergangene Einspruchsentscheidungen vom 13. Juli 2001 handelte. Der Kläger konnte prüfen, ob sich in der Sendung zwei Einspruchsentscheidungen mit dem aus der Geschäftsnummer ersichtlichen Datum und Geschäftszeichen befunden haben. Es war ihm ohne weiteres möglich, die Identität zwischen dem in der Geschäftsnummer angegebenen und dem tatsächlichen Inhalt der Sendung zu prüfen sowie die Sendung den beiden Vorgängen richtig zuzuordnen.

c) Der vom FG herangezogene, vom erkennenden Senat in BFH/NV 1999, 187 entschiedene Fall der zusammengefassten Angabe dreier Urteile in einem Aktenzeichen ist damit nicht vergleichbar. Denn anders als dort war es dem Kläger durch das im Anschluss an die Steuernummer gleichsam vor die Klammer gesetzte finanzamtsinterne Kennwort für eingelegte Rechtsbehelfe "wingf" und durch die Angabe der fortlaufenden Nummern in der Rechtsbehelfsliste in zwei durch ein Plus-Zeichen (+) voneinander geschiedenen Zahlenreihen in Verbindung mit der Angabe, dass die Sendung zwei Einspruchsentscheidungen enthält, möglich, den Inhalt der Sendung unmissverständlich jeweils der einzelnen der beiden Einspruchsentscheidungen zuzuordnen. Somit ist die Klage verspätet beim FG eingegangen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist dem Kläger nicht zu gewähren. Der BFH kann diese Frage, die das Vorliegen einer Sachurteilsvoraussetzung betrifft, abschließend entscheiden (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 97 FGO Rz. 39). Das FG hat die zur Beurteilung erforderlichen Tatsachen erschöpfend dargestellt und es besteht kein Anlass, an der Richtigkeit dieser Feststellungen zu zweifeln. Danach hat der Kläger spätestens durch den Hinweis des FG vom 2. November 2001 erfahren, dass die Klage verspätet erhoben wurde. Dennoch hat er erst am 15. Januar 2002 --und damit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO verspätet-- Gründe für eine Wiedereinsetzung benannt, ohne Gründe dafür anzugeben, weshalb er die Tatsachen zur Begründung der Wiedereinsetzung verspätet vorbringt.

Ende der Entscheidung

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