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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 30.11.2005
Aktenzeichen: X R 37/05
Rechtsgebiete: AO 1977, EStG


Vorschriften:

AO 1977 § 164 Abs. 2
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 16 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1
EStG § 16 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Alleineigentümer des Grundstücks H in X. In diesem befindet sich u.a. ein Ladengeschäft, das an die A-GmbH (künftig: GmbH) ab deren Gründung im Jahr 1978 bis zum 31. Dezember 1998 vermietet war. Diese betrieb darin ein Optikergeschäft und den Einzelhandel mit optischen Artikeln, Uhren und Schmuck. Der Kläger war deren alleiniger Geschäftsführer. Am Stammkapital der GmbH von zunächst 20 000 DM waren der Kläger zu 75 % und Y zu 25 % beteiligt. Nach einer im September 1984 bewirkten Erhöhung des Kapitals der GmbH auf 50 000 DM betrug die Beteiligung des Klägers 70 % und diejenige von Y 30 %.

Nach § 7 des (ursprünglichen) Gesellschaftsvertrags der GmbH werden Beschlüsse der Gesellschaft mit einer Mehrheit von drei Vierteln gefasst. Gemäß § 8 dieses Vertrags beschließt die Gesellschafterversammlung über die Erhöhung oder Herabsetzung des Stammkapitals, über sonstige Satzungsänderungen und über die Auflösung der Gesellschaft durch Beschlüsse, die einstimmig zu fassen sind. Gemäß § 6 des Vertrags darf der Geschäftsführer den Erwerb, die Veräußerung und Belastung von Grundstücken, die Beteiligung an anderen Unternehmungen, die Übernahme von Bürgschaften, die Aufnahme von Darlehen, die Errichtung von Zweigniederlassungen sowie die Einstellung und Entlassung von leitenden Angestellten nur mit Zustimmung der Gesellschafterversammlung vornehmen. Der Vertrag blieb auch in der Folgezeit im Wesentlichen unverändert.

Die GmbH wurde zum 31. Dezember 1998 aufgelöst; ihr Geschäftsbetrieb wurde eingestellt. Das von ihr bis dahin genutzte Ladengeschäft wurde an eine Metzgerei entgeltlich zur Nutzung überlassen.

In seiner für das Streitjahr 1998 abgegebenen Einkommensteuererklärung gab der Kläger seine im Zusammenhang mit der Vermietung des Ladengeschäfts an die GmbH erzielten Einkünfte als solche aus Vermietung und Verpachtung an. Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Auffassung, dass eine gewerbliche Betätigung in Gestalt einer Betriebsaufspaltung vorgelegen habe. Es behandelte deshalb in dem nach § 164 Abs. 2 der Abgabeordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1998 vom 12. Februar 2002 die aus der Überlassung des Ladengeschäfts an die GmbH erzielten Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb. Ferner ging das FA davon aus, dass die gewerbliche Betätigung des Klägers mit der Auflösung der GmbH entfallen sei. Es ermittelte daraus in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid einen Aufgabegewinn von ... DM.

Mit seiner hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage macht der Kläger geltend, eine Betriebsaufspaltung habe nicht vorgelegen. Da er sich nicht gewerblich betätigt habe, seien in dem angefochtenen Bescheid keine gewerblichen Einkünfte anzusetzen. Er, der Kläger, habe die GmbH nicht personell beherrscht. Im Gesellschaftsvertrag der GmbH sei vereinbart worden, dass Gesellschafterbeschlüsse mit einer Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen zu fassen seien, soweit solche Beschlüsse nicht in den in § 8 des Vertrags genannten Fällen einstimmig zu fassen seien. Über eine solche qualifizierte Mehrheit habe er nicht verfügt. Er sei deshalb nicht in der Lage gewesen, mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts seinen Willen in der GmbH durchzusetzen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit den in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2005, 153 veröffentlichten Gründen abgewiesen.

Mit seiner Revision macht der Kläger weiterhin geltend, eine Betriebsaufspaltung habe wegen der fehlenden personellen Beherrschung der GmbH nicht vorgelegen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz, und die Einspruchsentscheidung vom 29. Mai 2002, soweit diese die Einkommensteuer 1998 betreffen, sowie den Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 12. Februar 2002 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der erkennende Senat hat durch Beschluss vom 16. November 2005 die vorliegende Streitsache von dem Verfahren X R 56/04 abgetrennt.

II. Die Revision ist begründet. Das Urteil der Vorinstanz wird, soweit es die Einkommensteuer 1998 betrifft, aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung bis zum 31. Dezember 1998 vorgelegen haben. Der Senat vermag jedoch aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen nicht zu beurteilen, ob der Kläger zum Ende dieses Jahres sein Besitzunternehmen i.S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) aufgegeben hat. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass dem Kläger das sog. Verpächterwahlrecht zugestanden hat. In diesem Fall wäre mangels der Abgabe einer Betriebsaufgabeerklärung gegenüber dem FA keine Betriebsaufgabe eingetreten.

1. Die eine Betriebsaufspaltung begründenden Merkmale der sachlichen Verflechtung und der personellen Beherrschung haben im Streitfall bis zum 31. Dezember 1998 vorgelegen. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf das gegenüber den Verfahrensbeteiligten ergangene Urteil vom heutigen Tag im Verfahren X R 56/04.

2. Das FA war auch nicht deshalb gehindert, im Streitjahr gewerbliche Einkünfte des Klägers anzusetzen, weil es in der Vergangenheit die vom Kläger durch die Überlassung des Ladengeschäfts an die GmbH erzielten Einkünfte nicht als gewerbliche eingestuft hat. Das FA ist grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, in jedem Besteuerungsabschnitt einen Besteuerungstatbestand neu zu bewerten und ggf. von einer Beurteilung in früheren Veranlagungszeiträumen abzuweichen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. November 1985 VIII R 240/81, BFHE 145, 401, BStBl II 1986, 296).

3. Der erkennende Senat vermag aufgrund der von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen nicht zu entscheiden, ob in dem Einkommensteuerbescheid 1998 zu Recht ein Aufgabegewinn angesetzt worden ist.

Entfallen die Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung, dann bewirkt dies nicht zwangsläufig eine Betriebsaufgabe i.S. von § 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG. Dem Besitzunternehmer kann in einem solchen Fall das Verpächterwahlrecht zustehen (BFH-Urteil vom 15. März 2005 X R 2/02, BFH/NV 2005, 1292, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Sofern und solange die Voraussetzungen des Verpächterwahlrechts erfüllt werden, liegt eine Betriebsaufgabe nur vor, wenn sie gegenüber dem FA erklärt wird oder sich bereits bei der Verpachtung aus den tatsächlichen Umständen eindeutig der Aufgabewille ergibt (Senatsbeschluss vom 15. Juni 2005 X B 180/03, BFH/NV 2005, 1843). Das Verpächterwahlrecht ist jedoch nur dann gegeben, wenn alle funktional wesentlichen, dem Betrieb das Gepräge gebenden Betriebsgrundlagen verpachtet werden (Senatsurteil in BFH/NV 2005, 1292). Die Entscheidung, welche Wirtschaftsgüter zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und welchen ein besonderes Gewicht für die Betriebsführung zukommt, hängt von der jeweiligen Branche, der Eigenart des Betriebs und den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Es ist im Einzelfall nicht ausgeschlossen, dass das Betriebsgrundstück, die einzige wesentliche Betriebsgrundlage darstellt (BFH-Urteil vom 17. April 1997 VIII R 2/95, BFHE 183, 385, BStBl II 1998, 388). Bei einem Ladengeschäft rechnen die Einrichtungsgegenstände nicht zwingend zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen (BFH-Urteil vom 7. August 1979 VIII R 153/77, BFHE 129, 325, BStBl II 1980, 181). Auch scheitert die Annahme einer Betriebsverpachtung nicht stets bereits daran, dass das mietende Unternehmen einer anderen Branche angehört (BFH-Urteil vom 28. August 2003 IV R 20/02, BFHE 203, 143, BStBl II 2004, 10).

Nach den vom FG getroffenen Feststellungen hat der Kläger gegenüber dem FA keine Aufgabeerklärung abgegeben. Ferner hat das FG festgestellt, dass dieser lediglich das Ladengeschäft der GmbH überlassen hat, welches nunmehr an eine Metzgerei vermietet ist. Das FG hat jedoch nicht geprüft, ob dieses Ladengeschäft die alleinige wesentliche Betriebsgrundlage darstellt. Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des Verpächterwahlrechts vorliegen, insbesondere ob das Ladengeschäft die einzige wesentliche Betriebsgrundlage war.

Ende der Entscheidung

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