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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 12.10.2005
Aktenzeichen: X R 42/03
Rechtsgebiete: EStG, FGO, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 3 Nr. 66
EStG § 34
FGO § 118 Abs. 2
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr 1985 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin hatte im Jahre 1981 ein Hotel übernommen. Infolge des Rückgangs der Belegung waren in den Folgejahren Verluste entstanden. Anfang des Jahres 1985 wurde auf Betreiben der X-Bank das Hotelgrundstück zwangsversteigert. Danach stellte die Klägerin den Hotelbetrieb ein. Die Verbindlichkeiten konnten aus dem Versteigerungserlös nicht gedeckt werden. Die X-Bank verzichtete im Jahre 1987 auf ihre Forderungen in Höhe von 716 000 DM gegen Zahlung von 30 000 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ die betrieblichen Steuerschulden. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils ist ausgeführt: "Nach wie vor hat die Klägerin weitere Verbindlichkeiten in Höhe von 750 000 DM."

Im Einkommensteuerbescheid für 1985 berücksichtigte das FA keinen steuerfreien Sanierungsgewinn i.S. des § 3 Nr. 66 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung, sondern einen nach § 34 EStG begünstigten Aufgabegewinn. Der dagegen von den Klägern eingelegte Einspruch wurde zurückgewiesen. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus:

Es stehe außer Frage, dass der Hotelbetrieb nach der Zwangsversteigerung nicht mehr sanierungsfähig gewesen sei. Aber auch bei der unternehmerbezogenen Sanierung stelle der Bundesfinanzhof (BFH) für die Beurteilung der Sanierungsbedürftigkeit auf die Verhältnisse des Unternehmens ab. Eine Sanierungsbedürftigkeit sei nicht mehr gegeben, da das Unternehmen --jedenfalls in der Hand der Klägerin-- nicht mehr existiere.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die durch den Erlass eingetretene Erhöhung des Betriebsvermögens in Höhe von 686 340 DM nicht als Aufgabegewinn, sondern als steuerfreien Sanierungsgewinn zu behandeln.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Das FG hat zu Unrecht bei der Frage, ob der gewährte Schuldenerlass geeignet sei, den Schuldner zu sanieren, auf die Wirkung des Schuldenerlasses auf das Unternehmen abgestellt, obwohl im Streitfall über eine unternehmerbezogene Sanierung zu entscheiden war.

1. Nach § 3 Nr. 66 EStG a.F. waren Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstanden, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen wurden, von der Einkommensteuer befreit. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind unter einer Sanierung Maßnahmen zu verstehen, die geeignet sind, ein Unternehmen vor dem Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen. Die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns setzt danach im Einzelnen voraus, dass das Unternehmen sanierungsbedürftig ist, die Gläubiger in Sanierungsabsicht handeln und der Schuldenerlass sanierungsgeeignet ist. Fehlt nur eine dieser Voraussetzungen, ist das Vorliegen eines steuerfreien Sanierungsgewinns zu verneinen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. Mai 2002 IV R 11/01, BFHE 199, 278, BStBl II 2002, 854, m.w.N., und vom 10. April 2003 IV R 63/01, BFHE 202, 452, BStBl II 2004, 9). Das FG hat die Anwendung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht rechtsfehlerfrei verneint.

a) Der Hotelbetrieb der Klägerin war sanierungsbedürftig. Er war überschuldet und aufgrund des Rückgangs der Auslastung war keine Besserung der wirtschaftlichen Lage der Klägerin in Sicht. Die von der Bank betriebene Versteigerung des Hotelgrundstücks war die notwendige Folge.

b) Entgegen der Ansicht des FG muss auch die Eignung des Erlasses, die Sanierung der Klägerin zu bewirken, als möglich angesehen werden.

aa) Die Rechtsprechung sieht das Tatbestandsmerkmal der Sanierungseignung i.S. des § 3 Nr. 66 EStG a.F. auch dann als gegeben an, wenn der Einzelunternehmer durch den Forderungserlass in die Lage versetzt wird, das von ihm betriebene Unternehmen aufzugeben, ohne von weiter bestehenden Schulden beeinträchtigt zu sein. Denn Zweck der Steuerbefreiung ist, dass der Erlass von Forderungen, die nicht mehr vollwertig sind, deren Fortbestand jedoch den Schuldner in seiner Existenz bedroht, nicht an der Konsequenz einer höheren Einkommensteuer scheitern soll. Infolgedessen kann ein Sanierungsgewinn auch dann steuerfrei sein, wenn dem Schuldner durch den Erlass eine schuldenfreie Liquidierung seines Unternehmens und der Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger Position ermöglicht wird. Der BFH hat in den Urteilen vom 14. März 1990 I R 64/85 (BFHE 161, 28, BStBl II 1990, 810) und I R 106/85 (BFHE 161, 34, BStBl II 1990, 813) die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) zur unternehmerbezogenen Sanierung (vgl. Urteile vom 16. Dezember 1936 VI A 725/36, RStBl 1937, 436, und vom 12. Oktober 1938 VI 621/38, RStBl 1939, 86) bestätigt. Dieser Rechtsauffassung hat sich der erkennende Senat mit Urteil vom 24. Oktober 1990 X R 129/87 (BFH/NV 1991, 372) angeschlossen.

bb) Das FG hat diese Grundsätze unzutreffend angewendet, indem es --obwohl über eine unternehmerbezogene Sanierung zu entscheiden war-- auch für die Frage der Sanierungseignung darauf abgestellt hat, ob das Unternehmen noch sanierungsfähig war. Darauf kommt es jedoch nicht an, wenn die Wirkung des Schuldenerlasses darin besteht, dem Unternehmer nach Liquidierung seines Unternehmens den Aufbau einer Existenz in selbständiger oder nichtselbständiger Position zu ermöglichen, ohne dass er durch Schulden aus früherer unternehmerischer Tätigkeit belastet bleibt.

Weil es bei der unternehmerbezogenen Sanierung nicht entscheidend ist, ob das vom Unternehmer betriebene Unternehmen sanierungsfähig ist und noch am Leben erhalten werden kann, muss auch ein nach Beendigung des sanierungsbedürftigen Unternehmens dem Unternehmer gewährter Erlass als zu dessen Sanierung geeignet angesehen werden. Daher kann die Annahme eines steuerbefreiten Sanierungsgewinns der Klägerin nicht daran scheitern, dass der Erlass ihrer Schulden gewährt wurde, nachdem der Hotelbetrieb bereits mit der Versteigerung des Hotelgrundstücks im Februar 1985 eingestellt worden war. Die gegenteilige Betrachtung würde zudem übersehen, dass einer Sanierung nicht selten langwierige Verhandlungen vorausgehen, während Maßnahmen der Zwangsvollstreckung häufig zügig in Angriff genommen und durchgesetzt werden.

2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Da sich sein Urteil auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend erweist, war es aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zurück.

Eine abschließende Entscheidung über die Klage ist dem erkennenden Senat nicht möglich. Das FG hat im Tatbestand des nach mündlicher Verhandlung gesprochenen Urteils festgestellt: "Nach wie vor hat die Klägerin weitere Verbindlichkeiten in Höhe von 750 000 DM."

Der Senat kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des FG nicht abschließend beurteilen, wie diese Aussage zu verstehen ist. Insbesondere lässt sich nicht eindeutig bestimmen, ob die dahin gehende Aussage des FG lediglich besagen will, dass die nach der Versteigerung des Hotelgrundstücks gegenüber der Bank verbliebene Schuld noch 750 000 DM betragen habe und sodann durch den Erlass auf den Betrag der Ratenzahlungsverpflichtung verringert worden sei, oder ob sie bedeuten soll, dass trotz des von der X-Bank und dem FA gewährten Erlasses der Schulden weitere Verbindlichkeiten in Höhe von 750 000 DM verblieben seien. In dieser Mehrdeutigkeit der vom FG getroffenen Aussage liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein materiell-rechtlicher Fehler, der auch ohne diesbezügliche Rüge zum Wegfall der Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO führt (BFH-Urteile vom 28. Januar 1987 I R 85/80, BFHE 150, 120, BStBl II 1987, 616, unter B. 1.; vom 20. September 1989 X R 140/87, BFHE 158, 361, BStBl II 1990, 368, unter 2. b a.E.; vom 22. April 1998 X R 101/95, BFH/NV 1998, 1481, unter B. I. 2.; vom 15. Februar 2001 III R 130/95, BFH/NV 2001, 1041, und vom 25. Juni 2003 X R 72/98, BFHE 202, 514, BStBl II 2004, 403).

Sollte sich im zweiten Rechtsgang erweisen, dass auch nach den gewährten Schuldenerlassen weitere Verbindlichkeiten in Höhe von 750 000 DM bestanden, wird das FG untersuchen müssen, ob diese Schulden die Klägerin über die Beendigung ihrer unternehmerischen Tätigkeit hinaus beeinträchtigt haben (vgl. dazu BFH-Urteil vom 19. März 1993 III R 79/91, BFH/NV 1993, 536).

3. Bejaht das FG im zweiten Rechtsgang einen steuerfreien Sanierungsgewinn, so wird es dem klägerischen Begehren stattgeben.

Sollte das FG hingegen im zweiten Rechtsgang weiterhin einen steuerfreien Sanierungsgewinn verneinen, so wird es die Klage abweisen. Für diesen Fall sind FG und FA zutreffend davon ausgegangen, dass der erst nach dem Streitjahr 1985 (= Betriebsaufgabejahr) offenbar 1987 eingetretene Schuldenerlass und die dadurch bewirkte (Betriebs-)Vermögensmehrung ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) darstellte, welches zu einer Erhöhung des Betriebsaufgabegewinns im Streitjahr 1985 führte (vgl. auch BFH-Urteil vom 6. März 1997 IV R 47/95, BFHE 183, 78, BStBl II 1997, 509, H 139 Abs. 9 der Einkommensteuer-Richtlinien unter "Verbindlichkeiten").

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