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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 01.03.2005
Aktenzeichen: X R 45/03
Rechtsgebiete: EStG
Vorschriften:
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1a |
Gründe:
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind miteinander verheiratet und wurden für das Streitjahr 1996 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
Der Vater der Klägerin war jüdischen Glaubens und stammte aus dem Sudetenland, wo er über Grundbesitz und einen Gewerbebetrieb verfügte. Während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde er gezwungen, das Sudetenland zu verlassen und sein Grund- und Betriebsvermögen zurückzulassen. Er ließ sich in Großbritannien nieder und baute sich eine neue Existenz auf in Form eines Restaurationsbetriebes mit Grundbesitz. Für die Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens hatte der Vater der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 10 000 DM erhalten. Außerdem bezog er eine Elternrente, weil sein Sohn in einem Konzentrationslager umgekommen war.
Der Vater der Klägerin verstarb im Jahre 1985. Er wurde beerbt von der Mutter als alleiniger Vorerbin. Diese beschloss nunmehr nach Deutschland zu ziehen. Im Zusammenhang hiermit veräußerte sie den britischen Besitz.
Die Mutter der Klägerin übertrug dieser mit notariell beurkundetem Vertrag vom 6. August 1986 im Wege der vorweggenommenen Erbfolge einen Geldbetrag in Höhe von 100 000 DM. Im Gegenzug verpflichtete sich die Klägerin, an ihre Mutter auf deren Lebenszeit eine wertgesicherte Rente in Höhe von monatlich 650 DM zu zahlen. Die Erhöhung/Herabsetzung der Zahlungsverpflichtungen entsprechend § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO) war vorbehalten.
Mit privatschriftlichem Schenkungsvertrag vom 22. November 1987, der keinen Hinweis auf eine vorweggenommene Erbfolge enthält, übertrug die Mutter der Klägerin dieser ein Wertpapierdepot mit einem Gesamtwert von 200 000 DM. Diesem zufolge verpflichtete sich die Klägerin unter Vereinbarung einer Wertsicherungs- und Anpassungsklausel, ihrer Mutter für die Dauer von zehn Jahren einen Betrag von 1 600 DM monatlich zu zahlen.
Nach der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 1996 im finanzgerichtlichen Verfahren wegen Einkommensteuer 1987 (Finanzgericht --FG-- Düsseldorf Az.: 15 K 2630/94), in der über die nämliche Streitfrage zu entscheiden war, legten die Kläger hinsichtlich des Wertpapiervermögens einen weiteren Vertrag vom 16. September 1987 vor, nach welchem die Wertpapiere ebenfalls im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen würden und die Versorgungsleistungen der Klägerin an ihre Mutter auf Lebenszeit zu leisten seien.
Im Streitjahr 1996 zahlte die Klägerin ihrer Mutter einen Betrag von insgesamt 26 909 DM. Diesen Betrag machten die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung als dauernde Last geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte den Abzug ab mit der Begründung, der Tatbestand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen sei nicht gegeben. Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Die Entscheidung des FG ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 401.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts und Verfahrensrechts.
Sie beantragen,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Einkommensteuerfestsetzung 1996 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 1. Dezember 1997 dahin abzuändern, dass Aufwendungen in Höhe von 26 909 DM als dauernde Last gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Unrecht hat das FG die Klage allein mit der Begründung abgewiesen, im Zusammenhang mit der Übergabe von Geld könne keine als Sonderausgabe abziehbare dauernde Last vereinbart werden.
1. Als Sonderausgaben abziehbar sind die auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhenden Renten und dauernden Lasten, die nicht mit Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer Betracht bleiben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG). Wegen der dogmatischen Grundlagen der von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze wird auf den Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89 (BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847), auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 13. September 2000 X R 147/96 (BFHE 193, 121, BStBl II 2001, 175), die Beschlüsse des Großen Senats des BFH vom 12. Mai 2003 GrS 1/00 (BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95) und GrS 2/00 (BFHE 202, 477, BStBl II 2004, 100) sowie auf die hierzu ergangene Folgerechtsprechung verwiesen (zuletzt Senatsurteil vom 16. Juni 2004 X R 22/99, BFHE 206, 400, BStBl II 2004, 1053).
2. Die tatrichterliche Feststellung des FG, dass im Zusammenhang mit der Übergabe von Wertpapieren im Wert von 200 000 DM Versorgungsleistungen auf die Dauer von lediglich zehn Jahren vereinbart worden sind, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zulässige und begründete Revisionsrügen haben die Kläger insoweit nicht erhoben. Der Fall einer notwendigen Beiladung liegt hier nicht vor (vgl. Senatsurteil vom 24. März 1993 X R 4/92, BFH/NV 1993, 717, unter 1.). Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist nicht ausreichend gerügt. Das FG hat dem im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens eingereichten Vertrag vom 16. September 1987 keine Bedeutung beigemessen, weil es nachvollziehbare Erläuterungen zum Grund einer solchen (Nachtrags-)Vereinbarung vermisst hat. Den durch Angehörige der steuerberatenden Berufe vertretenen Klägern hätte klar sein müssen, dass die nachträgliche Darlegung eines in einem entscheidungserheblichen Punkte geänderten Sachverhalts einer Erläuterung bedurfte. Zudem durfte das FG der Vereinbarung vom 22. November 1987 als der Jüngeren die Bedeutung beimessen, dass durch sie die Vereinbarung vom 16. September 1987 zum Nachteil der Mutter der Klägerin geändert wurde.
Ausgehend von den tatrichterlichen Feststellungen des FG sind die monatlichen Zahlungen von 1 600 DM nicht als Sonderausgaben abziehbar. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats sind im Zusammenhang mit einer Vermögensübergabe vereinbarte Leistungen grundsätzlich nur dann eine dauernde Last (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG), wenn sie auf die Lebenszeit des Versorgungsberechtigten gezahlt werden (Senatsurteile vom 3. August 1994 X R 44/93, BFHE 176, 19, BStBl II 1996, 676; vom 31. August 1994 X R 58/92, BFHE 176, 333, BStBl II 1996, 672; Beschluss vom 9. Oktober 1997 X B 51/97, BFH/NV 1998, 447). An dieser Voraussetzung fehlt es hier.
Soweit sich die Kläger darauf beziehen, dass die Einkommensteuer-Richtlinien 1986 (EStR) eine auf die Mindestlaufzeit von zehn Jahren begrenzte dauernde Last als nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG abziehbar anerkannt haben, müsste ein auf den rechtlichen Gesichtspunkt der rückwirkenden Verschärfung der Rechtsprechung gestützter Anspruch auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme in einem anderen Verfahren (BFH-Beschluss vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, unter C. I. 1.; Senatsurteil vom 31. Juli 2002 X R 39/01, BFH/NV 2002, 1575, unter 5. a.E.) geltend gemacht werden. Dies würde freilich voraussetzen, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Abschlusses der Verträge davon ausgehen konnte, mit der Übergabe von Wertpapiervermögen könne eine dauernde Last gestaltet werden.
3. Lebenslängliche Leistungen haben die Klägerin und ihre Mutter anlässlich der Übertragung des Betrages von 100 000 DM vereinbart. Insoweit kommt nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des BFH in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 eine Abziehbarkeit als dauernde Last in Betracht.
a) Hinsichtlich der Art des übergebenen Vermögens, das Grundlage für die Vereinbarung von als dauernde Last anzuerkennenden Versorgungsleistungen sein kann, hatte die bisherige Rechtsprechung, auf die sich die Vorinstanz noch stützen konnte, seit jeher unterschieden zwischen der Übergabe von Geldvermögen und den unter der Bezeichnung "existenzsichernd" zusammengefassten Vermögensarten. Der Große Senat hat hierzu unter Bezugnahme auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 10. November 1999 X R 46/97 (BFHE 189, 497, BStBl II 2000, 188) in seinem Beschluss in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 (unter C. II. 6. der Entscheidungsgründe) ausgeführt: Sieht man wiederkehrende Leistungen nur unter der Voraussetzung als Sonderausgaben bzw. als wiederkehrende Bezüge i.S. des § 22 Nr. 1 EStG an, dass sie aus den Nettoerträgen des überlassenen Vermögens bestritten werden können, so kann auch die Übertragung von Geldvermögen, Wertpapieren und typischen stillen Beteiligungen in gleicher Weise berücksichtigt werden wie die Übertragung der bisher unter der Bezeichnung "existenzwahrend" zusammengefassten Vermögensarten. Durch diesen Systemwechsel zu einer folgerichtigen Dogmatik des Ertragsvorbehalts ist der Grund für die Restriktion durch die frühere Rechtsprechung entfallen (s. im Einzelnen Senatsurteil in BFHE 206, 400, BStBl II 2004, 1053).
b) Hiernach kann Wertpapier- und Geldvermögen den bisher unter der Bezeichnung "existenzsichernd" zusammengefassten Vermögensarten grundsätzlich gleichgestellt werden. Dies ist rechtlich möglich unter zwei alternativ gegebenen Voraussetzungen:
aa) Ein übergebener Geldbetrag muss entweder --ebenso wie der Erlös aus der Veräußerung der vom Großen Senat ausdrücklich erwähnten "ihrer Art nach ertraglosen Wirtschaftsgüter"-- ertragbringend angelegt werden (Senatsurteil in BFHE 206, 400, BStBl II 2004, 1053), wobei die Versorgungsleistungen aus den erzielten Erträgen zu erbringen sind. In der Konsequenz der Entscheidung des Großen Senats liegt es, dass sich der Übernehmer im Übergabevertrag verpflichtet, "eine ihrer Art nach bestimmte Vermögensanlage zu erwerben, die einen zur Erbringung der zugesagten Versorgungsleistungen ausreichenden Nettoertrag abwirft". Wird Geld in der vorstehend genannten Weise vom Beschenkten neu angelegt, ist für die Beurteilung des sog. Ertragsvorbehalts die Rendite der neuen Vermögensanlage (Reinvestition) maßgebend. Hinsichtlich der Ertragsprognose ist abzustellen auf den Zeitpunkt, zu dem die Vereinbarung zwischen den Parteien des Übergabevertrages getroffen wird.
bb) Die Übergabe von Geld kann aber auch dem Ziel einer Entschuldung dienen. Der Große Senats des BFH hat die Abziehbarkeit von wiederkehrenden Leistungen als dauernde Last anerkannt, wenn der Übernehmer vereinbarungsgemäß Geldvermögen zur Tilgung von Schulden verwendet und dadurch Zinsaufwendungen erspart, die nicht geringer sind als die zugesagten Versorgungsleistungen (Beschluss in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, unter C. II. 6. b bb a.E.). Die Finanzverwaltung folgt dem nicht; sie wendet diese rechtliche Aussage über den entschiedenen Einzelfall hinaus mit der Begründung nicht an, ersparte Zinsen gehörten nicht zu den Erträgen (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 16. September 2004, BStBl I 2004, 922, Tz. 21 letzter Absatz).
Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, die Aussage des Großen Senats in Frage zu stellen. Allerdings setzt die Übergabe von Vermögenswerten für Zwecke der Schuldentilgung voraus, dass ein Wirtschaftsgut, das wie z.B. ein Einfamilienhaus der Erzielung von Erträgen --hier: in Gestalt eines Nutzungsvorteils (Beschluss in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95, unter B. II. 6. b der Entscheidungsgründe)-- dient, von langfristigen Schuldverpflichtungen entlastet wird. Diese Einschränkung folgt aus dem Begründungszusammenhang, in den der Große Senat seine hier erörterte Aussage gestellt hat. Das Erfordernis der Langfristigkeit zielt auf den Fall ab, dass der Empfänger des Geldes die Anschaffung/Herstellung einer Vermögensanlage fremdfinanziert und nicht lediglich etwa einen Konsumentenkredit aufgenommen hatte. Die hiermit vorausgesetzte "Vermögenswirksamkeit" der Schuldentilgung ergibt sich aus der Funktion der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen, das Vermögen im Generationennachfolgeverbund --"zur Weiterführung durch den Übernehmer" (Senatsurteil vom 10. November 1999 X R 10/99, BFHE 190, 413, BStBl II 2002, 653)-- zu erhalten. Das hierin zum Ausdruck kommende Prinzip einer generationenübergreifenden Perpetuierung des Übergebervermögens wird bei der hier erörterten Konstellation der Schuldentilgung nur gewahrt, wenn und soweit ein Finanzierungszusammenhang mit dem Erwerb einer ertragbringenden Vermögensanlage besteht, die ihrerseits Objekt einer Vermögensübergabe sein könnte. Damit wird die Relevanz von Zufälligkeiten im zeitlichen Ablauf der Reinvestition beim Vermögensübernehmer eingeschränkt. Im Übrigen wird es im Regelfall nur unter der Voraussetzung der vom Senat befürworteten Einschränkung möglich sein, wie vom Großen Senat für die Abziehbarkeit vorausgesetzt, die vereinbarten Versorgungsleistungen und die ersparten Zinsen betragsmäßig zueinander ins Verhältnis zu setzen.
4. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Da sich seine Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend darstellt, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zurückzuverweisen.
Nach dem Vortrag der Kläger im Revisionsverfahren ist in Betracht zu ziehen, dass die Klägerin die von der Mutter übertragenen Vermögensgegenstände dazu verwenden sollte, das Grundstück in E zu entschulden. Das FG wird im zweiten Rechtsgang der im Revisionsverfahren vorgetragenen Behauptung der Klägerin nachgehen und prüfen, welches Darlehen getilgt worden ist und wie sich eine etwaige Vorfälligkeitsentscheidung auf die Relation von ersparten Zinsen und Versorgungsleistungen auswirkt.
Sollte das FG aufgrund einer erneuten Würdigung der vorgelegten Verträge unter Berücksichtigung des Vorbringens der Kläger zu dem Ergebnis kommen, dass in sachlichem Zusammenhang auch mit der Übertragung der Wertpapiere lebenslängliche Versorgungsleistungen vereinbart worden sind, wird auch dieser Sachverhalt in die Prüfung der besagten Relation einzubeziehen sein.
Das FG wird weiterhin prüfen, ob der Versorgungsvertrag oder gegebenenfalls die Verträge wie vereinbart durchgeführt worden sind.
5. Der Streitfall gibt dem Senat keine Veranlassung zu entscheiden, wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn auch ersparte Tilgungen vereinbarungsgemäß ertragbringend reinvestiert werden.
Ende der Entscheidung
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