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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 13.02.2003
Aktenzeichen: X R 62/00
Rechtsgebiete: EStG, AO 1977


Vorschriften:

EStG § 15 Abs. 2
AO 1977 § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO 1977 § 171 Abs. 5
AO 1977 § 171 Abs. 5 Satz 1
AO 1977 § 397
AO 1977 § 410 Abs. 1 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der in den Jahren 1980 bis 1989 als selbständiger Berater und Planer im Bereich des Bauwesens tätige Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb mit Vertrag vom 8. August 1979 ein unbebautes Grundstück und errichtete darauf im Jahr 1980 ein Apartmenthaus mit sechs Wohnungen. Im Jahr 1982 verkaufte er eine und im Jahr 1983 zwei Wohnungen. Im Streitjahr 1984 veräußerte er eine weitere Einheit. Mit den Verkaufserlösen führte er Baukredite zurück und schuldete die verbleibenden, kurzfristigen Verbindlichkeiten in langfristige Kredite um.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte für das Streitjahr 1984 der Erklärung des Klägers, der die Einnahmen aus dem Apartmenthaus als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ansetzte und keine Gewerbesteuererklärung einreichte.

Aufgrund einer anonymen Anzeige geriet der Kläger in den Verdacht, Provisionszahlungen bezogen und nicht der Einkommensteuer unterworfen zu haben sowie durch Abschluss eines fingierten Zwischenmietvertrags mit einem gewerblichen Zwischenmieter zu Unrecht Umsatzsteuererstattungen für eine von ihm selbst bewohnte Wohnung erhalten zu haben. Am 29. Januar 1991 leitete das FA gemäß § 397 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 410 Abs. 1 Nr. 6 AO 1977 ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuerhinterziehung der Jahre 1980 bis 1989 ein. Einen Hinweis auf einen gewerblichen Grundstückshandel enthält weder der Einleitungsvermerk noch ein Aktenvermerk vom 28. Januar 1991 über die Einleitung des Steuerstrafverfahrens oder der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts X vom 24. Januar 1991.

Während der Fahndungsprüfung kam das FA zu dem Ergebnis, dass der Verkauf der Wohnungen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfülle und die Grenzen der privaten Vermögensverwaltung überschritten seien. Im Gewerbesteuermessbescheid für das Jahr 1984 vom 5. März 1992 erfasste es die Einkünfte aus gewerblichem Grundstückshandel entsprechend den Feststellungen der Steuerfahndung im Bericht vom 17. Januar 1992 und setzte den Messbetrag auf 7 930 DM fest. In dem im Einspruchsverfahren ergangenen Änderungsbescheid vom 19. Februar 1993 (und nicht, wie vom Finanzgericht --FG-- versehentlich angenommen, im Erstbescheid vom 5. März 1992) wurde der Gewerbesteuermessbetrag für das Jahr 1984 mit 7 305 DM angesetzt.

Im Schreiben der Bußgeld- und Strafsachenstelle des FA vom 4. Januar 1994 wurde der Schuldvorwurf gegen den Kläger konkretisiert. Ihm wurde u.a. vorgehalten, Erlöse aus gewerblichem Grundstückshandel nicht erklärt zu haben.

Die Klage führte zur Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheids für das Jahr 1984. Dem Kläger könne weder Steuerhinterziehung noch leichtfertige Steuerverkürzung vorgeworfen werden. Auch sei der Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsfrist nicht durch die Fahndungsprüfung gehemmt worden.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 171 Abs. 5 AO 1977. Die Fahndungsprüfung könne nicht auf einzelne Besteuerungsgrundlagen beschränkt werden, sondern betreffe die Steueransprüche allgemein. Der Steuerpflichtige müsse zwangsläufig jederzeit mit der Ausweitung des Prüfungsumfangs rechnen. Die Fahndungsprüfung habe sich u.a. auch auf die Gewerbesteuer für das Streitjahr 1984 bezogen. Zudem sei der Prüfungsbericht nach Abschluss der Ermittlungen bereits am 17. Januar 1992 erstellt worden; aus Tz. 63 des Berichts ergebe sich, dass am 27. August und 4. Oktober 1991 Besprechungen mit dem Kläger und seinem Berater stattfanden, in deren Verlauf auch die Problematik des gewerblichen Grundstückshandels erörtert worden sei.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit sie den Gewerbesteuermessbetrag 1984 betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger im Streitjahr mit dem Verkauf der Wohnung die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 EStG erfüllt und die Grenzen der privaten Vermögensverwaltung überschritten hat.

2. Auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen kann jedoch nicht abschließend beurteilt werden, ob im Zeitpunkt des Erlasses des Gewerbesteuermessbescheids am 5. März 1992 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten oder der Ablauf der Verjährungsfrist aufgrund der Ermittlungen der Steuerfahndung gehemmt war.

a) Da im Streitfall dem Kläger hinsichtlich des gewerblichen Grundstückshandels weder der Vorwurf der Steuerhinterziehung noch der der leichtfertigen Steuerverkürzung gemacht werden kann, beträgt die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 vier Jahre. Für das Jahr 1984 hatte der Kläger keine Gewerbesteuererklärung abgegeben. Die Festsetzungsfrist für das Streitjahr 1984 begann deshalb mit Ablauf des Jahres 1987 und endete grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 1991 und damit vor Erlass des ersten Gewerbesteuermessbescheids vom 5. März 1992, sofern der Fristablauf nicht durch die im Jahr 1991 begonnene Fahndungsprüfung gehemmt war.

b) Das FG geht in seinem Urteil davon aus, der Ablauf der Festsetzungsfrist sei nicht gehemmt worden. Bei dieser Feststellung hat das FG aber, wie das FA mit seiner Verfahrensrüge zu Recht geltend macht, wesentliche Teile des Akteninhalts unberücksichtigt gelassen.

aa) Beginnt die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle einer Landesfinanzbehörde vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor die auf Grund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind (§ 171 Abs. 5 Satz 1 AO 1977). Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass Ermittlungshandlungen vor Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich vorgenommen worden sind. Darüber hinaus muss für den Steuerpflichtigen erkennbar sein, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. April 1997 XI R 61/94, BFHE 183, 13, BStBl II 1997, 595).

Der Umfang der Ablaufhemmung hängt davon ab, auf welche Steueransprüche sich die Prüfung während ihres Verlaufs tatsächlich erstreckt hat. Für Steueransprüche, die nicht Gegenstand der Steuerfahndungsprüfung waren, kann keine Ablaufhemmung eintreten. Entscheidend für die Hemmung der Festsetzungsfrist für einen Gewerbesteuermessbetragsbescheid ist somit, dass sich die Ermittlungshandlungen auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum erstreckt haben. Ist dies der Fall, kommt es nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt innerhalb einer Prüfung Ermittlungshandlungen in Bezug auf einzelne Veranlagungszeiträume durchgeführt wurden (BFH-Urteil vom 9. März 1999 VIII R 19/97, BFH/NV 1999, 1186, m.w.N.).

Steht fest, dass sich Ermittlungshandlungen auf bestimmte Veranlagungszeiträume erstrecken, ist der Umfang der Ablaufhemmung noch nicht abschließend bestimmt. § 171 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 spricht von "Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen" sowie davon, dass die Festsetzungsfrist "insoweit" nicht abläuft. Aus diesem Gesetzeswortlaut und der Tatsache, dass die Fahndungsprüfung --anders als eine Außenprüfung-- nicht auf eine umfassende, sondern auf eine punktuelle Ermittlung angelegt ist, ergibt sich, dass nicht die Festsetzungsfrist für den gesamten Steueranspruch gehemmt wird, sondern Ablaufhemmung nur hinsichtlich der Steuern eintritt, die sich aus Sachverhalten, die Gegenstand der Ermittlungen waren, ergeben (BFH in BFH/NV 1999, 1186, m.w.N.).

bb) Im Streitfall betraf die Fahndungsprüfung nicht nur die Sachverhaltskomplexe Provisionszahlungen und fingiertes Zwischenmietverhältnis. Vielmehr hat die Steuerfahndung ihre Ermittlungen --wie sich aus dem Fahndungsbericht vom 17. Januar 1992, Tz. 22 bis 24 ergibt-- auch auf den Sachverhalt des gewerblichen Grundstückshandels ausgedehnt.

Macht die Steuerfahndung im Rahmen einer aus sonstigen Gründen durchgeführten Fahndungsprüfung Zufallsfunde oder entsteht der Verdacht auf weitere Steuerstraftaten, kann im Regelfall ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sich die Prüfung ab dem Zeitpunkt der zufälligen Entdeckung bzw. der Entstehung des weiteren Verdachts auch auf diese Sachverhalte erstrecken soll (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 1186). Denn es gehört zu den Aufgaben der Steuerfahndung (§ 208 Abs. 1 Satz 1 AO 1977), unter solchen Umständen von Amts wegen tätig zu werden. Eine besondere Prüfungsanordnung ist weder für den Beginn der Fahndung noch für ihre Erweiterung erforderlich und für die Ablaufhemmung ohne Bedeutung (BFH-Urteil in BFH/NV 1999, 1186, m.w.N.).

Ablaufhemmung hinsichtlich der Zufallsfunde tritt jedoch nur dann ein, wenn die formlose Ausweitung der Fahndungsprüfung für den Steuerpflichtigen vor Ablauf der Verjährung erkennbar war (BFH-Urteile in BFH/NV 1999, 1186, und vom 20. Januar 2000 V R 98/98, BFH/NV 2000, 1143). Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass der Kläger mit dem Vorwurf der Steuerhinterziehung in Zusammenhang mit gewerblichem Grundstückshandel erstmals mit Schreiben vom 4. Januar 1994 der Bußgeld- und Strafsachenstelle konfrontiert wurde. Es hat nicht geklärt, ob sich --wie das FA geltend macht-- aus dem Fahndungsbericht ergibt, dass der Vorwurf gegenüber dem Kläger bereits während der Fahndungsprüfung erhoben worden war.

3. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache wegen fehlender Spruchreife zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Das Gericht wird im zweiten Rechtsgang zu klären haben, ob Ablaufhemmung eingetreten ist, weil für den Kläger bereits vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennbar war, dass sich die Fahndungsprüfung auch auf den Sachkomplex "gewerblicher Grundstückshandel" bezog.

Ende der Entscheidung

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