Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 12.11.1997
Aktenzeichen: X R 83/94
Rechtsgebiete: AO, EStG, BGB


Vorschriften:

AO 1977 § 45
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1
EStG § 22 Nr. 1 a
BGB § 1586b
BUNDESFINANZHOF

Der Erbe kann ihm gemäß § 1586b BGB obliegende Unterhaltsleistungen an den geschiedenen Ehegatten des Erblassers nicht als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG; sog. Realsplitting) abziehen.

AO 1977 § 45 EStG § 10 Abs. 1 Nr.1, § 22 Nr. 1 a BGB § 1586b

Urteil vom 12. November 1997 - X R 83/94

Vorinstanz: FG Nürnberg


G r ü n d e

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Alleinerbin ihres im Jahre 1988 verstorbenen Ehemannes. Dessen Verpflichtung zur Unterhaltszahlung an seine frühere Ehefrau war nach dem Tod gemäß § 1586b des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auf die Klägerin übergegangen. Diese machte mit Zustimmung der Empfängerin die im Jahre 1990 geleisteten Unterhaltszahlungen bis zum Höchstbetrag von 27 000 DM in ihrer Einkommensteuererklärung für 1990 gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für dieses Jahr geltenden Fassung zum Sonderausgabenabzug geltend.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte dies im Bescheid vom 29. Juni 1992 ab.

Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch erreichte die Klägerin wegen der Unterhaltszahlungen lediglich einen auf den Höchstbetrag von 5 400 DM beschränkten Abzug als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 EStG.

Auch die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) stellte sich auf den Standpunkt, die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG seien nicht erfüllt, weil die Klägerin die streitigen Unterhaltsleistungen nicht ihrem Ehegatten gegenüber erbracht habe. Auch Analogie komme nicht in Betracht, weil keine planwidrige Unvollständigkeit zu erkennen sei.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts: Die streitigen Unterhaltszahlungen berührten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowohl beim ursprünglich Verpflichteten als auch beim Erben und seien daher in beiden Fällen dem Sonderausgabenabzug, nicht den außergewöhnlichen Belastungen zuzuordnen. Die Beschränkung der Haftungsmöglichkeit nach § 1586b Abs. 1 Satz 3 BGB ändere nichts daran, daß der Verpflichtete Unterhalt auch dann leisten müsse, wenn das ererbte Vermögen untergehe, sofern zu diesem Zeitpunkt die betragsmäßige Begrenzung auf den Pflichtteil noch nicht eingreife. Dabei habe der Erbe --anders als der Erblasser-- nicht die Möglichkeit, die Unterhaltszahlungen bei geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen anpassen zu lassen. Die vom FG vertretene Ansicht sei auch mit Art. 3 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, den Einkommensteuerbescheid für 1990 vom 29. Juni 1992, in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22. Juli 1992 sowie der Einspruchsentscheidung vom 12. März 1993 abzuändern und die Einkommensteuer für 1990 aus einer um 21 600 DM verminderten Bemessungsgrundlage neu festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es teilt die Meinung des FG, daß die Klägerin zum Abzug nicht berechtigt sei. Der Erbe trete nur beschränkt in die Unterhaltsverpflichtung des dauernd getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten ein. Denn zum einen werde seine Leistungsfähigkeit durch das Nachlaßvermögen, wenn auch mit dem Unterhaltsanspruch belastet, erhöht, zum anderen sei sein Vermögen und damit seine Leistungsfähigkeit geschützt durch die Haftungsbegrenzung des § 1586b Abs. 1 Satz 3 BGB.

II.

Die Revision ist unbegründet. Zu Recht haben FA und FG der Klägerin den von ihr erstrebten Sonderausgabenabzug versagt.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG sind Sonderausgaben auch Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt, und zwar bis zum Betrag von 27 000 DM im Kalenderjahr.

Diese Regelung verschafft dem Steuerschuldner eine höchstpersönliche Abzugsberechtigung, die ausschließlich auf die individuelle Unterhaltssituation dauernd getrennt lebender bzw. geschiedener Ehegatten zugeschnitten und infolgedessen von der Gesamtrechtsnachfolge ausgeschlossen ist.

l. Für die Gesamtrechtsnachfolge bestimmt § 45 der Abgabenordnung (AO 1977), daß die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger übergehen. Der Bundesfinanzhof (BFH) vertritt darüber hinaus allerdings in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, der Gesamtrechtsnachfolger trete materiell-rechtlich und verfahrensrechtlich in die abgabenrechtliche Stellung des Rechtsvorgängers ein (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 26. März 1981 IV R 130/77, BFHE 133, 271, BStBl II 1981, 614; vom 15. August 1983 IV R 99/80, BFHE 139, 265, BStBl II 1984, 31; vom 22. Januar 1993 III R 92/89, BFH/NV 1993, 455).

Der Senat kann offenlassen, ob er sich der im Schrifttum umstrittenen (vgl. z.B. Ruppe, Deutsche steuerjuristische Gesellschaft, Bd. 10, 1987 S. 45, 53 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 45 AO 1977 Rz. 4, jeweils m.w.N.) Rechtsprechung anschließt. Auch nach der Rechtsprechung sind höchstpersönliche Verhältnisse oder Umstände, die unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verknüpft sind (z.B. bestimmte für einen Besteuerungs- oder Begünstigungstatbestand erhebliche Eigenschaften), von der Zurechnung ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 11. November 1971 V R 111/68, BFHE 103, 453, BStBl II 1972, 80). Soweit ein Abzugstatbestand deshalb vom Vorliegen einer persönlichen Eigenschaft des Steuerpflichtigen abhängt, kommt insoweit auch nach der Rechtsprechung eine Zurechnung an den Rechtsnachfolger nicht in Betracht. Dies ist ein aus dem Inhalt und dem Zweck des jeweiligen Abzugstatbestandes (vgl. auch Ruppe, a.a.O., S. 61 f.) heraus zu lösendes Problem. Es geht also um (einfache) Gesetzesauslegung, nicht --wie die Klägerin meint-- um Rechtsfortbildung (Analogie).

2. Die Auslegung ergibt für § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG, daß ein Erbe aus dieser Regelung ungeachtet dessen keine Abzugsberechtigung herleiten kann, daß die zugrundeliegende Unterhaltsverpflichtung gemäß § 1586b BGB auf ihn übergegangen ist. Dieser zivilrechtliche Vorgang hätte Auswirkungen auf das Einkommensteuerrecht nur, wenn insoweit ein eigenständiger abgabenrechtlicher Gesetzesauftrag erkennbar wäre (vgl. BFH-Beschluß vom 5. Juli 1990 GrS 2/89, BFHE 161, 332, 342, BStBl II 1990, 837, 842 zu C. I. 2. a, a.E.). Das ist nicht der Fall.

a) Das sog. Realsplitting soll der speziellen wirtschaftlichen Lage geschiedener (bzw. dauernd getrennt lebender) Ehegatten Rechnung tragen. Diese in der Fassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG und im Zusammenhang mit § 22 Nr. 1 a EStG deutlich ausgedrückte Zielsetzung wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte der Regelung: Sie wurde eingeführt mit Rücksicht auf den "tiefgreifenden Wechsel der gesamten Lebensverhältnisse", den die "Auflösung einer Ehe" typischerweise nach sich zieht, auf die regelmäßig damit verbundene "Vermögensumschichtung zwischen den Ehegatten" und schließlich auch auf die zusätzliche steuerliche "Belastung" durch den "Wegfall des Splittings" (BTDrucks 8/2100 S. 60). Speziell durch die Verknüpfung von Abzugs- und Besteuerungstatbestand sowie durch das Erfordernis der Einigung beider Seiten bis hin zu den abgabenrechtlichen Auswirkungen (s. dazu auch Senatsurteile vom 12. Juli 1989 X R 8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957, und vom 25. Juli 1990 X R 137/88, BFHE 161, 517, BStBl II 1990, 1022) sollte eine eigenverantwortliche Unterhaltsregelung ermöglicht und vor allem "sichergestellt werden, daß der Unterhaltsberechtigte die Zustimmung davon abhängig machen kann, daß der Unterhaltsverpflichtete etwaige auf die Unterhaltsleistung entfallende Steuern des Unterhaltsberechtigten übernimmt" (BTDrucks 9/1772 S. 2, 3).

b) Demgegenüber stellt sich die Ausgangssituation im Verhältnis des Erben einer solchen Unterhaltsverpflichtung zum Leistungsberechtigten in allen wesentlichen Punkten grundlegend anders dar. Von der vollständigen Änderung der Verhältnisse, über die Notwendigkeit einer umfassenden Auseinandersetzung und einvernehmlichen Unterhaltsregelung bis hin zu der im Verlust des Splittings liegenden Sonderbelastung. Diese Verschiedenartigkeit zeigt sich schließlich auch darin, daß beim Gesamtrechtsnachfolger die gemäß § 1586b Abs. 1 Satz 1 BGB "als Nachlaßverbindlichkeit" auf ihn übergegangene (im übrigen nach § 1586b Abs. 1 Satz 3 BGB auf den Pflichtteil begrenzte) Unterhaltsverpflichtung durch das ererbte Vermögen gedeckt ist, in seiner Person insofern also außerdem auch die im Rahmen des Sonderausgabenabzugs regelmäßig vorausgesetzte Belastungssituation (s. dazu: BFH-Urteil vom 27. November 1996 X R 85/94, BFHE 182, 110, BStBl II 1997, 284; Ruppe, a.a.O., S. 91 f.; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl. 1997, § 10 Rz. 4, jeweils m.w.N.) fehlt.

Aus alledem folgt, daß der Sonderausgabenabzug im Fall des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG "personenbezogen" ist (im Ergebnis ebenso Hutter in Blümich, Einkommensteuergesetz, § 10 Rz. 39; Schmidt/ Heinicke, a.a.O., Rz. 28; Söhn in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. B 158).

c) Art. 3 GG ist durch dieses Auslegungsergebnis schon im Hinblick auf die zuvor geschilderte unterschiedliche Belastung beim unterhaltsverpflichteten Ehegatten einerseits und seinem aus dem Nachlaß verpflichteten Erben andererseits nicht verletzt. Dabei fällt auch ins Gewicht, daß die Versagung des Sonderausgabenabzugs in Fällen der streitigen Art auf der Einnahmenseite der Gesamtregelung "Realsplitting" Nichtsteuerbarkeit zur Folge hat, weil nunmehr feststeht, daß solche Unterhaltsleistungen vom Geber nicht abgezogen werden können (s. § 22 Nr. 1 a EStG).

Ende der Entscheidung

Zurück