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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 26.11.2003
Aktenzeichen: X S 12/03
Rechtsgebiete: EStG, BGB, HGB, FGO


Vorschriften:

EStG § 5 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4
FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
FGO § 100 Abs. 2 Satz 2
FGO § 100 Abs. 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Antragstellerin ist Alleinerbin ihres im Juni 1994 verstorbenen Vaters (V). Im Frühjahr 1991 entschloss V, seinen als Einzelunternehmen geführten Gewerbebetrieb unentgeltlich an seinen Sohn (S) zu übergeben. Nach dem notariell beurkundeten Übergabevertrag vom 6. März 1991 sollte die Übergabe des Betriebes zum 1. August 1991 stattfinden. Der Übergabevertrag enthält u.a. die folgende Regelung:

"Der Veräußerer (V) nimmt am Gewinn und Verlust der schwebenden Geschäfte ab dem Bilanzstichtag (1. August 1991) nicht mehr teil. Sämtliche Forderungen, die dem Veräußerer noch aus dem Betrieb zustehen, werden mit Wirkung zum Bilanzstichtag an den Erwerber (S) abgetreten, der diese Abtretung annimmt."

S war bereits seit 1980 als Geschäftsführer im Betrieb seines Vaters tätig. Er entschloss sich im Frühjahr 1991, die entstandenen betrieblichen Kundenforderungen nur noch in der EDV zu erfassen, aber keine Rechnungen mehr zu versenden. Als Folge dieses Vorgehens des S wurden von den betreffenden Kunden im Zeitraum zwischen Februar 1991 bis zur Betriebsübergabe an S am 1. August 1991 an sich fällige Beträge in Höhe von 351 987 DM (netto ohne Umsatzsteuer) nicht bezahlt. Nach dem Übergang des Betriebes und der Forderungen auf S versandte dieser unverzüglich die Rechnungen und vereinnahmte die Rechnungsbeträge.

Nachdem V und die Antragstellerin von dem beschriebenen Verhalten des S Kenntnis erlangt hatten, kam es zwischen V und S zu Zivilrechtsstreitigkeiten, die im Jahr 1995 durch einen gerichtlichen Vergleich beendet wurden. Hierin verpflichtete sich S gegenüber der Antragstellerin als Alleinerbin des V zur Zahlung von 315 000 DM. Schon zuvor hatte S dem V den Schaden aus nicht ordnungsgemäß abgewickelten Kundenscheckzahlungen in Höhe von 7 800 DM ausgeglichen.

Der Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) erhöhte im Anschluss an eine Außenprüfung den nach § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermittelnden Gewinn aus Gewerbebetrieb des V für das Rumpfwirtschaftsjahr 1991 um die infolge des zögerlichen Verhaltens des S erst nach dem 31. Juli 1991 in Rechnung gestellten Kundenforderungen, soweit die ihnen zugrunde liegenden Leistungen bereits vor Betriebsübergabe (1. August 1991) erbracht worden waren. Die von der Antragstellerin begehrte Wertberichtigung ließ das FA nicht zu.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid 1991 vom 23. Juni 1999 als unbegründet ab, ohne die Revision zuzulassen.

Auf die dagegen von der Antragstellerin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde hat der erkennende Senat die Revision zugelassen.

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Antragstellerin nach vorherigem erfolglosen Antrag beim FA, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1991 vom 23. Juni 1999 in Höhe eines Teilbetrages von 44 096 € auszusetzen.

Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.

II. Der zulässige Antrag ist begründet.

1. Der Bundesfinanzhof (BFH) ist nach Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als Gericht der Hauptsache für die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zuständig (§ 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--; BFH-Beschluss vom 4. Juni 1996 VII S 9/96, BFH/NV 1996, 915, unter 1. der Gründe).

2. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

a) Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist bei einem schon in der Revisionsinstanz schwebenden Rechtsstreit nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. "Ernstliche Zweifel" i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn unter Beachtung der eingeschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts zu rechnen ist (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. Juni 1995 X S 5/95, BFH/NV 1995, 1082, unter 1. der Gründe).

b) Dies trifft im vorliegenden Streitfall zu. Bei summarischer Prüfung bestehen ernstliche Zweifel daran, ob der Einkommensteuerbescheid 1991 vom 23. Juni 1999 in dem von der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren angefochtenen Umfang und das klageabweisende FG-Urteil vom 21. Mai 2003 rechtmäßig sind. Diese Zweifel ergeben sich aus folgenden Erwägungen:

Nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen hat S, der als leitender Angestellter ("Geschäftsführer") im Betrieb des V tätig war, diesen geschädigt. Dieser Schaden wurde dadurch verursacht, dass die streitigen Kundenforderungen als Folge des pflichtwidrig-zögerlichen Verhaltens des S nicht mehr von V bis zum Zeitpunkt der Betriebsübergabe an S (1. August 1991) vereinnahmt und die entsprechenden liquiden Mittel nicht mehr von V entnommen werden konnten mit der weiteren Konsequenz, dass diese Forderungen gemäß der im Betriebsübergabevertrag vereinbarten Vorausabtretung am 1. August 1991 auf S übergingen.

aa) In dem vom beschließenden Senat zugelassenen Revisionsverfahren wird voraussichtlich die Beantwortung der bislang weder vom FA noch vom FG aufgeworfenen Frage entscheidungserheblich sein, ob der infolge des beschriebenen Verhaltens des S bei V eingetretene, durch den Forderungsübergang auf S bewirkte Vermögensverlust betrieblich oder privat veranlasst war. Hierbei könnte es unter Beachtung der vom beschließenden Senat im Urteil vom 25. Oktober 1989 X R 69/88 (BFH/NV 1990, 553) dargelegten Grundsätze darauf ankommen, ob das Vorgehen des S unter sonst gleichen Umständen auch von einem an dessen Stelle gedachten fremden Geschäftsführer hätte verwirklicht werden können (dann betrieblicher Aufwand) oder ob der Sohn nur deswegen so frei und vom Vater zunächst unkontrolliert "schalten und walten" konnte, weil er wegen des engen Verwandtschaftsverhältnisses eine besondere Vertrauensstellung genoss (dann Entnahme), wobei sich die Beantwortung dieser Frage möglicherweise nur durch weitere --im zweiten Rechtsgang durch das FG nachzuholende-- tatsächliche Feststellungen erhellen lassen wird.

Jedenfalls lässt sich unter Anlegung eines summarischen Maßstabs beim derzeitigen Sachstand eine betriebliche Veranlassung des bei V eingetretenen Vermögensverlusts nicht ernstlich ausschließen.

bb) Geht man von einem betrieblich veranlassten Vermögensverlust aus, so könnte der Klage bei summarischer Prüfung der Erfolg schwerlich versagt bleiben. Zwar erlangte der Vater als Ausgleich für den von seinem Sohn pflichtwidrig und schuldhaft verursachten Vermögensschaden einen --u.a. aus § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs herzuleitenden-- Schadensersatzanspruch gegen S. Dieser Schadensersatzanspruch wäre aber nach dem vom BFH (vgl. hierzu insbesondere BFH-Urteile vom 26. April 1989 I R 147/84, BFHE 157, 121, BStBl II 1991, 213, und vom 3. Juni 1993 VIII R 26/92, BFH/NV 1994, 366) entwickelten Grundsätzen aus Gründen bilanzieller Vorsicht (§ 5 Abs. 1 EStG i.V.m. § 252 Abs. 1 Nr. 4 des Handelsgesetzbuchs) nicht schon im Streitjahr (d.h. in der Schlussbilanz des V zum 31. Juli 1991) zu aktivieren, sondern vielmehr erst frühestens im Jahr der Anerkennung des Schadensersatzanspruchs durch S (d.h. im Vergleichsjahr 1995) als nachträgliche Betriebseinnahme zu erfassen.

3. Die Übertragung der Berechnung des von der Vollziehung auszusetzenden Betrages auf das FA beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 100 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO.

Ende der Entscheidung

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